Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Die Kläger betreiben die Internetsite www.autopreisspiegel.at . In dieser geben sie entgeltlich Marktpreise von Gebrauchtfahrzeugen bekannt. Diese erheben sie durch eine Internetsuchmaschine, die Angebote von Gebrauchtfahrzeugen beobachtet und die zuletzt angebotenen Preise zur Marktpreisermittlung heranzieht.
Die Beklagte ist Herausgeberin der in Papierform erscheinenden Publikation „PKW-Marktbericht“ („Eurotax-Liste“) und bietet die Mitteilung der dort veröffentlichten Marktpreise gebrauchter PKW auch im Internet an. Zwischen den Streitteilen besteht ein Wettbewerbsverhältnis.
Die Beklagte bewirbt ihre Publikation auf der Titelseite und im Vorwort ihrer Publikation unter anderem wie folgt:
„vom Fachhandel erzielte durchschnittliche Verkaufserlöse“ ... „die in diesem Marktbericht aufgezeigten Notierungen stellen erzielte Erlöse nach Durchführung notwendiger Instandsetzungsarbeiten dar. Es sind dies echt erzielte Durchschnittserlöse der laufenden Marktbeobachtung mit Aktualisierungsmonat Juli 2010“ … „Die oben stehende Tabelle zeigt für das von Ihnen gewählte Fahrzeug den durchschnittlichen Händler-Verkaufswert für gebrauchte Automobile im qualifizierten Fachhandel“
Zur Sicherung ihres inhaltsgleichen Unterlassungsanspruchs begehren die Kläger, der Beklagten mit einstweiliger Verfügung zu untersagen, im geschäftlichen Verkehr die unwahre Behauptung aufzustellen, die von ihr veröffentlichten Fahrzeugwerte seien vom Fachhandel erzielte durchschnittliche Verkaufserlöse, oder sinngleiche unwahre Behauptungen wie etwa „Die in diesem Marktbericht aufgezeigten Notierungen stellen erzielte Erlöse nach Durchführung notwendiger Instandsetzungsarbeiten dar“, „Es sind dies echt erzielte Durchschnittserlöse der laufenden Marktbeobachtung mit Aktualisierungsmonat Juli 2010“ oder „Die oben stehende Tabelle zeigt für das von Ihnen gewählte Fahrzeug den durchschnittlichen Händler-Verkaufswert für gebrauchte Automobile im qualifizierten Fachhandel“ zu gebrauchen. Die Beklagte behaupte mit den inkriminierten Werbeaussagen eine nicht den Tatsachen entsprechende besondere Marktnähe und Objektivität. Die ca 110.000 Fahrzeugwerte im „PKW-Marktbericht 09/10“ basierten nicht auf vom Fachhandel erzielten durchschnittlichen Verkaufserlösen. Tatsächlich berechne die Beklagte die von ihr publizierten Fahrzeugwerte mit Hilfe von „Abwertungskurven“. Dabei würden ausgehend vom Fahrzeugneupreis mit Hilfe einfacher mathematischer Abwertungsfunktionen die Werte zu bestimmten Zeitpunkten im Sinne einer Prognose festgelegt. Bei Kenntnis dieser auf intransparenten Berechnungsmodellen beruhenden Bewertungen würden Kunden anstelle der Beklagten einen Anbieter mit einem transparenten Bewertungssystem wählen. Die beanstandete Geschäftspraktik sei somit ohne Zweifel geeignet, einen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte.
