OGH 3Ob141/15d

OGH3Ob141/15d19.8.2015

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin Dr.

 Lovrek als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch und die Hofrätinnen Dr. Dehn und Dr. Kodek als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen N*****, und A*****, beide in Pflege und Erziehung ihres Vaters F*****, wegen Obsorgeübertragung, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter N*****, vertreten durch pfletschinger.renzl Rechtsanwaltspartnerschaft in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 10. Juni 2015, GZ 23 R 175/15f‑46, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0030OB00141.15D.0819.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

 

Begründung:

Die Vorinstanzen übertrugen dem Vater die vorher der Mutter zustehende Obsorge für seine 16 und 14 Jahre alten Töchter, weil dies bei Gesamtabwägung aller Umstände des Falls dem Kindeswohl und dem ausdrücklichen Wunsch der Töchter entspreche. Generalpräventive Erwägungen ‑ der Vater habe die Kinder vor 12 Jahren widerrechtlich der Mutter entzogen und jahrelang den Kontakt unterbunden ‑ hätten bei der Obsorgeentscheidung keinen Platz.

Die Mutter, die die Abweisung des Obsorgeübertragungsbegehrens des Vaters anstrebt, vermag keine erheblichen Rechtsfragen im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG aufzuzeigen.

Rechtliche Beurteilung

Obsorgeentscheidungen sind jeweils solche des Einzelfalls und begründen nur bei Verletzung leitender Rechtsprechungsgrundsätze erhebliche Rechtsfragen (RIS‑Justiz RS0007101, RS0097114). Wurde auf das Kindeswohl ausreichend Bedacht genommen, kommt der Entscheidung keine grundsätzliche Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG zu (RIS-Justiz RS0115719).

Die Obsorgeentscheidung hat ausschließlich nach Maßgabe des Kindeswohls zu erfolgen, dieses geht dem Elternrecht vor (RIS‑Justiz RS0118080). Es ist die derzeitige Lebenssituation zu berücksichtigen und eine Zukunftsprognose zu treffen (RIS‑Justiz RS0048632, RS0106312). Bei einer Kollision mehrerer obsorgerechtlicher Leitgedanken ist stets eine Gesamtschau maßgeblich (RIS‑Justiz RS0047832 [T12]).

Das konkrete Kindeswohl hat auch den Vorrang gegenüber dem Ziel, Kindesentführungen ganz allgemein zu unterbinden. Es darf nicht aus generalpräventiven Gründen zum Schutz des ‑ abstrakten ‑ Kindeswohls, nur um den Eindruck zu verhindern, Kindesentführungen würden sich doch lohnen, die schwerwiegende Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für ein Kind herbeigeführt werden (4 Ob 2288/96s).

Im Hinblick auf die festgestellte sehr positive Betreuungssituation beim Vater und dem derzeitigen Familienverband (Ehefrau des Vaters und Halbgeschwister) sowie auf die nunmehr stabilen Aufenthaltsbedingungen in Österreich (Vater und Töchter sind österreichische Staatsbürger, gute Deutschkenntnisse) ist die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dem Wunsch der Kinder und der Betreuungskontinuität (Vermeidung der Übersiedlung zur kaum mehr bekannten, geschweige denn vertrauten Mutter, die in einem Land lebt, dessen Sprache und Kultur den Kindern unbekannt sind) den Vorzug zu geben, jedenfalls vertretbar.

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