OGH 4Ob224/22b

OGH4Ob224/22b31.1.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Schwarzenbacher und MMag. Matzka sowie die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Fitz, als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei T*, vertreten durch die Rechtsanwälte Mandl GmbH in Feldkirch, gegen die beklagte Partei I*, vertreten durch Mag. Bernhard Schwendinger, Rechtsanwalt in Dornbirn, wegen Feststellung der Unwirksamkeit eines Räumungsvergleichs (Streitwert 5.000 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 3. November 2022, GZ 2 R 213/22x‑13, in nichtöffentlicher Sitzung, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0040OB00224.22B.0131.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiete: Bestandrecht, Zivilverfahrensrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin mietete vom Beklagten 1992 ein Geschäftslokal auf unbestimmte Zeit. Das Mietverhältnis unterliegt dem Kündigungsschutz der §§ 29 ff MRG.

[2] Die Parteien schlossen im Jahr 2017 „zur Sicherheit“ einen gerichtlichen Räumungsvergleich ab, laut dem die Klägerin dem Beklagten das Bestandobjekt bis spätestens 31. 10. 2022 geräumt übergeben soll. Auch in den Jahren 1997, 2002, 2007 und 2012 hatten die Parteien schon Räumungsvergleiche abgeschlossen.

[3] Mit Schreiben vom 18. 1. 2022 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass er das Mietverhältnis per 31. 10. 2022 beende, um das Haus bestandfrei an die nächste Generation übergeben zu können.

[4] Der Anwalt der Beklagten schrieb zurück, dass dem Räumungsvergleich keine entsprechende Anpassung des Mietvertrags zugrunde liege und die Beklagte als Mieterin mit Kündigungsschutz das Geschäftslokal nicht räumen müsse.

[5] Die Vorinstanzen gaben dem Eventualbegehren auf Feststellung der Unwirksamkeit des Räumungsvergleichs statt. Das unbefristete Bestandverhältnis sei durch den Abschluss des Räumungsvergleichs nicht in ein befristetes umgewandelt worden. Der Räumungsvergleich sei nichtig, weil er die gesetzlichen Kündigungsbeschränkungen zu umgehen suche.

[6] Die außerordentliche Revision des Beklagten zielt auf Abweisung des Klagebegehrens ab. Sie zeigt jedoch keine erhebliche Rechtsfrage auf und ist daher nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[7] 1. Entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (vgl RS0042424) ist die Revision des Beklagten nicht jedenfalls unzulässig.

[8] Gemäß § 502 Abs 5 Z 2 ZPO gelten die Wertgrenzen in dessen Abs 2 und 3 nicht für die unter § 49 Abs 2 Z 5 JN fallenden Streitigkeiten, wenn dabei über eine Kündigung, über eine Räumung oder über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Bestandvertrags entschieden wird.

[9] Dazu zählen nach der Rechtsprechung auch Klagebegehren auf Feststellung der Unwirksamkeit eines gerichtlichen Räumungsvergleichs, weil auch hier die Räumungsverpflichtung vom Ausgang des Verfahrens abhängt (RS0043006 [T6]).

[10] 2. Zwar ist dem Beklagten zuzustimmen, dass auch ein Mietverhältnis mit Kündigungsschutz nach § 29 MRG einvernehmlich aufgelöst werden kann – nach den Umständen des Einzellfalls allenfalls auch konkludent durch Abschluss eines entsprechenden Räumungsvergleichs (vgl RS0113485).

[11] Dies war jedoch nach den Feststellungen hier gerade nicht der Fall. Vielmehr schlossen die Parteien des Bestandverhältnisses alle fünf Jahre „zur Sicherheit“ (des Vermieters) Räumungsvergleiche, ohne dass diese eine Beendigung des Mietverhältnisses nach sich gezogen hätten. Auch über eine Beendigung des Mietverhältnisses zum 31. 10. 2022, dem Wunschtermin des Beklagten, herrschte keineswegs Einvernehmen.

[12] Dass durch diese Vorgangsweise, regelmäßig alle fünf Jahre einen Räumungsvergleich zu schließen, ohne dass dem jeweils ein tatsächlicher Wille auf Beendigung des Bestandverhältnisses zugrunde gelegen wäre, die gesetzlichen Bestimmungen über die Befristung von Bestandverhältnissen und den Kündigungsschutz umgangen werden sollten, bedarf keiner weiteren Ausführungen. Dadurch wurde dem Vermieter im Wesentlichen ein – gesetzlich gerade nicht vorgesehenes – Gestaltungsrecht eingeräumt, das Bestandverhältnis einseitig zu beenden. Hier ist darauf hinzuweisen, dass die Parteien auch bei Abschluss des letzten Räumungsvergleichs im Jahr 2017 keineswegs wirklich eine Beendigung des Bestandverhältnisses anstrebten. Einen solchen Beendigungswunsch äußerte der Beklagte erst mit seinem Schreiben vom 18. 1. 2022, wonach er das Bestandverhältnis „beende“.

[13] Darauf, dass der ursprüngliche Mietvertrag aus dem Jahr 1992 keine Befristung enthielt und eine solche auch später nicht aufgenommen wurde, haben bereits die Vorinstanzen zutreffend hingewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

[14] Der Verweis der Revision auf Kodek (in Fasching/Konecny³ § 433 ZPO Rz 16 mwN) geht ins Leere. Die dort enthaltene Aussage, dass nicht durchsetzbare Endtermine nicht durch Abschluss eines Räumungsvergleichs vor oder bei Abschluss des Bestandvertrags umgangen werden könnten, ein Räumungsvergleich während des Mietverhältnisses jedoch möglich sei, bezieht sich ersichtlich nicht auf die hier vorliegende Sonderkonstellation, in der trotz unbefristeten Bestandverhältnisses durch periodischen Abschluss von Räumungsvergleichen dem Vermieter im Ergebnis ein mit dem gesetzlichen Kündigungsschutz nicht zu vereinbarendes einseitiges Beendigungsrecht verschafft werden sollte.

[15] Nochmals ist hier darauf zu verweisen, dass die Parteien bei Abschluss des Räumungsvergleichs das Bestandverhältnis gar nicht beenden wollten. Diesen Wunsch äußerte der Kläger erst mehr als vier Jahre später durch sein Kündigungsschreiben.

[16] Dass ein Räumungsvergleich nichtig ist, wenn er gegen gesetzliche Bestimmungen verstößt, entspricht der völlig herrschenden Auffassung (1 Ob 1/07x SZ 70/143; 5 Ob 184/10k). Die Unwirksamkeit des gerichtlichen Vergleichs ist mit Feststellungsklage geltend zu machen (5 Ob 184/10k; RS0108111 [T4]).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte