OGH 3Ob222/03y

OGH3Ob222/03y26.11.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Pimmer, Dr. Zechner, Dr. Schramm und Dr. Jensik als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Andreas P*****, vertreten durch Dr. Herbert Veit, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei K*****, vertreten durch Prof. Haslinger & Partner, Rechtsanwälte in Linz, wegen 20.000 EUR sA und Feststellung (Streitwert 5.000 EUR), infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 13. August 2003, GZ 3 R 124/03f-12, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Spruch:

Im vorliegenden Fall wird kein Behandlungsfehler geltend gemacht, weil der entsprechende Verdacht, die Operation sei nicht lege artis durchgeführt worden, durch das vom Kläger eingeholte Privatgutachten nicht bestätigt wurde. Der Umstand, dass - nach den Klagsbehauptungen - ein Eingriff ohne Einwilligung und ohne Aufklärung vorgenommen wurde, ist zwar ebenfalls haftungsbegründend. Die ausreichende Kenntnis hievon erlangte der Beklagte jedoch nach seinem eigenen Vorbringen bereits unmittelbar nach der betreffenden Operation, als er nach dem Aufwachen feststellen musste, dass er auch wegen eines Inguinalabszesses auf der linken Seite operiert worden war. Haftungsbegründend ist hier nach den Klagsbehauptungen nämlich weder ein Behandlungsfehler bei Durchführung der Operation noch - wie in dem der E 4 Ob 131/00v zugrundeliegenden Fall - unterlassene Aufklärung über die Risikofaktoren, sondern ausschließlich die Durchführung der Operation ohne vorherige Einwilligung. Das Wissen um die Rechtswidrigkeit des ohne seine Einwilligung vorgenommenen Eingriffs bestand beim Kläger nach seinem eigenen Vorbringen jedoch bereits unmittelbar nach der Operation, ohne dass es zur weiteren Klärung der Einholung eines Gutachtens bedurft hätte, das hier im Übrigen auch nur den beim Kläger bestandenen Verdacht eines Behandlungsfehlers ausgeräumt hat. Zutreffend hebt schon das Berufungsgericht hervor, dass sich der Kläger nicht auf einen (zunächst unerkannt gebliebenen) ärztlichen Kunstfehler stützt. Da das Berufungsgericht die Frage des Beginns der Verjährungsfrist bereits auf Grundlage der vorliegenden Rsp des Obersten Gerichtshofs lösen konnte, ist die außerordentliche Revision des Klägers mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung zurückzuweisen.

Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung

Der Kläger brachte in der am 7. März 2003 eingebrachten Klage vor, er sei am 12. September 1997 im Krankenhaus der beklagten Partei operiert worden. Vorher sei seine Einwilligung wegen einer Operation am Scrotum rechts eingeholt worden; über die Risken dieser Operation sei er - wenn auch nur oberflächlich - aufgeklärt worden. Als er nach der Operation aufgewacht sei, habe er feststellen müssen, dass er nicht nur am Scrotum rechts, sondern wegen eines Inguinalabszesses auch auf der linken Seite operiert worden sei. Der behandelnde Arzt habe ihn darüber, dass auch diese Operation indiziert sei, nicht aufgeklärt und auch nicht seine Einwilligung eingeholt. In der Folge sei es gerade an der linksseitigen Operationswunde, die bis heute nicht richtig verheilt sei, immer wieder zu Entzündungen gekommen, die behandelt werden mussten. So sei im Krankenhaus der beklagten Partei bereits am 29. September 1997 eine weitere Operation durchgeführt worden, die aber nur kurzzeitigen Erfolg gehabt habe. Da sich diese Operationswunde immer wieder entzündet habe, seien in einem anderen Krankenhaus am 8. September 1999 und am 24. Mai 2000 Operationen vorgenommen worden. Hätte ihn der behandelnde Arzt vor der Operation darüber informiert, dass auch eine Operation der linken Seite geplant sei und ihn über die damit verbundenen Risken aufgeklärt, hätte er seine Einwilligung nicht erteilt, sondern eine konservative Behandlung verlangt. Außerdem habe er am "große Zweifel an der Durchführung der Operation lege artis", weil derartige Folgewirkungen nicht auftreten dürften. Zur Klärung, ob der Eingriff überhaupt lege artis durchgeführt worden sei, habe er am 21. Oktober 2001 ein Gutachten eingeholt; der Privatsachverständige komme zwar zur Auffassung, dass die Behandlung als lege artis durchgeführt anzusehen sei, treffe jedoch keine weiteren Aussagen zur Frage, ob die Einwilligung des Beklagten eingeholt worden sei. Die Verjährung der Schadenersatzansprüche beginne erst nach Einholung eines medizinischen Gutachtens.

Der Kläger begehrte Zahlung von 20.000 EUR Schmerzengeld und die Feststellung der Haftung der beklagten Partei für alle Schäden, die dem Kläger durch die ohne Einwilligung erfolgte Operation des Inguinalabszesses links am 12. September 1997 entstanden sind. Die beklagte Partei wendete ein, der Eingriff, zu dem der Kläger seine Zustimmung erteilt habe, sei den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechend ausgeführt worden. Darüber hinaus seien alle Ersatzansprüche verjährt. Es habe sich kein Operationsrisiko verwirklicht, weshalb die Verjährung bereits unmittelbar nach der Operation zu laufen begonnen habe.

