OGH 4Ob2054/96d

OGH4Ob2054/96d26.3.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek, Dr.Niederreiter, Dr.Langer und Dr.Griß als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei "J*****" R*****gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Dr.Hans Spohn, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Hermine V*****, Hausfrau, *****, vertreten durch die einstweilige Sachwalterin Dr.Ingeborg Reuterer, Rechtsanwältin in Wien, wegen Aufkündigung, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 13.September 1995, GZ 41 R 446/95-25, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 14.April 1995, GZ 44 C 734/93f-20, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das Ersturteil wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 6.539,20 bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin S 1.083,20 Umsatzsteuer und S 40 Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist zu 2579/119.396-stel Anteilen Eigentümerin der Liegenschaft EZ ***** KG W*****; sie ist also nicht Mehrheitseigentümerin. Die Miteigentümer Sepp Werner R*****, Dipl.Ing.Dr.Franz F*****, Mag.Wolfgang O*****, Mag.Johannes S*****, Christine T*****, Friederike R*****, Gabriela K*****, Eva G*****, Günther G*****, Elisabeth N*****, Mag.Peter W***** und Ronald W***** sowie Karinek K***** und Mag.Gilbert H***** - welche zusammen über 86.640/119.396-stel Anteilen an der Liegenschaft und somit zusammen mit der Klägerin über mehr als das Hälfteeigentum an der Liegenschaft verfügen - bevollmächtigten die Hausverwalterin Helga Ulrich P***** ua mit der Führung von Prozessen, die das Haus W***** betreffen. Sie gaben - neben weiteren Miteigentümern - ausdrücklich die Zustimmung zur Aufkündigung der Wohnung der Beklagten.

Mit Mietvertrag vom 7.Mai 1970 hatte die Beklagte die Wohnung top Nr. 8 im Haus W***** gemietet. Das Mietverhältnis begann mit 1.Juli 1970 und war auf unbestimmte Zeit abgeschlossen. Seittdem bewohnt die Beklagte diese Wohnung.

Die Beklagte ist seit einiger Zeit - zumindest seit zwei oder drei Jahren - psychisch krank, weigert sich aber, eine Behandlung durchführen zu lassen. Weder ihr Ehemann Josef V***** noch die einstweilige Sachwalterin waren in der Lage, sie zu einer Behandlung zu bewegen. Die psychische Krankheit der Beklagten äußert sich darin, daß sie ohne ersichtlichem Grund und auch ohne konkretes Gegenüber laute Beschimpfungen ausstößt und bis zu einer Stunde laut herumschreit. Dabei hält sie sich in ihrer Wohnung auf; ihre Schimpftiraden hört man aber über den Gang oder über den Lichthof auch in anderen Wohnungen. Die Beschimpfungen richten sich nicht gegen konkrete Personen, sondern gegen Personengruppen. So sagt sie etwa: "Alle Juden gehören vergast, die Juden sind an meinem Unglück schuldig."

Zu solchen Ausfällen kommt es mehrmals monatlich, und zwar zu ganz verschiedenen Tages- und Nachtzeiten, auch sehr zeitig in der Früh. Die Bewohner, deren Fenster so wie die Fenster der Beklagten in den Lichthof gehen, hören die Beschimpfungen stärker, lauter und auch häufiger als jene Personen, deren Fenster nicht in den Lichthof gehen. Die Beklagte stößt die Beschimpfungen nur in ihrer Wohnung aus. Daß sie dann, wenn etwa andere Hausparteien vorbeigehen, bei der Tür hinausschimpfte, ist nicht der Fall. Die Beklagte hat auch noch niemanden direkt beschimpft, belästigt oder bedroht.

Da noch nicht alle Wohnungen im Wohnungseigentum vergeben sind, haben Interessenten die freien Wohnungen besichtigt. Im April 1994 bekam die Beklagte gerade einen Schimpfanfall, als Christian C***** - ein Angestellter der Klägerin - mit Kaufinteressenten im Haus war. Ihm war der Vorfall sehr peinlich. Freilich hat sich niemand der damaligen Kaufinteressenten dahin geäußert, daß er wegen dieses Vorfalles seine Kaufabsicht wieder fallen lasse.

