OGH 3Ob513/85 (3Ob514/85)

OGH3Ob513/85 (3Ob514/85)27.2.1985

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kinzel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hule, Dr. Warta, Dr. Klinger und Mag. Engelmaier als Richter in der Pflegschaftssache des ehelich geborenen minderjährigen Kindes Sladjana I*****, infolge Revisionsrekurses des Vaters Spasoje I*****, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgerichtes vom 28. September 1984, GZ. 43 R 921,922/84-22, womit die Beschlüsse des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 7. Mai 1984, GZ. 4 P 45/84-12 und 4 P 45/84-13, aufgehoben und die Anträge des Vaters und der Mutter unter Absehen von der Fortsetzung des Verfahrens zurückgewiesen wurden, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß des Rekursgerichtes wird aufgehoben. Dem Rekursgericht wird die Sachentscheidung über die von der Mutter Slavica I***** erhobenen Rekurse aufgetragen.

Text

Begründung

Der am 25. April 1971 in Mala Kamenica geschlossenen Ehe des Spasoje I***** und der Slavica I***** entstammen die am 7. September 1972 geborene Sladjana I*****, die am 24. Juni 1975 geborene Suzana I***** und die am 11. April 1977 geborene Silvana I*****. Die Kinder sind wie ihre Eltern jugoslawische Staatsangehörige.

Am 9. März 1983 hatte die Mutter beim Bezirksgericht Gastein behauptet, die älteste Tochter halte sich bei den väterlichen Großeltern in Jugoslawien auf, die beiden jüngeren Kinder betreue sie in ihrem Haushalt in Hofgastein.

Sie beantragte, den Vater zur Leistung monatlicher Unterhaltsbeträge von je S 1.500,-- ab dem 1. April 1983 für die Kinder Suzana und Silvana I***** zu verpflichten, und wiederholte diesen Antrag, nachdem sie am 18. Mai 1983 darauf verwiesen worden war, eine Unterhaltsregelung beim jugoslawischen Gericht zu erwirken, unter Vorlage einer Entscheidung des Gemeindegerichtes in Negotin am 20. Juli 1983. Nach der nicht beglaubigten Übersetzung der Ausfertigung der Entscheidung war damit bloß die Zurücknahme der Klage der Kinder Suzana und Silvana I***** gegen den Vater auf Unterhaltsleistung zur Kenntnis genommen worden. Das Bezirksgericht Gastein verhielt den Vater zur Leistung monatlicher Unterhaltsbeträge von je S 1.500,-- für die beiden jüngeren Töchter ab dem 1. April 1983 (Beschluß vom 7. November 1983, GZ. P 30/83-7). Dem Rekurs des Vaters, der wegen der Befassung der jugoslawischen Gerichte auch die inländische Gerichtsbarkeit bestritten und Nichtigkeit geltend gemacht hatte, wurde nicht Folge gegeben (Beschluß des Landesgerichtes Salzburg vom 29. Dezember 1983, GZ. 33 R 805/83-12). Dieser Beschluß erwuchs in Rechtskraft. Am 17. Februar 1984 beantragte der Vater, die Mutter zur Leistung des monatlichen Betrages von S 1.500,-- zum Unterhalt der gemeinsamen Tochter Sladjana I***** zu verhalten. Dieses Kind sei vom jugoslawischen Gericht dem Vater zur Pflege und Erziehung anvertraut worden und halte sich seit dem 14. Februar 1984 in seinem Haushalt in Wien auf.

Das Kreisgericht in Negotin hat am 29. Dezember 1983 das Urteil gefällt, daß die Ehe der Eltern auf Grund des Artikels 83 des Gesetzes über die Ehe- und Familienverhältnisse der Republik Serbien geschieden wird, die Kinder Sladjana I***** dem Vater, Suzana und Silvana I***** der Mutter zur Pflege und Erziehung anvertraut werden und der Vater ab dem 29. Dezember 1983 zu Handen der Mutter für den Unterhalt des Kindes Suzana I***** als Anteil am Unterhaltsbeitrag monatlich 3.000 Dinar zu leisten habe. Aus den Entscheidungsgründen ergibt sich, daß die eheliche Beziehung der Eltern, die gleich nach der Eheschließung in Österreich lebten und arbeiteten, nicht gut war und eine Regelung der Vermögensverhältnisse stattfand, nachdem sie schon drei Jahre nicht in Gemeinschaft gelebt hatten. Während sich die jüngeren Kinder Suzana und Silvana I***** bei der Mutter in Österreich aufgehalten hätten, befinde sich die älteste Tochter Sladjana I***** beim Vater. Die Mutter habe eine Entscheidung über die Zuteilung der Pflege und Erziehung beantragt, die diesem Zustand entspreche und Unterhaltsleistung (nur) für das Kind Suzana I***** gefordert. Der Antrag des Vaters, ihm auch das Kind Suzana I***** anzuvertrauen, sei nach Inhalt des Gutachtens des Zentrums für soziale Arbeit in Negotin unberechtigt.

