OGH 3Nd506/97

OGH3Nd506/9728.8.1997

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Hofmann als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Pimmer, Dr.Zechner und Dr.Sailer als weitere Richter in der außerstreitigen Rechtssache der Antragstellerin Heidi H*****, wider den Antragsgegner Franz S*****, Schweiz, wegen Bestellung eines Heiratsgutes folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Bestimmung eines örtlich zuständigen Gerichtes nach § 28 JN findet nicht statt.

Text

Begründung

Die Antragstellerin, eine österreichische Staatsbürgerin, begehrt am 26. Mai 1997 beim Bezirksgericht F***** die Bestellung eines Heiratsgutes im Ausmaß von S 180.000 durch ihren Vater, der ebenfalls österreichischer Staatsbürger sei, aber in der Schweiz wohne.

Nunmehr legt das Bezirksgericht F***** den Akt zur Entscheidung gemäß § 28 JN vor.

Rechtliche Beurteilung

Die Voraussetzungen für eine Ordination liegen jedoch nicht vor, weil - offenbar entgegen der Ansicht des Erstgerichts - dieses ohnehin für die gegenständliche Außerstreitsache örtlich zuständig ist.

Seit 1.9.1996 gilt auch für Österreich das Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, geschlossen in Lugano am 16. September 1988 (BGBl 1996/448: LGVÜ). Dieses Abkommen trat schon früher für die Schweiz in Kraft (Lechner/Mayr Das Übereinkommen von Lugano 33). Das LGVÜ enthält in seinem Art 5 Wahlgerichtsstände, die sowohl die inländische Gerichtsbarkeit als auch die örtliche Zuständigkeit regeln (aaO 38 und RV zum LGVÜ aaO 64). Nach Art 5 Z 2 LGVÜ kann eine Person, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates hat, in einem anderen Vertragsstaat verklagt werden, und zwar, wenn es sich um eine Unterhaltssache handelt, vor dem Gericht des Ortes, an dem der Unterhaltsberechtigte seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (...). Nach dem Vorbringen der Antragstellerin treffen die persönlichen Voraussetzungen dieser Vertragsbestimmung zu, weil der Antragsgegner einem Beklagten im Zivilprozeß gleichzustellen ist, so daß er am örtlich zuständigen Gericht des Wohnsitzes der Antragstellerin in Österreich belangt werden kann, soferne es sich beim geltend gemachten Anspruch um eine Unterhaltssache im Sinne des LGVÜ handelt. Das LGVÜ gilt nicht nur für eigentliche Zivilprozesse, sondern auch für außerstreitige Verfahren (Lechner/Mayr aaO 37).

Die wesentlichen Bestimmungen über die Auslegung des Luganer Übereinkommens finden sich im Protokoll Nr 2 über die einheitliche Auslegung des Übereinkommens. Die Auslegungskriterien finden sich bereits in der Präambel. Weiters sind zwei Erklärungen zu berücksichtigen. Eine wurde von den Vertretern der Regierungen abgegeben, die Mitgliedstaaten der EG sind, die andere von den Vertretern der Regierungen, die Mitgliedstaaten der EFTA sind. Wesentlich erscheint die Präambel zum Protokoll Nr 2, daß die Vertragsparteien in voller Kenntnis der bis zur Unterzeichnung des Luganer Übereinkommens ergangenen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes über die Auslegung des Brüsseler Übereinkommens sind. Das bedeutet nach allgemeiner Ansicht, daß alle Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes, die bis zum 16.9.1988 ergangen sind, kraft Vereinbarung eine authentische Interpretation der, das wird zu ergänzen sein, mit dem Brüsseler Übereinkommen gleichlautenden Bestimmungen des Luganer Übereinkommens sind.

Bindende Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes zu Art 5 Nr 2 sind vor dem 16.9.1988 nicht ergangen.

