OGH 3Ob45/10d

OGH3Ob45/10d24.3.2010

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie die Hofräte und Hofrätinnen Hon.-Prof. Dr. Sailer, Dr. Lovrek, Dr. Jensik und Dr. Fichtenau als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden Partei L***** GmbH, *****, vertreten durch Karasek Wietrzyk Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei DI K***** L*****, vertreten durch Gabler Gibel & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unzulässigkeit der Exekution (§ 36 EO), über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 29. Dezember 2009, GZ 38 R 133/09d-27, womit die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 8. Mai 2009, GZ 44 C 334/07f, 373/07s und 422/07x-23, zurückgewiesen wurde, den

B e s c h l u s s

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung über die Berufung unter Abstandnahme von dem gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

B e g r ü n d u n g :

Der Beklagte war Mieter einer Wohnung im Haus der Klägerin.

Die zuständige Baubehörde erteilte der Klägerin den Auftrag, das Gebäude, in dem sich das Mietobjekt befand, zu räumen und nach erfolgter Räumung abtragen zu lassen, und hob das aus der Bau- und Benützungsbewilligung erfließende Recht auf konsensgemäße Benützung auf.

Da die Klägerin den Beklagten nicht zur Räumung der Wohnung bewegen konnte, klagte sie ihn, gestützt auf § 1112 ABGB (Untergang der Bestandsache), auf Räumung. Der Klage wurde mit Urteil des Erstgerichts vom 24. November 2005 stattgegeben; dieses Urteil erwuchs nach Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 25. Juni 2007, AZ 9 Ob 96/06t, in Rechtskraft.

Da die Klägerin innerhalb der von der Baubehörde gesetzten Fristen dem Abbruchauftrag nicht nachkam, setzte die Baubehörde eine Nachfrist und drohte für den Fall der Nichterfüllung eine Zwangsstrafe an.

Noch vor Rechtskraft des Räumungsurteils ließ die Klägerin Abbrucharbeiten am Bestandobjekt durchführen. Der Beklagte brachte daraufhin am 15. Mai 2006 eine Besitzstörungsklage ein und stellte nach Aufhebung einer ersten einstweiligen Vorkehrung erneut einen Antrag auf Erlassung einer solchen. Am 24. Mai 2007 verbot das Erstgericht (unter anderem) der Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Räumungsverfahrens, Abbrucharbeiten vorzunehmen sowie das Bestandobjekt zu beseitigen, zu beeinträchtigen oder in sonstiger Form zu verändern.

Trotz Erlassung dieser einstweiligen Vorkehrung erfolgten weitere Abbrucharbeiten im Auftrag der Klägerin. Daraufhin führte der Beklagte mehrfach Exekution nach § 355 EO; das Erstgericht verhängte über die Klägerin mit Beschlüssen vom 25. und 26. Juni 2007 sowie vom 24. Juli 2007 Geldstrafen von zweimal 20.000 EUR und zuletzt 25.000 EUR.

Spätestens am 4. November 2008 (Schluss der Verhandlung des Verfahrens erster Instanz) war das Haus, in dem sich das Bestandobjekt befand, zur Gänze abgetragen. Ein weiteres Zuwiderhandeln gegen die einstweilige Vorkehrung vom 24. Mai 2006 ist daher nicht mehr möglich.

Die Klägerin begehrte, die aufgrund der einstweiligen Vorkehrung vom 24. Mai 2006 geführte Exekution für unzulässig zu erklären und die Strafbeschlüsse aufzuheben. Sie habe die im Exekutionsantrag angeführten Handlungen gegen den Exekutionstitel nicht begangen, diese seien ihr nicht zurechenbar und sie treffe daran auch kein Verschulden.

Der Beklagte beantragte die Abweisung der Impugnationsklagebegehren.

Das Erstgericht gab den Impugnationsklagen statt, erklärte die Exekution für unzulässig und hob die Strafbeschlüsse auf. Im Räumungsverfahren habe sich ergeben, dass „die Bestandsache ex tunc untergegangen ist.“ Der Klägerin fehle wegen des Abbruchsauftrags der Behörde ein Verschulden an den behaupteten Verstößen.

Das Berufungsgericht wies die vom Beklagten erhobene Berufung, mit der er die Abweisung sämtlicher Klagebegehren anstrebt, zurück. Schon im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Streitverhandlung am 4. November 2008 sei das Gebäude, in dem sich die Wohnung des Beklagten befunden habe und worauf sich auch die den Exekutionsbewilligungen zugrundeliegende einstweilige Verfügung beziehe, bereits zur Gänze abgerissen gewesen. Ebenso wie bei der bereits vollzogenen Räumung einer Liegenschaft, die den Gegenstand einer mit Klage bekämpften Exekution bilde bei Beendigung der Exekution, fehle dem Beklagten im vorliegenden Fall das Rechtsschutzinteresse an der Bekämpfung der Entscheidung über die Impugnationsklage bereits ab dem Zeitpunkt des gänzlichen Untergangs des Hauses, weil damals schon das Exekutionsverfahren gemäß § 354 EO (richtig: § 355 EO) zur Durchsetzung der einstweiligen Verfügung wegen Unmöglichkeit einzustellen gewesen wäre. Da bei Einbringung der Berufung die exekutive Durchsetzung des Sicherungszwecks der einstweiligen Vorkehrung hinsichtlich der Wohnung des Beklagten nicht mehr denkbar erschienen sei, sei das Rechtsmittel des Beklagten mangels Beschwer zurückzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs des Beklagten, mit dem er die Aufhebung des berufungsgerichtlichen Zurückweisungsbeschlusses und den Auftrag an das Berufungsgericht zur Sachentscheidung anstrebt, ist berechtigt.

