OGH 4Ob114/99i

OGH4Ob114/99i18.5.1999

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kodek als Vorsitzenden und durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Graf, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Griß und Dr. Schenk sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Franziska B*****, vertreten durch Dr. Michael Metzler, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei Johann G*****, wegen Wiederaufnahme des Verfahrens 3 C 586/94y des Bezirksgerichts Bad Ischl, infolge Revisionsrekurses der Klägerin gegen den Beschluß des Landesgerichts Wels als Rekursgericht vom 27. Jänner 1999, GZ 22 R 497/98i-5, mit dem der Beschluß des Bezirksgerichts Bad Ischl vom 29. Oktober 1998, GZ 3 C 2276/98h-2, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung

Die Klägerin war Eigentümerin von 3692/10.000 Anteilen an der Liegenschaft EZ *****, Grundbuch ***** G*****, mit denen Wohnungseigentum an der Wohnung top 2 untrennbar verbunden ist. Anfang 1994 wollte sie die Wohnung verkaufen. Am 24. 3. 1994 erteilte sie dem Immobilienbüro S***** einen Alleinvermittlungsauftrag.

Das Immobilienbüro S***** vermittelte der Klägerin (ua) Johann G***** als Interessenten. Johann G***** behauptete, die Klägerin habe ihm am 11. 4. 1994 die Wohnung um 1,300.000 S verkauft. In der Folge klagte er die Klägerin zu 3 C 586/94y des Bezirksgerichts Bad Ischl auf Übergabe der Liegenschaftsanteile und auf Abgabe einer Aufsandungserklärung. Das Bezirksgericht Bad Ischl gab mit Urteil vom 2. 8. 1994 dem Klagebegehren statt. Es stellte fest, daß die Streitteile durch Vermittlung des Immobilienbüros S***** am 11. 4. 1994 einen Kaufvertrag geschlossen hätten. Diese Feststellung stützte das Bezirksgericht Bad Ischl im wesentlichen auch auf die Aussage Alexander S*****s als Zeugen.

Die gegen dieses Urteil erhobene Berufung der Klägerin blieb erfolglos; der Oberste Gerichtshof wies die außerordentliche Revision zurück (Beschluß vom 25. 4. 1995, 4 Ob 517/95).

In der Zwischenzeit hatte die Klägerin die Wohnung an Gerda G***** verkauft. Am 14. 4. 1994 wurde der Kaufvertrag abgeschlossen; mit Beschluß vom 14. 6. 1994 bewilligte das Bezirksgericht Bad Ischl die Einverleibung des Eigentumsrechts der Käuferin.

In der Folge klagte der Beklagte Gerda G***** zu 4 Cg 124/97w des Landesgerichts Wels auf Übergabe der Liegenschaftsanteile und auf Einwilligung in die grundbücherliche Einverleibung seines Eigentumsrechts. Der Beklagte behauptete, Gerda G***** habe bei Abschluß des Kaufvertrags gewußt, daß die Wohnung bereits vorher an den Kläger veräußert worden war. Franziska B***** trat dem Verfahren als Nebenintervenientin auf Seiten von Gerda G***** bei.

Mit Urteil vom 10. 2. 1998, GZ 4 Cg 124/98w-17, wies das Landesgericht Wels das Klagebegehren ab. Das Landesgericht Wels stellte fest, daß zwischen Franziska B***** und Johann G***** kein Kaufvertrag zustandegekommen sei. Dem Landesgericht Wels erschien die Aussage des Zeugen Alexander S***** über das Zustandekommen des Kaufvertrags nicht glaubwürdig.

Die Berufung des Beklagten blieb erfolglos. Das Berufungsgericht teilte die Bedenken des Erstgerichts gegen die Glaubwürdigkeit des Zeugen Alexander S*****. Die Berufungsentscheidung wurde dem Vertreter der Klägerin am 28. 9. 1998 zugestellt.

Mit der vorliegenden, beim Erstgericht am 23. 10. 1998 eingelangten Klage begehrt die Klägerin, ihr die Wiederaufnahme des Verfahrens 3 C 586/94y zu bewilligen, die in diesem Verfahren ergangenen Entscheidungen aufzuheben und das Klagebegehren im wiederaufgenommenen Rechtsstreit abzuweisen. Das Urteil des Landesgerichts Wels vom 10. 2. 1998 und die im selben Verfahren ergangene Berufungsentscheidung des Oberlandesgerichts Linz seien neue Beweismittel und neue Tatsachen. Die damit zu beweisende Tatsache, daß zwischen den Streitteilen kein Kaufvertrag zustandegekommen sei, habe schon während des Vorprozesses vorgelegen.

Das Erstgericht wies die Wiederaufnahmsklage zurück. Die Urteile des Landesgerichts Wels und des Oberlandesgerichts Linz seien weder neue Beweismittel noch neue Tatsachen. Die nur auf den Inhalt einer Zeugenaussage gestützte Annahme der Unrichtigkeit sei kein Wiederaufnahmsgrund im Sinne des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO.

Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Behaupteter Wiederaufnahmsgrund sei das Urteil des Oberlandesgerichts Linz vom 9. 9. 1998. Ein Urteil könne zwar ein neues Beweismittel im Sinne des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO sein; es sei aber dennoch kein tauglicher Wiederaufnahmsgrund, weil es nicht Aufgabe des Wiederaufnahmeverfahrens sei, ungünstigere Beweisergebnisse durch günstigere zu ersetzen. Durch die Wiederaufnahmsklage solle nur die Beweiswürdigung im wiederaufzunehmenden Verfahren bekämpft werden.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diese Entscheidung gerichtete Revisionsrekurs der Klägerin ist zulässig, weil Rechtsprechung zu einem gleichartigen Sachverhalt fehlt; der Revisionsrekurs ist aber nicht berechtigt.

Die Klägerin vertritt die Auffassung, daß die Wiederaufnahme eines Verfahrens (auch) dazu zu dienen habe, den Gleichklang von Entscheidungen herzustellen. Durch das im Folgeprozeß ergangene Urteil sei festgestellt, daß Alexander Schmied im wiederaufzunehmenden Verfahren falsch ausgesagt habe. Hätte das zweite Verfahren vor dem ersten stattgefunden, dann wäre sein Ergebnis für das nachfolgende Verfahren bindend gewesen. Es sei nicht nachvollziehbar, warum der Zeitpunkt der Verfahren über die Bindungswirkung entscheiden solle.

Die Klägerin vermengt zwei Dinge, die voneinander zu trennen sind:

Die Frage, ob Ergebnisse eines Verfahrens für ein Folgeverfahren bindend sind, und die Frage, ob ein Verfahren wiederaufgenommen werden kann, weil in einem anderen Verfahren abweichend entschieden wurde. Die erste Frage betrifft die Bindungswirkung; diese wird aus der materiellen Rechtskraft einer Entscheidung (§ 411 ZPO) abgeleitet und hindert den Richter des Folgeprozesses, die im Vorprozeß zwischen denselben Parteien - als Hauptfrage - rechtskräftig entschiedene Vorfrage selbständig zu beurteilen (Rechberger in Rechberger, ZPO § 411 Rz 3). Die zweite Frage betrifft den Anwendungsbereich des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO, dessen Zweck es ist, der materiellen Wahrheit zum Durchbruch zu verhelfen.

Die Bindungswirkung einer Entscheidung bestimmt sich nach den objektiven und subjektiven Grenzen der Rechtskraft. Der Rechtskraft fähig ist der durch die Tatsachenfeststellungen des Urteils konkretisierte und durch seine rechtliche Qualifikation individualisierte Streitgegenstand (Rechberger aaO § 411 Rz 6 mwN);

die Wirkungen der materiellen Rechtskraft erfassen die

Prozeßparteien, deren Rechtsnachfolger und bestimmte andere Personen,

auf die ein Gesetz die Entscheidungswirkungen erstreckt (Fasching,

Lehrbuch**2 Rz 1524 ff; SZ 70/60 = ARD 4849/33/97 = ecolex 1997, 422

[Oberhammer] = JBl 1997, 368 [Klicka, JBl 1997, 611] = immolex 1997,

208 = ÖJZ-LSK 1997/202 = ÖJZ-LSK 1997/203 mwN).

Gegenstand des wiederaufzunehmenden Verfahrens war der Anspruch des Beklagten auf Übergabe der Liegenschaftsanteile und auf Abgabe einer Aufsandungserklärung, den dieser auf die Behauptung stützte, mit der Klägerin einen Kaufvertrag abgeschlossen zu haben. Das Ergebnis dieses Verfahrens - der Kaufvertrag sei zustandegekommen und der geltend gemachte Anspruch daher berechtigt - war für den Folgeprozeß des Beklagten gegen Gerda G***** schon allein deshalb nicht bindend, weil Gerda G***** am ersten Prozeß nicht beteiligt war.