Der letzte der geschilderten Vorfälle - die bis zu zweimal wöchentlich vorkommen - ereignete sich am 18.Februar 1995 zwischen 8.00 und 9.00 Uhr vormittags.

Mit der Behauptung, daß die Beklagte ein unleidliches Verhalten an den Tag lege, die anderen Hausbewohner beschimpfe, laut vor sich hinschimpfe, Naziparolen verkünde und dadurch Kaufinteressenten vertreibe, kündigte die Klägerin der Beklagten die Wohnung gemäß § 30 Abs 2 Z 3 MRG zum 30.6.1994 auf und begehrt die Verurteilung der Beklagten zur Räumung der Wohnung.

Die Beklagte beantragt, die Aufkündigung aufzuheben und das Räumungsbegehren abzuweisen. Der geltend gemachte Kündigungsgrund liege nicht vor.

Das Erstgericht hob seine Aufkündigung vom 25.April 1994 auf und wies das Räumungsbegehren ab. Es stellte noch fest, daß sämtliche vernommenen Personen (das sind andere Hausbewohner) das Geschrei der Beklagten zwar als unangenehm empfänden, sich aber niemand dadurch bedroht fühle oder verängstigt sei. Rechtlich meinte es, daß das Verhalten der Beklagten zwar unangenehm sein möge, doch nicht als so schwer zu beurteilen sei, daß damit den anderen Bewohnern das Zusammenleben verleidet werde. Daß möglicherweise Kaufinteressenten durch das Verhalten der Beklagten abgeschreckt würden, sei nicht bewiesen worden; im übrigen könnte das zwar für die Klägerin unangenehm sein, wäre aber keine mit Strafe bedrohte Handlung. Die Verletzung wirtschaftlicher Interessen führe aber nicht zur Verwirklichung des Kündigungsgrundes des unleidlichen Verhaltens nach § 30 Abs 2 Z 3 MRG. Im Hinblick darauf, daß die Beklagte psychisch krank ist und sich die anderen Hausbewohner nicht bedroht fühlten, sei die Kündigung aufzuheben.

Das Berufungsgericht erkannte die Aufkündigung für wirksam und verurteilte die Beklagte dazu, der Klägerin die Wohnung geräumt von eigenen Fahrnissen zu übergeben; es sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Komme es - wie hier - seit drei Jahren immer wieder zu Lärmbelästigungen, die bis zu zweimal wöchentlich und mitunter auch in der Nacht oder sehr zeitig in der Früh stattfinden und die von anderen Bewohnern des Hauses als unangenehm empfunden werden, dann sei der geltend gemachte Kündigungsgrund auch dann erfüllt, wenn sich niemand durch das Geschrei konkret bedroht fühle oder verängstigt werde. Daß durch das Verhalten der Beklagten andere Hausbewohner in ihrer Nachtruhe gestört werden, liege auf der Hand. Damit erübrige sich die Prüfung, ob die gerügte Feststellung, daß nämlich sämliche vernommenen Personen das Geschrei der Beklagten zwar als unangenehm empfänden, sich aber niemand dadurch bedroht fühle oder verängstigt sei, als Ergebnis einer unbedenklichen Beweiswürdigung übernommen werden könne.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen dieses Urteil erhobene außerordentliche Revision der Beklagten ist zulässig und berechtigt.

Als ein wichtiger Grund, aus dem der Vermieter den Mietvertrag kündigen kann, ist nach § 30 Abs 2 Z 3, zweiter Fall, MRG anzusehen, wenn der Mieter durch sein rücksichtsloses, anstößiges oder sonst grob ungehöriges Verhalten den Mitbewohnern das Zusammenwohnen verleidet oder sich gegenüber dem Vermieter oder einer im Haus wohnenden Person einer mit Strafe bedrohten Handlung gegen das Eigentum, die Sittlichkeit oder die körperliche Sicherheit schuldig macht, sofern es sich nicht um Fälle handelt, die nach den Umständen als geringfügig zu bezeichnen sind.

