OGH 3Ob2322/96h

OGH3Ob2322/96h18.6.1997

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Hofmann als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Angst sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Pimmer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Exekutionssache der betreibenden Partei V*****, vertreten durch Dr.Ernst Chalupsky ua, Rechtsanwälte in Wels, wider die verpflichtete Partei Maria St*****, vertreten durch Dr.Peter Greil, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen S 3,000.000,-- sA, infolge außerordentlichen Rekurses der betreibenden Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck als Rekursgerichtes vom 8. August 1996, GZ 4 R 354/96d-74, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

In dem von der betreibenden Partei zur Hereinbringung von S 3.000.000,-- sA geführten Zwangsversteigerungsverfahren stellte die Verpflichtete, der im Rahmen der ihr bewilligten Verfahrenshilfe ein Rechtsanwalt beigegeben wurde, den Antrag, das Verfahren für nichtig zu erklären und die Exekution gemäß § 39 Abs 1 Z 3 EO einzustellen. Hiezu brachte sie im wesentlichen vor, daß sie während des gesamten Exekutionsverfahrens prozeßunfähig und zur Zeit der Errichtung des den Exekutionstitel bildenden Notariatsaktes geschäftsunfähig gewesen sei. Mit dem Einstellungsantrag verband sie den Antrag, die Exekution gemäß § 42 Abs 1 Z 3 EO aufzuschieben.

Das Erstgericht schob die Exekution "bis zur Klärung der Geschäftsfähigkeit der verpflichteten Partei" auf. Die im § 42 Abs 1 Z 3 EO für die Bewilligung der Aufschiebung geforderten Voraussetzungen seien gegeben.

Gegen diesen Beschluß des Erstgerichtes erhoben die betreibende Partei und ein Buchberechtigter Rekurs. Das Rekursgericht entschied aus Anlaß dieser Rekurse, daß das Exekutionsverfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung darüber, ob für die Verpflichtete vom zuständigen Pflegschaftsgericht ein Sachwalter bestellt oder sonst eine entsprechende Maßnahme getroffen wird (§ 78 EO, § 6a ZPO), "ausgesetzt" werde. Es trug dem Erstgericht auf, den Akt dem zuständigen Pflegschaftsgericht mit der Verständigung zu übermitteln, daß sich nach dem Antrag der Verpflichteten und dem damit vorgelegten Arztbericht bei der Verpflichteten mit Beziehung auf das Exekutionsverfahren Anzeichen für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 273 ABGB ergeben hätten. Ein Ausspruch über die Zulässigkeit des Rekurses unterblieb.

Das Rekursgericht führte hiezu aus, aus dem von der Verpflichteten mit ihrem Antrag vorgelegten Telefaxbericht des Psychiatrischen Krankenhauses des Landes Tirol ergebe sich, daß die Verpflichtete im Hinblick auf ihre prekäre finanzielle Situation bereits zweimal einen Selbstmordversuch unternommen habe. Den zweiten Versuch habe sie einen Tag nach Zustellung des Versteigerungsedikts verübt. Diese außergewöhnliche Reaktion auf die Zustellung einer Gerichtsentscheidung lege den Schluß nahe, daß sie zumindest in bezug auf das Exekutionsverfahren in ihrer psychischen Integrität so weit beeinträchtigt sei, daß das Vorliegen der Voraussetzung des § 273 ABGB geprüft werden müsse. In einem solchen Fall sei der Akt gemäß § 78 EO iVm § 6a ZPO dem zuständigen Pflegschaftsgericht zu übermitteln und das Exekutionsverfahren bis zum Vorliegen von dessen rechtskräftiger Entscheidung auszusetzen. Diese Maßnahme sei in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen vorzunehmen sohin auch durch das Rechtsmittelgericht aus Anlaß der Vorlage eines Rekurses.

Rechtliche Beurteilung

Der von der betreibenden Partei gegen diesen Beschluß des Rekursgerichtes erhobene außerordentliche Rekurs ist unzulässig.

