OGH 3Ob179/05b

OGH3Ob179/05b27.6.2006

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Pimmer und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner, Dr. Prückner und Dr. Sailer als weitere Richter in der Unterbringungssache des Patienten Sebastian P*****, vertreten durch die Patientenanwältin Mag. Christine Müllner-Lachner, Patientenanwaltschaft Geschäftsstelle Salzburg, diese vertreten durch Dr. Friedrich Schwarzinger und Mag. Nikolaus Weiser, Rechtsanwälte in Wels, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses des Patienten gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom 24. Mai 2005, GZ 21 R 182/05v-27, womit dem Rekurs des Patienten gegen den Beschluss des Bezirksgerichtes Salzburg vom 15. Februar 2005, GZ 36 Ub 550/04t-21, teilweise Folge gegeben wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden abgeändert. Festgestellt wird, dass die Fixierungen des Patienten Sebastian P*****, am 23. April 2004 von 07.40 Uhr bis 08.30 Uhr und am 24. April 2004 von 07.30 Uhr bis 09.00 Uhr nicht dem Gesetz entsprachen. Dem Revisionsrekurs wird hingegen insoweit nicht Folge gegeben, als er sich gegen die Entscheidung des Rekursgerichts über den Rekurs des Patienten gegen eine (von ihm behauptete, aber nicht vorliegende) Entscheidung des Erstgerichts über die Zulässigkeit der ärztlichen Behandlung gemäß § 38 UbG richtet.

Text

Begründung

Der am 2. August 1983 geborene Patient wurde vom 17. April 2004 bis 24. April 2004 in der geschlossenen Station ***** untergebracht. Die Unzulässigkeit dieser Unterbringung wurde bereits rechtskräftig festgestellt.

I. Infolge Revisionsrekurses des Patienten ist erstens darüber zu entscheiden, ob die Fixierungen am 23. April 2004 von 07.40 Uhr bis 08.30 Uhr und am 24. April 2004 von 07.30 Uhr bis 09.00 Uhr dem Gesetz entsprachen.

Die Vorinstanzen haben festgestellt, dass diese Fixierungen auf Grund akuter Aggressionshandlungen gegenüber dem Pflegepersonal bzw. einem Mitpatienten erforderlich waren. Unstrittig ist, dass die in § 33 Abs 3 erster Satz UbG vorgeschriebene unverzügliche Mitteilung an den Vertreter des Kranken unterblieben ist.

Das Erstgericht erkannte diese Fixierungen deshalb für zulässig, ohne darauf einzugehen, ob die Verfahrensvorschriften des § 33 Abs 3 UbG eingehalten wurden.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Patienten insoweit nicht Folge und führte hiezu in rechtlicher Hinsicht aus, die Fixierungen seien als weitergehende Beschränkungen nach § 33 Abs 1 UbG dann zulässig, wenn sie zur Gefahrenabwehr sowie zur ärztlichen Behandlung oder Betreuung unerlässlich sind und zu ihrem Zweck nicht außer Verhältnis stehen. Diese Voraussetzungen seien erfüllt. Dass der behandelnde Arzt seiner Verpflichtung nach § 33 Abs 3 UbG, die weitergehenden Beschränkungen unverzüglich dem Vertreter des Kranken mitzuteilen, nicht nachgekommen sei, berühre die Zulässigkeit der Beschränkung im Übrigen nicht, weil es sich dabei um eine bloße Formvorschrift handle.

Die zweite Instanz ließ insoweit den ordentlichen Revisionsrekurs mit der Begründung nicht zu, dass der Beantwortung der Frage nach der Zulässigkeit der Fixierungen keine über die besonderen Umstände des Falles hinausgehende Bedeutung zukomme.

§ 33 UbG lautet:

„Beschränkungen der Bewegungsfreiheit

(1) Beschränkungen des Kranken in seiner Bewegungsfreiheit sind nach Art, Umfang und Dauer nur insoweit zulässig, als sie im Einzelfall zur Abwehr einer Gefahr im Sinn des § 3 Z 1 sowie zur ärztlichen Behandlung oder Betreuung unerlässlich sind und zu ihrem Zweck nicht außer Verhältnis stehen.

(2) Im Allgemeinen darf die Bewegungsfreiheit des Kranken nur auf mehrere Räume oder auf bestimmte räumliche Bereiche beschränkt werden.

(3) Beschränkungen der Bewegungsfreiheit auf einen Raum oder innerhalb eines Raumes sind vom behandelnden Arzt jeweils besonders anzuordnen, in der Krankengeschichte unter Angabe des Grundes zu beurkunden und unverzüglich dem Vertreter des Kranken mitzuteilen. Auf Verlangen des Kranken oder seines Vertreters hat das Gericht über die Zulässigkeit einer solchen Beschränkung unverzüglich zu entscheiden."

