OGH 3Ob99/95(3Ob100/95)

OGH3Ob99/95(3Ob100/95)11.10.1995

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Hofmann als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Angst, Dr.Graf, Dr.Pimmer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Exekutionssache der betreibenden Partei R***** reg.Gen.m.b.H., ***** vertreten durch Dr.Edgar Düngler, Rechtsanwalt in Schruns, wider die verpflichtete Partei Ilse E*****, vertreten durch Dr.Wilfried Ludwig Weh, Rechtsanwalt in Bregenz, wegen Zwangsversteigerung einer Liegenschaft infolge Revisionsrekurses und Rekurses der verpflichteten Partei gegen die Beschlüsse des Landesgerichtes Feldkirch als Rekursgerichtes vom 23. August 1995, GZ 3 R 236/95-66, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Montafon vom 10.August 1995, GZ E 829/94i-55, bestätigt und ein von der verpflichteten Partei im Rekursverfahren gestellter Antrag zurückgewiesen wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs und der Rekurs werden zurückgewiesen.

Text

Begründung

Mit Schriftsatz vom 9.August 1995 beantragte die verpflichtete Partei, ein "am europarechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientiertes Gutachten über die optimale Verwertungsmöglichkeit der Liegenschaft der verpflichteten Partei einzuholen und die Versteigerungsbedingungen anhand der optimalen Verwertungsmöglichkeit der Liegenschaft der verpflichteten Partei neu festzulegen, in der Art, daß so schonend wie möglich in das Grundeigentum der verpflichteten Partei eingegriffen" werde; im übrigen begehrte die verpflichtete Partei, "die Versteigerung aufzuschieben" (ON 54).

Das Erstgericht wies diese Anträge mit Beschluß vom 10.August 1995 ab und begründete seine Entscheidung im wesentlichen damit, daß "die bisherigen Verfahrensschritte sehr wohl mit dem nach Europarecht im Exekutionsrecht anzuwendenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Einklang" stünden und keiner der in § 42 EO erschöpfend geregelten Aufschiebungsgründe vorliege.

Das Gericht zweiter Instanz wies den im Rekursverfahren gestellten Antrag der verpflichteten Partei, "dem Europäischen Gerichtshof folgende Fragen vorzulegen: Was bedeutet der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz für das gerichtliche Liegenschaftsversteigerungsverfahren? Was bedeutet der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz für das raumplanungsrechtliche Grundteilungsverfahren? Ist die Gemeinde im raumplanungsrechtlichen Grundteilungsverfahren an eine sich aus einer Exekution ergebende Verhältnismäßigkeit gebunden?", zurück (Punkt 1.) und gab deren Rekurs nicht Folge (Punkt 2.); im übrigen sprach das Gericht zweiter Instanz aus, daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof in Ansehung der Zurückweisung des im Rekursverfahren gestellten Antrags zulässig, der Revisionsrekurs gegen die den erstgerichtlichen Beschluß bestätigende Entscheidung dagegen jedenfalls unzulässig sei. Es erwog, soweit es den Antrag auf Einholung einer Vorabentscheidung durch den Europäischen Gerichtshof zurückwies, im wesentlichen:

Wäre die Auslegung von Gemeinschaftsrecht erheblich und die Einholung einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofes für die Rekursentscheidung erforderlich, hätte das Rekursgericht im Falle der - dann tatsächlich erfolgten - Bestätigung des angefochtenen Beschlusses als letzte innerstaatliche Instanz eine Vorlageverpflichtung gemäß Art 177 Abs 3 EGV gehabt. Die Entscheidung über die Befassung des Europäischen Gerichtshofes sei jedoch ausschließlich Sache des Prozeßgerichts und nicht jene "der Parteien des Ausgangsverfahrens"; diesen stehe es lediglich frei, "ein entsprechendes Vorabentscheidungsersuchen anzuregen". Art 177 EGV sei daher kein mit einem Antragsrecht verbundener Rechtsbehelf für die Parteien eines anhängigen Rechtsstreits. Es bestehe jedoch auch von amtswegen kein Anlaß, die von der verpflichteten Partei formulierten Fragen oder ähnliche Fragen dem Europäischen Gerichtshof zu stellen. Der durch die verpflichtete Partei angesprochene Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergebe sich ohnehin aus zahlreichen Bestimmungen der Exekutionsordnung (§§ 27, 41, 96, 263). Zu einer Antragstellung in Ansehung des raumplanungsrechtlichen Grundteilungsverfahrens wäre das Gericht dagegen gar nicht legitimiert; es habe nämlich lediglich die von ihm anzuwendenden Bestimmungen im Sinne des geltenden Europarechts zu prüfen. Da es "zur Frage der Antragslegitimation" an einer Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fehle, sei der Rekurs gegen die Zurückweisung des Antrags auf Einholung einer Vorabentscheidung durch den Europäischen Gerichtshof zuzulassen gewesen.