Vorweg war zu prüfen, ob gegen den Beschluß des Rekursgerichtes überhaupt ein Rechtsmittel offensteht. Dies ist nach Ansicht des erkennenden Senates aus folgenden Erwägungen zu bejahen:

Die im angefochtenen Beschluß enthaltene Anordnung der "Aussetzung" des Verfahrens stützt sich auf § 6a ZPO, der gemäß § 78 EO auch im Exekutionsverfahren anzuwenden ist. In dieser Bestimmung wird nur vorgesehen, daß das Pflegschaftsgericht zu verständigen ist, wenn sich bei einer Partei, die der inländischen Pflegschaftsgerichtsbarkeit (§ 110 JN) unterliegt, Anzeichen für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 273 ABGB mit Beziehung auf den Rechtsstreit ergeben. Es wird darin aber nicht gesagt, wie in dem Rechtsstreit vorzugehen ist, der der Verständigung zugrundeliegt. Fasching (ZPO2 Rz 349) vertritt hiezu die Meinung, das Prozeßgericht (oder Rechtsmittelgericht) müsse "wohl .... das Verfahren aussetzen". Dabei wird allerdings nicht eindeutig zum Ausdruck gebracht, ob hierüber ein Beschluß zu fassen ist. Vom Obersten Gerichtshof wurde hingegen mehrfach ein Beschluß in diese Richtung gefaßt, wobei im Spruch dieser Entscheidungen jeweils die Unterbrechung des Verfahrens verfügt wurde (SZ 60/56; EvBl 1986/162; 3 Ob 110, 1094/94; "Aussetzung" in 10 ObS 73/95 und SSV-NF 6/57); Gitschthaler (Die Verständigungspflicht des § 6a ZPO idF des SachwG und ihre Auswirkungen, JBl 1991, 291 [295]) meint hingegen, daß das Prozeßgericht mit dem Fortgang des Verfahrens "zuzuwarten" habe, wobei er anscheinend der Auffassung ist, daß hierüber ein Beschluß nicht zu ergehen hat.

Nach Ansicht des erkennenden Senates bedeutet es eine planwidrige Unvollständigkeit, daß im § 6a ZPO keine Regelung darüber enthalten ist, wie das Prozeßgericht (oder das Rechtsmittel- oder das Exekutionsgericht) bezüglich des Verfahrens vorzugehen hat, das der Verständigung zugrundeliegt. Diese planwidrige Unvollständigkeit ist durch Analogie zu schließen (SSV-NF 2/49; SZ 57/194 mwN), zumal die Analogie auch im Verfahrensrecht zulässig ist (Fasching, Zur Auslegung der Zivilverfahrensgesetze, JBl 1990, 749 [758 f]). Dabei geht es nicht an, den Akt bloß auf Kalender zu legen (so aber Gitschthaler aaO), weil sich hiefür keine gesetzliche Grundlage finden läßt und diese Vorgangsweise im Interesse der Rechtssicherheit auch nicht als sachgerecht angesehen werden kann. Für die analoge Anwendung bietet sich vielmehr § 190 Abs 1 ZPO an. Gitschthaler (aaO) ist zwar darin beizupflichten, daß es im Fall des § 6a ZPO nicht um das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses geht. Dies steht aber der analogen Anwendung nicht entgegen, setzt diese doch voraus, daß der zu beurteilende Sachverhalt dem Tatbestand, der in der für die Analogie in Betracht kommenden Norm geregelt ist, nicht unterstellt werden kann (vgl Koziol/Welser10 I 25). Den im § 190 Abs 1 ZPO geregelten Fällen ist aber mit jenen des § 6a ZPO gemeinsam, daß die vom Prozeßgericht (oder Rechtsmittel- oder Exekutionsgericht) zu treffende Entscheidung von der Entscheidung eines anderen Gerichtes, nämlich des Pflegschaftsgerichts, abhängt. Der geregelte und der ungeregelte Fall stimmen daher in den maßgebenden Voraussetzungen überein, was die Analogie rechtfertigt (Koziol/Welser aaO mwN in FN 68).