Nach dem Protokoll Nr 2 soll die einheitliche Auslegung des Übereinkommens und die Parallelauslegung zum Brüsseler Übereinkommen durch folgende Mechanismen sichergestellt werden: Entscheidungen zum Luganer Übereinkommen der Gerichte der Vertragsstaaten sind zwar nicht im Sinn einer authentischen Interpretation des Übereinkommens bindend, es besteht aber eine Verpflichtung der Gerichte der Vertragsstaaten, die maßgebliche Rechtsprechung sowohl der Gerichte aus den Staaten der EG als auch aus denen der EFTA gebührend zu berücksichtigen (Art 1 des Protokolls Nr 2). Die Gerichte sind zur amtswegigen Ermittlung solcher Entscheidungen und zur sachlichen Auseinandersetzung mit ihnen, sollten von den tragenden Argumenten (nur diese und nicht etwa obiter dicta sind wohl als maßgeblich anzusehen) abgegangen werden, verpflichtet. Da maßgeblich für die nationalen Gerichte nur die nach Art 2 des Protokolls Nr 2 der Zentralstelle übermittelten Entscheidungen sein können, werden nur diese in das jeweilige nationale Informationssystem aufgenommenen Entscheidungen von Amts wegen zu berücksichtigen sein. Auf die nach dem 16.9.1988 ergangenen Entscheidungen des EuGH wird in der zweiten Erklärung der Regierungsvertreter der EFTA-Staaten Bezug genommen. Dort wird erklärt, daß sie es für angezeigt halten, daß ihre Gerichte bei der Auslegung den Grundsätzen gebührend Rechnung tragen, die sich aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes ergeben. Für Gerichte besteht also keine Verpflichtung, sondern ein bloßer Appell der Regierungen der Vertragsstaaten, diese Grundsätze zu beachten. Es sind zu Art 5 Nr 2 weder Entscheidungen anderer Mitgliedsländer, die gebührend zu berücksichtigen sind, noch Entscheidungen des EuGH, denen gebührend Rechnung zu tragen ist, vorhanden.

Der Oberste Gerichtshof hat daher erstmals den Begriff "Unterhaltssache" zu interpretieren.

Multinationale Verträge stehen unter dem Aspekt des internationalen Rechtsanwendungseinklanges. Jedes multinationale Übereinkommen verliert an Sinn und Wirksamkeit, würden seine Vorschriften ausschließlich national interpretiert. Die Interpretation einzelner Normtextelemente darf nicht vom Bedeutungsgehalt der nationalen Rechtssprache ausgehen. Es ist vorerst zu prüfen, ob diese Textteile von den vertragsschließenden Teilen bewußt aus ganz bestimmten nationalen Rechtstraditionen übernommen wurden. Dann scheint es legitim, auf die zugrunde liegende nationale Rechtsordnung zurückzugreifen. Ist ein solcher Befund nicht nachweisbar, ist bei der Auslegung multinationaler Verträge deren Zielsetzung namentlich Schaffung von Rechtseinheit an erster Stelle bei der Auslegung zu verwirklichen. Der Zweck von Einheitsrecht gebietet es, im allgemeinen den Wert der internationalen Rechtseinheit höher zu veranschlagen als den einer nahtlosen Einfügung in eine nationale Rechtsordnung. Wenngleich Systembrüche mit dem autonomen Zivilrecht nach Möglichkeit zu vermeiden sind, müssen sie unter internationalem Einheitlichkeitswillen notfalls hingenommen werden. Der systematischen Auslegung ist damit im internationalen Einheitsrecht eine spezifische Grenze gesetzt (Kropholler Internationales Einheitsrecht 272).

Daraus folgt, daß Begriffe, die in den Abkommen von Lugano und Brüssel verwendet werden "vertragsautonom" auszulegen sind. Will man das Ziel der Auslegungsharmonie und die Vereinheitlichungstendenzen der beiden Abkommen ernst nehmen, so kann man der vertragsautonomen einheitlichen Auslegung nicht die noch fehlende Sachrechtsvereinheitlichung entgegenhalten (Linke in Bülow/Böckstiegel/Geimer/Schütze Internationaler Rechts- verkehr in Zivil- und Handelssachen 606/51; vgl weitere Hinweise bei Geimer in Geimer/Schütze Internationale Urteilsanerkennung I/1 FN 443;

Schlosser in EuGVÜ Rz 12 zu Art 5). Allgemein anerkannt ist, daß der Begriff Unterhaltssache vertragsautonom weit auszulegen ist (Linke aaO 606/64; Kropholler Europäisches Zivilprozeßrecht5 Rz 34 zu Art 5;

Hausmann IPRAX 1981, 7 in seiner Anmerkung zur Entscheidung des EuGH de Cavel II). Der Begriff Unterhalt umfaßt nicht nur Ansprüche auf Leistung periodischer Zahlungen, sondern auch Ansprüche auf einmalige Abfindungszahlungen (Geimer aaO 448; Schlosser-Bericht Punkt 93). Es kommt auf die Funktion des Anspruches an, dem Begünstigten das Bestreiten seines Lebensunterhaltes zu ermöglichen (Schlosser aaO), welchen Begriff die nationale Rechtsordnung dafür verwendet, ist unwesentlich (Schlosser-Bericht Rz 91; Geimer aaO 449, Kropholler aaO Rz 33).

