Spruch:
Die Akten werden dem Bezirksgericht Hietzing als Pflegschaftsgericht mit der Verständigung übermittelt, daß sich bei der erstverpflichteten Partei mit Beziehung auf das Exekutionsverfahren Anzeichen auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 273 ABGB ergeben haben.
Das Exekutionsverfahren wird bis zur Entscheidung des Pflegschaftsgerichtes unterbrochen.
Text
Begründung
Rechtliche Beurteilung
Gegenstand des Exekutionsverfahrens ist die Zwangsversteigerung von im Eigentum der Verpflichteten stehenden Liegenschaften. Die in diesem Verfahrensstadium nicht anwaltlich vertretenen Erstverpflichtete war bei der Versteigerungstagsatzung am 23.3.1994 ursprünglich anwesend. In dieser Tagsatzung verkündete die Erstrichterin den Beschluß (ON 65a) auf Abweisung des von beiden Verpflichteten gestellten Aufschiebungsantrags und des von der Erstverpflichteten gestellten Antrags auf Neuschätzung. In der Folge verließ die Erstverpflichtete um 15.27 Uhr den Verhandlungssaal, obwohl sie von der Erstrichterin aufgefordert wurde, zur Wahrung ihrer Rechte hier zu bleiben. Um ca. 15.40 Uhr kam die Erstverpflichtete wieder, stürzte zum Richtertisch, packte den Exekutionsakt und riß ihn an sich. Die Richterin ermahnte die Erstverpflichtete; diese warf den Akt auf den Boden und war höchst erregt. Ein Interessent faßte die Erstverpflichtete von hinten; sie beruhigte sich sodann und ging (Protokoll ON 65 Seite 237 des Aktes). Danach erfolgte in dieser Tagsatzung die Erteilung des Zuschlags (Beschluß ON 67).
Die nunmehr anwaltlich vertretenen Verpflichteten erhoben gegen die Beschlüsse ON 65a und ON 67 Rekurs. Das Rekursgericht gab dem Rekurs gegen den Beschluß ON 65a nicht Folge und sprach aus, daß der Revisionsrekurs jedenfalls unzulässig sei; den Rekurs gegen den Beschluß ON 67 wies das Rekursgericht zurück und sprach aus, daß der Revisionsrekurs nicht zulässig sei.
Die Erstverpflichtete macht in ihrem gegen diesen Beschluß erhobenen Revisionsrekurs den Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 5 ZPO geltend. Die Erstverpflichtete leide an schweren Depressionen mit somatischen Beschwerden. Hiezu legte die Erstverpflichtete Befunde des Facharztes für Innere Medizin Primarius Dr.Reinhard Barousch vom 24.5.1993 und 8.6.1994, des Univ.Prof.Dr.Dr.h.c.mult. Walter Birkmayr, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, vom 14.6.1994 und des Vorstandes der Neurologischen Universitätsklinik Univ.Prof.Dr.H. Deecke vom 23.6.1994 vor. Die Erstverpflichtete sei aufgrund ihrer psychischen Beschwerden nicht in der Lage gewesen, ihre Rechte in der Tagsatzung am 23.3.1993 und im gesamten Verfahren selbst wahrzunehmen. Hätte sie nicht mehr unter den psychischen Beschwerden gelitten, so hätte sie insbesondere die Versteigerungstagsatzung am 23.3.1993 nicht vorzeitig verlassen und daher Widerspruch gegen die Erteilung des Zuschlags erheben können.
Gemäß dem nach § 78 EO auch im Exekutionsverfahren anzuwendenden § 6a ZPO ist es dem Prozeß- bzw Rechtsmittelgericht verwehrt, die Prozeßfähigkeit von Parteien, die der inländischen Pflegschaftsgerichtsbarkeit unterliegen und für die kein Sachwalter bestellt wurde, selbständig zu prüfen (Fasching, ZPR2 Rz 349; RZ 1988/39; SZ 60/56; EvBl 1986/162; 2 Ob 14/88). Es hat in solchen Fällen vielmehr das Pflegschaftsgericht zu verständigen und ist gemäß § 6a dritter Satz ZPO in derartigen Fällen an die Entscheidung des Pflegschaftsgerichtes gebunden.
Wie sich aus den Gesetzesmaterialien (RV 746 BlgNR 15. GP 23) eindeutig ergibt, besteht der Zweck der neugeschaffenen Bestimmung des § 6a ZPO darin, die Beurteilung der Prozeßfähigkeit von der inländischen Pflegschaftsgerichtsbarkeit unterworfenen geistig behinderten Personen ausschließlich dem Pflegschaftsgericht zuzuweisen.
Es ist daher dem Obersten Gerichtshof verwehrt, zum Rekursgrund der Nichtigkeit in der Weise Stellung zu nehmen, daß er die Prozeßfähigkeit der Erstverpflichteten aufgrund der Aktenlage selbständig beurteilt. Er hat vielmehr, da in den Revisionsrekursausführungen der Erstverpflichteten behauptet wird, daß bei ihr Anzeichen für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 273 ABGB mit Beziehung auf das vorliegenden Exekutionsverfahren bestehen, im Sinne der Vorschrift des § 6a ZPO die Akten den zuständigen Pflegschaftsgericht mit der in dieser Gesetzesstelle vorgesehenen Verständigung zu übermitteln. Das Pflegschaftsgericht wird, wenn es die Prozeßfähigkeit der Erstverpflichteten aus den in den § 273 Abs 1 ABGB normierten Gründen verneinen sollte, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen haben, um die ordnungsgemäßen Vertretung der Erstverpflichteten in diesem Exekutionsverfahren - und, falls die Vollmachtserteilung an die nunmehrigen Verpflichtetenvertreter erst im Stadium der Prozeßunfähigkeit der Erstverpflichteten erfolgt sein sollte, auch im Revisionsrekursverfahren - sicherzustellen. Andernfalls wird es einen Einstellungsbeschluß nach § 243 AußStrG zu fassen haben, dem nach § 6a dritter Satz ZPO bei der Beurteilung der Frage der Prozeßfähigkeit der Erstverpflichteten (nach Eintritt seiner Rechtskraft) Bindungswirkung zukommt (RZ 1988/39; SZ 60/56; 2 Ob 14/88).
Bis zu der das Exekutionsgericht und die Rechtsmittelgerichte in dieser Frage bindenden Entscheidung des Pflegschaftsgerichtes ist das Verfahren auszusetzen (Fasching aaO; SZ 60/56; EvBl 1986/162; 2 Ob 14/88).
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