Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht wird eine neue Entscheidung nach Ergänzung des Verfahrens aufgetragen.
Text
Begründung
Nach der Scheidung der Ehe ihrer Eltern verblieben die Kinder Alfred, geboren 1972, und Alexandra, geboren 1977, bei ihrer Mutter, wogegen der Vater monatlich S 1.200,-- je Kind an Unterhalt bezahlte; eine gerichtliche Unterhaltsfestsetzung erfolgte vorerst nicht.
Mit Beschluß vom 22.1.1985 wurde die Obsorge für den mj. Alfred mit Zustimmung der Mutter dem Vater übertragen. Alfred hatte sich tatsächlich bereits seit 17.8.1984 bei seinem Vater befunden. Die Obsorge für die mj. Alexandra blieb der Mutter.
Am 16.11.1984 beantragte die Mutter, den Vater zur Zahlung einer monatlichen Unterhaltsleistung von S 2.280,-- für die mj. Alexandra zu verhalten.
Am 13.12.1984 stellte der Vater den Antrag, die Mutter zur Zahlung eines monatlichen Unterhaltsbetrages von S 1.000,-- für den mj. Alfred zu verpflichten; er sei seinerseits bereit, für den Unterhalt der mj. Alexandra S 1.000,-- monatlich an die Mutter zu überweisen. Aus Gründen der Vereinfachung wären die beiden Unterhaltsforderungen gegeneinander aufzurechnen, so daß kein Elternteil dem im Haushalt des anderen lebenden Kind Unterhalt zu leisten habe.
Die Mutter stimmte bei ihrer Vernehmung am 16.1.1985 der Leistung eines Unterhaltsbeitrages von jeweils S 1.000,-- für das im Haushalt des anderen Elternteils wohnende Kind zu und zog ihren darüber hinausgehenden Antrag vom 16.11.1984 zurück.
Mit Beschluß vom 17.1.1985 entschied das Pflegschaftsgericht auf Grund des "Einvernehmens der Eltern" auf Leistung eines Unterhaltsbetrages von je 1.000 S mtl, ohne die Verrechnungsvereinbarung ausdrücklich zu genehmigen.
Am 3.11.1989 beantragte die Mutter "rückwirkend" eine (nicht näher bezeichnete) Erhöhung der Unterhaltsleistung für die mj. Alexandra, da sie erfahren habe, daß eine Alimentenerhöhung ab dem 10. Lebensjahr "gesetzlich" sei. Der Vater sei (weiterhin) bei den Wiener Verkehrsbetrieben beschäftigt. Bei ihrer Vernehmung am 5.1.1990 präzisierte die Mutter, daß sie eine Unterhaltsleistung von S 3.400,-- ab dem 8.6.1987 begehre. Der mj. Alfred befinde sich bereits im zweiten Lehrjahr und sei selbsterhaltungsfähig.
Der Vater erklärte sich zur Leistung des begehrten Unterhalts ab dem 1.2.1990 bereit. Eine rückwirkende Unterhaltserhöhung sei dagegen nicht gerechtfertigt. Sie verstieße mit Rücksicht auf die bestehende Vereinbarung über die beiderseitigen Unterhaltsleistungen gegen Treu und Glauben. Es liege aus diesem Grund auch ein stillschweigender Verzicht auf Unterhaltserhöhung vor.
Das Erstgericht nahm auf Grund der Zustimmung des Vaters mit Beschluß vom 22.3.1990 eine Erhöhung des Unterhalts im beantragten Ausmaß ab dem 1.2.1990 vor. Mit dem weiteren Beschluß vom 23.9.1991 erhöhte es die Unterhaltsverpflichtung des Vaters auf S 3.400,-- monatlich auch für die Zeit vom 8.6.1987 bis 31.1.1990. Das monatliche Durchschnittsnettoeinkommen des Vaters bei den Wiener Verkehrsbetrieben habe 1987 S 23.780,--, 1988 S 23.820,--, 1989 S 24.275,-- und in den Monaten Jänner bis März 1990 S 21.790,-- - jedoch ohne aliquoten Anteil an Sonderzahlungen - betragen. Der Vater habe seit 1.11.1989 nur mehr für die mj. Alexandra zu sorgen. Der zugesprochene Unterhaltsbetrag entspreche den Bedürfnissen des Kindes und der Leistungsfähigkeit des Vaters.
Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Unterhaltsansprüche könnten nach nunmehr ständiger Rechtsprechung grundsätzlich auch für die Vergangenheit gestellt werden. Der Vater habe auch bei Bedachtnahme auf die 1985 getroffene Vereinbarung nicht "gutgläubig" erwarten dürfen, daß die Mutter "weiterhin" auf eine Erhöhung des Unterhalts für die mj. Alexandra verzichte; er hätte daher auch nicht im Vertrauen auf eine Unterhaltsvereinbarung auf die Bildung von Rückstellungen verzichten dürfen. Daß die Unterhaltsforderung gemäß § 1042 ABGB auf sie übergegangen sei, habe die Mutter nicht behauptet. Dies könne auch nicht angenommen werden; denn der Unterhaltsanspruch sei namens des Kindes geltend gemacht worden.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs des Vaters ist im Ergebnis berechtigt. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, daß Eltern mit pflegschaftsbehördlicher Zustimmung eine Vereinbarung treffen können, wie sie in Kenntnis der beiderseitigen Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu dem der Höhe nach nicht geschmälerten Gesamtunterhalt des Kindes beitragen wollen (EFSlg 56.102). Den Eltern bleibt also im Rahmen der gesetzlichen Regelung des § 140 ABGB in der Frage ihrer jeweiligen Beitragsleistung eine gewisse Dispositionsfreiheit gewahrt; sie können eine von § 140 ABGB abweichende Unterhaltsvereinbarung treffen (EFSlg 56.103; EFSlg 50.415).
