OGH 3Ob86/24d

OGH3Ob86/24d27.11.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. M*, und 2. S*, beide vertreten durch Sutterlüty Klagian Brändle Gisinger Rechtsanwälte GmbH in Dornbirn, gegen die beklagten Parteien 1. W* KG, *, 2. C*, und 3. H*, alle vertreten durch Blum, Hagen & Partner Rechtsanwälte GmbH in Feldkirch, wegen Duldung, über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 8. Februar 2024, GZ 2 R 13/24i‑115, mit dem das Endurteil des Landesgerichts Feldkirch vom 31. Oktober 2023, GZ 8 Cg 70/18y‑112, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0030OB00086.24D.1127.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Das Erstgericht hat mit rechtskräftigem Teilurteil festgestellt, dass zugunsten eines Grundstücks der Kläger auf einem Grundstück der Beklagten aufgrund einer Vereinbarung aus 1993 die Dienstbarkeit des unbeschränkten, unwiderruflichen und unentgeltlichen Geh- und Fahrrechts besteht und diese Dienstbarkeit auch das Recht der jeweiligen Eigentümer der herrschenden Grundstücke umfasst, den der Dienstbarkeit unterliegenden Flächenstreifen zu einer Straße auszubauen, die mit Fahrzeugen aller Art befahrbar ist. Der räumliche Umfang der Dienstbarkeit ergibt sich aus einem in das Urteil integrierten Lageplan.

[2] Das Revisionsverfahren betrifft nur noch die Frage der Verpflichtung der Beklagten zur Duldung der Errichtung einer Straße auf der Dienstbarkeitsfläche entlang einer bestimmten Trasse („Variante 2“), die in einem kleinen Teilbereich über ein Grundstück des Zweitklägers verläuft.

[3] Die Kläger vertreten – zusammengefasst – die Ansicht, die Trasse Variante 2 sei die schonendste Nutzung der Dienstbarkeitsfläche, ermögliche diese doch sowohl die Zufahrt für die herrschenden und die dienenden Grundstücke mit Kraftfahrzeugen aller Art als auch die gänzliche Erhaltung der bisherigen Parkflächen der Beklagten.

[4] Die Beklagten wandten – zusammengefasst und soweit noch relevant – ein, die Trasse Variante 2 sei eine unzulässige und unzumutbare Erweiterung der Dienstbarkeit, weil diese über die vertraglich festgelegte Dienstbarkeitsfläche hinausreiche. Außerdem verlaufe die Trasse teilweise über ein Grundstück des Zweitklägers, sodass für die Beklagten keine gesicherte Zufahrt zu ihren Parkflächen bestehe.

[5] Vor dem Erstgericht gaben die Kläger daraufhin folgende „Erklärung“ ab:

[6] „Insoweit die Beklagten monieren, dass es für sie bei allen Varianten nicht mehr möglich sei, auf eigenem Grund zum oben liegenden Grundstücksteil zu kommen, erklären die Kläger im Falle der Errichtung der Straße rechtsverbindlich, den beklagten Parteien die Benützung der auf GST * (Anmerkung: des Zweitklägers) gelegenen Zufahrtsfläche (= grün schraffierte Fläche gemäß Beilage ./AG) zum Zweck des Ein- und Ausfahrens mit Fahrzeugen aller Art zu benützen.

[7] Über anschließendes Befragen des Beklagtenvertreters stellte der Klagevertreter klar, dass dieses Zugeständnis eines Geh- und Fahrrechts (auch) zugunsten von Mietern und Rechtsnachfolgern der Beklagten eingeräumt werde.

[8] Das Erstgericht erkannte daraufhin die Beklagten mit Endurteil schuldig, auf der Dienstbarkeitsfläche die Errichtung einer Straße gemäß Lageplan „Variante 2“ zu dulden. Es sei dies die schonendste Variante zur Erreichung des Zwecks der Dienstbarkeit, auf dem Grundstreifen eine mit Fahrzeugen aller Art befahrbare Fläche zur Liegenschaft der Kläger zu errichten. Die erforderlichen Stützbauten lägen innerhalb der „rechtlich gesicherten, dunkelgelben Dienstbarkeitsfläche“. Die geplanten Baumaßnahmen stellten keine große Belastung für die Beklagten dar. Überdies liege durch die Fahrmöglichkeit auf der Zufahrtsstraße auch eine wesentliche Verbesserung für die Beklagten vor.