Wenn das Berufungsgericht die Klage oder die Berufung ohne Sachentscheidung aus formellen Gründen zurückgewiesen hat, ist der Vollrekurs gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO ungeachtet des Werts des Entscheidungsgegenstands zweiter Instanz und des Vorliegens erheblicher Rechtsfragen zulässig (RIS-Justiz RS0098745 [T16 und T17]; 6 Ob 143/09m; Zechner in Fasching/Konecny² § 519 Rz 12 mwN).

Das für die Zulässigkeit des Rechtsmittels im Zeitpunkt der Rechtsmittelentscheidung erforderliche Rechtsschutzinteresse fehlt, wenn der Entscheidung nur mehr theoretisch-abstrakte Bedeutung zukäme, weil es nicht Aufgabe der Rechtsmittelinstanzen ist, über bloß theoretisch bedeutsame Fragen abzusprechen (RIS-Justiz RS0002495, RS0043815; vgl RS0041770). Das bezüglich der Hauptsache fehlende Anfechtungsinteresse kann nicht durch das Interesse an der Beseitigung der Kostenentscheidung ersetzt werden (RIS-Justiz RS0002396); dies gilt nach überwiegender Rechtsprechung für das Kosteninteresse erster und zweiter Instanz (3 Ob 268/08w mwN).

Im vorliegenden Fall ist aber aus dem Umstand, dass das Bestandobjekt mittlerweile untergegangen ist und daher ein (weiteres) Zuwiderhandeln der Klägerin gegen den Exekutionstitel nicht mehr möglich ist, nicht abzuleiten, dass die Rechtmäßigkeit der seinerzeitigen Exekutionsbewilligung(en) sowie der Geldstrafen, die wegen Verstößen der Klägerin gegen den Exekutionstitel verhängt worden sind, nicht mehr geprüft werden dürfte bzw der Beklagte als betreibender Gläubiger kein rechtliches Interesse an dieser Überprüfung hätte.

Die nach § 355 EO verhängten Geldstrafen dienen nicht nur der Willensbeugung des Verpflichteten - dieser Zweck fiele weg, sobald ein weiteres titelwidriges Verhalten unmöglich ist -, sondern haben auch Vergeltungs-(Repressions-)charakter und sollen dadurch präventiv wirken, also nicht nur den Verpflichteten, sondern jedermann allgemein davon abhalten, Exekutionstiteln zuwider zu handeln (RIS-Justiz RS0010057 [T3 und T4]; Klicka in Angst 2 § 355 EO, Rz 16 mwN). Die (erstmalige oder wiederholte) Verhängung von Geldstrafen ist daher auch dann zulässig und geboten, wenn einem wirksamen und zum Zeitpunkt des Verstoßes rechtmäßigen Exekutionstitel (schuldhaft) zuwider gehandelt wurde, ein weiterer Verstoß aus faktischen oder rechtlichen Gründen aber nicht mehr denkbar ist. Dem Betreibenden ist ungeachtet des Umstands, dass Geldstrafen nicht ihm sondern dem Staat zufließen, das rechtliche Interesse an einem wirksamen Vollzug rechtsgültiger Exekutionstitel zuzubilligen, weshalb die Zulässigkeit der Exekutionsführung und die Rechtmäßigkeit der über die Klägerin verhängten Geldstrafen auch nach zwischenzeitigem Untergang der Bestandsache, auf deren Erhaltung der Exekutionstitel gerichtet war, zu prüfen ist.

Das Berufungsgericht wird daher über die Berufung des Beklagten inhaltlich zu entscheiden, also die Rechtmäßigkeit der Exekutionsführung und der verhängten Geldstrafen zu beurteilen haben (ebenso bereits in einem Parallelverfahren 3 Ob 18/10h).

Anders als im Fall der eben zitierten Entscheidung ist für das Rekursverfahren im vorliegenden Verfahren schon die Rechtslage nach der ZVN 2009 maßgeblich, weil die erstgerichtliche Entscheidung nach dem 31. März 2009 erging (Art XIV Abs 2 leg cit). Anders als nach der bisherigen Rechtslage (RIS-Justiz RS0043760, RS0098745) ist daher das Rekursverfahren vor dem Obersten Gerichtshof zweiseitig (§ 521a ZPO), weil die Zurückweisung der Berufung keine bloß verfahrensleitende Entscheidung ist (s näher dazu 6 Ob 201/09s).

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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