OGH 3Ob134/12w

OGH3Ob134/12w19.9.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Land Oberösterreich, *****, vertreten durch Prof. Dr. Johannes Hintermayr und andere Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei C***** a.s., *****, vertreten durch Haslinger/Nagele & Partner Rechtsanwälte GmbH in Linz, wegen Unterlassung (Streitwert 72.672,83 EUR sA), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 12. April 2012, GZ 3 R 45/12a-109, womit das Urteil des Landesgerichts Linz vom 4. Jänner 2012, GZ 2 Cg 172/01v-104, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 3.088,54 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin 514,76 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die klagende Partei betreibt auf einer ihrer im Mühlviertel gelegenen Liegenschaften eine Landwirtschaftsschule. Etwa 60 km davon entfernt betreibt die Beklagte das Atomkraftwerk Temelin. Der Betrieb dieses Kraftwerks wurde von den tschechischen Behörden genehmigt. Die tschechische Nuklearbehörde und ihre Inspektoren sind jederzeit zu Kontrollen vor Ort ermächtigt und befugt, Aufträge zu erteilen.

Das Kraftwerk war Gegenstand von Verhandlungen zwischen der Republik Österreich und der Tschechischen Republik; beide Staaten unterfertigten darüber am 12. Dezember 2000 in Melk ein Protokoll, weiters am 29. November 2001 ein weiteres Dokument mit dem Titel „Schlussfolgerungen des Melker Prozesses und Follow-up“.

Die Frage der Sicherheit ihrer Kernkraftwerke wurde auch beim Beitritt der Tschechischen Republik zur Europäischen Union behandelt. Dabei wurde das Atomkraftwerk Temelin als ausreichend sicher eingestuft. Seit dem Beitritt der Tschechischen Republik zur Europäischen Union wurde das Kraftwerk in den Jahren 2004 und 2005 nach Art 35 EA nachgeprüft. Am 3. November 2006 fand eine Überprüfung beider Reaktoren des Kernkraftwerks statt, bei der sie endgültig mit den geltenden europäischen Rechtsvorschriften übereinstimmend erklärt wurden.

Beide Vorinstanzen wiesen das von der klagenden Partei erhobene vornehmlich auf § 364 Abs 2 ABGB und auf § 16 ABGB gestützte Unterlassungsbegehren ab, das im Wesentlichen darauf abzielt, der Beklagten die vom Atomkraftwerk ausgehende ionisierende Strahlung, soweit diese jenes Maß überschreite, das nach hohen internationalen Standards vorgegeben werde, sowie die von der Liegenschaft der Beklagten ausgehende konkrete Gefährdung durch ortsunübliche ionisierende Strahlung infolge eines deutlich erhöhten Störfallrisikos zu verbieten. Aufgrund des im Verfahren gestellten Vorabentscheidungsersuchens (Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 27. Oktober 2009, C-115/08) folgerte das Erstgericht, dass es die Gleichwertigkeit des tschechischen mit dem österreichischen Betriebsanlagen-genehmigungsverfahrens nicht mehr zu prüfen habe, weil das Atomkraftwerk Temelin nach den Feststellungen des Europäischen Gerichtshofs mit den Bestimmungen des Unionsrechts übereinstimme. Das Kraftwerk sei daher als behördlich genehmigte Anlage iSd § 364a ABGB zu beurteilen, weshalb kein Unterlassungsanspruch bestehe. Da das Kraftwerk den geltenden europarechtlichen Vorschriften entspreche, die einen Sicherheitsstandard zum Schutz vor ionisierender Strahlung festlegen, sei auch eine unmittelbar drohende Gefährdung, auch in einem Störfall, nicht zu erkennen. Mangels unmittelbar Bevorstehens einer Rechtsverletzung oder der konkreten Gefahr eines Eingriffs in naher Zukunft erweise sich eine vorbeugende Unterlassungsklage als unberechtigt. Das Berufungsgericht legte dar, die tschechische Atomanlagengenehmigung könne wegen der Bestimmungen des Atomsperrgesetzes mit keinem entsprechenden österreichischen Kernkraftwerks-genehmigungsverfahren verglichen und derart auf materielle Gleichwertigkeit geprüft werden. Bei der Beurteilung der „behördlich genehmigten Anlage“ könne daher nicht auf die Parteistellung in einem Genehmigungsverfahren abgestellt werden. Österreichische Grundeigentümer seien auf die Gesundheitsschutzvorschriften des EAG-Vertrags zu verweisen. Die Interessen der Nachbarn seien im Zuge der zwischenstaatlichen Verhandlungen bei der Genehmigung ausreichend gewahrt worden.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der klagenden Partei, mit der sie ihr Unterlassungshaupt- samt drei -eventualbegehren weiterverfolgt, ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulässigkeitsausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