Zweck dieses Kündigungsgrundes ist es, im Interesse der Hausgemeinschaft die Ruhe im Haus zu gewährleisten (MietSlg 38.449); es sollen der Vermieter und jene Mitbewohner des Hauses geschützt werden, "die nicht in Frieden leben können, weil es den bösen Nachbarn nicht gefällt" (MietSlg 3947; 4 Ob 575/94). Der hier geltend gemachte Kündigungsgrund setzt nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes kein Verschulden voraus (MietSlg 37.412; Würth in Rummel, ABGB2, Rz 19 zu § 30 MRG). Grundsätzlich ist daher auch Geisteskrankheit kein Freibrief für unleidliches Verhalten (MietSlg 22.332/19; 35.349; 37.182).

Eine Kündigung wegen unleidlichen Verhaltens setzt eine Störung des friedlichen Zusammenlebens voraus, die durch längere Zeit fortgesetzt wird oder sich in häufigen Wiederholungen äußert und überdies nach ihrer Art das bei den besonderen Verhältnissen geduldete Maß des Zumutbaren übersteigt und objektiv geeignet erscheint, auch nur einem Mitbewohnter das Zusammenleben zu verleiden (Würth aaO Rz 17 mwN aus der Rechtsprechung; MietSlg 42.309/13). Dabei darf das Verhalten des Mieters nicht in Teilfakten zerlegt werden; entscheidend ist vielmehr sein Gesamtverhalten (MietSlg 37.406; Würth aaO).

Bei gewissen Verhaltensweisen muß der Umstand der Unzurechnungsfähigkeit zumindest in der Weise berücksichtigt werden, daß das Verhalten einer geisteskranken Person nicht unter allen Umständen ebenso unleidlich, dh für die Mitbewohner unerträglich ist, wie ein gleichartiges Verhalten einer zurechnungsfähigen Person (MietSlg 35.349; 37.182).

Wendet man diese Grundsätze der Rechtsprechung hier an, dann kann dem Berufungsgericht nicht darin beigepflichtet werden, daß der geltend gemachte Kündigungsgrund schon auf Grund des unbekämpft festgestellten Sachverhaltes verwirklicht sei. Wenn auch laute Schimpftiraden, insbesondere die festgestellten Ausfälle gegen "die Juden", zweifellos objektiv geeignet sind, die Mitbewohner zu stören, so macht doch ein solches Verhalten einer offenbar Geisteskranken das Zusammenleben nicht unzumutbar. Die Lautstärke der Beklagten kann nicht so groß sein, daß die - wenn auch bisweilen nächtliche - Ruhestörung ein- bis zweimal in der Woche von den Mitbewohnern nur schwer ertragen werden könnte; darauf war auch die Kündigung gar nicht gestützt. Die Schimpftiraden und Hetzparolen verlieren aber angesichts des Geisteszustandes der Beklagten, der den Hausbewohnern zweifellos bekannt ist, stark an Bedeutung, muß doch jede moralische Entrüstung darüber wegfallen. Damit ist die emotionale Belastung der übrigen Hausbewohner gering. Da die Beklagte niemanden persönlich angreift, besteht objektiv kein Grund zur Angst; sie löst durch ihr Verhalten auch keine Aggressionen aus.

Mit Recht hat daher das Erstgericht den Kündigungstatbestand nach § 30 Abs 2 Z 3, zweiter Fall, MRG verneint. Auf die von der Klägerin bekämpfte Feststellung kommt es nicht an. Selbst wenn nämlich bei richtiger Beweiswürdigung die von der Klägerin begehrte Feststellung zu treffen gewesen wäre, daß "jedenfalls die Mehrzahl der vernommenen Zeugen auf Grund des Verhaltens der beklagten Partei ... sich bzw ihr Eigentum durch das Verhalten und den Zustand der Beklagten bedroht fühlt", käme man zu keinem anderen rechtlichen Ergebnis, weil es - wie ausgeführt - nicht auf das subjektive Empfinden einzelner Mitbewohner ankommt, sondern darauf, ob das beanstandete Verhalten objektiv geeignet erscheint, auch nur einem Mitbewohner das Zusammenleben zu verleiden. Dies ist aber eine Rechtsfrage, die schon abschließend beurteilt werden kann.

Aus diesen Erwägungen war in Stattgebung der außerordentlichen Revision das Ersturteil wiederherzustellen.

Der Ausspruch über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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