Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Der Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit S 4.871,04 (darin S 811,84 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger begab sich am 10.3.1995 kurz vor Arbeitsschluß an die Arbeitsstätte des Beklagten. Zuvor war ihm von seiner Ehefrau, einer Arbeitskollegin des Beklagten, mitgeteilt worden, daß sie von diesem als "Hurenfrau" beschimpft wurde. An der Arbeitsstätte des Beklagten fand ein kurzes Gespräch zwischen den Streitteilen statt, dessen Inhalt sich nicht mehr feststellen läßt. Der Beklagte fühlte sich vom Kläger bedroht. Er bekam Angst und ließ sich von einem Arbeitskollegen mit dem PKW nach Hause fahren. Als er wenige Minuten zu Hause war, kam der Kläger zu seiner Wohnung. Im Bereich der Wohnungstüre entwickelte sich eine verbale Auseinandersetzung, bei der der erzürnte Kläger laut schrie, den Beklagten beschimpfte und drohte, ihm den Kopf abzuschneiden und ihn umzubringen.
Als sich der Kläger zum Weggehen umwandte, holte der Beklagte aus der Küche ein Messer mit einer Klingenlänge von 21,5 cm und verfolgte mit diesem den Kläger, der in Richtung Ausgang unterwegs war. Als der Kläger Schritte hinter sich hörte, drehte er sich um. In diesem Augenblick stach ihm der Beklagte mit dem Küchenmesser in den Brustkorb. Der Kläger packte die Hand des Beklagten und versuchte, das Messer herauszuziehen. Es entwickelte sich eine Rangelei, in deren Verlauf beide Streitteile zu Boden stürzten. Dadurch drang das Messer von der rechten dritten Rippe in den Brustraum ein und verletzte die Lunge.
Der Beklagte war bei der Tatausführung in der Lage, das Unrechtmäßige seines Handelns einzusehen und dieser Einsicht gemäß zu handeln. Er war jedoch aufgrund einer von hochgradigem Affekt gekennzeichneten psychischen Ausnahmesituation im Sinne einer akuten Belastungsreaktion in seiner Zurechnungsfähigkeit sehr stark eingeschränkt.
Der Kläger erlitt eine Stichverletzung im linken Brustkorbbereich mit Eröffnung der Brusthöhle. Auch der Beklagte wurde verletzt. Er war zur Zeit des Vorfalls ein überdurchschnittlich guter Arbeiter. Er wurde aufgrund dieses Vorfalls zunächst verhaftet und sodann von seinem Arbeitgeber am 13.3.1995 fristlos entlassen. Wäre es nicht zu dem Vorfall gekommen, so wäre der Beklagte nach dem wahrscheinlichen Lauf der Dinge nach wie vor bei seinem Arbeitgeber beschäftigt. Zur Zeit des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz war er noch ohne Beschäftigung und hatte bis zu diesem Zeitpunkt einen Verdienstentgang von etwa S 124.000,--.
Der Kläger begehrt vom Beklagten wegen der ihm zugefügten Verletzung Schadenersatz in der Höhe von S 95.000,-- sA.
Der Beklagte wendete ein, daß den Kläger ein Mitverschulden von mindestens einem Drittel treffe, weil er ihn beschimpft und mit dem Umbringen bedroht habe. Es stehe ihm überdies gegen den Kläger wegen des Vorfalls vom 10.3.1995 eine Forderung in der Höhe von S 131.000,-- (S 124.000,-- an Verdienstentgang, S 2.000,-- an Kleiderschaden und S 5.000,-- an Schmerzengeld) zu, die als Gegenforderung eingewendet werde.
Das Erstgericht entschied unter der Abweisung des Mehrbegehrens, daß die Klagsforderung mit S 64.750,-- und die eingewendete Gegenforderung mit S 1.750,-- zu Recht besteht und der Beklagte daher schuldig ist, dem Kläger S 63.000,-- sA zu bezahlen. Der Beklagte habe schuldhaft und rechtswidrig gehandelt, weshalb er zum Schadenersatz verpflichtet sei. Den Kläger treffe jedoch wegen der ihm anzulastenden Beschimpfung und Drohung mit dem Umbringen ein Mitverschulden, das mit einem Viertel anzunehmen sei. Der Beklagte wiederum habe nur Anspruch auf Ersatz des Kleiderschadens und Zahlung eines Schmerzengeldes, und zwar im Ausmaß eines Viertels. Ein Anspruch auf Ersatz des Verdienstentganges bestehe hingegen nicht, weil der Kläger nicht damit rechnen habe müssen, daß er aufgrund seiner Provokation schwer verletzt werden würde und daß der Beklagte deshalb in Haft genommen und aus diesem Grund seinen Arbeitsplatz verlieren werde. Zwischen dem Verdienstentgang und dem Verhalten des Klägers sei daher ein adäquater Kausalzusammenhang nicht gegeben. Überdies sei der Schaden auch vom Schutzzweck der vom Kläger übertretenen Norm (gefährliche Drohung) nicht umfaßt, weil diese auf die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit abstelle, Schutzzweck aber nicht die Erhaltung von Arbeitsplätzen sei.
Das Berufungsgericht bestätigte infolge Berufung beider Parteien dieses Urteil des Erstgerichtes, wobei es bezüglich des Anspruchs des Beklagten auf Ersatz des Verdienstentganges im wesentlichen die Rechtsansicht des Erstgerichtes billigte. Es sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei.