Verständigt ein Gericht gemäß § 6a ZPO das Pflegschaftsgericht, so hat es daher das bei ihm geführte Verfahren in sinngemäßer Anwendung des § 190 Abs 1 ZPO zu unterbrechen (so, wenngleich ohne nähere Begründung, die bereits zitierten Entscheidungen SZ 60/56; EvBl 1986/162; 3 0b 110, 1094/94). Als solche Unterbrechung ist es auch anzusehen, wenn das Gericht, wie hier das Rekursgericht, das Verfahren "aussetzt", weil es nicht auf das verwendete Wort, sondern auf die damit verbundene Rechtsfolge ankommt (vgl Fasching aaO Rz 789, der die Worte "Unterbrechung" und "Aussetzung" als synonym ansieht ebenso im Ergebnis SZ 60/56; EvBl 1986/162; 3 Ob 110, 1094/94). Handelt es sich aber um eine Unterbrechung des Verfahrens gemäß § 190 Abs 1 ZPO, so ist der entsprechende Beschluß gemäß § 192 Abs 2 ZPO anfechtbar (RZ 1988/39). Soweit Fasching (aaO Rz 349) die gegenteilige Ansicht zu vertreten scheint, kann ihm somit nicht gefolgt werden, wobei in Betracht zu ziehen ist, daß sich seine Ausführungen ohnedies bloß auf die Anfechtung des Beschlusses über die Zulassung zur Vornahme von notwendigen Prozeßhandlungen gemäß § 6a letzter Satz iVm § 6 Abs 2 zweiter Satz und Abs 3 erster Satz ZPO beziehen (so Gitschthaler aaO). Angemerkt sei noch, daß nach Vorliegen der rechtskräftigen Entscheidung des Pflegschaftsgerichtes das Verfahren immer von Amts wegen aufzunehmen ist, weshalb auch ein Unterbrechungsbeschluß nicht angeordnet werden darf, daß das Verfahren nur über Antrag einer der Parteien fortgesetzt wird (vgl RZ 1988/39).

Da die Sondervorschrift des § 519 ZPO nur für das Berufungsverfahren und nicht für das Rekursverfahren gilt (JBl 1984, 617; RZ 1961, 143; SZ 18/96), ist der Beschluß des Rekurses demnach anfechtbar. Für die Zulässigkeit des Rekurses ist allerdings gemäß § 78 EO § 528 ZPO maßgebend, weil der dort verwendete Ausdruck "Revisionsrekurs" jeden Rekurs gegen eine Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz umfaßt (RZ 1995/10; JBl 1994, 264; 8 Ob 529/94; 8 Ob 526/94 ua). Ist daher der Rekurs nicht gemäß § 528 Abs 2 ZPO jedenfalls unzulässig, so setzt die Zulässigkeit gemäß dem vorangehenden Abs 1 voraus, daß die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage der dort bezeichneten Art abhängt (GesRZ 1991, 164; 5 Ob 1559/92 ua). Das Rekursgericht hätte daher gemäß § 78 EO iVm § 526 Abs 3 und § 500 Abs 2 Z 3 ZPO aussprechen müssen, ob der ordentliche Rekurs zulässig ist oder nicht. Das Unterbleiben dieses Ausspruches ist hier jedoch ohne Bedeutung, weil die betreibende Partei ohnedies einen außerordentlichen Revisionsrekurs erhoben und darin die ihrer Meinung nach im Sinne des § 528 Abs 1 ZPO erheblichen Rechtsfragen bezeichnet hat.

Die Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO liegen hier aber nicht vor, weil die Lösung der Frage, ob das Rekursgericht zu Recht dem Pflegschaftsgericht ein Verständigung im Sinn des § 6a ZPO übermittelt und deshalb zu Recht das Verfahren unterbrochen hat, von den Umständen des Einzelfalls abhängt und in ihrer Bedeutung daher über den Anlaßfall nicht hinausgeht. In einem solchen Fall ist der Rekurs an den Obersten Gerichtshof aber nur zulässig, wenn dem Gericht zweiter Instanz eine auffallende Fehlbeurteilung anzulasten ist (RZ 1994/45 ua); dies hat die betreibende Partei aber nicht dargetan.

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