European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0030OB00077.23D.0621.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
[1] Die Klägerin erwarb von der beklagten Autohändlerin am 9. November 2012 einen Pkw der Marke VW Eos Sky BMT, 2.0 l TDI, ausgestattet mit einem Dieselmotor des Typs EA189, zu einem Preis von 41.390 EUR sowie am 15. November 2012 vier zu diesem Fahrzeug passende Winterreifen um 1.049 EUR.
[2] (Auch) in dem von der Klägerin erworbenen Fahrzeug wurde eine Software verwendet, die die Emissions- bzw Stickoxidwerte im Prüfstandlauf optimiert, indem sie erkennt, wenn sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand befindet und in diesem Fall in einen Modus schaltet, in dem die Abgasrückführungsquote im Motor erhöht wird und damit die vorgegebenen Abgasgrenzwerte für eine EU5‑Typengenehmigung eingehalten werden können. Im Realbetrieb auf der Straße kommt dieser Modus hingegen nicht zur Anwendung, weshalb die Abgasrückführungsrate im Motor geringer ist und die Abgaswerte um ein Vielfaches höher sind als am Prüfstand („Umschaltlogik“).
[3] Am 7. November 2016 wurde am Fahrzeug der Klägerin ein Software‑Update durchgeführt, das bewirkt, dass das Fahrzeug nunmehr im Realbetrieb auf der Straße dasselbe Emissionsverhalten zeigt wie bei Abgastests am Prüfstand. Das Fahrzeug bzw dessen Motor verfügt allerdings nach wie vor über eine Vorrichtung („Thermofenster“), mit der die Abgasrückführung derart gesteuert wird, dass im Realbetrieb auf der Straße eine volle Abgasrückführung nur zwischen 15 und 33 Grad Celsius stattfindet. Temperaturen unter 15 Grad Celsius herrschen in Österreich während großer Teile des Jahres vor.
[4] Die Klägerin begehrt, unter anderem gestützt auf Gewährleistung, die Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückstellung des Fahrzeugs und der Winterreifen.
[5] Die Beklagte wendet insbesondere ein, das Fahrzeug weise keinen Mangel (mehr) auf. Jedenfalls stünde ihr aber für den Gebrauch des Fahrzeugs durch die Klägerin auf Basis des ursprünglichen Kaufpreises und des nunmehrigen Händlereinkaufspreises ein Benützungsentgelt von 33.288 EUR zu, das aufrechnungsweise gegen die Klageforderung eingewendet werde.
[6] Das Erstgericht hob die beiden Kaufverträge auf und sprach aus, dass die Klageforderung mit 42.439 EUR und die Gegenforderung mit 32.500 EUR zu Recht bestehe, weshalb es die Beklagte zur Rückzahlung von 9.939 EUR sA Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs und der Winterräder verpflichtete und das Mehrbegehren auf Zahlung von 32.500 EUR sA abwies. Beim Fahrzeug liege nach wie vor eine gemäß Art 5 Abs 3 der Verordnung (EG) Nr 715/2007 unzulässige Abschalteinrichtung vor. Das Wandlungsbegehren sei daher berechtigt, und zwar auch in Bezug auf die Winterreifen, weil es sich beim Kauf des Fahrzeugs und der Winterreifen um einen einheitlichen Vertrag gehandelt habe. Die Klägerin schulde im Gegenzug allerdings ein Benützungsentgelt für den Gebrauch des Fahrzeugs, das in der Differenz zwischen dem angemessenen Kaufpreis und dem Händlereinkaufspreis bei Schluss der Verhandlung bestehe. Hinsichtlich der Winterreifen sei angesichts ihrer allgemein erwartbaren Lebensdauer ein Benützungsentgelt in der Höhe des Kaufpreises anzusetzen.
[7] Das Berufungsgericht hob dieses Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Der Europäische Gerichtshof habe in der Vorabentscheidung vom 14. Juli 2022, C‑145/20 , klargestellt, dass eine Abschalteinrichtung (hier in Form eines „Thermofensters“), die die Wirkung des Abgasrückführungssystems (Emissionskontrollsystems) im Normalbetrieb verringere, unzulässig iSd Art 5 Abs 2 VO 2007/715/EG sei. Der Ausnahmetatbestand (Schutz vor unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall durch eine Fehlfunktion des Abgasrückführungssystems) könne nur ausnahmsweise im Einzelfall erfüllt sein. Im fortgesetzten Verfahren werde das Erstgericht daher zu klären haben, ob die Emissionsgrenzwerte überschritten würden und es sich in concreto um eine nach Art 5 Abs 2 lit a der genannten Verordnung zulässige Maßnahme handle. Dazu fehlten bisher Feststellungen.
Rechtliche Beurteilung
[8] Der Rekurs der Klägerin ist zulässig, aber im Ergebnis nicht berechtigt.
