Spruch:
Auf die Gefahr einer Hirnschädigung bei einer bevorstehenden Herzoperation sind der jugendliche Patient und seine Eltern in einem aufklärenden Gespräch aufmerksam zu machen, damit die Entscheidung über die Einwilligung zum ärztlichen Eingriff frei ist
OGH 19. 12. 1984, 3 Ob 562/84 (OLG Wien 11 R 17/84; LGZ Wien 22 Cg 78/81)
Text
Der am 14. 11. 1962 geborene Kläger wurde am 28. 9. 1978 im Allgemeinen Krankenhaus der beklagten Stadt Wien auf der II. Chirurgischen Universitätsklinik wegen eines vorhandenen Herzleidens (Aortenklappenstenose) am Herz operiert. Die Eltern des Klägers stimmten der Operation durch Unterfertigung eines Revers zu. Seit dem Abschluß der Operation leidet der Kläger an einem schweren Hirnschaden (apallisches Syndrom).
Der Kläger behauptet, dieser Hirnschaden sei durch einen Kunstfehler verursacht worden. Falls es sich um eine unvermeidbare Operationsfolge handeln sollte, hafte die beklagte Partei aber dennoch für den beim Kläger eingetretenen Hirnschaden, weil die behandelnden Ärzte weder die Eltern des Klägers noch diesen selbst über diese schwerwiegende Operationsgefahr aufgeklärt hätten. Der Kläger begehrte ein Schmerzengeld von 500 000 S sA und die Feststellung der Haftung der beklagen Partei für künftige Schäden.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Sie bestritt ihre passive Klagslegitimation, weil die Operation im Bereich der vom Bund betriebenen Universitätsklinik durchgeführt worden sei. Ein Kunstfehler sei nicht unterlaufen. Es stehe auch nicht fest, worauf der Hirnschaden überhaupt zurückzuführen sei. Im übrigen handle es sich um einen so unvorhersehbaren Fall, daß keine Aufklärungspflicht bestanden habe.
Die Vorinstanzen trafen im wesentlichen folgende Tatsachenfeststellungen: Der Kläger war bis zu seinem 7. Lebensjahr gesund, dann setzten Herzbeschwerden mit Atemnot und Schwindelgefühl ein. Eine Durchuntersuchung in der kardiologischen Universitätsklinik in Wien ergab, daß eine deutliche Aortenklappenstenose vorlag. Die behandelnden Ärzte rieten zu einer operativen Sprengung der Aortenklappe und drängten die Eltern des Klägers auf eine baldige Operation. Ein erster Operationstermin wurde für Mai 1978 angesetzt, dann aber aus anstaltsinternen Gründen auf Juni 1978 und schließlich auf September 1978 verlegt. Die Operation am 28. 9. 1978 wurde nach den Regeln der ärztlichen Kunst ordnungsgemäß vorbereitet und durchgeführt. Unmittelbar nach der Operation erwachte der Kläger, öffnete die Augen und war ansprechbar. Als er aber in die Intensivstation überführt wurde, trat ein Hirnödem auf. Es kam in der Folge zur Ausbildung eines schweren apallischen Syndroms, das nach den derzeit geltenden medizinischen Erkenntnissen nicht mehr geheilt werden kann. Mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit ist die Ursache dieses Hirnschadens in einem verringerten Sauerstoffangebot im Verlaufe des operativen Eingriffes zu suchen. Dieses verringerte Sauerstoffangebot kann durch ein Gebrechen am Beatmungsgerät oder an der Herz-Lungen-Maschine, durch ein Abfallen von Atmungsschläuchen oder anderen Anschlüssen, eine falsche Einstellung des Sauerstoffnachgasgemisches, ein Kreislaufversagen während oder nach der Operation (zB Herzstillstand, zu niedriger Blutdruck, ein Schockgeschehen nach Blutverlust) oder durch eine Luftembolie bewirkt worden sein. Bei einer Operation dieser Art, vor allem mit Einsatz der Herz-Lungen-Maschine, besteht ein Operationsrisiko einerseits in einer - hier nicht gegebenen - Komplikation im operierten Herzbereich und andererseits in einer hier in Frage kommenden postoperativen Komplikation, wie sie beim Kläger auftrat. Nach der vom Berufungsgericht nicht übernommenen Feststellung des Erstgerichtes tritt ein apallisches Syndrom als Operationsfolge in etwa 1 vH der Fälle auf. Die vorgenommene Herzoperation war an sich notwendig, um die Lebenserwartung des Klägers zu erhöhen. Um eine Notoperation im engeren Sinn handelte es sich aber nicht. Eine Aufklärung der Eltern des Klägers über das erwähnte Operationsrisiko fand nicht statt. Die Eltern des Klägers brachten ihren Sohn am 25. 