OGH 3Ob569/91

OGH3Ob569/9126.8.1992

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta, Dr.Klinger, Dr.Angst und Dr.Graf als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj.Kornelia P*****, infolge Revisionsrekurses des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgerichtes vom 26.Juni 1991, GZ 44 R 491/91-192, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Favoriten vom 29.April 1991, GZ 6 P 3/82-188, bestätigt wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß unter Abweisung des Mehrbegehrens die dem Kind für die Zeit vom 1.4. bis 31.5.1991 gebührenden monatlichen Unterhaltsvorschüsse mit 1.085 S festgesetzt werden.

Text

Begründung

Der Unterhaltsberechtigten, einem am 30.8.1974 geborenen Kind, werden seit einigen Jahren Unterhaltsvorschüsse gewährt. Der vom unterhaltspflichtigen Vater zu leistende Unterhalt wurde zuletzt ab 1.9.1989 mit 2.200 S im Monat bestimmt und es wurden dem Kind Unterhaltsvorschüsse in gleicher Höhe bewilligt. Sie wurden in der Folge ab 1.8.1990 auf 1.425 S im Monat eingeschränkt, weil das Kind seit diesem Tag auf Grund eines Lehrverhältnisses 3.575 S durchschnittlich im Monat verdiente.

In einem am 27.4.1991 beim Erstgericht eingelangten Antrag brachte der zuständige Jugendwohlfahrtsträger im Namen des Kindes vor, daß der Unterhaltsschuldner seit 3.9.1990 auf Grund einer Anordnung in einem strafgerichtlichen Verfahren eine Freiheitsstrafe verbüße, und beantragte einen Unterhaltsvorschuß in der Höhe der Richtsätze nach § 6 Abs 2 Z 2 UVG "bzw im Ausmaß von monatlich 2.000 S". Aus einem weiteren, hier nicht zu beurteilenden Antrag auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen geht hervor, daß der Unterhaltsschuldner am 17.5.1991 aus der Haft entlassen wurde.

Das Erstgericht gewährte dem Kind für die Zeit vom 1.4. bis 31.5.1991 einen monatlichen Unterhaltsvorschuß in der Höhe "höchstens dreier Viertel des jeweiligen Richtsatzes für pensionsberechtigte Halbwaisen nach § 293 Abs 1 Buchst c bb erster Fall, § 108 f ASVG, jedoch höchstens mtl 1.800 S". Es ging davon aus, daß das Kind (als Lehrling) ein durchschnittliches monatliches Einkommen von 3.800 S beziehe. Da es "nach der ständigen Rechtsprechung" einen Unterhaltsanspruch von 5.600 S im Monat abzüglich des eigenen Einkommens habe, sei ihm ein Unterhaltsvorschuß in der Höhe des Differenzbetrages zu bewilligen.

Das Rekursgericht gab dem vom Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien gegen diesen Beschluß des Erstgerichtes erhobenen Rekurs nicht Folge und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Der vom Obersten Gerichtshof in den Entscheidungen 6 Ob 598/90 und 7 Ob 519/91 vertretenen Rechtsansicht, wonach die im § 6 UVG angeführten Grenzbeträge durch eigene Einkünfte des unterhaltsberechtigten Kindes gemindert würden, könne nicht gefolgt werden. Der durch die Vorschüsse zu deckende Unterhaltsanspruch ergebe sich aus der Differenz zwischen dem eigenen Einkommen und dem Richtsatz für Ausgleichszulagen für Pensionsberechtigte aus eigener Pensionsversicherung (nach § 293 Abs 1 lit a bb ASVG). Der vom Erstgericht zugesprochene Betrag von 1.800 S im Monat übersteige einerseits zusammen mit den eigenen Einkünften des Kindes diesen Richtsatz nicht und liege auch innerhalb des Richtsatzes für Waisenpensionen, weshalb kein Hindernis für die Gewährung des Vorschusses in dieser Höhe bestehe.

Rechtliche Beurteilung

Der vom Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien gegen diesen Beschluß des Rekursgerichtes erhobene Revisionsrekurs ist teilweise berechtigt.

