European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0040OB00166.17S.0419.000
Spruch:
Beiden Rekursen wird Folge gegeben.
Der angefochtene Aufhebungsbeschluss wird aufgehoben und in der Sache selbst nachstehende einstweilige Verfügung erlassen:
„Zur Sicherung des klageweise geltend gemachten Unterlassungsanspruchs der Klägerin wird der Beklagten ab sofort bis zum Eintritt der Rechtskraft der über den Unterlassungsanspruch ergehenden Entscheidung geboten, es zu unterlassen, in Österreich im geschäftlichen Verkehr ohne Zustimmung der Klägerin kosmetische Erzeugnisse, insbesondere Parfüms, die mit den Wortzeichen „LADY MILLION“ und/oder „PACO RABANNE“ und/oder mit dem Wortbildzeichen
gekennzeichnet sind, zu bewerben, zum Kauf anzubieten und/oder in den Verkehr zu bringen, die außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums erstmals in Verkehr gebracht wurden.“
Die Klägerin hat ihre Kosten des Sicherungsverfahrens aller drei Instanzen vorläufig, die Beklagte hat ihre diesbezüglichen Kosten endgültig selbst zu tragen.
Begründung:
Die Klägerin ist Konzerngesellschaft eines im Bereich Mode und Parfümeriewaren tätigen Konzerns mit Hauptsitz in Barcelona, und Berechtigte der Unionsmarken (UM) bzw international registrierten Marken mit Schutzwirkung (auch) für Österreich (IR), unter anderem der Wortmarken „LADY MILLION“ (UM) und „PACO RABANNE“ (IR) sowie der im Spruch abgebildeten Wortbildmarke (UM).
Die Beklagte ist eine in Österreich ansässige Gesellschaft, die im Bereich des Detailhandels mit Drogerie- und Parfümwaren tätig ist.
Die Klägerin erhob zur Sicherung ihres klageweise geltend gemachten Unterlassungsanspruchs das im Spruch ersichtliche Sicherungsbegehren.
Der Konzern, dem die Klägerin angehöre, verfüge über ein selektives Vertriebssystem. Die autorisierten Vertragshändler würden ausschließlich anhand objektiver Gesichtspunkte qualitativer Natur ausgewählt. Ihnen sei nicht untersagt, die Ware an andere Vertragshändler oder Konsumenten in anderen EWR-Ländern zu verkaufen. Ausgeschlossen sei aber ein Vertrieb aus einem EWR-Land in ein Land außerhalb des EWR sowie ein Vertrieb von einem Drittstaat außerhalb des EWR in ein EWR-Land. Die Gefahr einer Abschottung der nationalen Märkte bestehe nicht. Im Oktober 2016 und im Februar 2017 hätten Konzernmitarbeiter der Klägerin in Filialen der Beklagten die von ihr auf ihrer Webseite beworbenen „Paco Rabanne - Lady Million“-Parfums gekauft. Eine Auswertung der auf den Verpackungen aufgedruckten Tracking-Codes habe ergeben, dass diese Parfüms für den ausschließlichen Vertrieb in Uruguay bzw in Hongkong bestimmt gewesen seien. Sie seien damit außerhalb des EWR in Verkehr gebracht worden, einem (Re-)Import der Parfums in den EWR habe die Klägerin nie zugestimmt.
Die Beklagte wandte zusammengefasst ein, dass die von der Klägerin vorgelegten Auszüge aus ihrem internen Trackingsystem nicht verlässlich nachweisen könnten, dass es sich bei den dort angeführten Produkten um die Testkaufprodukte handle. Die Beklagte lasse selbst auf den Zellophanhüllen der Produkte durch eine Spedition Sticker mit einem Strichcode anbringen, die ihr die Zuordnung zu einem bestimmten Lieferanten ermöglichen sollten. Bei den von der Klägerin vorgelegten Originalverpackungen bzw den Kopien davon fehlten die Zellophanhüllen. Damit sei der Beklagten ein Nachweis der Lieferkette praktisch nicht möglich. Im Hinblick auf das selektive Vertriebssystem der Klägerin sei die Gefahr einer Marktabschottung evident, sodass diese die Bescheinigungslast für das erstmalige Inverkehrbringen der Produkte im EWR treffe. Würde die Beklagte ihre Bezugsquellen offenlegen, hätte die Klägerin die Möglichkeit, diese versiegen zu lassen, indem sie die „abtrünnigen“ Vertriebspartner nicht mehr weiter beliefere. Damit könnte sie vermeintlich billigere Anbieter von ihrem Vertriebssystem und dessen Bezugsquellen ausschließen und ihre Preise künstlich hochhalten. Die Bescheinigung, die Testkaufprodukte erstmals außerhalb des EWR in Verkehr gebracht zu haben, sei der Klägerin nicht gelungen.
Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag ab. Es nahm folgenden Sachverhalt als bescheinigt an:
Für den Vertrieb von Parfüms ihrer Marken autorisiert die Klägerin durch ein selektives System qualitativer Natur ausgewählte Vertragshändler, welchen nach den vertraglichen Bestimmungen untersagt ist
-) sofern sie im EWR ansässig sind, innerhalb des EWR an Händler, welchen keine Vertragshändlereigenschaft zukommt, und
-) sofern sie außerhalb des EWR ansässig sind, an Abnehmer außerhalb dieses Bestimmungslands zu verkaufen.
Vertriebsverträge werden nur mit Partnern abgeschlossen, die über einen eigenen Kassenbereich verfügen, Produkte der Klägerin in entsprechender Breite und Tiefe auf Lager halten und anbieten, sie in Schaufenstern ihrem Image entsprechend präsentieren und geschultes Verkaufspersonal bereitstellen. Weiters wird ein passendes Markenumfeld vorausgesetzt, nämlich dass weitere Marken, die zum Renommee der Marken der Klägerin passen, angeboten werden. Ein solches bereits bestehendes Umfeld wird freilich auch von den Herstellern von Produkten, die das passende Markenumfeld bewirken, also anderer Parfums der Preisklasse mit aufwendiger Markenpflege, gefordert. Die Beklagte hat in ihren Filialen keine Auslagen, in denen Produkte präsentiert werden. Verkaufspersonal hat sie nicht, sondern vertreibt in Selbstbedienung. In etlichen, aber nicht in allen Filialen ist ein eigener Kundenberater vorhanden.
Die Beklagte bot in ihrer Filiale [...] am 10. 10. 2016 und am 14. 2. 2017 das Parfum der Marke „Paco Rabanne Lady Million“ zum Verkauf an. Ob diese Produkte mit Zustimmung der Klägerin im EWR-Raum in Verkehr gesetzt worden waren oder nicht, kann nicht als bescheinigt angenommen werden.
In rechtlicher Hinsicht ging das Erstgericht davon aus, dass das Ausschließlichkeitsrecht des Markeninhabers wegfalle, wenn er seine Zustimmung zum Inverkehrbringen im EWR erteile oder wenn er die Ware selbst im EWR in Verkehr bringe. Die Behauptungs- und Bescheinigungslast dafür treffe grundsätzlich den Beklagten; sie kehre sich aber um, wenn der Beklagte bescheinige, dass im Fall der Offenlegung seine Bezugsquellen eine Marktabschottung drohe. Diese Gefahr sei aufgrund des selektiven Vertriebssystems der Klägerin gegeben. Die Bescheinigungslast, dass die Produkte außerhalb des EWR in Verkehr gesetzt wurden, liege daher bei der Klägerin, welche diese Bescheinigung nicht erbracht habe.