Rechtliche Beurteilung

Hier liegen zwar - auch im Revisionsrekurs nicht in Frage gestellt - die materiellen Voraussetzungen des § 33 Abs 1 UbG vor; jedoch wurden die formellen Vorschriften des § 33 Abs 3 Satz 1 UbG über die unverzügliche Verständigung des Vertreters des Kranken von einer Beschränkung der Bewegungsfreiheit nicht eingehalten. In der E 2 Ob 347/97m (EFSlg 97.619; RIS-Justiz RS0109086) wurde (ohne nähere Begründung) erkannt, die Nichteinhaltung der formellen Vorschriften des § 33 Abs 3 erster Satz UbG mache eine allfällige Beschränkung der Bewegungsfreiheit nicht unzulässig; dabei handle es sich um Ordnungsvorschriften, deren Einhaltung keiner Überprüfung durch das Gericht unterliege. Es komme darauf an, ob die materiellen Voraussetzungen des § 33 Abs 1 UbG vorgelegen sind. Diese Ansicht kann aus folgenden Überlegungen nicht aufrecht erhalten werden:

Die Beschränkungen der Bewegungsfreiheit (§ 33 UbG) sind einer gerichtlichen Nachprüfung unterworfen. Gemäß § 33 Abs 3 zweiter Satz UbG hat das Gericht auf Verlangen des Kranken oder seines Vertreters über die Zulässigkeit einer solchen Beschränkung unverzüglich zu entscheiden.

Für den Umfang dieser Überprüfungsbefugnis gelten dieselben Kriterien wie bei der Überprüfung der Zulässigkeit der Unterbringung (§ 18 UbG) an sich. Wie der Oberste Gerichtshof zuletzt in der E vom 27. April 2006 6 Ob 48/06m erkannte, ist hiebei nach der jüngeren Rsp des Obersten Gerichtshofs (4 Ob 192/98h) (auch) die „Unverzüglichkeit" der Aufnahmeuntersuchungen des Patienten der gerichtlichen Nachprüfung unterworfen. Diese bezieht sich somit - entgegen älterer Rsp - nicht nur auf die materiellen Voraussetzungen einer Unterbringung iSd UnterbringungsG, sondern auch auf deren formelle. Dies entspricht den verfassungsrechtlichen Anforderungen einer umfassenden Rechtmäßigkeitskontrolle freiheitsentziehender Maßnahmen sowohl in materieller als auch in formeller (insb verfahrensrechtlicher) Hinsicht (Art 6 Abs 1 PersFrG; Art 13 EMRK; Kopetzki, Unterbringungsrecht 627 ff; ders, RdM 1999/14 [Entscheidungsanmerkung]).

Diese Kriterien haben auch im vorliegenden Fall zu gelten (ebenso Kopetzki, Grundriss des Unterbringungsrechts2 Rz 729 f). Dass es sich bei der Verpflichtung, eine Beschränkung des Kranken in seiner Bewegungsfreiheit unverzüglich dessen Vertreter mitzuteilen, nicht um eine bloße Ordnungsvorschrift, deren Einhaltung keiner Überprüfung durch das Gericht unterliegt, handelt, ergibt sich schon aus deren Zweck, dem Vertreter des Kranken zu ermöglichen, eine Entscheidung des Gerichts über die Zulässigkeit einer solchen Beschränkung zu verlangen. Der ggt, nicht näher begründeten Ansicht von Hopf/Aigner, Unterbringungsgesetz 90, kann nicht gefolgt werden. Die in der Revisionsrekursbeantwortung allein angestellte Wortinterpretation, wonach das Wort „zulässig" nur im § 33 Abs 1 UbG, nicht aber im § 33 Abs 3 erster Satz UbG verwendet werde, greift zu kurz. Dies gilt auch für die folgenden Überlegungen, bei denen nicht darauf eingegangen wird, dass bei freiheitsentziehenden Maßnahmen - und somit auch bei Überprüfung der Beschränkungen der Bewegungsfreiheit - eine umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle stattzufinden hat.

Zusammenfassend ist festzuhalten: Die Einhaltung der formellen Voraussetzungen der Beschränkungen der Bewegungsfreiheit gemäß § 33 Abs 3 erster Satz UbG, hier der unverzüglichen Mitteilung an den Vertreter des Kranken, unterliegen ebenfalls der Überprüfung durch das Gericht gemäß § 33 Abs 3 zweiter Satz UbG.

In Stattgebung des Revisionsrekurses des durch den Patientenanwalt vertretenen Patienten ist daher auszusprechen, dass die in Rede stehenden Fixierungen nicht dem Gesetz entsprachen. II. Nicht berechtigt ist hingegen der Revisionsrekurs, soweit auch die Unzulässigkeit der Heilbehandlung gemäß § 38 UbG auszusprechen sei. Hier hat bereits das Rekursgericht zutreffend erkannt, dass das Erstgericht über den Antrag noch nicht entschieden hat. Erst nach Vorliegen einer solchen Entscheidung, die primär der Überprüfung durch die zweite Instanz obliegt, wäre der Oberste Gerichtshof - bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen - funktionell zur Entscheidung berufen.

Insoweit war dem Revisionsrekurs somit nicht Folge zu geben, ohne dass eine inhaltliche Prüfung der Zulässigkeit der Heilbehandlung gemäß § 38 UbG erfolgen konnte.

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