Die vom Berufungsgericht und der klagenden Partei als erheblich iSd § 502 Abs 1 ZPO angesehene Frage, ob und allenfalls unter welchen Voraussetzungen eine ausländische Betriebsanlage als behördlich genehmigte Anlage nach § 364a ABGB anzusehen ist und einem Unterlassungsanspruch des beeinträchtigten Nachbarn entgegensteht, ist im vorliegenden Fall nicht zu beantworten, weil die weiteren Voraussetzungen für den von der klagenden Partei erhobenen vorbeugenden Unterlassungsanspruch nach § 364 Abs 2 ABGB fehlen.

Regelmäßige Voraussetzung der vorbeugenden Unterlassungsklage ist der Beginn einer Rechtsverletzung. Die bloße Drohung einer Rechtsverletzung rechtfertigt die vorbeugende Unterlassungsklage nur unter besonderen Umständen, wenn nämlich ein dringendes Rechtsschutzbedürfnis des Bedrohten dies verlangt, weil das Abwarten einer Rechtsverletzung zu einer nicht wiedergutzumachenden Schädigung führen würde (RIS-Justiz RS0009357). Der Kläger muss in einem solchen Fall die tatsächlichen Umstände, die eine ernstlich drohende und unmittelbar bevorstehende Gefahr seiner Schädigung begründen, im Einzelnen darlegen und im Bestreitungsfall beweisen (6 Ob 226/05m; 1 Ob 5/06a = SZ 2006/54). Die bloß theoretische Möglichkeit der Schädigung genügt nicht (vgl 2 Ob 111/07y; 9 Ob 54/08v).

Der Oberste Gerichtshof hielt einen vergleichbaren Fall eines ausländischen Atomkraftwerks betreffend fest, dass das „Rechtsschutzbedürfnis“ nach einer vorbeugenden Unterlassungsklage mit der Bedeutung des bedrohten Rechtsguts wächst, die Unmittelbarkeit der Gefährdung also teilweise durch ihr (drohendes) Ausmaß substituiert werden kann. Bei der Beurteilung der Frage, ob nach den Umständen des Einzelfalls die ernste Besorgnis einer Gefährdung vorliegt, sind deren Eintrittswahrscheinlichkeit, das Ausmaß der zu erwartenden Rechtsgutverletzung und die Bedeutung des bedrohten Rechtsguts im Sinn eines beweglichen Systems zu berücksichtigen. Je wertvoller das (potentiell) bedrohte Rechtsgut ist, desto eher ergibt eine Interessenabwägung, dass der potenzielle Schädiger auch Handlungen zu unterlassen hat, die nur mit einiger Wahrscheinlichkeit den schädlichen Erfolg herbeiführen können. Wenn bei Verwirklichung der Gefahr - etwa durch radioaktive Immissionen - eine ernste und nachhaltige Gefährdung von Leben und Gesundheit des Bedrohten zu erwarten wäre oder die ortsübliche Benützung eines Grundstücks lang andauernd erheblich beeinträchtigt würde, sind die Voraussetzungen einer Unterlassungsklage wegen Erstbegehungsgefahr nicht restriktiv zu beurteilen. Dem Bedrohten kann schon bei einem weniger hohen Grad der Wahrscheinlichkeit nicht zugemutet werden, einen Eingriff in seine Rechtssphäre abzuwarten, wenn derartig schwerwiegende und irreversible Folgen zu erwarten sind. Die bloß hypothetische Denkmöglichkeit einer Rechtsgutsverletzung ist jedoch in keinem Fall hinreichend; dies schon allein deshalb, weil auch die Einhaltung der höchstmöglichen Sicherheitsvorkehrungen bei potenziell gefährlichen Anlagen einen Unfall nicht absolut auszuschließen vermag. Ein vorbeugender Unterlassungsanspruch wäre dann zu bejahen, wenn feststünde, dass aufgrund der Konstruktion oder des Zustands des Atomkraftwerks gegenüber Anlagen „westlichen Standards“ ein deutlich erhöhtes Risiko eines Störfalls besteht, dass die Liegenschaften der Klägerinnen in einer das ortsübliche Ausmaß übersteigenden Weise durch radioaktive Strahlung beeinträchtigen würde. Bei Einhaltung hoher („westlicher“) Sicherheitsstandards bestünde aber kein Unterlassungsanspruch (1 Ob 5/06a).