[9] Das Berufungsgericht gab der von den Beklagten dagegen erhobenen Berufung nicht Folge. Die Parteien hätten bereits ursprünglich die Errichtung einer Straße auf der Dienstbarkeitsfläche vereinbart, und zwar einer solchen, die auch mit schweren Fahrzeugen befahrbar sein sollte. Daher ergebe sich eine – durch die Geländesituation (und erforderliche Stützmauern) bedingte – Beeinträchtigung der Beklagten durch die für die Errichtung notwendigen Baumaßnahmen bereits aus der vertraglichen Vereinbarung selbst. Ein konkreter Nutzungsnachteil der Beklagten bei Durchführung der geplanten Errichtung sei nicht erkennbar. Der Nachteil, dass die Beklagten nach dem Abschluss der Arbeiten zu ihren nördlich gelegenen Parkplätzen nicht mehr ausschließlich über ihren eigenen Grund, sondern über die neue Trasse fahren müssten, die zu einem geringen Teil auf einem Grundstück der Kläger liege, werde dadurch aufgewogen, dass die Kläger den Beklagten (sowie auch ihren Mietern und Rechtsnachfolgern) rechtsverbindlich ein entsprechendes Nutzungsrecht eingeräumt hätten. Insgesamt werde die Zufahrt von der öffentlichen Straße für alle komfortabler, weshalb bei einer Gesamtbetrachtung keine unzumutbare Belastung der Beklagten erkennbar sei.

[10] Nachträglich ließ das Berufungsgericht die Revision mit der Begründung zu, dass keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage vorliege, ob und unter welchen Voraussetzungen vom Erstgericht nicht festgestellte Teile des Sachverständigengutachtens ohne Berufungsverhandlung als Sachverhaltsgrundlage herangezogen werden könnten. Gleiches gelte für die Frage der Berücksichtigung einseitig erklärter Nutzungseinräumungen im Rahmen der Interessenabwägung bei der Ausweitung einer Dienstbarkeit.

[11] Gegen das Urteil wendet sich die Revision der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das (verbliebene) Klagebegehren abzuweisen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

[12] Die Kläger beantragen in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

[13] Die Revision ist zulässig und im Sinn ihres Aufhebungsantrags berechtigt.

[14] 1.1 Die Frage der (allenfalls unzulässigen) Erweiterung einer bestehenden Servitut und die Ermittlung des Umfangs einer Dienstbarkeit nach dem Inhalt des Titels (RS0011720) können stets nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden (vgl RS0011720 [T7]). Eine unzulässige Erweiterung der Dienstbarkeit liegt jedenfalls nur dann vor, wenn das dienende Gut dadurch erheblich schwerer belastet wird (RS0011720 [T16]; RS0016370; RS0011733 [T10]). Die gemäß § 484 ABGB vorzunehmende Interessenabwägung ist stets von den Umständen des Einzelfalls abhängig und stellt daher im Allgemeinen keine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung dar (RS0011733 [T11]; RS0011720 [T17] = RS0011691 [T15; T19]; vgl auch RS0116522 [T1]).

[15] 1.2 Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung übereinstimmend mit den in der von ihm wiedergegebenen höchstgerichtlichen Rechtsprechung festgelegten Grundsätzen getroffen. Die Parteien des Dienstbarkeitsvertrags hätten ein Befahren des flächenmäßig klar festgelegten Grundstücksstreifens (insoweit als „gemessen“ qualifizierbar) mit Fahrzeugen aller Art sowie die Errichtung einer Straße vereinbart. Zum Straßenbau und den dafür erforderlichen Baumaßnahmen hätten sie allerdings keine Regelung getroffen, sondern nur festgelegt, welche Eigenschaft diese Straße nach ihrer Fertigstellung haben sollte (insoweit sei die Servitut daher „ungemessen“). Eine von den Beklagten lediglich behauptete „unvertretbare Rechtsansicht“ ist darin nicht zu erkennen. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, nach der die Vereinbarung, eine Straße zum Zweck der Befahrbarkeit mit Fahrzeugen aller Art zu errichten, ohne dazu nähere Einzelheiten (wie zB die Breite und Bauweise) festzulegen, insoweit eine „ungemessene“ Regelung enthalte, ist zutreffend.

[16] 2.1 Fest steht, dass bei Durchführung der in der angefochtenen Entscheidung bewilligten Variante auch die erforderlichen Stützbauten innerhalb der Dienstbarkeitsfläche liegen (Ersturteil Seite 5). Nur in einem näher beschriebenen, kleinen Bereich ist es unumgänglich, dass Stützmauern auf dem Grundstück der Beklagten errichtet werden (Ersturteil Seite 6); aufgrund der Geländesituation war dort allerdings schon bisher eine Stützmauer, die nun teilweise abgebrochen und versetzt wird. Dass die Beklagten unmittelbar durch diese Baumaßnahmen (Teilabbruch und teilweise neue Errichtung von Stützmauern auch auf schmalen Grundstücksflächen der Beklagten) unzumutbar beeinträchtigt würden, lässt sich der Revision nicht nachvollziehbar entnehmen und ist auch sonst nicht erkennbar.

[17] 2.2 Soweit das Berufungsgericht in der Begründung seiner Entscheidung ergänzend auf Ausführungen des Sachverständigen in seinem Gutachten Bezug nahm, hat es – entgegen der Auffassung der Beklagten – keine rechtlich relevanten ergänzenden Feststellungen außerhalb einer Verhandlung getroffen, sondern nur die Argumente der Interessenabwägung des Erstgerichts nachvollzogen. Der Sachverständige verwies darauf, dass eine (geringfügige) Überschreitung der Dienstbarkeitsfläche bei der Benützung der zu errichtenden Straße unvermeidlich sei, wenn sie mittels dreiachsigen Lastkraftwägen erfolge. In ihrer Revision gehen die Beklagten auf diese Überlegungen allerdings nicht inhaltlich ein.