9. 1978 ins Krankenhaus. Der Vater des Klägers unterschrieb an diesem Tag den ihm von einer diensthabenden Schwester vorgelegten Revers, der keinerlei Hinweis auf Operationsgefahren enthielt. Die Schwester erklärte den Eltern, daß der Kläger am Nachmittag von einem Arzt untersucht werde und die Operation für den 28. 9. 1978 vorgesehen sei. Kontakte sonstiger Art zwischen den letztlich den Eingriff am Kläger durchführenden Ärzten oder sonstigem ärztlichen Personal hatten die Eltern des Klägers nicht. Sie wußten wohl, daß an ihrem Sohn eine Herzoperation vorgenommen werde; auf allfällige Gefahren oder Folgen der geplanten Operation wurden sie aber durch keinen Arzt der II. Chirurgischen Universitätsklinik hingewiesen.
Das Erstgericht fällte ein Zwischenurteil, wonach das Leistungsbegehren und das Feststellungsbegehren dem Gründe nach zu Recht bestunden. Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil.
Beide Vorinstanzen bejahten die passive Klagslegitimation der Beklagten, weil die Republik Österreich in ihrer Eigenschaft als Rechtsträger der Universität Wien zumindest auch als Betriebsführerin der beklagten Partei anzusehen sei, da die beklagte Partei die ärztlichen Leistungen in dem von ihr betriebenen Krankenhaus zum Teil von Dienstnehmern der Republik Österreich erbringen lasse. Die beklagte Partei hafte im übrigen für die von den zuständigen Ärzten unterlassene Aufklärung über das bestehende Operationsrisiko. Die Operation sei nicht so dringend gewesen, daß man auf die Aufklärung verzichten habe können. Da die Aufklärung den Eltern des Klägers gegenüber stattfinden hätte müssen, habe auch nicht die Gefahr bestanden, daß die Heilung des Klägers dadurch gefährdet würde, daß bei ihm zu große Furcht vor einem schlechten Ausgang der Operation erzeugt hätte werden können.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei nicht Folge mit der Klarstellung, daß über das Feststellungsbegehren mit Teilurteil und über das Leistungsbegehren mit Teilzwischenurteil entschieden wurde.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Vorweg kann auf die vom Berufungsgericht ausführlich wiedergegebenen Grundsätze zur Aufklärungspflicht eines Chirurgen verwiesen werden, wie sie in der Entscheidung des OGH vom 23. 6. 1982, 3 Ob 545/82, näher dargelegt wurden (SZ 55/114 = JBl. 1983, 373, mit Glosse von Holzer; s. zu dieser Entscheidung auch ausführlich Haslinger in Österr. Krankenhauszeitung 1982, 563 f.), an denen der erkennende Senat weiterhin festhält. Danach darf der Arzt eine Operation der vorliegenden Art (unmittelbare Lebensgefahr bestand nicht) nur mit Einwilligung des Patienten vornehmen, wobei die Einwilligung nur dann wirksam abgegeben werden kann, wenn der Patient über die Bedeutung des vorgesehenen ärztlichen Eingriffes und seine möglichen Folgen hinreichend aufgeklärt wurde. Für den Fall der Verletzung der Aufklärungspflicht trifft den Arzt bzw. den für das Fehlverhalten ihrer Ärzte haftenden Krankenanstaltsträger die Beweislast dafür, ob der Patient auch bei ausreichender Aufklärung die Zustimmung zur Operation erteilt hätte.
