OGH 3Ob619/79

OGH3Ob619/7924.9.1980

SZ 53/124

Normen

JN §28
JN §28

 

Spruch:

In vermögensrechtlichen Streitigkeiten ist bei Fehlen eines örtlichen Zuständigkeitstatbestandes die inländische Gerichtsbarkeit nur bei Vorliegen eines besonderen Rechtsschutzbedürfnisses zu bejahen. Die Notwendigkeit der Rechtsverfolgung im Ausland (hier CSSR) allein begrundet ein solches nicht

OGH 24. September 1980, 3 Ob 619/79 (OLG Wien 2 R 86/79; HG Wien 38 Cg 588/78)

Text

Die Klägerin begehrt von der Beklagten, die ihren Sitz in der CSSR hat, mit der Behauptung, daß die Beklagte die Bestellung von 72 M-Schwebstoff- Luftfilterzellen zu Unrecht - ohne Nachfristsetzung - storniert habe, die Zahlung von 218 196 Schilling samt Anhang Zug um Zug gegen Übernahme der Ware. Als Zuständigkeitsgrunde machte die Klägerin geltend, daß als Erfüllungsort Wien vereinbart worden sei, die Beklagte Anspruch auf Lieferung der Ware Zug um Zug gegen Zahlung des Preises habe und daß sich bei der Botschaft der CSSR ein Repräsentant der Beklagten befinde. Für den Fall des Fehlens der Voraussetzungen für die örtliche Zuständigkeit eines inländischen Gerichtes beantragte die Klägerin die Vorlage des Aktes an den OGH zwecks Bestimmung eines Gerichtes nach § 28 JN. Die inländische Gerichtsbarkeit sei auf Grund des § 36 IPRG gegeben.

Die Beklagte erhob die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit, da der Erfüllungsort nicht vereinbart worden sei und auch die Voraussetzungen des § 99 JN nicht vorlägen.

Das Erstgericht wies die Klage auf Grund abgesonderter Verhandlung wegen örtlicher Unzuständigkeit des angerufenen Gerichtes und wegen des Fehlens der inländischen Gerichtsbarkeit zurück.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Klägerin teilweise Folge und hob den Beschluß des Erstgerichtes im Ausspruch über das Fehlen der inländischen Gerichtsbarkeit und der Zurückweisung der Klage auf. Im übrigen bestätigte es den Beschluß des Erstgerichtes. Das Rekursgericht billigte die Ansicht des Erstgerichtes, daß kein inländisches Gericht örtlich zuständig sei. Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung des OGH führe in vermögensrechtlichen Streitigkeiten des Fehlen eines örtlichen Zuständigkeitstatbestandes grundsätzlich auch zur Verneinung der inländischen Gerichtsbarkeit. Diese bestehe in Ausnahmefällen, wie etwa bei der Übernahme der internationalen Zuständigkeit durch Staatsvertrag, bei einer Gesetzeslücke oder beim Vorliegen eines besonderen Rechtsschutzbedürfnisses für die Rechtsverfolgung im Inland. Das Bedürfnis nach Belangung ausländischer Schuldner vor inländischen Gerichten reiche hiezu in der Regel nicht aus, wenn die Rechtsverfolgung im Ausland nicht zumutbar und ohne Schwierigkeiten möglich sei und auch Gewähr für die Vollstreckbarkeit der ausländischen Entscheidung im Inland bestehe. Die inländische Gerichtsbarkeit sei jedoch dann gegeben, wenn die österreichische Rechtsordnung in einem bestimmten Fall die Entscheidung einer ausländischen Behörde nicht anerkenne oder nicht vollstrecke, der Rechtsweg offenstehe, und überdies ein inländisches Tatbestandmerkmal, wie z. B. die österreichische Staatsbürgerschaft einer Partei usw., vorliege. Nach Art. 1 des Rechtshilfevertrages zwischen der CSSR und der Republik Österreich, BGBl. Nr. 309/1972, sei der Klägerin die Rechtsverfolgung vor einem Gericht in der CSSR rechtlich möglich. Die Klägerin habe nicht behauptet, daß diese Rechtsverfolgung mit nennenswerten Schwierigkeiten verbunden sei. Dennoch sei die inländische Gerichtsbarkeit zu bejahen, weil ein gegen die Beklagte erwirktes Urteil eines tschechoslowakischen Gerichtes mangels verbürgter Gegenseitigkeit in Österreich nicht vollstreckbar wäre. Mit dem Sitz der Klägerin im Inland sei ein Anknüpfungspunkt für die inländische Gerichtsbarkeit gegeben. Das Erstgericht habe daher die inländische Gerichtsbarkeit zu Unrecht verneint.