Die Beklagte trat in ihrer Äußerung dem Sicherungsantrag entgegen. Das auf Seite 3 der Klage wiedergegebene Zitat laute vollständig wie folgt:
„Die oben stehende Tabelle zeigt für das von Ihnen gewählte Fahrzeug den durchschnittlichen Händler-Verkaufswert für gebrauchte Automobile im qualifizierten Fachhandel. Der abgebildete Wert kann regional variieren. Grundlage der Bewertung sind die jeweils aktuellen Eurotax-Marktbeobachtungsdaten. Sie stellen Mittelwerte dar, die sich nach Ausgleich regionaler Unterschiede ergeben. Je nach regionaler und händlerbezogener Marktlage können die vom Fachhandel ermittelten Preise von den Eurotax-Werten abweichen.“
Sie erstelle die PKW-Marktberichte auf Basis der Meldungen des KFZ-Fachhandels über die vom Fachhandel vorgenommenen Gebrauchtwagenverkäufe. Zwischen 2003 und 2009 seien jährlich jeweils zwischen 80.000 und 90.000 derartige Meldungen bei der Beklagten eingegangen und als Grundlage der publizierten Werte verarbeitet worden. Rund ein Drittel der über den autorisierten Fachhandel in Österreich verkauften Gebrauchtwagen aus den Erstzulassungsjahren 1999 bis 2009 seien im Rahmen des Eurotax-Meldesystems der Beklagten gemeldet und für die Marktberichte verarbeitet worden. Die Beklagte ziehe aber nicht blind das arithmetische Mittel heran, sondern bearbeite die eingelangten Daten, indem etwa unterschiedliche Kilometerleistungen neutralisiert bzw Fahrzeuge mit einem schlechteren Erhaltungszustand als nach Zustandsklasse 3 nach Ö-Norm V5080 ausgeschieden würden. Das Vorwort des PKW-Marktberichts sage dazu klar aus, dass regionale Abweichungen von den Notierungen möglich seien, je nach Angebot und Nachfrage, dass nur bestimmte Fahrzeugzustandsklassen, nämlich nicht schlechter als Zustandsklasse 3 nach Ö-Norm V5080, einbezogen und die Verkaufsmeldungen kilometerneutralisiert verarbeitet würden. Dies alles sei dem KFZ-Fachhandel, den Sachverständigen und den Versicherungen als den langjährigen Partnern der Beklagten bestens bekannt und werde auch im Vorwort der PKW-Marktberichte hinreichend deutlich dargelegt. Die von den Klägern angesprochene Abwertungskurve ergebe sich daraus, dass für die Ermittlung des Werts nicht nur die im Aktualisierungsmonat erfolgten Verkaufsmeldungen berücksichtigt würden, sondern auch die im Monat davor eingelangten. Bei Fahrzeugmodellen, die eine große Vielzahl unterschiedlicher Motorisierungen und Ausstattungen aufweisen, arbeite die Beklagte unter Heranziehung des sogenannten „Cheffahrzeugs“ bzw der „Cheftype“. Damit könnten die Werte der anderen Fahrzeuge des gleichen Modells mit einer lediglich unterschiedlichen Ausstattung oder Motorisierung auch dann ermittelt werden, wenn für diese Untertypen keine Verkaufsmeldungen vorlägen. Die Wertentwicklung des gleichen Fahrzeugs, das sich nur durch unterschiedliche Ausstattung unterscheide, verlaufe parallel zur Wertentwicklung des Cheftyps, auch eine unterschiedliche Motorisierung führe im Regelfall zu einer parallelen Wertentwicklung. Die PKW-Marktberichte richteten sich im Wesentlichen an den Fachhandel, Versicherungen und Sachverständige, die in großer Anzahl Partner der Beklagten im Bereich des Meldungssystems und in jedem Fall ganz genau darüber informiert seien, wie dieses System funktioniere. Auch deshalb sei kein Irreführungspotential gegeben. Genauso verhalte es sich auch mit den Aussagen der Beklagten auf ihrer Website im Zusammenhang mit Fahrzeugbewertungen für Konsumenten. Der dort unter „Wichtige Information“ angeführte Hinweis, dass Grundlage der Bewertung die jeweils aktuellen Eurotax-Marktbeobachtungsdaten seien, wobei die Werte entsprechende Mittelwerte darstellten, entspreche den Tatsachen.
Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag ab. Die beanstandeten Aussagen seien nicht irreführend: Grundlage der Marktpreisermittlung seien (auch) Meldungen von Verkaufspreisen durch Händler. Insbesondere gebrauchte PKWs würden in Zustand und Ausstattung stark variieren. Wolle man daher „Marktpreise“ gebrauchter PKW ermitteln, müsse man Vergleiche unterschiedlicher PKW anstellen und auch Schlüsse von Marktpreisverhalten einzelner Exemplare auf andere (davon in Ausstattung und Zustand verschiedene) Exemplare vornehmen. Für die Ermittlung des Marktpreises sei es daher nicht erforderlich, das arithmetische Mittel aus zwei gleichen konkreten Typen mit gleicher Ausstattung im gleichen Beobachtungszeitraum heranzuziehen. Dies sei bei lebensnaher Betrachtung nicht nur nicht erforderlich, sondern bei der Fülle der Marken und Ausstattungen und der Enge des Österreichischen Markts sogar denkunmöglich. Jedem unbefangenen Durchschnittsleser sei klar, dass nicht zu jedem veröffentlichten Fahrzeugpreis mehrere Händlermeldungen vorlägen, sondern nur ein Richtwert für das Preisgefüge am Gebrauchtwagenmarkt mitgeteilt werde. Die inkriminierten Werbeaussagen der Beklagten seien daher weder unrichtig noch geeignet, den Kaufinteressenten zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er sonst nicht getroffen hätte.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Dem Durchschnittsverbraucher sei bewusst, dass es sich um aufbereitete Daten handle. Er glaube nicht, dass für jede der Fahrzeugnotierungen zumindest zwei aktuelle Händlermeldungen über Verkaufspreise vorlägen, sondern halte die Liste nur für eine Orientierungshilfe. Das Einfließen von mathematischer Methodik sei nicht unerwartet. Die Ankündigung werde jedenfalls nicht dahin verstanden, dass die Werte von der Beklagten ausschließlich durch die nicht weiter bearbeitete Sammlung von seit der letzten Auflage gemeldeten Kaufverträgen ermittelt worden seien.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Kläger mit dem Begehren, die beantragte einstweilige Verfügung zu erlassen; in eventu wurde ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Kläger machen geltend, die strittige Ankündigung könne vom durchschnittlichen Interessenten nur so verstanden werden, dass sich der Wert des von ihm abgefragten Fahrzeugmodells aus den Durchschnittserlösen errechne, die Händler für dieses Fahrzeugmodell tatsächlich erzielt haben. Das Rekursgericht gestehe zwar zu, dass sich der „PKW-Marktbericht“ der Beklagten nicht nur an Fachleute aus der KFZ-Branche richte, sondern auch an andere Personen. Es habe aber die Frage unbeantwortet gelassen, wie diese anderen Personen die beanstandeten Werbeaussagen der Beklagten verstünden und ob dieses Verständnis den Tatsachen entspreche. Damit habe das Rekursgericht die ersten beiden Prüfschritte des Irreführungstatbestands weitgehend übersprungen, jedoch auf der dritten Prüfebene der Irreführungseignung den Durchschnittsinteressenten einen unrealistisch hohen Wissensstand auf dem Gebiet der KFZ-Bewertungen zugemutet und die Irreführungseignung unzutreffend verneint. Die Beklagte behaupte, dass bei ihr im Jahr 2009 insgesamt 87.067 Händlermeldungen eingegangen seien. Dies widerspreche ihrer „Chefliste“ für das Jahr 2009, aus deren genauen Aufschlüsselung aller Beobachtungszeiträume sich insgesamt nur 45.815 Händlermeldungen ergäben. Angesichts der über 100.000 neuen Fahrzeugnotierungen in jeder Ausgabe ihres monatlich erscheinenden „PKW-Marktberichts“ ergebe sich, dass nur ein Bruchteil der Fahrzeugnotierungen der Beklagten auf tatsächlich vom Fachhandel erzielten durchschnittlichen Verkaufserlösen beruhe und dass sie die angesprochenen Verkehrskreise über diesen Umstand nicht ausdrücklich und hinreichend deutlich aufgeklärt habe. Da die Beklagte somit eine Wertermittlung anhand erzielter durchschnittlicher Verkaufserlöse ankündige, diese Ankündigung aber für die Mehrzahl der von ihr veröffentlichten Fahrzeugwerte nicht zutreffe, weil diese durch Schätzung oder Preisfestsetzung bestimmt würden, bestehe kein Zweifel an der Irreführungseignung der beanstandeten Werbung: Eine Schätzung oder Preisfestsetzung unterscheide sich als Bewertungsmethode qualitativ ganz erheblich von der Ermittlung tatsächlicher Verkaufswerte oder gar von einer Durchschnittserlösrechnung.
Die Beklagte beantragte in ihrer Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs zurückzuweisen bzw ihm keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig und im Sinne des Aufhebungsantrags berechtigt.
1. Beim Irreführungstatbestand ist zu prüfen, (a) wie ein durchschnittlich informierter und verständiger Interessent für das Produkt, der eine dem Erwerb solcher Produkte angemessene Aufmerksamkeit aufwendet, die strittige Ankündigung versteht, (b) ob dieses Verständnis den Tatsachen entspricht, und ob (c) eine nach diesem Kriterium unrichtige Angabe geeignet ist, den Kaufinteressenten zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er sonst nicht getroffen hätte (RIS-Justiz RS0123292).