Das Rekursgericht hob diesen Beschluss auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück, wobei es den Rekurs an den Obersten Gerichtshof mangels Rechtsprechung zu den Voraussetzungen der Erschöpfung nach § 10b MSchG bei Vorliegen eines selektiven Vertriebssystems zuließ. Das Erstgericht habe der Beklagten nach Einvernahme der Auskunftspersonen in einer Bescheinigungstagsatzung die Möglichkeit eingeräumt, binnen 14 Tagen Bescheinigungsmittel für das Inverkehrsetzen der am 2. 2. 2017 gekauften Testprodukte im EWR vorzulegen. In ihrer sodann erfolgten Äußerung habe die Beklagte die mangelnde Übereinstimmung der Batchcodes (Chargennummern) mit den Trackingcodes der Klägerin beanstandet. Dem habe die Klägerin in ihrer Replik geantwortet, dass die Batchcodes aufgrund eines näher dargestellten Programmierfehlers falsch ausgewiesen seien, dieser Fehler aber keinen Einfluss auf die Richtigkeit der übrigen dort angeführten Daten genommen habe. Zur Bescheinigung dieser Behauptung habe sie eine Liste vorgelegt und die ergänzende Einvernahme einer Zeugin als Auskunftsperson beantragt. Das Erstgericht habe aber ohne diese Zeugenbefragung eine Negativfeststellung zum In‑Verkehr‑Bringen der Parfüms außerhalb des EWR getroffen, indem es die ergänzende Befragung der Auskunftsperson als voraussichtlich unergiebig beurteilt habe. Darin liege eine vorgreifende Beweiswürdigung. Dieser Verfahrensverstoß sei auch abstrakt geeignet, eine unrichtige Entscheidung herbeizuführen, weil die Beklagte wegen des selektiven Vertriebssystems der Klägerin die Gefahr einer Marktabschottung innerhalb des EWR, wenn sie ihre Bezugsquellen offenlegen müsste, nachgewiesen habe, sodass aufgrund der dadurch bewirkten Beweislastumkehr die vom Erstgericht getroffenen non-liquet-Feststellungen zu Lasten der beweisbelasteten Klägerin gingen.
Gegen diese Entscheidung richten sich die Rekurse beider Parteien, jener der Klägerin – die auch ein Vorabentscheidungsverfahren nach Art 267 AEUV anregt – gerichtet auf die Erlassung der beantragten einstweiligen Verfügung, jener der Beklagten gerichtet auf die Wiederherstellung des Beschlusses des Erstgerichts.
Rechtliche Beurteilung
Beide Rekurse sind zulässig und berechtigt, jener der Beklagten allerdings nur im Sinne der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.
1. Vorauszuschicken ist, dass die Frage, ob in der unterbliebenen neuerlichen Einvernahme der von der Klägerin beantragten Auskunftsperson ein Verfahrensmangel liegt, dahingestellt bleiben kann, weil den Vorinstanzen hinsichtlich der Beurteilung des Einwands der Beklagten zur Gefahr der Marktabschottung, und somit hinsichtlich der Behauptungs- und Bescheinigungslast eine Fehlbeurteilung unterlaufen ist.
1.1. Gemäß Art 13 Abs 1 UMV gewährt eine Unionsmarke ihrem Inhaber nicht das Recht, die Benutzung der Marke für Waren zu untersagen, die unter dieser Marke von ihm oder mit seiner Zustimmung im Europäischen Wirtschaftsraum in den Verkehr gebracht worden sind (Erschöpfung; vgl auch § 10b Abs 1 MSchG iVm Art 7 Abs 1 MarkenRL 2008/95/EG ). Das Ausschließlichkeitsrecht des Markeninhabers fällt daher weg, wenn er (ausdrücklich oder konkludent) seine Zustimmung zum In‑Verkehr‑Bringen im EWR erteilt oder wenn er die Ware selbst im EWR in Verkehr bringt.
1.2. Die Erschöpfung des Markenrechts ist nur auf Einwand des Beklagten zu prüfen. Der Beklagte hat dabei zu behaupten und zu beweisen, dass die betroffenen Waren vom Markeninhaber oder mit dessen Zustimmung im EWR auf den Markt gebracht wurden. Statt dessen kann er auch behaupten und beweisen, dass – etwa wegen eines ausschließlichen Vertriebssystems – eine Abschottung der Märkte innerhalb des EWR droht, wenn er seine Bezugsquellen offenlegen müsste. Gelingt ihm dieser Beweis, hat sodann der Kläger zu behaupten und zu beweisen, dass die betroffenen Waren erstmals außerhalb des EWR auf den Markt gebracht wurden. Gelingt dem Kläger dieser Beweis, müsste dann der Beklagte die Zustimmung des Markeninhabers zu einem (weiteren) Inverkehrbringen im EWR beweisen (RIS‑Justiz RS0125253; vgl auch RS0118282).