Der Oberste Gerichtshof stellte über den Revisionsrekurs der Beklagten die Entscheidung des Erstgerichtes wieder her.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Der Umfang der inländischen Gerichtsbarkeit ist im Gesetz nicht klar abgegrenzt. In den §§ 28, 42 JN sind die Grenzen der österreichischen Entscheidungsgewalt als abgesteckt vorausgesetzt, tatsächlich aber nirgends ausdrücklich abgesteckt (so bereits Pollak, System des österreichischen Zivilprozeßrechtes[2], 249). Lediglich für Statussachen und für Nachlaßsachen finden sich klare Abgrenzungsnormen. In der Entscheidung SZ 23/293 wurde davon ausgegangen, daß die inländische Gerichtsbarkeit universalen Charakter habe und keiner positiven Anordnung bedürfe, daher immer dann als gegeben anzusehen sei, wenn sie nicht durch Völkerrechtsnorm oder durch eine Bestimmung des inländischen Rechtes im Einzelfall ausgeschlossen sei (vgl. Matscher, Funktion und Tragweite der Bestimmung des § 28 JN in FS Schwind 173 ff., 176; SZ 42/189; EvBl. 1976/110). Die Auffassung, daß die inländische Gerichtsbarkeit im Zweifel immer gegeben sei, ist jedoch durch die neuere Lehre und Rechtsprechung (Kralik, Die internationale Zuständigkeit, ZZP 1961, 18, 26 ff.; Schwimann, Internationales Zivilverfahrensrecht, 23 ff.; EvBl. 1978/131 mit Zustimmung von Pfersmann in JBl. 1978, 653; EvBl. 1978/10; ZÖR 1978, 264; 1979/94; ZfRV 1979, 277 mit Besprechung von Hoyer) überholt. Wohl ist der Grundsatz der Universalität völkerrechtlich unbedenklich; die Grenzen der inländischen Gerichtsbarkeit sind aber dem inländischen Recht zu entnehmen. Die Abgrenzung kann auch indirekt dadurch erfolgen, daß die Normen über die Verteilung der staatlichen Rechtsschutzaufgaben gewollte Lücken offen lassen. Einen Anhaltspunkt dafür, wann nach dem Willen des Gesetzgebers die inländische Gerichtsbarkeit anzunehmen sein soll, geben die Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit der Gerichte. Der Gesetzgeber, dessen Aufgabe es ist, die innerstaatlichen Grundsätze hiefür aufzustellen, hat nämlich zweifellos die Absicht gehabt, alle Rechtssachen, für die er die inländische Gerichtsgewalt begrunden wollte, auch einem inländischen Gericht zuzuweisen. Das Fehlen eines örtlichen Zuständigkeitstatbestandes in den Normen des inländischen Zivilprozeßrechtes ist daher ein Indiz dafür, daß die betreffende Rechtssache nach dem Willen des Gesetzgebers nicht der österreichischen Jurisdiktion unterworfen werden sollte. Die Bestimmungen über die örtliche Zuständigkeit haben somit eine Doppelfunktion: sie bewirken die Arbeitsteilung zwischen den inländischen Gerichten gleicher Type und regeln grundsätzlich auch die inländische Gerichtsbarkeit (EvBl. 1978/10 u. a.).

