Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichts - Abweisung des Antrags auf Exekutionsbewilligung - wieder hergestellt wird.
Die betreibende Partei hat die Kosten ihres Rekurses selbst zu tragen.
Die betreibende Partei ist schuldig, der verpflichteten Partei die mit 1.853,80 EUR (darin 308,97 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsrekurses binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung
Das Erstgericht wies den Antrag der betreibenden Partei, ihr wider die verpflichtete Partei auf Grund der in einem anhängigen näher genannten Zivilprozess gemäß § 82 ZPO ergangenen Beschlüsse des Handelsgerichts Wien vom 28. Juni 2004 und 4. August 2004 die Exekution gemäß § 354 EO zu bewilligen, ab. Nach dessen Ansicht wäre die Vollstreckung eines Beschlusses gemäß § 82 ZPO vor dem Hintergrund des Art 6 Abs 1 EMRK konventionswidrig, weil dieser unanfechtbare Beschluss „in einem einseitig ausgestatteten Verfahren" ergehe. Infolgedessen könne er der Verhängung von Beugestrafen gemäß § 354 EO nicht als Grundlage dienen. Werde einem Auftrag gemäß § 82 ZPO nicht entsprochen, so habe das bloß „Kostenfolgen". Das Rekursgericht bewilligte die beantragte Exekution. Es sprach ferner aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Es verwies darauf, dass der Oberste Gerichtshof einen Auftrag zur Urkundenvorlage gemäß § 303 ZPO für nicht vollstreckbar halte. Das könnte ein Indiz für die Richtigkeit der Auffassung des Erstgerichts sein. Das im angefochtenen Beschluss auf Art 6 Abs 1 EMRK gestützte Argument sei zwar beachtenswert, es spreche aber nicht notwendigerweise gegen die Vollstreckbarkeit eines Beschlusses gemäß § 82 ZPO. So sei etwa eine nicht abgesondert anfechtbare einstweilige Vorkehrung im Besitzstörungsverfahren gleichfalls vollstreckbar. Allerdings sei der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung „4 Ob 55/05g" - wenn auch obiter - ersichtlich davon ausgegangen, dass die Verletzung (Nichtbefolgung) des Auftrages nach § 82 ZPO „zumindest zunächst" (ersichtlich im Ausgangsrechtsstreit) sanktionslos bleibe. Dieser Auftrag sei jedoch als Exekutionstitel im Wege des § 354 EO durchsetzbar. Allein aus einer Vollstreckbarkeitsbestätigung nach rein formalen Kriterien lasse sich indes - entgegen der Ansicht der betreibenden Partei - nicht auf das Vorliegen eines für eine Exekution tauglichen Titels schließen. Die Entscheidung hänge von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage gemäß § 78 EO iVm § 528 Abs 1 ZPO ab, weil sich der Oberste Gerichtshof mit der Frage nach der Vollstreckbarkeit eines Beschlusses gemäß § 82 EO „noch nicht direkt befasst" habe, und die Entscheidung „4 Ob 55/05g" Zweifel über die Sanktion der Nichtbefolgung eines Vorlageauftrags offen lasse. Der Revisionsrekurs ist zulässig; er ist auch berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
1. Nach herrschender Ansicht ist der Normzweck des § 82 ZPO die Gewährleistung der Information des Prozessgegners, nicht dagegen die Sicherung der Beweisführung gegenüber dem Gericht (4 Ob 44/05g; 5 Ob 131/91 = EvBl 1992/84; 5 Ob 130/91; 5 Ob 122/91; Gitschthaler in Rechberger, ZPO² § 82 Rz 1; Konecny in Fasching/Konecny² § 82 ZPO Rz 1; Lindinger/Öhlböck, Drum prüfe, wer sich beziehe - Urkundenvorlagepflicht nach § 82 ZPO, AnwBl 2006, 8 ff [9]). Die Nichtbefolgung eines Auftrags gemäß § 82 ZPO ist im Prozess mit keiner unmittelbaren Sanktion verknüpft (4 Ob 44/05g; Gitschthaler aaO § 82 Rz 3; Konecny aaO § 82 ZPO Rz 8).