Hätte der Beklagte zuerst Gerda G***** geklagt, so wäre die in diesem

Verfahren ergangene Entscheidung für das Verfahren des Beklagten

gegen die Klägerin ebensowenig bindend gewesen. Die Klägerin war zwar

Nebenintervenientin auf Seiten von Gerda G*****; es lag aber kein

Fall vor, in dem die Bindungswirkung den Nebenintervenienten erfaßt

hätte. Nach der Entscheidung des verstärkten Senates SZ 70/60 (= ARD

4849/33/97 = ecolex 1997, 422 [Oberhammer] = JBl 1997, 368 [Klicka,

JBl 1997, 611] = immolex 1997, 208 = ÖJZ-LSK 1997/202 = ÖJZ-LSK

1997/203) erstrecken sich die Wirkungen eines materiell rechtskräftigen zivilgerichtlichen Urteils (nur) soweit auf den einfachen Nebenintervenienten, als dieser als Partei eines als Regreßprozeß geführten Folgeprozesses keine rechtsvernichtenden oder rechtshemmenden Einreden erheben darf, die mit den notwendigen Elementen der Entscheidung des Vorprozesses in Widerspruch stehen. Der gegen die Klägerin angestrengte Prozeß wäre aber kein Regreßprozeß gewesen; der Klägerin wäre mit einer Bindungswirkung, wie sie für den einfachen Nebenintervenienten in einem bestimmten Umfang bejaht wird, auch nicht geholfen. Die von ihr angestrebte Bindung an die für sie günstige Beurteilung, daß kein Kaufvertrag zustandegekommen sei, muß daher schon an der fehlenden Parteienidentität scheitern, ohne daß es noch darauf ankäme, ob die Entscheidungen der beiden Verfahren zueinander im Verhältnis der Präjudizialität stehen.

Die Klägerin kann sich demnach nicht darauf berufen, mit der Wiederaufnahmsklage nur einer Bindungswirkung zum Durchbruch verhelfen zu wollen, wie sie bei anderer zeitlicher Abfolge bestanden hätte. Sie will vielmehr erreichen, daß eine auf einer für sie ungünstigen Beweiswürdigung beruhende Entscheidung beseitigt wird, weil in einem anderen Verfahren die Beweise anders gewürdigt wurden. Damit wird aber kein Wiederaufnahmsgrund im Sinne des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO verwirklicht:

Nach dieser Bestimmung kann ein Verfahren wieder aufgenommen werden, wenn die Partei in Kenntnis von neuen Tatsachen gelangt oder Beweismittel auffindet oder zu benützen in den Stand gesetzt wird, deren Vorbringen und Benützung im früheren Verfahren eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde. Die Tatsachen und Beweismittel müssen demnach geeignet sein, zu einer günstigeren Entscheidung über den Gegenstand des Vorprozesses zu führen, und sei es nur in der Form, daß sie geeignet sind, eine wesentliche Änderung der Beweiswürdigung zu bewirken (SZ 54/191 = JBl 1982, 497 mwN; s Kodek in Rechberger, ZPO § 530 Rz 5 mwN).

Die Klägerin hat - wie von ihr im Rekurs klargestellt (AS 27) - als neues Beweismittel im Sinne des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO nur "die das erstgerichtliche Urteil bestätigende Beweiswürdigung des Oberlandesgerichts Linz, 1 R 134/98a, geltend gemacht". Sie beruft sich darauf, daß ein Urteil ein Beweismittel sein könne. Ein Urteil begründet als öffentliche Urkunde aber nur vollen Beweis dessen, was darin von der Behörde amtlich verfügt oder erklärt oder bezeugt wird. Es beweist, in welcher Weise über die von den Parteien gestellten Anträge entschieden wurde, die "sachliche Richtigkeit" der Entscheidung und der sie tragenden Feststellungen wird aber dadurch nicht bewiesen (Böhm, Die Bindung des Zivilgerichts an [verurteilende] Erkenntnisse des Strafgerichts, AnwBl 1996, 734 [736] unter Hinweis auf Fasching, Die Grenzen der Bindung des Zivilgerichtes an Erkenntnisse des Strafgerichtes, in FN 14). Als Wiederaufnahmsgrund wäre im vorliegenden Fall die im Verfahren vor dem Landegericht Wels 4 Cg 124/97w vorgelegte Urkunde Blg I in Frage gekommen, die zu einer anderen Würdigung der Aussage des Zeugen Alexander S***** geführt hat. Dieses neue Beweismittel hat aber die Klägerin, wie schon die Vorinstanzen zutreffend ausgeführt haben, jedenfalls nicht innerhalb der Frist von vier Wochen ab Erlangung der Möglichkeit, davon Gebrauch zu machen (§ 534 Abs 2 Z 4 ZPO), geltend gemacht.

Der von der Klägerin innerhalb der Frist geltend gemachte Wiederaufnahmsgrund ist hingegen nicht geeignet, zu einer günstigeren Entscheidung über den Gegenstand des Vorprozesses zu führen. Die Beweiswürdigung der Aussage eines Zeugen durch ein anderes Gericht ist weder bindend noch sonst maßgeblich. Wäre im wiederaufzunehmenden Verfahren bekannt gewesen, daß Erstgericht und Berufungsgericht im Verfahren des Beklagten gegen Gerda G***** die Aussage des Zeugen Alexander S***** als nicht glaubwürdig beurteilt hatten, so hätte dies nichts an der Verpflichtung des Gerichts geändert, die Glaubwürdigkeit des Zeugen eigenständig zu beurteilen und seine Beweiswürdigung nachvollziehbar zu begründen.

Der Revisionsrekurs mußte erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 40, 50 ZPO.

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