Die Mutter beantragte am 7. März 1984, ihr auch das Kind Sladjana I***** zu überlassen, weil der Vater das Mädchen nur zur Betreuung seines unehelichen Kleinkindes nach Wien genommen habe und sie genug Platz für alle drei Kinder habe.

Das Erstgericht wies diesen Antrag ab, weil mit dem noch nicht rechtskräftigen Urteil des Kreisgerichtes in Negotin Pflege und Erziehung des Kindes dem Vater überlassen wurde und kein Anknüpfungspunkt für pflegschaftsgerichtliche Maßnahmen im Inland bestehe.

Auf Antrag des Vaters trug das Erstgericht aber der Mutter auf, für den Unterhalt dieses Kindes ab dem 17. Februar 1984 monatlich S 1.100,-- zu leisten, wobei es inländisches Recht anwendete, weil der gewöhnliche Aufenthalt des unterhaltsberechtigten Kindes in Österreich liegt (Art. 1 des Haager Unterhaltsstatutübereinkommens BGBl. 1961/293), und das Mehrbegehren von S 400,-- monatlich abwies. Diese Beschlüsse focht die Mutter mit Rekurs an. Sie wandte sich gegen die Ansicht, für die von ihr beantragte Elternrechtsentscheidung fehle die inländische Gerichtsbarkeit, und verwies auf den ständigen Aufenthalt des Kindes im Inland. Die beantragte Maßnahme sei dringend geboten, weil das Kind beim Vater Schaden nehme. Solange aber die Entscheidung über den Verbleib des Kindes ausstehe, sei die Auferlegung der Unterhaltsleistung verfrüht.

Das Rekursgericht, dem die Mutter eine mit der Bestätigung versehene Ausfertigung des Scheidungsurteiles vorlegte, wonach dieses seit 6. April 1984 rechtskräftig sei, hob beide Beschlüsse des Erstgerichtes als nichtig auf und wies die Anträge von Vater und Mutter zurück. Die Rechtskraft der Regelung von Pflege und Erziehung der Kinder durch das Gericht des Heimatstaates sei nach der Stellung des Antrages der Mutter eingetreten. Nach § 110 Abs. 2 JN könne das inländische Gericht von der Einleitung oder Fortsetzung des Pflegschaftsverfahrens ausländischer Minderjähriger abgesehen, soweit und solange durch die im Ausland getroffenen Maßnahmen die Rechte und Interessen des Minderjährigen ausreichend gewahrt werden. Daraus, daß im Heimatstaat zeitlich nach dem Antrag der Mutter eine Regelung der Elternrechte nach der Scheidung in Rechtskraft erwachsen sei, folge, daß der Heimatstaat seine Jurisdiktion voll in Anspruch nehme, und zwar auch in Ansehung der Unterhaltspflichten. Damit sei die Notwendigkeit einer Maßnahme der österreichischen Gerichte nicht gegeben.

Gegen diesen Beschluß des Rekursgerichtes wendet sich der Vater mit Protokollarrekurs an den Obersten Gerichtshof.

Rechtliche Beurteilung

Die Frist des § 14 Abs. 1 AußStrG ist gewahrt, weil der Rechtsmittelwerber nachgewiesen hat, daß er sich zur Zeit der Zustellung der Ausfertigung der Rekursentscheidung durch Hinterlegung des Schriftstückes bei dem zuständigen Postamt (§ 17 Abs. 1 ZustG) nicht regelmäßig an der Abgabestelle sondern im Ausland aufgehalten hat und erst am 4. Jänner 1985 wieder nach Österreich eingereist ist. Die Zustellung wurde daher erst an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem die hinterlegte Sendung behoben werden konnte. Die dadurch ausgelöste Rechtsmittelfrist (§ 17 Abs. 3 letzter Satz ZuStG) ist mit der Protokollierung des Revisionsrekurses am 11. Jänner 1985 gewahrt.