2. Der Bedeutungsinhalt von Äußerungen richtet sich nach dem Gesamtzusammenhang und dem dadurch vermittelten Gesamteindruck, den ein redlicher Mitteilungsempfänger gewinnt. Der Gesamteindruck ist aber nicht gleichbedeutend mit dem Gesamtinhalt der Ankündigung, da der Gesamteindruck durch einzelne Teile der Ankündigung, die als Blickfang besonders herausgestellt sind, bereits entscheidend geprägt werden kann (4 Ob 224/08g mwN). Von einem Blickfang wird gesprochen, wenn in einer Gesamtankündigung einzelne Angaben im Vergleich zu den sonstigen Angaben besonders herausgestellt sind; sie dürfen für sich allein genommen nicht zur Irreführung geeignet sein (4 Ob 70/94 = RIS-Justiz RS0078535).
3. Richtet sich eine Werbung zum Teil an Detailhändler, zum Teil an Letztverbraucher, so reicht eine Irreführung der Verbraucher, also eines Teils der angesprochenen Verkehrskreise, aus, um einen Verstoß gegen § 2 UWG anzunehmen (RIS-Justiz RS0102012).
4. Die als „Marktbericht“ und nicht etwa als „Markteinschätzung“ bezeichneten Publikationen der Beklagten richten sich auch an Verbraucher. Sowohl auf dem Deckblatt des PKW-Marktberichts, als auch im Internet wird blickfangmäßig auf die vom Fachhandel erzielten durchschnittlichen Verkaufserlöse hingewiesen. Eine Information dahingehend, dass die Mehrzahl der Notierungen tatsächlich nicht auf Händlermeldungen beruht, sondern auf andere Art ermittelt wird, wird weder auf der Titelseite, noch in dem zwölf Seiten später abgedruckten Vorwort erteilt. In letzterem ist vielmehr von „echt erzielten Durchschnittserlösen“ die Rede. Ein durchschnittlich informierter und verständiger Verbraucher - dem keine Kenntnisse über die Berechnungsmethode der Beklagten zu unterstellen sind - wird daher davon ausgehen, dass nahezu alle Notierungen im Marktbericht auf durchschnittlichen Verkaufserlösen beruhen, die vom Fachhandel tatsächlich erzielt wurden. Da ein Durchschnitt nur aus mehreren Zahlen zu ermitteln ist, wird der Durchschnittsverbraucher annehmen, dass die Beklagte für ihre Fahrzeugnotierungen grundsätzlich jeweils über zumindest zwei einigermaßen aktuelle Händlermeldungen verfügt.
5. Als nächster Schritt wäre zu fragen, ob das ermittelte Verständnis den Tatsachen entspricht. Jedoch fehlt den Entscheidungen der Vorinstanzen jegliches Bescheinigungssubstrat zu den tatsächlichen Bewertungsmethoden der Beklagten, insbesondere zur Frage, inwieweit die ermittelten Preise auf reale Verkaufszahlen zurückgeführt werden können.
6. Die Irreführungseignung bzw die Relevanz der beanstandeten Ankündigung für die Kaufentscheidung kann erst nach Klärung der Frage, ob das Verständnis des Durchschnittsinteressenten den Tatsachen entspricht, ermittelt werden. Vorwegnehmend ist jedoch auszuführen, dass das Rekursgericht zumindest den Verbrauchern einen zu hohen Wissensstand über die (unbekannte) Methode der Beklagten zugesonnen hat. Im Übrigen kommt es für den Käufer oder Verkäufer eines Gebrauchtwagens, der die Bewertung der Beklagten in Anspruch nimmt, sehr wohl darauf an, ob sie tatsächlich erzielte Verkaufserlöse oder bloß Schätzwerte verwendet. Dabei kann es auch eine Rolle spielen, für wie viele der angeführten Gebrauchtwagen der Beklagten keine realen Werte vorliegen.
7. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Irreführungseignung der beanstandeten Ankündigungen mangels ausreichenden Tatsachensubstrats derzeit noch nicht abschließend beurteilt werden kann. Das Erstgericht wird - nach Verfahrensergänzung - im Sinne der obigen Ausführungen den von ihm als bescheinigt angenommenen Sachverhalt festzustellen und neuerlich über den Sicherungsantrag zu entscheiden haben.
Dem Revisionsrekurs der Kläger war Folge zu geben, die Beschlüsse der Vorinstanzen aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO iVm § 393 Abs 1 EO.
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