[9] 1. Der Oberste Gerichtshof hat mittlerweile nach Einholung der Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 14. Juli 2022, C‑145/20 , zu 10 Ob 2/23a mit ausführlicher Begründung klargestellt, dass die ursprünglich bei Fahrzeugen mit einem Dieselmotor wie im vorliegenden Fall bestehende „Umschaltlogik“ eine gemäß Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG verbotene Abschalteinrichtung darstellt, weshalb ein Sachmangel vorliegt, der durch das – auch beim Fahrzeug der Klägerin durchgeführte – Software-Update nicht behoben wurde, weil diese Software ein „Thermofenster“ beinhaltet, aufgrund dessen die Abgasrückführung nur bei Außentemperaturen zwischen 15 und 33 Grad Celsius und damit im deutschsprachigen Raum nur in vier oder fünf Monaten im Jahr voll aktiv ist (in diesem Sinn auch jüngst 3 Ob 140/22t und 3 Ob 142/22m). Daran ist festzuhalten. Da diese Abschalteinrichtung also jedenfalls unzulässig ist, kommt es auf die Voraussetzungen des Motorschutzes nicht an (vgl 10 Ob 2/23a Rz 62).
[10] 2. Hingegen kommt es darauf an, ob trotz in Funktion befindlicher Abschalteinrichtung („Thermofenster“) die Emissionsgrenzwerte (NOx) im realen Straßenverkehr nicht überschritten werden.
[11] 3. In Hinblick darauf ist das Berufungsgericht im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass das Wandlungsbegehren der Klägerin noch nicht entscheidungsreif ist.
[12] 4. Nach Auflösung eines Vertrags durch Anfechtung oder Wandlung hat gemäß § 877 (bei Gewährleistung iVm § 932 ABGB) iVm §§ 1435 ff ABGB jeder Teil alles zurückzustellen, was er aus einem solchen Vertrag zu seinem Vorteil erlangt hat. Stehen beiden Teilen Rückforderungsansprüche zu, so brauchen diese nur Zug um Zug erfüllt zu werden. Bei der Kondiktion von Leistungen aus gegenseitigen Verträgen, bei denen die Parteien regelmäßig von der Annahme einer Äquivalenz der beiderseitigen Leistungen ausgehen, ist zwar grundsätzlich eine Verpflichtung des redlichen Besitzers, die nach der Herstellung des Austauschverhältnisses bezogenen Früchte und Nutzungen herauszugeben, zu verneinen; eine solche – einem Anspruch auf Benützungsentgelt entgegenstehende – „Pauschalverrechnung“ setzt allerdings voraus, dass die Hauptleistungen als annähernd gleichwertig angesehen werden können, woran es aber fehlt, wenn die benützte Sache – wie dies bei Kraftfahrzeugen angenommen wird – einer starken gebrauchsbedingten Wertminderung unterliegt. Die Klägerin hat der Beklagten daher ein Benützungsentgelt für die Nutzung des Fahrzeugs zu entrichten (10 Ob 2/23a mwN; ebenso jüngst 3 Ob 140/22t und 3 Ob 142/22m).
[13] 5. Was nun die Höhe dieses Benützungsentgelts anlangt, ist der Oberste Gerichtshof zu 10 Ob 2/23a mit ausführlicher Begründung und nach eingehender Auseinandersetzung mit der höchstgerichtlichen Rechtsprechung und dem Schrifttum zu diesem Thema zum Ergebnis gekommen, dass der Ansatz, der Ausmittlung die lineare Wertminderung zugrunde zu legen, in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem der Käufer des Kfz die Wandlung nicht zu vertreten hat, sachgerecht ist, weil der überproportional hohe anfängliche Wertverlust aus dem Verlust der Neuheit der Sache nicht dem Käufer, der die Wandlung nicht zu vertreten hat, aufzuerlegen ist; dem Umstand, dass es sich um einen Neuwagen handelt, wird durch den gegenüber einem Gebrauchtwagen höheren, die Neuheit reflektierenden Kaufpreis, der in die Ausmittlung einfließt, Rechnung getragen. Der Senat hat sich dieser Auffassung jüngst zu 3 Ob 140/22t und 3 Ob 142/22m angeschlossen. Auch daran ist festzuhalten.
[14] 6. In welcher Höhe die Klägerin der Beklagten für die Nutzung des Fahrzeugs ein Benützungsentgelt zu leisten hat, kann noch nicht beurteilt werden, weil nicht feststeht, wie viele Kilometer die Klägerin mit dem Fahrzeug bisher gefahren ist. Auch dies wird vom Erstgericht im fortgesetzten Verfahren zu klären sein.
[15] 7. Der Rekurs muss daher erfolglos bleiben.
[16] 8. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO. Der Rekurs hat zur Klarstellung der Rechtslage beigetragen (vgl RS0035976).
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