Daraus ergibt sich schon, daß die fehlende Tatsachenbehauptung und Tatsachenfeststellung, ob die Eltern des Klägers der Operation auch dann zugestimmt hätten, wenn sie darauf hingewiesen worden wären, daß bei einer so schweren Herzoperation unter Umständen auch eine Hirnschädigung auftreten könne, nicht zu Lasten der klagenden Partei, sondern zu Lasten der beklagten Partei geht. Zu Lasten der beklagten Partei wirkt sich aber auf Grund dieser Beweislastlage auch die weitere Frage aus, ob die Eltern des Klägers überhaupt berechtigt gewesen wären, bei entsprechender Aufklärung die Zustimmung zur Operation zu verweigern. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß der Kläger im Zeitpunkt der Operation schon fast 16 Jahre alt war.
Der Kläger war damit schon in einem urteilsfähigen Alter und konnte daher sein höchstpersönliches Recht auf Erteilung der Einwilligung der an ihm vorgesehenen Operation unter Umständen schon selbst ausüben. Wegen der Schwere des Eingriffes mußten aber jedenfalls auch die sorgeberechtigten Eltern zustimmen (vgl. dazu ausführlich Edlbacher, ÖJZ 1982, 365 f.). Hätten die Eltern des Klägers nach entsprechender Aufklärung die Zustimmung zur Operation entgegen eindeutiger therapeutischer Situation verweigert und damit vielleicht das Wohl des Klägers gefährdet, so wäre den behandelnden Ärzten die Anrufung des Gerichtes gemäß § 176 Abs. 1 ABGB offen gestanden. Ob das Pflegschaftsgericht die Zustimmung zur Operation erteilt hätte, steht trotz der von den Vorinstanzen festgestellten Indikation nicht fest. Ein verantwortungsbewußter Pflegschaftsrichter hätte vielleicht nach Rücksprache mit dem Kläger, seinen Eltern und den behandelnden Ärzten die schwerwiegende Entscheidung bis zur Volljährigkeit des Klägers aufgeschoben, wenn der Aufschub der Operation unter Würdigung der Operationsrisiken vertretbar gewesen wäre. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, daß schon jetzt feststehe, die Zustimmung wäre, wenn schon nicht vom Kläger selbst oder seinen Eltern, so doch jedenfalls vom Gericht erteilt worden. Diese Unsicherheit geht zu Lasten der beklagten Partei.
Damit kann zur grundlegenden Frage dieses Rechtsstreites übergeleitet werden, ob der Chirurg vor einer Herzoperation der vorlie genden Art den Patienten und auch dessen Eltern auf das Risiko eines Hirnschadens hinweisen muß oder nicht. Von der schon erwähnten Entscheidung des OGH SZ 55/114 unterscheidet sich dieser Fall dadurch, daß die mit der Durchführung der Operation betrauten Ärzte vor der Operation zwar mit dem Kläger selbst sprachen, aber überhaupt nicht mit seinen Eltern Kontakt aufnahmen. Sie konnten sich daher nicht davon vergewissern, ob die Eltern schon von anderer Seite (etwa von den die Operationsvornahme nahelegenden Kardiologen) über die Operationsrisiken aufgeklärt worden waren, ob sie an einer zusätzlichen Aufklärung interessiert waren oder nicht und ob sie sich aus ganz bestimmten Gründen vielleicht völlig dem Vorgehen der operierenden Ärzte anvertrauen wollten. Ein weiterer Unterschied liegt darin, daß nicht ein psychisch labiler und ängstlicher Patient aufzuklären war, sondern, worauf die beiden Vorinstanzen zutreffend hingewiesen haben, in erster Linie die von der Operation selbst nicht betroffenen Eltern, sodaß deren psychische Belastung den Heilungserfolg beim Kläger selbst nicht gefährden konnte. Richtig ist andererseits, daß bei der genannten Entscheidung eine wesentlich größere Komplikationswahrscheinlichkeit bestand als im vorliegenden Fall. Immerhin ist aber für den vorliegenden Fall festgestellt, daß ein Hirnschaden eine der beiden geradezu typischen Operationsrisiken darstellt, mag auch über den genauen Häufigkeitsgrad Streit bestehen und auch im allgemeinen eine derart schwere Hirnschädigung wie gerade beim Kläger nicht eintreten. Eine genaue Feststellung des Häufigkeitsgrades ist aber entbehrlich. Wie der OGH schon in der