In der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes wurde bisher nur die Frage verschieden gelöst, ob bei den sogenannten Titelvorschüssen nach § 6 Abs 1 UVG eigene Einkünfte des Kindes von dem nach der angeführten Gesetzesstelle für die Höhe der Vorschüsse maßgebenden Richtsatz einfach abzuziehen seien und nur der Unterschiedsbetrag als Vorschuß zu gewähren oder ob zu ermitteln sei, mit welchem Betrag die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht trotz der eigenen Einkünfte des Kindes noch weiterbesteht, und der gewährte Vorschuß bloß dem Ergebnis dieser Prüfung anzupassen sei. Um diese Frage, auf die sich auch die vom Rekursgericht zitierten Entscheidungen bezogen und die in der Zwischenzeit von einem verstärkten Senat des Obersten Gerichtshofes (Entscheidung vom 26.8.1992, 1 Ob 560/92) im Sinn der zweiten Meinung gelöst wurde, geht es hier aber nicht, weil der Beschluß des Erstgerichtes den sogenannten Haftvorschuß nach § 4 Z 3 UVG zum Gegenstand hatte. Der Oberste Gerichtshof hat hiezu in den Entscheidungen 7 Ob 568/91 (obiter) und 7 Ob 512/92 (tragend) unter Hinweis auf die Erläuterungen zur Regierungsvorlage der UVGNov 1980/278 (276 BlgNR 15.GP 11 f) ausgesprochen, daß sich Vorschußempfänger nach § 4 Z 3 (oder Z 2) UVG eigene Einkünfte auf den Pauschalbetrag des § 6 UVG anrechnen lassen müssen. Der erkennende Senat schließt sich dieser, für den Haftvorschuß ohne nähere Begründung, außerdem in der Entscheidung 6 Ob 584/91 = ÖA 1992, 29 vertretenen und nunmehr auch in der erwähnten Entscheidung des verstärkten Senates zum Ausdruck kommenden Auffassung an:

Gemäß § 7 Abs 1 Z 2 UVG hat das Gericht die Vorschüsse ganz oder teilweise zu versagen, soweit in den Fällen des § 4 Z 2 und 3 das Kind eigene Einkünfte hat oder unter Berücksichtigung seiner Lebensverhältnisse selbsterhaltungsfähig ist. Schon der Wortlaut des Gesetzes (arg: "soweit") spricht dafür, daß die (anrechenbaren) eigenen Einkünfte des Kindes den nach § 4 Z 3 UVG gewährten Vorschuß immer vermindern. Daß diese Auslegung der Absicht des Gesetzgebers entspricht, ergibt sich eindeutig aus den schon in den Vorentscheidungen zitierten Erläuterungen zur Regierungsvorlage der UVGNov 1980, in denen die Einfügung des § 7 Abs 1 Z 2 UVG damit begründet wurde, daß das Gericht die Pauschalbeträge des § 6 insoweit herabsetzen können solle, als das Kind eigene Einkünfte hat. Ausdrücklich heißt es dort auch, daß die Vorschüsse nach § 4 Z 2 oder 3 UVG sich "also" um die dem Kind anzurechnenden eigenen Einkünfte verringern. Die Haftvorschüsse unterscheiden sich von anderen Vorschüssen auch grundlegend, weil sie nicht ein titelmäßig festgestelltes oder vermutetes Ausmaß der Geldunterhaltsverpflichtung des Schuldners, sondern nur eine grundsätzlich angenommene, betraglich nicht bestimmte Leistungspflicht zur Grundlage der Vorschußgewährung nehmen und der Vorschußbetrag unmittelbar nach den Richtsatzquoten des § 6 Abs 2 UVG festgelegt wird (6 Ob 584/91 = ÖA 1992, 29). Diesen Unterschied zu den sogenannten Titelvorschüssen hat das Rekursgericht in seiner Entscheidung verkannt. Die Erwägungen, die zuletzt in der bereits zitierten Entscheidung des verstärkten Senates zur Ablehnung der - auch vom Rekursgericht nicht geteilten - Ansicht geführt haben, die Einkünfte des Kindes seien vom bisher als Vorschuß gewährten Betrag einfach abzuziehen, kommen bei Haftvorschüssen nicht zum Tragen.