Das Rechtsmittel ist berechtigt.

Durch die positive Abgrenzungsnorm des § 110 Abs. 1 Z 2 JN in der Fassung der Zivilverfahrens-Novelle BGBl. 1983/135 ist seit deren Inkrafttreten mit dem 1. Mai 1983 der zur früheren Rechtslage bestandene Meinungsstreit (Schwimann, Internationales Zivilverfahrensrecht, 55 ff) zur Frage des Vorliegens der inländischen Jurisdiktion nicht mehr von Bedeutung. Durch die nunmehrige Fassung des § 110 Abs. 12, 2 JN ist nämlich klargestellt, daß die inländische Gerichtsbarkeit für die Besorgung der Geschäfte, die nach den Bestimmungen über die Rechte zwischen Eltern und minderjährigen Kindern dem Gericht obliegen, ohne Rücksicht auf deren Staatsangehörigkeit gegeben ist, wenn der Minderjährige im Inland seinen gewöhnlichen oder, soweit es um dringende Maßnahmen geht, zumindest seinen Aufenthalt hat. Darüber hinaus reicht der Umfang der inländischen Gerichtsbarkeit, soweit der Minderjährige österreichischer Staatsbürger ist oder für Maßnahmen, die das im Inland gelegene Vermögen ausländischer Minderjähriger betreffen (§ 110 Abs. 1 Z 1 und Z 3 JN). Die von der Mutter angestrebte Elternrechtsentscheidung und die Durchsetzung des Unterhaltsanspruches der ausländischen Minderjährigen gehören zu den im § 109 Abs. 1 JN idF BGBl. 1983/135 geregelten Angelegenheiten und unterliegen daher grundsätzlich der inländischen Gerichtsbarkeit, solange die Minderjährige im Inland ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Eine Befassung der Behörden (Gerichte) des Heimatstaates ist nur mehr insoferne von Bedeutung, als das österreichische Gericht nach § 110 Abs. 2 JN von der Einleitung oder Fortsetzung des Pflegschaftsverfahrens absehen kann, soweit und solange durch die im Ausland getroffenen oder zu erwartenden Maßnahmen die Rechte und Interessen der Minderjährigen ausreichend gewahrt werden. Ob diese Voraussetzung vorliegt, daß trotz Bestehens der inländischen Gerichtsbarkeit das Verfahren nicht eingeleitet oder nicht fortgeführt wird, ist vom Ermessen des inländischen Gerichtes abhängig, das sich nur am Wohl des Kindes zu orientieren hat und nur dann ein Absehen von der Verfahrensführung zuläßt, wenn gesichert ist, daß die Rechte und Interessen des Kindes durch die Behörden seines Heimatstaates ausreichend gewahrt werden (so schon OGH 3 Ob 582/83 teilweise veröffentlicht in B I/8).

Der vom Rekursgericht vertretenen Ansicht, die Voraussetzungen des § 110 Abs. 2 JN seien gegeben, kann nicht beigetreten werden. Sie geht darauf zurück, daß die Elternrechtsentscheidung des mit der Scheidung der Ehe befaßten Gerichtes im Heimatstaat erst nach der Befassung des Erstgerichtes mit dem Antrag der Mutter, ihr die Pflege und Erziehung des Kindes zu überlassen, in Rechtskraft erwachsen sei und auch eine Unterhaltsfestsetzung durch die jugoslawischen Behörden erfolgen könnte, übersieht aber dabei, daß sich die Mutter in ihrem Antrag auf eine wesentliche Änderung der Pflegeverhältnisse beruft, weil das Kind erst nach der Zuteilung von Pflege und Erziehung an den Vater mit dem Urteil vom 29. Dezember 1983 von Jugoslawien nach Österreich kam und im Haushalt des Vaters aufgenommen wurde, und daß der Vater in Jugoslawien Unterhalt für die minderjährige Sladjana I***** nicht gefordert hat.