[18] 2.3 Die – von den Vorinstanzen (teilweise) als „Feststellung“ gewertete – Aussage des Sachverständigen, dass es sich um die für die Beklagten „schonendste Variante“ handle, ist inhaltlich bereits rechtliche Beurteilung der Zumutbarkeit, die die Beklagten ebenfalls nicht inhaltlich in Zweifel ziehen können, sondern sich dabei in der wiederholten, aber unzutreffenden Behauptung erschöpfen, dass mit dieser Trassenbewilligung eine – generell unzulässige – Erweiterung der Dienstbarkeit vorgenommen werde.

[19] 3. Servituten dürfen zwar nicht ausgedehnt werden, sie sollen aber der fortschreitenden technischen Entwicklung angepasst werden können (RS0097852 [T1]). Im Einzelfall kann sogar eine Verbreiterung des Wegs im Rahmen der bei Beurteilung des Vorliegens einer unzulässigen Erweiterung der Servitut gebotenen Gesamtbetrachtung unschädlich sein (RS0016367 [T6]). Fraglich ist in diesem Zusammenhang nur der bereits angesprochene schmale Bereich, in dem eine Stützmauer erforderlich ist und woraus keine relevante Beeinträchtigung der Beklagten erkennbar ist. Insoweit ist die Trassenführung nicht zu beanstanden und damit teilt der erkennende Senat die grundsätzliche Zumutbarkeit der Lage, Führung und Gestaltung der vom Erstgericht titulierten Trasse. Dieser Aspekt ist abschließend geklärt, im weiteren Verfahren nicht mehr in Frage zu stellen und der neu zu fassenden Entscheidung zugrunde zu legen.

[20] 4.1 Klärungsbedürftig ist damit nur mehr die Interessenabwägung betreffend den Einwand der Beklagten, sie könnten im Fall der Errichtung der Trasse laut Variante 2 nicht mehr – wie bisher – auf nur eigenem Grund zu ihrem oben liegenden Grundstücksteil und den dortigen Parkflächen zufahren, sondern müssten dann einen (kleinen) Teil einer Grundstücksfläche des Zweitklägers mitbenützen, wofür es an einer bücherlich gesicherten, auch Rechtsnachfolger der Kläger bindenden Rechtsgrundlage fehle. Dieser Aspekt ist für die Zumutbarkeit der Trasse Variante 2 beachtlich, weil die Beklagten zum Erreichen ihrer Parkflächen die Zufahrt benützen müssen, sodass sich deren Verlangen nach rechtlicher Absicherung dieser Zufahrtsmöglichkeit als berechtigt erweist. Andernfalls besteht die Gefahr der künftigen Unerreichbarkeit der Parkflächen, was bislang weder die Kläger noch die Vorinstanzen als für die Beklagten zumutbar erkannt haben. In diesem Punkt erweist sich das erstinstanzliche Verfahren als ergänzungsbedürftig:

[21] 4.2 Die Kläger erklärten zwar im Rahmen einer Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung für den Fall der Errichtung der Straße entsprechend der Trasse Variante 2 „rechtsverbindlich, den beklagten Parteien die Benützung der auf dem Grundstück gelegenen Zufahrtsfläche (…) zum Zweck des Ein- und Ausfahrens mit Fahrzeugen aller Art“ einzuräumen. Allerdings umfasste dieses Angebot der Kläger weder deren Rechtsnachfolger noch die Verbücherung eines solchen Zufahrtsrechts. Damit ist aber für die Beklagten und deren Rechtsnachfolger nicht hinreichend sichergestellt, dass diese Zufahrtsmöglichkeit nach Errichtung der Trasse Variante 2 durchgehend ungestört aufrecht bleiben wird.

[22] 4.3 Um daher die Interessenabwägung abschließend vornehmen zu können, bedarf das Verfahren insoweit einer Ergänzung, als mit den Klägern zu erörtern sein wird, ob sie für sich und ihre Rechtsnachfolger den Beklagten und deren Rechtsnachfolgern die – allenfalls in einem gerichtlichen Vergleich zu formulierende – Nutzung der auf der Beilage ./AG hellgrün gefärbten Fläche (Grundstücksteil des Zweitklägers) in verbücherungsfähiger Form anbieten. Sollten sich die Streitteile auf ein solches Angebot der Kläger einigen oder sollten die Beklagten die Annahme eines solchen Angebots ablehnen, so wäre die Interessenabwägung zugunsten der Kläger vorzunehmen und die Beklagten wären neuerlich zur Duldung der Errichtung der Trasse Variante 2 zu verpflichten. Sollten sich die Kläger dagegen nicht (mehr) zu besagtem Angebot bereit finden, ist die Duldung der Trasse Variante 2 den Beklagten nicht zumutbar. Auf Basis dieser Überlegungen wird sodann neuerlich zu entscheiden sein.

[23] 5. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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