Auch ein Kind ist an eine pflegschaftsbehördlich genehmigte, im Wissen der beiderseitigen Einkommens- und Vermögensverhältnisse getroffene Vereinbarung seiner Eltern über den vom Vater zu leistenden Unterhaltsbetrag solange gebunden, als dadurch sein Gesamtunterhalt nicht geschmälert wird (7 Ob 634/88; 1 Ob 541/88; EFSlg 40.107 und 47.661).
Im vorliegenden Fall haben die Eltern der beiden Kinder, nachdem Alfred im August 1984 zu seinem Vater gezogen war - dem in der Folge auch die Obsorge für seinen Sohn übertragen wurde -, während Alexandra in der Obsorge ihrer Mutter verblieb, in Kenntnis der beiderseitigen Einkommensverhältnisse, insbesondere in Kenntnis der Einkommenverhältnisse des Vaters als Bediensteten der Wiener Verkehrsbetriebe - diese sind, wie festgestellt wurde, seit Jahren im wesentlichen unverändert geblieben -, sich dahin geeinigt, daß nicht etwa der Vater einen bestimmten, seinen Einkünften und den Bedürfnissen der mj. Alexandra entsprechenden Unterhaltsbetrag, wie er zunächst von der Mutter verlangt worden war (Antrag vom 16.11.1984), zu zahlen habe, sondern daß jeder Elternteil dem anderen für den Unterhalt des in dessen Obsorge stehenden Kindes denselben Formalbetrag leiste, wobei die Zahlungen dieses Formalbetrages gegeneinander "aufgerechnet" würden, so daß in Wahrheit jeder Elternteil den Unterhalt allein für das in seiner Obsorge befindliche Kind bestreite. Das Pflegschaftsgericht hat die von den Eltern vorgeschlagenen Unterhaltsbeträge genehmigt und auf das erzielte Einvernehmen verwiesen, das aktenkundig die gegenseitige Unterhaltsverrechnung umfaßte. Auch die Kinder waren deshalb daran gebunden, solange nicht ihr (Gesamt-)Unterhalt geschmälert wurde.
Daß die beiderseitigen Einkommensverhältnisse sich in der Zeit zwischen Jänner 1985 und November 1989/Jänner 1990 wesentlich verändert hätten oder daß die Bedürfnisse der Kinder in unterschiedlicher Weise gestiegen wären, hatte die Mutter in ihrem Unterhaltserhöhungsantrag (noch) nicht behauptet. Der geltend gemachte "Alterssprung" (Erreichung des 10. Lebensjahres), der Wechsel in der Altersgruppe, bildete für sich allein umsoweniger einen Grund für eine Änderung der bestehenden Unterhaltsvereinbarung, als er in ähnlicher Weise bei dem in Obsorge seines Vaters stehenden Alfred fast zur gleichen Zeit (Wechsel in die Altersgruppe zwischen 15 und 19 Jahren) stattgefunden hat. Die Mutter hat jedoch bei ihren Vernehmungen am 29.6.1990 (S 109) und 10.10.1990 (S 111) angegeben, sie sei nach der Geburt eines weiteren Kindes am 21.1.1987 "nach dem Karenzjahr ... noch zwei Jahre im Sondernotstand gewesen und habe sodann Notstandshilfe bezogen"; die Bedürfnisse der mj. Alexandra habe sie damals gedeckt, indem sie bei Bekannten Schulden gemacht habe.
Eine zwischen den Eltern mit pflegschaftsgerichtlicher Genehmgung getroffene Vereinbarung hindert ein rückwirkendes Abgehen von dieser Regelung - daß Unterhaltsansprüche grundsätzlich auch für die Vergangenheit gestellt werden können, ist nunmehr ständige Rechtsprechung (SZ 61/143) -, nur soweit hiefür nicht besondere Gründe bestehen. Ein solcher Grund wäre eine Gefährdung oder doch Schmälerung des Unterhalts dieses Kindes, etwa durch eine gegenüber dem Zeitpunkt der Vereinbarung erheblich verschlechterte Leistungsfähigkeit der Mutter. Mit den oben angeführten Angaben, sie habe während des hier strittigen Zeitraums Notstandshilfe bezogen und Schulden gemacht, um die Bedürfnisse der mj. Alexandra zu decken, hat die Mutter eine solche Gefährdung oder doch Schmälerung des Unterhalts der mj. Alexandra geltend gemacht.
Die rechtserheblichen Angaben der Mutter wurden bisher nicht überprüft, und es wurden dementsprechend auch keine Feststellungen hiezu getroffen.
Es war deshalb die angefochtene Entscheidung aufzuheben und dem Erstgericht eine neue Entscheidung nach Ergänzung des Verfahrens in der aufgezeigten Richtung aufzutragen.
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