European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E127616
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die Beklagten sind schuldig, der klagenden Partei die mit 688,92 EUR (darin 114,82 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Das Berufungsgericht gab der Klage statt, wonach festgestellt wird, dass die zugunsten der Liegenschaft der Beklagten grundbücherlich eingetragene Dienstbarkeit der Ein- und Ausfahrt mit Wirtschaftsfuhren über die Liegenschaft der Klägerin nicht mehr zu Recht besteht und die Beklagten schuldig sind, in ihre Löschung einzuwilligen. Den weiteren Rechtszug an den Obersten Gerichtshof erachtete das Berufungsgericht zur Frage zulässig, ob nach Erlöschen einer Dienstbarkeit der Zufahrt dieses Recht wegen der bloß bequemeren Nutzung durch Reversieren und Wenden auf einem Rest des dienenden Grundstücks (sozusagen als Teilrecht des Zufahrtsrechts) bestehen bleiben kann.
Die Beklagten beantragen mit ihrer – von der Klägerin beantworteten – Revision, die Klage abzuweisen.
Die Revision ist, ungeachtet des – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Zulassungsausspruchs des Berufungsgerichts, in Ermangelung von erheblichen Rechtsfragen iSv § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
Rechtliche Beurteilung
1.1. Als Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens rügen die Revisionswerber, das Berufungsgericht sei von den Feststellungen des Erstgerichts abgewichen, weil diese seine zur Klagsstattgabe führende rechtliche Beurteilung nicht zu tragen vermögen.
1.2. Damit wird kein Mangel des Berufungsverfahrens aufgezeigt, zumal unklar bleibt, von welchen konkreten Feststellungen des Erstgerichts das Berufungsgericht abgewichen sein soll. Dass diese der rechtlichen Beurteilung allenfalls entgegenstehen, ist kein Fall der Mangelhaftigkeit, sondern einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung.
2.1. Eine Dienstbarkeit erlischt grundsätzlich, wenn sie für das herrschende Grundstück zwecklos geworden ist (RIS‑Justiz RS0011582). Dafür reicht zwar die Möglichkeit, die mit der Dienstbarkeit verbundenen Vorteile auch auf anderem Weg erreichen zu können, nicht aus (RS0011574). Die Dienstbarkeit erlischt jedoch bei völliger Zwecklosigkeit (RS0011589; RS0011574 [T3]), oder wenn ihre Ausübung auf Dauer unmöglich geworden ist (RS0116757), wobei es auf die Umstände des Einzelfalls ankommt (RS0011574 [T6]; RS0011589 [T9]). Dadurch endet das Recht ex lege (RS0011701 [T3]).
2.2. Ob eine Dienstbarkeit infolge dauernder Unmöglichkeit ihrer Ausübung zwecklos geworden ist, erfordert zunächst die Bestimmung des Inhalts des Rechts. Grundlage dafür ist der Servitutsbestellungsvertrag (RS0011720). Bei der Auslegung eines Servitutsbestellungsvertrags ist zunächst vom Wortlaut auszugehen. Dem von den Parteien der Vertragsbestimmung beim Vertragsabschluss beigelegten Verständnis gebührt jedoch in jedem Fall der Vorrang, und zwar vor jedem anderen Auslegungskriterium. Lässt sich ein solches übereinstimmendes Verständnis nicht ermitteln, dann hat eine normative Interpretation unter besonderer Berücksichtigung des Zwecks der Servitutseinräumung stattzufinden (RS0107851 [T1]). Beim Ergebnis dieser Auslegung handelt es sich um eine Frage des Einzelfalls, die – von Fällen einer aus Gründen der Rechtssicherheit aufzugreifenden Fehlbeurteilung abgesehen – nicht revisibel ist (RS0044298 [T10]; RS0011720 [T7]; RS0044088).
3.1. Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht aus dem eindeutigen Wortlaut des Bestellungsvertrags, wonach „das dauernde Recht der Ein- und Ausfahrt für Wirtschaftsfuhren und auch für den Transport von Baumaterial“ eingeräumt wird, und aus der damaligen Lage des dienenden Grundstücks gefolgert, dass sich dieses Recht nur auf die Ein- und Ausfahrt zu einer bestimmten Straße hin beziehen konnte und dass somit das nach den erstgerichtlichen Feststellungen von den Parteien mitberücksichtigte Recht zu reversieren auf diesen Zweck bezogen ist. Da mittlerweile das dienende Grundstück– nunmehr im Unterschied zum herrschenden – nicht mehr an diese Straße grenze und eine Ein- und Ausfahrt dauernd unmöglich geworden sei, sei das Recht erloschen. Ob darüber hinaus ein eigenständiges Recht auf Reversieren ersessen worden sei, sei nicht Verfahrensgegenstand und könne daher offen bleiben.
3.2. Diese Beurteilung hält sich im Rahmen der aufgezeigten Auslegungsgrundsätze und ist nicht zu beanstanden. Auch die Revision zeigt keine unvertretbare Beurteilung auf.
3.3. Das aus der Entscheidung 1 Ob 156/02a entnommene Argument des Rechtsmittels, wonach ein Geh- und Fahrrecht grundsätzlich nicht darauf beschränkt ist, um von einem bestimmten Teil der dienenden Fläche aus auf das herrschende Gut zufahren zu können, vernachlässigt, dass hier (im Unterschied zur genannten Entscheidung) keine ungemessene Wegeservitut, sondern spezifisch ein Recht zur Ein- und Ausfahrt eingeräumt wurde. Gerade diese ist aber mittlerweile unmöglich geworden.
3.4. Das Berufungsgericht hat auch nicht den Grundsatz hintangesetzt, dass dem Verständnis der Parteien der Vorrang gebührt. Es ist vertretbar, das von den Parteien mitberücksichtigte Recht zu reversieren auf die Ermöglichung des eigentlichen Zwecks der Dienstbarkeit (nämlich die Ein- und Ausfahrt) gerichtet zu verstehen und nicht als eigenständige Servitut. Darin liegt, weil auch dies von der Auslegung des Bestellungsvertrags abhängt, entgegen der Zulassungsbegründung des Berufungsgerichts auch keine erhebliche Rechtsfrage.
3.5. Die Frage der Ersitzung einer Servitut des Reversierens ist nicht Verfahrensgegenstand. Schon deswegen kann in der Beurteilung der Voraussetzungen einer Ersitzung keine für den vorliegenden Fall erhebliche Rechtsfrage liegen.
4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)