Beim Unterhaltsanspruch hat der Oberste Gerichtshof allerdings ein Einkommen des Kindes, das noch nicht die Selbsterhaltungsfähigkeit herbeiführt, nicht einfach vom vorher geleisteten Geldunterhalt abgezogen. Solche Einkünfte des Unterhaltsberechtigten dürften weder zu einer einseitigen Entlastung nur des Geldunterhaltspflichtigen (und nicht auch des anderen Elternteils) noch dazu führen, daß der Unterhaltsberechtigte seine - durch mangelnde Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen bewirkte - eingeschränkte Bedürfnisbefriedigung nur deswegen beibehalten soll, um den Geldunterhaltspflichtigen noch weiter zu entlasten (SZ 63/101 = ÖA 1991, 77; EFSlg 62.644 = ÖA 1991, 53; verstärkter Senat 1 Ob 560/92 ua). Diesen Grundsatz hat der Oberste Gerichtshof in den Entscheidungen 6 Ob 584/91 = ÖA 1992, 29 und 7 Ob 512/92 auch für Haftvorschüsse als maßgebend angesehen. Der erkennende Senat hält an dieser Auffassung fest:

Der Wortlaut des Gesetzes und die Gesetzesmaterialien deuten zwar, wie schon erwähnt wurde, in die Richtung, daß eigene Einkünfte des Kindes (allenfalls nach Abzug der durch die Erzielung verursachten Kosten) zur Gänze zu berücksichtigen seien. Gemäß § 7 Abs 3 UVG dürfen aber Vorschüsse nicht deshalb versagt werden, weil die Unterhaltspflicht eines sonst Unterhaltspflichtigen besteht. Dies trifft aber dann, wenn sich der sonst zum Geldunterhalt verpflichtete Elternteil in Haft befindet, auf den das Kind betreuenden Elternteil regelmäßig zu, weil er gemäß § 140 Abs 2 letzter Satz ABGB über die Betreuung hinaus zum Unterhalt des Kindes beizutragen hat, soweit der andere Elternteil zur vollen Deckung der Bedürfnisse des Kindes nicht imstande ist. Die vollständige Berücksichtigung der eigenen Einkünfte des Kindes würde daher im allgemeinen dazu führen, daß die Vorschüsse durch Leistungen des anderen Elternteils ersetzt werden müßten. Gerade dies soll aber durch § 7 Abs 3 UVG verhindert werden. Überdies ist im § 29 UVG vorgesehen, daß der Unterhaltsschuldner dem Bund die gewährten Haftvorschüsse unter bestimmten Voraussetzungen zurückzahlen muß. Würden die eigenen Einkünfte des Kindes zur Gänze berücksichtigt, so würde dies zur einseitigen Entlastung des Unterhaltsschuldners führen, wenn die Voraussetzungen für die Rückzahlungspflicht gegeben wären. Aus § 7 Abs 3 UVG ist aber auch abzuleiten, daß dies nicht dem Willen des Gesetzesgebers entspräche. Es ist vielmehr anzunehmen, daß der Gesetzgeber auch bei Haftvorschüssen an dem Grundsatz, wonach eigene Einkünfte des Kindes auch den das Kind betreuenden Elternteil entlasten sollen, nichts ändern wollte, weshalb § 7 Abs 1 Z 2 UVG in dem Sinn zu verstehen ist, daß eigene Einkünfte des Kindes den Haftvorschuß nur mit dem Anteil verringern, der auf den in Haft befindlichen Elternteil entfällt. Hiezu ergibt sich aus der schon zitierten Entscheidung des verstärkten Senates des Obersten Gerichtshofes, daß eigene Einkünfte des Kindes in der auch hier bedeutsamen Altersgruppe von 15 bis 19 Jahren auf die Unterhaltsleistungen der Eltern in der Regel zu gleichen Teilen anzurechnen sind.

Der Berechnung des Vorschusses sind hier gemäß § 6 Abs 2 Z 3 UVG drei Viertel des Richtsatzes für pensionsberechtigte Halbwaisen nach § 293 Abs 1 lit c bb erster Fall ASVG zugrundezulegen. Dieser Richtsatz betrug gemäß Art I Z 6 lit a des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 1990 BGBl 741 für April und Mai 1991 3.980 S; drei Viertel hievon ergeben

2.985 S. Hievon sind nach dem Gesagten die Hälfte der Einkünfte des Kindes und somit 1.900 S monatlich abzuziehen, zumal vom Vertreter des Kindes ein durch die Erzielung der Einkünfte verursachter Mehraufwand nicht geltend gemacht wurde. Das Kind hat daher im strittigen Zeitraum einen Anspruch auf monatliche Unterhaltsvorschüsse in der Höhe von 1.085 S. Da dieser Betrag unter dem den Kind zuletzt gewährten Vorschuß liegt, muß nicht zur Frage Stellung genommen werden, ob Haftvorschüsse, wie die Vorinstanzen dies getan haben, mit einem höheren Betrag als früher bezahlte Titelvorschüsse gewährt werden dürften.

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