2. Gemäß § 308 Abs 2 ZPO ist ein Beschluss, mit dem der Streitrichter einem Dritten die Vorlage einer bestimmten Urkunde auftrug, nach Eintritt der Rechtskraft und nach Ablauf der Vorlagefrist vollstreckbar. Daraus wird bereits kraft Umkehrschlusses abgeleitet, dass ein Auftrag zur Urkundenvorlage gemäß § 303 Abs 1 ZPO an den Prozessgegner nicht vollstreckbar ist (offenkundig idS 6 Ob 611/80 = SZ 53/95; ebenso G. Kodek in Fasching/Konecny² § 307 ZPO Rz 11). Dieses Ergebnis wird ferner durch die abschließende Regelung der Folgen einer ungerechtfertigten Vorlageverweigerung in § 307 Abs 2 ZPO getragen (G. Kodek aaO § 307 ZPO Rz 11, 13 mwN). Angesichts des hier zu lösenden Falls ist von Bedeutung, dass sich die Rechtsfolge des § 307 Abs 2 ZPO - freie Würdigung der Nichtbefolgung eines Vorlageauftrags durch den Streitrichter - auch auf den Fall bezieht, dass der Prozessgegner einem Auftrag zur Vorlage einer Urkunde, deren Besitz er zugestanden hatte, nicht nachkam.
3. Lindinger/Öhlböck (aaO) erörtern im Einzelnen die Konsequenzen eines gerichtlichen Auftrags zur Urkundenvorlage gemäß § 82 ZPO. Sie verweisen auf die unbedingte Vorlagepflicht nach § 304 Abs 1 Z 1 ZPO und bezeichnen die Antragstellung gemäß § 82 Abs 1 ZPO als das „prozessuale Mittel" zur Erwirkung der Vorlage von Urkunden im Original. Sei ein solcher Antrag unterblieben, so könne der Verhandlungsleiter als Ausfluss der §§ 183 Abs 1 Z 2, 229 und 257 ZPO die Vorlage vor der Verhandlung von Amts wegen verfügen bzw die Vorlage der Urschrift (Originale) gemäß § 299 ZPO von Amts wegen oder auf Antrag in der mündlichen Verhandlung anordnen, selbst wenn bereits ein Antrag nach § 82 ZPO gestellt worden sei. Die Nichtbefolgung eines Beschlusses gemäß § 82 ZPO könne Anlass für eine Kostenseparation gemäß § 44, § 48 oder § 142 ZPO sein. Sei die Urkundenvorlage infolge Verschleppungsabsicht unterblieben oder verursache die mangelnde Vorlage eine „erhebliche Verzögerung des Prozesses", so komme es zur „Präklusion der Urkunde als Beweis" (im letzteren Punkt aM Konecny aaO § 82 ZPO Rz 8). Eine Nichtbefolgung des erörterten Auftrags werde außerdem Auswirkungen auf die richterliche Beurteilung der Beweislast und Beweispflicht haben. Die Erfüllung eines Vorlageauftrags gemäß § 82 ZPO sei aber auch durch eine Exekution gemäß § 354 EO erzwingbar. Die Möglichkeit der Exekutionsführung erhöhe den Druck auf den Prozessgegner, die Urkunde zugänglich zu machen.
4. Nach einer zu billigenden Lehre sind in einem Zivilprozess ergangene Beschlüsse, mit denen der Streitrichter Aufträge erteilte, dann keine Exekutionstitel iSd § 1 Z 1 EO, wenn deren Nichtbefolgung bereits in diesem Verfahren bestimmte Rechtsfolgen wie etwa den Verlust von Beweismitteln oder Kostennachteile nach sich zieht oder einen Einfluss auf die Beweiswürdigung haben kann (Heller/Berger/Stix, EO4 I 69 f; Jakusch in Angst, EO, § 1 Rz 7; Meinhart in Burgstaller/Deixler-Hübner, EO, § 1 Rz 15).