1.3. Diese Umkehr der Beweislast hinsichtlich des Inverkehrbringens im EWR beruht auf der Rechtsprechung des EuGH zu C‑244/00 , van Doren. Der EuGH führte in dieser Entscheidung (Rn 37 ff) aus, dass die Voraussetzungen der Erschöpfung grundsätzlich vom Dritten, der sich darauf beruft, zu beweisen sind. Die Erfordernisse des in den Artikeln 28 und 30 EG (Art 34 und 36 AEUV) verankerten Schutzes des freien Warenverkehrs können jedoch eine Modifizierung dieser Beweisregel gebieten. Dies ist dann der Fall, wenn diese Regel den Markeninhabern ermöglichen könnte, die nationalen Märkte abzuschotten und damit die Beibehaltung von etwaigen Preisunterschieden zwischen den Mitgliedstaaten zu begünstigen. Eine solche Gefahr besteht etwa in Fällen, in denen der Markeninhaber seine Waren im EWR über ein ausschließliches Vertriebssystem in den Verkehr bringt.
1.4. Der Oberste Gerichtshof sprach – dem genannten Judikat des EuGH folgend – in der Entscheidung 17 Ob 16/09s aus, dass diese markenrechtliche Beweisregel dann zu modifizieren ist, wenn wegen eines ausschließlichen Vertriebssystems die Gefahr einer Abschottung der Märkte innerhalb des EWR besteht.
1.5. Eine Marktabschottung liegt dann vor, wenn grenzüberschreitende Lieferungen im Binnenmarkt nachhaltig und erfolgreich unterbunden werden, etwa wenn in allen Ländern des EWR jeweils nur ein Alleinvertriebsberechtigter (Generalimporteur) für die Markenwaren existiert (vgl Lange, Marken- und Kennzeichenrecht2 § 7 Rz 3807), und auf diese Weise ein unterschiedliches Preisniveau zwischen den Mitgliedstaaten aufrecht erhalten werden kann.
2.1.1. Im vorliegenden Fall vertreibt die Klägerin die gegenständliche Markenware nicht über ein ausschließliches Vertriebssystem.Ein solches liegt vor, wenn den Zwischenhändlern (etwa alleinvertriebsberechtigte Generalimporteure für bestimmte Mitgliedstaaten) untersagt ist, Zwischenhändler außerhalb ihres Vertragsgebiets (also außerhalb ihres Mitgliedstaats) zu beliefern (vgl Moritz, Der „verräterische“ Vertragshändler an der Schnittstelle zwischen Marken- und Wettbewerbsrecht, ÖBl 2016, 102, 105). Die Beklagte bedient sich hier eines selektiven Vertriebssystems. Ein solches liegt nach der Definition des Art 1 Abs 1 lit e VO 330/2010 EU dann vor, wenn sich der Anbieter verpflichtet, die Vertragswaren oder -dienstleistungen unmittelbar oder mittelbar nur an Händler zu verkaufen, die anhand festgelegter Merkmale ausgewählt werden, und in denen sich diese Händler verpflichten, die betreffenden Waren oder Dienstleistungen nicht an Händler zu verkaufen, die innerhalb des vom Anbieter für den Betrieb dieses Systems festgelegten Gebiets nicht zum Vertrieb zugelassen sind.
2.1.2. Die im EWR ansässigen Vertragshändler der Klägerin sind nicht auf ihr jeweiliges Land beschränkt, sondern dürfen innerhalb des EWR sowohl an andere Vertragspartner (allerdings nicht an Händler, welchen keine Vertragshändlereigenschaft zukommt), als auch an Konsumenten verkaufen. Umgekehrt können Konsumenten im gesamten Gebiet des EWR von jedem beliebigen Vertragspartner der Klägerin deren Parfüms erwerben, so etwa auch im Wege des Online-Handels.
2.2. In der Entscheidung 4 Ob 170/15a, Markenparfums, die einen Auskunftsanspruch nach § 55a Abs 1 MSchG zum Gegenstand hatte, wurde – unter Bezugnahme auf Judikatur des BGH (I ZR 52/10, Converse I, GRUR 2012, 626) ausgesprochen, dass die Gefahr einer Marktabschottung nicht zwingend ein ausschließliches Vertriebssystem voraussetzt. Sie kann auch bei einem selektiven Vertriebssystem bestehen, wenn es den Vertriebspartnern vertraglich untersagt ist, ihre Produkte an Zwischenhändler außerhalb des Vertriebssystems zu verkaufen.