Im vorliegenden Fall steht fest, dass die beiden Reaktoren des Kernkraftwerks, auf das sich die von der klagenden Partei erhobenen Unterlassungsansprüche beziehen, am 3. November 2006 überprüft und endgültig als mit den geltenden europäischen Rechtsvorschriften übereinstimmend erklärt wurden; dies als Ergebnis eines sowohl bilateral zwischen der Republik Österreich und der Tschechischen Republik als auch auf europäischer Ebene im Zusammenhang mit dem Beitritt der Tschechischen Republik zur Europäischen Union abgehandelten Diskussions- und Überprüfungsprozederes. Eine im Zusammenhang mit diesen teils ohnehin notorischen, teils aus der Begründung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs übernommenen Feststellungen gerügte Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster Instanz wurde vom Berufungsgericht verneint und kann im Revisionsverfahren nicht mehr geltend gemacht werden (RIS-Justiz RS0106371 uva). Es ist daher in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs in einem vergleichbaren Fall davon auszugehen, dass die vom Atomkraftwerk Temelin ausgehende Gefährlichkeit keine unzulässige konkrete Bedrohung der Rechtsgüter der klagenden Partei darstellt, sondern im Sinn eines - niemals gänzlich zu vermeidenden - Restrisikos hingenommen werden muss (vgl 1 Ob 5/06a). Die von der klagenden Partei erhobenen Unterlassungsansprüche müssen daher scheitern, ohne dass die auch noch im Verfahren dritter Instanz strittig gebliebene Frage der Gleichstellung der ausländischen Betriebsanlagengenehmigung mit einer solchen nach § 364a ABGB abschließend geklärt werden müsste. Nur obiter ist dazu zu bemerken, dass vieles im Sinne der Ausführungen in der Revisionsbeantwortung dafür spricht, dass der Europäische Gerichtshof in seinem zitierten Urteil (C-115/08) davon ausgeht, dass wegen der „einen lückenlosen und wirksamen Gesundheitsschutz der Bevölkerung gegen die Gefahren durch ionisierende Strahlungen“ sicherstellenden Bestimmungen des EAG-Vertrags (Rn 112) mit der Prüfkompetenz der Kommission (Rn 122) eine ausländische Betriebsanlagengenehmigung eines Kernkraftwerks auch dann anzuerkennen ist, wenn im ausländischen Genehmigungsverfahren keine Parteistellung von Anrainern (Nachbarn) vorgesehen ist, weil der sichergestellte Gesundheitsschutz der gesamten Bevölkerung auch den Individualrechtsschutz erfasst.

Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO). Die Revision der klagenden Partei ist daher zurückzuweisen.

Die klagende Partei hat der beklagten Partei gemäß §§ 41 und 50 ZPO die Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen, zumal die beklagte Partei auf die Unzulässigkeit der gegnerischen Revision hingewiesen hat.

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