Der Aktivgerichtsstand des Art 5 Nr 2 wurde aus den gleichen sozialen und praktischen Erwägungen geschaffen, wie sie den Bestimmungen des Haager Übereinkommens vom 15.4.1958 BGBl 1961/294 und des Haager Unterhaltsvollstreckungsabkommens vom 2.10.1973 innewohnt (Kropholler aaO Rz 32). Das letztere Abkommen, das in Österreich nicht in Kraft steht, regelt in seinem Art 1 Abs 1 unter anderem, daß es auf Entscheidungen über Unterhaltspflichten aus Beziehungen der Familie, Verwandtschaft, Ehe- oder Schwägerschaft zwischen einem Unterhaltsberechtigten und einem Unterhaltsverpflichteten anzuwenden ist. Auch hier muß der Titel nicht zu wiederkehrenden Leistungen verpflichten (Gottwald in Münchener Kommentar Rz 1 zu Art 1 HUVÜ 1973; Martiny in Hdb IZVR III/2 Rz 342 Kapitel II), es sei denn, Staaten, wie etwa Großbritannien, Italien, Luxemburg oder die Türkei hätten nach Art 26 des Übereinkommens einen Vorbehalt erklärt (Gottwald aaO Rz 4 zu Art 26). Ebenso gilt das Übereinkommen - wurde kein Vorbehalt erklärt - für Unterhaltsansprüche Verheirateter oder Kinder, die älter als 21 Jahre sind (Martiny aaO Rz 334). Es werden also alle Unterhaltsansprüche, die durch Gesetz begründet sind und aus Familienbeziehungen hervorgehen, durch das Übereinkommen erfaßt (Verwilghen-Bericht in Bülow/Böck- stiegel/Geimer/Schütze 795/30); der Begriff Unterhalt soll in seinem weitestgehenden Sinn verstanden werden. Bei der Prüfung, ob es sich um Unterhalt handelt, ist daher ein großzügiger Maßstab anzulegen (Baumann in Bülow/Böckstiegel/Geimer/Schütze 795/92).

Zieht man nun zur Auslegung des Begriffes Unterhaltssachen in Art 5 Nr 2 des Luganer Übereinkommens die Auslegung des gleichlautenden Begriffes, wie sie zu Art 1 Abs 1 des Haager Unterhaltsvollstreckungsabkommens vom 2.10.1973 gefunden wurde, heran, so ist im Sinne einer alternativen Qualifikation (Baumann aaO 795/87 und 795/92) zu prüfen, ob nach österreichischem Recht, das gemäß § 24 IPRG anzuwenden ist (Schwimann in Rummel Rz 2 zu § 24 IPRG), der Ausstattungsanspruch als Unterhaltsanspruch zu werten ist. Dies ist zu bejahen. Wenn auch die maßgeblichen Vorschriften im

28. Hauptstück des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches unter dem Titel "Von den Ehepakten" enthalten sind, wird allgemein anerkannt, daß die Regeln über den Ausstattungsanspruch der Kinder (§§ 1220 bis 1223, 1231 ABGB) nicht Ehegüterrecht enthalten, sondern Familienansprüche, die als endgültige Unterhaltsansprüche aufgefaßt werden (SZ 45/78 ua); diese Ansprüche sind jedenfalls nach der Familienrechtsreform reine Unterhaltsansprüche (VwGH 91/14/0063 = JUS

F 807; Ostheim in ÖJZ 1978, 506; Wanke in RdW 1994/325).

Da somit nach Auffassung des erkennenden Senates bei den Ansprüchen nach § 1220 ABGB die Qualifizierung als Unterhaltssache nach Art 5 Z 2 LGVÜ gerechtfertigt ist, hat die Antragstellerin ihren Antrag ohnehin bei einem ihr zur Verfügung stehenden Wahlgerichtsstand eingebracht, so daß das Erstgericht örtlich zuständig ist und eine Ordination nach § 28 JN nicht in Frage kommt.

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