Hat dieses Kind in Österreich den ständigen - für dringende Maßnahmen überhaupt einen - Aufenthalt, so kann wegen der nach § 110 Abs. 1 Z 2 JN bestehenden inländischen Gerichtsbarkeit von Vater und Mutter das österreichische Gericht angerufen werden und hat über deren Anträge in den im § 109 Abs. 1 JN bezeichneten Angelegenheiten zu entscheiden, es sei denn, die Behörden des Heimatstaates hätten darüber bereits eine die Rechte und Interessen des Kindes wahrenden Weise Maßnahmen getroffen oder solche Maßnahmen seien zu erwarten. Das Gericht des Heimatstaates hat unter Berufung auf die insoweit übereinstimmende und dem Wohl des Kindes entsprechende Antragstellung beider Elternteile am 29. Dezember 1983, als das Kind noch bei den väterlichen Großeltern in Jugoslawien untergebracht war, dem Vater zugeteilt. Die Mutter beruft sich auf eine Änderung der Betreuungsverhältnisse. Es wird darauf ankommen, ob und unter welchen Voraussetzungen diese Regelung der elterlichen Gewalt nach Scheidung der Ehe der Eltern nach dem maßgebenden Recht, das sich nach dem Personalstatut der Kinder (§ 24 IPR-Gesetz, B I/8) und dann wieder jugoslawischem interlokalem Privatrecht bestimmt (Duchek-Schwind, IPR, 21, Anm. 6 zu § 5 IPR-Gesetz), einer Änderung zugänglich ist. Es ist nicht erkennbar, daß eine das Wohl des Kindes, dessen Gefährdung die Mutter behauptet, sichernde Maßnahme im Heimatstaat zu erwarten ist. Nur dann könnte von der Fortsetzung des Verfahrens durch das Gericht, zu dem nach dem Aufenthalt des Kindes im Inland die im § 109 Abs. 1 JN zur Zuständigkeitsanknüpfung maßgebende Nahebeziehung besteht, abgesehen werden. Die davon unabhängige Unterhaltsfestsetzung im Inland, bei der von der gegenwärtigen Haushaltszugehörigkeit des Kindes auszugehen ist, die wieder ihre Grundlage in der Entscheidung der Heimatbehörde hat, kann nur unterbleiben, wenn darüber ein Verfahren im Heimatstaat anhängig ist und eine die Rechte der minderjährigen Sladjana I***** ausreichend sichernde Maßnahme zu erwarten ist.

Dabei ist einerseits zu beachten, daß die Unterhaltsansprüche des Kindes, solange es seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, zufolge Art. 1 Abs. 1 des Übereinkommens vom 24. Oktober 1956 BGBl. 1961/293 über das auf Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern anzuwendende Recht, nach österreichischem materiellen Recht zu beurteilen sind, auch wenn das Kind selbst nicht einem Vertragsstaat angehört (Scheucher, ZfRV 1963, 83; Dölle, NJW 1967, 2250; Kropholler, ZfRV 1968, 305 FN 21; Böhm, ZfRV 1971, 50).

Andererseits wird die Durchsetzung der Unterhaltsansprüche dann, wenn auch der Unterhaltsschuldner im Inland seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, durch eine inländische Entscheidung eindeutig gefördert; die Rechte des Kindes können auch deshalb nicht ausreichend gewahrt sein, daß die Durchsetzung der Unterhaltsansprüche im Heimatstaat längere Zeit in Anspruch nimmt und sodann auf Grund eines ausländischen Titels im Inland Exekution geführt werden muß.

Die Annahme des Rekursgerichtes, das Pflegschaftsverfahren über die minderjährige Sladjana I***** jugoslawischer Staatsangehörigkeit sei wegen der ausreichenden Wahrung der Rechte und der Interessen der Minderjährigen durch die im Ausland getroffenen oder zu erwartenden Maßnahmen nicht einzuleiten, trifft daher nicht zu. Vor den Behörden des Heimatstaates ist nämlich weder ein Verfahren über eine Änderung der Elternrechtsentscheidung noch über die Unterhaltsansprüche dieses Kindes anhängig und es ist auch nicht zu erwarten, daß ein erst einzuleitendes Verfahren die Rechte und Interessen der Minderjährigen, vor allem wegen der schon aufgezeigten Erschwernisse der Fällung und Durchsetzung einer Unterhaltsentscheidung, die jedenfalls schon vor der Entscheidung über eine Änderung der Zuteilung der Elternrechte geboten ist, ausreichend und rechtzeitig wahren kann.

Das Rekursgericht, das eine Sachentscheidung wegen der Annahme des Fehlens der inländischen Gerichtsbarkeit abgelehnt hat, wird diese zu treffen und eine sachliche Überprüfung der angefochtenen Beschlüsse des Erstgerichtes vorzunehmen haben.

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