2.3. Diese Rechtsprechung wurde in der Literatur einerseits gebilligt (HK-MarkenR/Ekey § 24 Rz 98 f; Kur/Steudtner, MarkenG § 24 Rz 33 ff; Hildebrandt, Marken und anderen Kennzeichen³, § 16 Rz 16; Ingerl/Rohnke³, § 24 Rz 89; Hacker in Ströbele/Hacker, MarkenG11 § 24 Rz 44), andererseits als zu weitgehend kritisiert (Moritz,ÖBl 2016/24, 102; Lubberger, „Zustimmungslage“, Beweislast und Abschottungsvermutung im System der Erschöpfungslehre, in FS Bornkamm, 615 [631]; vgl auch Schöner, Darlegungs- und Beweislast der markenrechtlichen Erschöpfung WRP 2004, 430 [433 f]).
Nach Ansicht der letztgenannten Autoren sei eine Marktabschottung bei selektiven Vertriebssystemen dann nicht zu befürchten, wenn nach der vertraglichen Bedingungslage ein Handel zwischen den Vertragshändlern einzelner Mitgliedstaaten zulässig sei. Zudem sei jedem selektiven Vertriebssystem eine gewisse Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit wesensimmanent. Diese Systeme seien jedoch nach der Vertikal-GVO unter gewissen Voraussetzungen freigestellt, wozu (nach Art 4 lit d dieser VO; vgl Klotz in von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht7, Nach Art 101, Rz 454) die Zulässigkeit von Querlieferungen gehöre. Daraus folge, dass keine verpönte Marktabschottung vorliege.
3. Bezogen auf den hier zu beurteilenden Fall ergeben sich daraus folgende Schlussfolgerungen:
3.1. Dass der Hersteller auf den betroffenen Vertragshändler einwirken und weitere Verkäufe außerhalb des Vertriebssystems unterbinden würde, ist bei selektiven Vertriebssystemen und Alleinvertriebssystemen gleichermaßen zu erwarten. Insoweit ist daher zunächst kein Unterschied zu erkennen, der zu einer abweichenden Beurteilung der Beweislastfrage zwänge.
3.2. Ziel der Beweislastumkehr ist es aber, die Durchsetzung eines Anspruchs zu verhindern, der der Warenverkehrsfreiheit in der Gemeinschaft zuwiderläuft (vgl BGH I ZR 137/10, Converse II, Rn 36). Unterfallen selektive Vertriebsbindungssysteme – unter anderem aufgrund der Zulässigkeit von Querlieferungen – der Vertikal-GVO, sind sie zwar kartellrechtlich zulässig; damit ist aber nicht gesagt, dass eine Beweislastumkehr nicht doch zum Schutz des freien Warenverkehrs nach Art 34 und 36 AEUV (BGH I ZR 99/11, Rn 4) erforderlich ist. Eine Beeinträchtigung des freien Warenverkehrs kann auch dann vorliegen, wenn die Schwelle zur kartellrechtlichen Unzulässigkeit noch nicht erreicht wurde. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist eine Beweislastumkehr wegen Marktabschottung nämlich deswegen geboten, weil das Markenrecht nicht dazu dienen soll, die Beibehaltung eventueller Preisunterschiede zwischen verschiedenen Mitgliedstaaten zu fördern (EuGH, C‑427/93 , Bristol-Myers Squibb ua, Rn 46; C-349/95 , Loendersloot, Rn 23; C‑244/00 , van Doren). Dies kann auch unterhalb der kartellrechtlichen Verbotstatbestände der Fall sein und auch beiselektiven Vertriebssystemen im Einzelfall gegeben sein. Um aber die Marktabschottung bejahen zu können, bedarf es konkreter Anhaltspunkte (vgl EuGH, C-244/00 , van Doren, Rn 40, wo von einer tatsächlichen Gefahr der Abschottung der nationalen Märkte die Rede ist).