Rechtliche Beurteilung

Die Rechtsmittel der verpflichteten Partei sind unzulässig.

1. Zum Revisionsrekurs:

Gemäß § 78 EO und § 528 Abs 2 Z 2 ZPO ist der Revisionsrekurs jedenfalls unzulässig, wenn der angefochtene erstrichterliche Beschluß - wie im vorliegenden Fall - zur Gänze bestätigt wurde. Soweit die Zivilprozeß- und die Exekutionsordnung Ausnahmen von diesem Grundsatz normieren, liegt eine solche nicht vor. Gegen einen voll bestätigenden Beschluß des Rekursgerichtes kann auch kein außerordentlicher Revisionsrekurs erhoben werden, weil ein solcher gemäß § 78 EO und § 528 Abs 3 ZPO voraussetzte, daß der Revisionsrekurs nicht jedenfalls unzulässig wäre und das Gericht zweiter Instanz ausgesprochen hätte, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht nach § 528 Abs 1 ZPO zulässig sei.

Der Revisionsrekurs ist daher zurückzuweisen.

2. Zum Rekurs:

Das Gericht zweiter Instanz hatte zu prüfen, ob die Erledigung des Rekurses der verpflichteten Partei die Einholung einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs voraussetzte. Es verneinte die Notwendigkeit eines solchen Vorgehens zur Klärung der von der verpflichteten Partei aufgeworfenen Fragen und gab deren Rechtsmittel nicht Folge. Da die zur Gänze bestätigende Rekursentscheidung keinem weiteren Rechtsmittelzug unterliegt, läßt sich das Thema einer Befassung des Europäischen Gerichtshofs im Zusammenhang mit den den Gegenstand der Rekursentscheidung bildenden Fragen nicht neuerlich aufrollen. Es ist daher auch nicht mehr von Bedeutung, ob die verpflichtete Partei ein prozessuales Recht hatte, eine Vorabentscheidung zu beantragen. Selbst wenn der Oberste Gerichtshof das bejahte, könnte es wegen der abschließenden Entscheidung des Rekursgerichtes nicht mehr zu der von der verpflichteten Partei angestrebten Fragestellung an den Europäischen Gerichtshof als Voraussetzung der Rekursentscheidung kommen. Eine Kärung der Rechtsfrage, die dem Gericht zweiter Instanz Anlaß gab, den Rekurs an den Obersten Gerichtshof zuzulassen, hätte also nur mehr theoretische Bedeutung. Es ist aber nicht Sache der Rechtsmittelinstanzen, rein theoretische Fragen - praktisch in Form eines Rechtsgutachtens - zu entscheiden (SZ 61/6; SZ 53/86; Kodek in Rechberger, Kommentar zur ZPO Vor § 461 Rz 9). Die Rechtsposition der verpflichteten Partei kann, da das Rekursgericht nach Behandlung der von ihr aufgeworfenen Frage der Einholung einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofes zu einem insofern verneinenden Ergebnis kam und ihrem Rechtsmittel schließlich - ohne Bestehen einer weiteren Anfechtungsmöglichkeit - nicht Folge gab, in keiner Weise mehr von der Klärung eines Antragsrechts beeinflußt werden. Der verpflichteten Partei fehlt es also - unbeschadet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruchs des Rekursgerichts - an einem Anfechtungsinteresse; das allein muß bereit zur Zurückweisung ihres Rekurses führen (Kodek in Rechberger aaO).

Es kann daher auf sich beruhen, ob ein im Rekursverfahren vor der Rechtsmittelentscheidung gefaßter Beschluß in dem eine rasche Rechtsdurchsetzung bezweckenden Exekutionsverfahren überhaupt anfechtbar wäre, berücksichtigt man, daß gemäß § 519 Abs 1 ZPO auch im Berufungsverfahren nur die im Gesetz bezeichneten und die Rechtssache in der Rechtsmittelinstanz vollständig erledigenden Beschlüsse anfechtbar sind und es an gesetzlichen Bestimmungen fehlt, die dieses Thema für das Rekursverfahren in einer gemäß § 78 EO auch im Exekutionsverfahren beachtlichen Weise behandeln.

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