Der OGH vertritt nunmehr unter Berücksichtigung der Rechtslehre den Standpunkt, daß in vermögensrechtlichen Streitigkeiten im Falle des Fehlens eines örtlichen Zuständigkeitstatbestandes die inländische Gerichtsbarkeit nur in Ausnahmefällen zu bejahen ist, bei Übernahme der internationalen Zuständigkeit durch Staatsvertrag, bei einer echten Gesetzeslücke (z. B. Amtshaftungsansprüche) oder bei Vorliegen eines besonderen Rechtsschutzbedürfnisses für die Rechtsverfolgung im Inland (EvBl. 1978/10 und 131; EvBl. 1979/174). Eine durch Staatsvertrag übernommene Verpflichtung, Rechtsstreitigkeiten wie die vorliegende von österreichischen Gerichten entscheiden zu lassen, besteht nicht. Der Mangel eines örtlichen Zuständigkeitstatbestandes bildet keine ungewollte Unvollständigkeit des Gesetzes. Die inländische Zuständigkeitsordnung stellt Gerichtsstände zur Verfügung, welche die Rechtsverfolgung gegenüber dem Ausland erleichtern sollen (vgl. Pollak a.a.O., 323). Hiezu gehören der Gerichtsstand des Vermögens und des Streitgegenstandes (§ 99 JN), der Gerichtsstand der Gegenseitigkeit (§ 101 JN) und zum Teil auch der Gerichtsstand des letzten Wohnsitzes und Aufenthaltes (§ 67 JN). Die Tatsache, daß der Gesetzgeber für die Rechtsschutzgewährung in Auslandsfällen eigens vorgesorgt und zu diesem Zweck die Grenzen des Tätigkeitsbereiches der inländischen Gerichte außerordentlich weit gezogen hat, läßt den Schluß zu, daß darüber hinausgehende Fälle nach dem Willen des Gesetzgebers nur dann vor ein inländisches Gericht gebracht werden können, wenn im Einzelfall ein besonderes Rechtsschutzbedürfnis für die Rechtsverfolgung im Inland besteht (vgl. EvBl. 1978/10 und 131 u. a.). Fehlt die inländische Gerichtsbarkeit, kommt auch eine Ordination nach § 28 JN nicht in Betracht, weil die inländische Gerichtsbarkeit nicht durch eine gerichtliche Ordination erweitert werden kann. Voraussetzung einer Ordination ist ja das Bestehen der inländischen Gerichtsbarkeit (ZOR 1978, 264).

Ein besonderes Rechtsschutzbedürfnis für die Verfolgung im Inland ist zweifellos dann nicht gegeben, wenn die Rechtsverfolgung im Ausland zumutbar und ohne Schwierigkeiten möglich und die Vollstreckbarkeit der Entscheidung der ausländischen Behörde im Inland gewährleistet ist. Ein solches Bedürfnis und damit die inländische Gerichtsbarkeit wäre zu bejahen, wenn die Ablehnung der Rechtsschutzgewährung vor einem inländischen Gericht im Einzelfall einer Rechtsverweigerung gleichkäme (Pollak a.a.O., 250; EvBl. 1966/452). Im vorliegenden Fall kann, wie dem Rekursgericht beizupflichten ist, nicht gesagt werden, daß die Rechtsverfolgung im Ausland unzumutbar oder unverhältnismäßig erschwert wäre. Der Umstand, daß ein im Ausland erwirktes Urteil, wie hier, mangels verbürgter Gegenseitigkeit im Inland nicht vollstreckt werden könnte, reicht nicht aus, um ausnahmsweise ein Bedürfnis für die Rechtsverfolgung im Inland anzuerkennen. Ein inländischer Exekutionstitel wäre für die Klägerin im Inland mangels eines inländischen Vermögens der Schuldnerin faktisch wertlos; in der CSSR könnte er mangels verbürgter Gegenseitigkeit nicht vollstreckt werden. Besäße die Beklagte Vermögen im Inland, bedürfte es keines besonderen Rechtsschutzbedürfnisses, weil die inländische Gerichtsbarkeit schon mit Rücksicht auf den Zuständigkeitstatbestand des § 99 JN gegeben wäre (auf diesen "inneren Bezug" zwischen Rechtsverfolgung und Rechtsdurchsetzung bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten weist auch Bajons in ZfRV 1972, 110, 111 hin). Die in der Entscheidung JBl. 1976, 267, vertretene gegenteilige Ansicht, die auch in der Literatur (Matscher a.a.O., 193; Pfersmann in JBl. 1978, 656) auf Ablehnung gestoßen ist, kann nach den vorstehenden Ausführungen nicht aufrechterhalten werden.

Der Vollständigkeit halber ist noch zu bemerken, daß die tatsächlichen Voraussetzungen des Zuständigkeitstatbestandes nach § 101 JN weder behauptet wurden noch offenkundig sind.

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