Entscheidung SZ 55/14 ausführte, kommt es nämlich nicht auf bestimmte Prozentsätze an. Es ist der beklagten Partei zuzugestehen, daß nicht nur auf allgemeine statistische Werte abgestellt werden darf, sondern daß es auf die konkreten Verhältnisse in der Klinik der beklagten Partei ankommt, wenn es sich dabei etwa um ein bei Herzoperationen dieser Art besonders erfolgreiches Krankenhaus handeln sollte (vgl. dazu Giesen JZ 1982, 345 und 391, dort S 394). Wenn aber feststeht, daß Hirnschäden wegen der Art der Operation, ihrer Dauer und der Notwendigkeit der Einschaltung einer Herz-Lungen-Maschine an sich in einem nicht mehr zu vernachlässigenden Häufigkeitsgrad als geradezu typische Operationsfolge auftreten können, dann muß gefordert werden, daß der Patient vor einer Herzoperation einerseits auf die Gefährlichkeit der Herzoperation an sich, aber andererseits auch auf die zwar seltene, aber nie ganz auszuschließende Gefahr einer Hirnschädigung hingewiesen wird. Das Berufungsgericht führt hier mit Recht aus, daß letzten Endes nicht der Arzt, sondern der Patient entscheiden soll, ob er lieber die rein von der Wahrscheinlichkeit her gesehen größere Gefahr eines plötzlichen Herztodes bei Unterlassung der Operation oder eine zwar ungleich unwahrscheinlichere und nur höchst selten auftretende, für ihn persönlich aber vielleicht viel schwerer wiegende Hirnschädigung als Folge einer Herzoperation riskiert.
Dabei soll nicht übersehen werden, daß ein Patient durch diese Entscheidung unter Umständen schwersten psychischen Belastungen ausgesetzt werden mag, sodaß man versucht sein könnte, das Selbstbestimmungsrecht des Patienten nicht mehr als eine Rechtswohltat, sondern als eine unzumutbare Plage und letztlich eine Unmenschlichkeit gegenüber dem Patienten aufzufassen (so kürzlich etwa Tröndle, MDR 1983, 881 f.). Andererseits kann aber nicht die Haltung von Ärzten gebilligt werden, die über den Kopf des Patienten hinweg selbstherrlich alles allein entscheiden. Zumindest muß daher gefordert werden, daß der Arzt vor einer so schweren Operation durch ein Gespräch mit dem Patienten bzw. wie im vorliegenden Fall durch ein Gespräch auch mit den Eltern des Patienten herausfindet, wieweit eine Aufklärung über Operationsnebenwirkungen gewünscht wird und auch menschlich verkraftet werden kann (Rieger, Lexikon des Arztrechtes 1984, Rdz. 266). Erst nach einem solchen Gespräch könnte beurteilt werden, ob dem Arzt im Interesse der Heilung des Patienten eine weitere Aufklärung nicht mehr zugemutet werden könnte, ob es Anhaltspunkte für einen konkludenten Verzicht des Patienten (bzw. hier der Eltern) auf weitere Aufklärung gibt und dergleichen mehr (s. dazu ausführlich SZ 55/114). Wenn gar kein Gespräch geführt wurde, sondern sich der Chirurg mit der rein im bürokratischen Weg eingeholten Zustimmungserklärung der Eltern begnügte, dann ist nicht der Beweis erbracht, daß den Arzt trotz Unterlassung jeglicher Aufklärung kein Verschulden trifft.
Die Urteile der Vorinstanzen sind hinsichtlich des Feststellungsbegehrens von dem formellen Mangel betroffen, daß es hier schon rein begrifflich kein Zwischenurteil über den Grund des Anspruches gibt (VersG 1977, 169). Entweder das Feststellungsbegehren besteht zu Recht, weil mit künftigen Schäden zu rechnen ist, dann kann ihm schon jetzt stattgegeben werden, oder künftige Schäden sind auszuschließen, dann ist es zur Gänze schon jetzt abzuweisen. Bei der gegebenen Sachlage steht aber wegen der festgestellten Dauerfolgen von vornherein fest, daß mit künftigen Schäden zu rechnen ist, sodaß die Urteile der Vorinstanzen nur dahin verstanden werden können, daß es sich einerseits um ein Zwischenurteil über den Grund des Anspruches hinsichtlich des Leistungsbegehrens und andererseits um ein abschließendes klagsstattgebendes Teilurteil hinsichtlich des Feststellungsbegehrens handeln sollte.
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