Das Erstgericht wies die Klagebegehren wegen Verjährung ab. Die Verjährungsfrist habe zu laufen begonnen, als dem Kläger bekannt gewesen sei, dass eine Operation ohne Einwilligung erfolgt sei, die weitere Eingriffe mit sich gebracht habe, also spätestens mit der Folgeoperation am 29. September 1997.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil, es sprach aus, der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteige 20.000 EUR, und ließ die ordentliche Revision nicht zu. In rechtlicher Hinsicht führte die zweite Instanz aus, auszugehen sei davon, dass jede ärztliche Heilbehandlung, die mit einer Beeinträchtigung der körperlichen Integrität des Patienten verbunden ist, erst durch die Einwilligung des Patienten, welcher zu ihrer Wirksamkeit eine hinreichende ärztliche Aufklärung voranzugehen habe, die Verletzung der körperlichen Integrität rechtfertige. Habe die ohne Einwilligung oder ohne ausreichende Aufklärung des Patienten vorgenommene eigenmächtige Behandlung nachteilige Folgen, hafte daher der Arzt, wenn der Patient sonst in die Behandlung nicht eingewilligt hätte (wie dies der Kläger im vorliegenden Fall behaupte), für diese Folgen selbst dann, wenn ihm bei der Behandlung kein Kunstfehler unterlaufen sei. Die dreijährige Verjährungsfrist des § 1489 erster Satz ABGB beginne zu laufen, wenn dem Geschädigten der Schaden und die Person des Beschädigers bekannt geworden seien. Die Verjährung beginne, wenn der Sachverhalt dem Geschädigten so weit bekannt sei, dass er mit Aussicht auf Erfolg klagen könne. Das bedinge die Kenntnis des Kausalzusammenhanges und - bei verschuldensabhängiger Haftung - auch die Kenntnis der Umstände, die das Verschulden begründen. Sei der Geschädigte Laie und setze die Kenntnis dieser Umstände Fachwissen voraus, so beginne die Verjährungsfrist regelmäßig erst zu laufen, wenn der Geschädigte durch ein Sachverständigengutachten Einblick in die Zusammenhänge erlangt hat. Komme demnach jemand durch einen ärztlichen Kunstfehler zu schaden, so beginne die Verjährungsfrist nicht, solange die Unkenntnis, dass es sich um einen Kunstfehler handelt, andauere, mögen auch der Schaden und die Person des (möglichen) Ersatzpflichtigen an sich bekannt sein. Nach der E 4 Ob 131/00v könne für die Beurteilung des Beginns der Verjährungsfrist nichts anderes gelten, wenn Schadensursache nicht ein ärztlicher Kunstfehler, sondern der - auch kunstgerechte - Eingriff des Arztes sei, dem mangels entsprechender Aufklärung über Gefahren und Folgen der Behandlung oder ihrer Unterlassung eine wirksame, rechtfertigende Einwilligung des Patienten fehle. Auch in diesem Fall setze der Beginn der Verjährung voraus, dass dem Geschädigten die Zusammenhänge bewusst seien, die er erkennen müsse, um mit Aussicht auf Erfolg klagen zu können.

Der hier vom Kläger vorgetragene anspruchsbegründende Sachverhalt unterscheide sich davon völlig, weil der Kläger sofort nach der Operation festgestellt habe, dass ein Eingriff erfolgt sei, zu dem er nach seinen Behauptungen keine Einwilligung erteilt habe. Der Kläger gehe nun davon aus, dass sich trotz des lege artis vorgenommenen Eingriffs ein Risiko (immer wieder auftretende Entzündungen) verwirklicht habe, auf das der behandelnde Arzt hätte hinweisen müssen, wobei er in diesem Fall die Einwilligung zur Operation nicht erteilt hätte. Er habe damit Kenntnis von allen haftungsbegründenden Umständen gehabt. Spätestens mit der zweiten Operation am 29. September 1997 sei daher die Verjährungsfrist in Gang gesetzt worden.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision des Klägers ist mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig. Der Kläger führt als Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung an, ob auch in dem Fall, dass bei einer geplanten Operation, bei der auch eine Einwilligung vorliege, über den geplanten Eingriff hinaus auch eine andere Körperstelle mitoperiert werde, erst das Vorliegen eines Gutachtens dem Beginn der Verjährungsfrist auslöse, wenn sich dadurch herausstellt, dass kein Kunstfehler vorliege.

Diese Frage haben die Vorinstanzen unter Anwendung der hiezu in der Rsp entwickelten Grundsätze gelöst.

In der E 4 Ob 131/00v = ecolex 2001, 44 = RdM 2001/2, 21 (hiezu Stärker in ASoK 2001, 150) hat der Oberste Gerichtshof zur Frage des Beginns der Verjährungsfrist für den Fall der Verletzung ärztlicher Aufklärungsfristen erkannt: Erleidet der Geschädigte infolge eines mangels entsprechender Aufklärung durch den Arzt nicht durch die Einwilligung des Patienten gerechtfertigten Eingriffs einen Schaden, so beginnt die Verjährungsfrist erst zu laufen, wenn ihm bekannt ist, dass verschiedene Alternativen bestanden hätten, zwischen denen er hätte wählen können, wäre er über die mit jeder der alternativen verbundenen Risken aufgeklärt worden. Über dieses Wissen wird ein Laie nicht verfügen; Klarheit wird daher regelmäßig erst ein Sachverständigengutachten schaffen, zu dessen Einholung der Geschädigte aber nicht verpflichtet ist.

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