3.3. Auch der BGH stellt in der Entscheidung I ZR 52/10, Converse I (Rn 38) maßgeblich auf die tatsächliche Möglichkeit einer Marktabschottung ab und verneint diese im konkreten Fall trotz eines ausschließlichen Vertriebssystems, weil die Generalimporteure vertraglich nicht gehindert gewesen seien, an Zwischenhändler außerhalb ihres Absatzgebiets zu liefern (Rn 33). Darin fügt sich, dass auch nach der Rechtsprechung des BGH das Vorliegen eines bestimmten Vertriebssystems für eine Beweislastumkehr nicht ausreicht, selbst wenn dieses die Möglichkeit einer Marktabschottung eröffnet. Hinzutreten muss die tatsächliche Gefahr, dass eine derartige Abschottung auch eintreten könne (BGH I ZR 137/10, Converse II, Rn 29). Diese tatsächliche Gefahr ist vom Beklagten zu behaupten und zu beweisen (17 Ob 16/09b), wobei alleine die Berufung auf ein bestimmtes Vertriebssystem diesen Anforderungen nicht entspricht (HK-MarkenR/Ekey § 24 Rz 100; BGH I ZR 99/11, Rn 10). Wenn schließlich der Senat in 4 Ob 170/15a ausgesprochen hat, dass ein selektives Vertriebssystem eine Marktabschottung bewirken kann, besagt dies nicht, dass dies stets der Fall sein muss.
3.4. Im gegenständlichen Fall beschränkte sich die Beklagte auf die Behauptung, die Marktabschottung beim Selektivvertrieb verwirkliche sich hier dadurch, dass Voraussetzung für die Zulassung zum Vertriebssystem ua sei, dass ein entsprechendes Markenumfeld bestehe, das heißt, es müssten mindestens fünf weitere Premiummarken angeboten werden. Dies sei der Beklagten auch durch das Verhalten der anderen Hersteller, von denen keiner der erste sein möchte, der mit der Beklagten einen Depotvertrag abschließt nicht möglich. Wenn sie nun auch von Zwischenhändlern nicht beziehen könne, weil diese Quellen durch Offenlegung im Prozess versiegten, komme es letztlich zu einer Marktabschottung innerhalb des EWR, denn die Markenhersteller könnten dann erfolgreich ihre Preise künstlich hochhalten, indem sie vermeintlich billigere Anbieter von ihren Vertriebssystemen und deren Bezugsquellen ausschlössen.
3.5. Damit zeigt die Beklagte jedoch keine konkrete Gefahr einer Marktabschottung auf. Denn einerseits bedeutet der allfällige Ausschluss eines einzigen vertragsbrüchigen Händlers aus einem Absatzsystem noch nicht automatisch eine Beeinträchtigung der Warenverkehrsfreiheit, und andererseits legt die Beklagte auch keinerlei zwischenstaatliche Relevanz dar (vgl Lubberger, „Zustimmungslage“, Beweislast und Abschottungsvermutung im System der Erschöpfungslehre, in FS Bornkamm, 615 [631]). Schließlich spricht auch die Entscheidung des EuGH zu C‑244/00 , van Doren (Rn 37 und 38)vom „Schutz des freien Warenverkehrs“ im Sinn der Art 28 und 30 EG (Art 34 und 36 AEUV) und der hintanzuhaltenden Begünstigung der Beibehaltung von Preisunterschieden zwischen den Mitgliedstaaten. Im konkreten Fall ist es den Vertragshändlern der Klägerin erlaubt, die Waren an Verbraucher oder Vertriebshändler in anderen Mitgliedstaaten des EWR zu verkaufen, sodass ein grenzüberschreitender Vertrieb nicht verhindert wird und daher nicht ersichtlich ist, inwieweit das selektive Vertriebssystem der Klägerin die Beibehaltung von Preisunterschieden zwischen den Mitgliedstaaten begünstigt.
3.6. Die Beklagte hat somit nicht ausreichend dargetan und bescheinigt, dass eine konkrete Gefahr einer Abschottung der Märkte innerhalb des EWR drohe, wenn sie ihre Bezugsquellen offenlegen müsste. Es bleibt somit bei ihrer Bescheinigungslast im Hinblick auf das erstmalige Inverkehrbringen der Markenprodukte der Klägerin im EWR. Diese Bescheinigung hat die Beklagte nicht erbracht.
4. Den Rekursen gegen den zweitinstanzlichen Aufhebungsbeschluss ist somit Folge zu geben und in der Sache die von der Klägerin beantragte einstweilige Verfügung zu erlassen.
5. Die Einholung eines Vorabentscheidungs- ersuchens beim EuGH ist – zumindest auf Basis der derzeitigen Bescheinigungslage – entbehrlich, weil sich die Entscheidung auf eine (oben zitierte) ausreichend determinierte Rechtsprechung des EuGH stützen kann.
6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 393 Abs 1 EO iVm §§ 40, 50 ZPO.
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