5. Lindinger/Öhlböck (aaO) befassen sich - wie unter 3. referiert - mit Rechtsfolgen, die im Fall der Nichtbefolgung eines Auftrags zur Urkundenvorlage nach § 82 ZPO im Prozess eintreten können, sie übergehen jedoch die unter 4. gebilligte herrschende Lehre zu § 1 Z 1 EO. Danach sind Beschlüsse des Streitrichters dann keine Exekutionstitel, wenn deren Nichtbefolgung bereits im Prozess bestimmte Rechtsfolgen wie etwa den Verlust von Beweismitteln oder Kostennachteile nach sich zieht oder einen Einfluss auf die Beweiswürdigung haben kann. Jene Autoren gelangen somit letztlich begründungslos zum Ergebnis, ein Vorlageauftrag gemäß § 82 ZPO sei vollstreckbar. Der erkennende Senat tritt dieser Ansicht nicht bei. Die Nichtbefolgung eines Vorlageauftrags gemäß § 82 ZPO kann für den Gegner des Vorlagewerbers im Prozess einerseits nachteilige Kostenfolgen haben, andererseits ist evident, dass sich eine in weiterer Folge auch auf das Beweisverfahren erstreckende Weigerung einer Prozesspartei, eine in ihrem Besitz befindliche Beweisurkunde vorzulegen, auf die sie sich selbst berufen hatte und deren Vorlage ihr der Streitrichter auftrug (§ 303 Abs 1 ZPO iVm § 304 Abs 1 Z 1 ZPO), die gerichtliche Beweiswürdigung nach § 307 Abs 2 EO beeinflussen wird. Überdies folgt aus den Erwägungen unter 2., dass selbst ein im Verlauf des Beweisverfahrens ergangener Auftrag des Streitrichters an eine Prozesspartei, bestimmte Urkunden in deren Besitz vorzulegen, nicht vollstreckbar ist. Diese Rechtsfolge muss dann umso mehr für einen Auftrag zur Urkundenvorlage gelten, der wie jener nach § 82 ZPO noch nicht das Beweisverfahren betrifft, sondern lediglich dem Informationsinteresse des Vorlagewerbers dient, jedoch bereits eine Informationsverzögerung wegen Nichtbefolgung eines solchen Auftrags nachteilige Kostenfolgen für den Gegner des Vorlagewerbers haben kann. Alle bisherigen Erwägungen sind daher wie folgt zusammenzufassen:
Ein Beschluss, mit dem der Streitrichter einem Antrag auf Urkundenvorlage gemäß § 82 ZPO stattgab, ist kein Exekutionstitel nach § 1 Z 1 EO.
6. Auf Grund des soeben erzielten Ergebnisses muss der Exekutionsantrag gemäß § 354 EO scheitern. Infolgedessen ist der Beschluss des Erstgerichts, mit dem dieser Antrag abgewiesen wurde, wieder herzustellen, ohne dass es im Revisionsrekursverfahren einer vorangehenden Anhörung der betreibenden Partei bedurfte. Die betreibende Partei hatte eine Revisionsrekursbeantwortung eingebracht, die das Erstgericht mit Beschluss vom 29. Mai 2006 (ON 16) - unter Berufung auf die Entscheidungskette RIS-Justiz RS0118686 - rechtskräftig zurückwies. Nach nunmehr stRsp des erkennenden Senats ist das Rechtsmittelverfahren über einen Antrag auf Exekutionsbewilligung an sich auch in dritter Instanz einseitig, sofern nicht der Oberste Gerichtshof im Einzelfall eine Rechtsmittelbeantwortung für geboten hält (RIS-Justiz RS0118686). Das Erstgericht nahm daher mit dem Zurückweisungsbeschluss eine Kompetenz wahr, die ihm vom Gesetz nicht eingeräumt wurde. Soweit es sich als Stütze für diese Entscheidung auch auf Zechner (in Fasching/Konecny² § 507 ZPO Rz 22) berief, tragen dessen Ausführungen das erzielte Ergebnis nicht, ist doch dort nur von einer unzulässigen Revisionsbeantwortung die Rede. Soweit diese Stellungnahme auch auf die Revisionsrekursbeantwortung übertragbar ist, kann das nur für Schriftsätze gelten, deren Unzulässigkeit im Zeitpunkt der Zurückweisungsentscheidung feststeht. Die dort erörterte Rechtsfolge erfasst somit nicht eine Revisionsrekursbeantwortung, die dem Rechtsmittelgegner erst vom Obersten Gerichtshof freigestellt werden kann (vgl Zechner aaO § 507 ZPO Rz 22). Ergebnis dessen ist, dass die betreibende Partei den erstgerichtlichen Zurückweisungbeschluss hätte bekämpfen müssen, um dem Obersten Gerichtshof - im Fall eines Rechtsmittelerfolgs - eine Bedachtnahme auf die in der Revisionsrekursbeantwortung vorgetragenen Gründe zu ermöglichen. Da der Zurückweisungsbeschluss jedoch in Rechtskraft erwuchs, kommt die Freistellung einer Revisionsrekursbeantwortung durch den Obersten Gerichtshof nicht mehr in Betracht.
7. Die Entscheidung über die Kosten des Rekurses der betreibenden Partei und des Revisionsrekurses der verpflichteten Partei gründet sich auf § 78 EO iVm § 41 und § 50 Abs 1 ZPO.
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