Rechtliche Beurteilung
Die vom Kläger gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes erhobene außerordentliche Revision wurde vom erkennenden Senat bereits mit dem Beschluß vom 20.11.1996, AZ 2273/96b, zurückgewiesen und bildet daher nicht mehr den Gegenstand dieser Entscheidung.
Die vom Beklagten gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache erhobene Revision ist zwar entgegen dem - den Obersten Gerichtshof gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden - Ausspruch des Berufungsgerichtes zulässig, weil zu der in der Bedeutung über den Anlaßfall hinausgehenden Frage, ob der Schädiger vom Geschädigten den Ersatz des Verdienstentganges verlangen kann, den er selbst aufgrund der von ihm ausgeführten, jedoch vom Geschädigten provozierten Tat erleidet, eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fehlt; die Revision ist aber nicht berechtigt.
Unbestritten ist, daß der Verdienstentgang des Beklagten eine Folge des Verhaltens des Klägers ist und daher durch diesen verursacht wurde. Die natürliche Kausalität ist somit gegeben. Den Vorinstanzen ist aber darin beizupflichten, daß nicht jeder für einen Schaden verantwortlich ist, der eine conditio sine qua non hiefür gesetzt hat. Der Schädiger hat nach der herrschenden Art Adäquanztheorie nur für adäquat herbeigeführte Schäden einzustehen (s die Nachweise bei Koziol/Welser I10 448 in FN 40). Dabei ist ein Schaden adäquat herbeigeführt, wenn seine Ursache ihrer allgemeinen Natur nach für die Herbeiführung eines derartigen Erfolges nicht als völlig ungeeignet erscheinen muß und nicht nur infolge einer ganz außergewöhnlichen Verkettung von Umständen zu einer Bedingung des Schadens wurde (Koziol/Welser aaO). Geht man von diesen Überlegungen aus, so kann der vom Beklagten geltend gemachte Verdienstentgang nicht als inadäquate Folge des Verhaltens des Klägers angesehen werden, weil es nicht als ganz außergewöhnlich anzusehen ist, daß der Beklagte auf dieses Verhalten mit einer Verletzung des Klägers reagiert und deshalb entlassen wird. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Kläger den Eintritt dieses Schadens vorhergesehen hat oder ihn vorhersehen konnte (SZ 57/196 ua). Der adäquate Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten des Klägers und dem vom Beklagten geltend gemachten Verdienstentgang ist daher nach Ansicht des erkennenden Senates entgegen der Meinung der Vorinstanzen zu bejahen, weshalb die Schadenersatzpflicht des Klägers nicht schon mangels Adäquität ausgeschlossen ist.
Bereits die Vorinstanzen haben aber zutreffend darauf hingewiesen, daß nach der Lehre vom Schutzzweck der Norm für die Schadenersatzpflicht neben einem adäquaten Kausalzusammenhang noch ein Rechtswidrigkeits- zusammenhang gegeben sein muß. Jemand, der ein Schutzgesetz übertritt, haftet für diejenigen hiedurch verursachten Schäden, welche die Schutznorm verhindern wollte (ZVR 1990/119 mwN; jüngst Koziol, Haftpflichtrecht I3 Rz 8/18 mwN). Hiezu hat der erkennende Senat erst vor kurzem in der Entscheidung vom 18.6.1997, 3 Ob 507/96, unter ausführlicher Darstellung des Meinungsstandes ausgesprochen, daß er der Lehre folge, wonach die Frage der Haftung für aus der Verletzung einer Schutznorm herrührende Folgeschäden nicht aufgrund der adäquaten Kausalität des tatsächlichen Geschehensablaufs, sondern nach der Normadäquanz (modale Schadensentstehung) zu beurteilen sei; im Einzelfall seien in Form eines beweglichen Systems Risikozuteilung, allgemeines oder besonderes Lebensrisiko, Unrechtsintensität und Entfernung des Folgeschadens vom zuerst intendierten Ziel einer Haftung aus Verletzung des Schutzgesetzes miteinander in Beziehung zu setzen. Daraus folgt im zu entscheidenden Fall aber die Ablehnung der Haftung des Klägers für den vom Beklagten geltend gemachten Schaden.
Wenngleich den Ausführungen in der Revision des Beklagten insoweit bezupflichten ist, als der Schutzzweck der Norm des § 107 StGB nicht bloß die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, sondern auch den Schutz der Persönlichkeit des Einzelnen umfaßt, so ist aber ebenso eindeutig, daß der Schutzzweck dieser Norm und aller anderen Normen, deren Verletzung dem Kläger vorgeworfen werden könnte, wie etwa jener des § 1330 Abs 1 ABGB, nicht auch die Verhindung von Schäden einschließt, die dadurch entstehen, daß derjenige, der beschimpft und bedroht wird, hierauf in völlig unangemessener Weise reagiert. Die Vorinstanzen haben daher zu Recht den Rechtswidrigkeitszusammenhang mit dem vom Beklagten geltend gemachten Verdienstentgang verneint, weshalb der Kläger diesen Schaden nicht zu ersetzen hat.
Im übrigen enthält die Revision des Beklagten nur mehr Ausführungen zur Frage der Verschuldensteilung. Hiezu genügt es aber gemäß § 510 Abs 3 Satz 2 ZPO, auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils hinzuweisen, die der Oberste Gerichtshof für zutreffend erachtet und von denen hervorzuheben ist, daß es sich beim Verhalten des Beklagten nicht um eine Reaktion handelte, die er im Zuge der Bedrohung und Beschimpfung durch den Kläger setzte, sondern daß er dem Kläger nachging, als dieser sich schon entfernt hatte.
Der Ausspruch über die Kosten beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.
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