OGH 2Ob97/24i

OGH2Ob97/24i25.6.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende und die Hofräte MMag. Sloboda, Dr. Thunhart und Dr. Kikinger sowie die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei D*, vertreten durch Dr. Christoph H. Hackl, Rechtsanwalt in Wien, und der Nebenintervenientin auf Seite der klagenden Partei P*, vertreten durch Freudemann Vaptsarova Rechtsanwältinnen GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei ÖBB-Infrastruktur Aktiengesellschaft, *, vertreten durch Dr. Martin Wandl und Dr. Wolfgang Krempl, Rechtsanwälte in St. Pölten, wegen 86.984,90 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 18. April 2024, GZ 13 R 246/23a‑69, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0020OB00097.24I.0625.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Schadenersatz nach Verkehrsunfall

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger, ein Dienstnehmer der als Subunternehmerin einer von der Beklagten beauftragten ARGE tätigen Nebenintervenientin, wurde bei Stopfarbeiten im Bereich einer Bahnhofsausfahrt von einem Zug erfasst und verletzt.

[2] Die Vorinstanzen sahen das Zahlungsbegehren zu zwei Dritteln als dem Grunde nach zu Recht bestehend an und wiesen ein Drittel des Zahlungsbegehrens rechtskräftig ab.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die außerordentliche Revision der Beklagten zeigt das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage nicht auf:

[4] 1. Ob der Kläger beim Unfall in den für ihn fremden Betrieb der Beklagten eingegliedert war und sich die Beklagte daher mit Erfolg auf das Dienstgeberhaftungsprivileg nach § 333 Abs 1 ASVG berufen kann, richtet sich nach den jeweiligen Umständen des konkreten Einzelfalls und begründet daher in aller Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (2 Ob 109/15s mwN). Eine im Rahmen der Behandlung einer außerordentlichen Revision aufzugreifende Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts zeigt die Beklagte nicht auf:

[5] 1.1. Ob eine Eingliederung in den fremden Betrieb stattgefunden hat, ist immer eine Frage des konkreten Arbeitsablaufs (2 Ob 209/17z Punkt 2.3.). Für den Haftungsausschluss nach § 333 Abs 1 ASVG kommt es damit nicht auf die konkrete Gestaltung eines Vertragsverhältnisses an. Es ist nicht einmal erforderlich, dass ein solches überhaupt besteht (2 Ob 238/17i Punkt 2.1. mwN).

[6] Wenn einander zwei Unternehmer als Vertragskontrahenten gegenüberstehen, kann es (nur dann) zum Haftungsausschluss kommen, wenn der Verletzte die Sphäre seines eigenen Betriebs verlässt und sich in den Aufgabenbereich des anderen Unternehmens, wenn auch unter Umständen nur kurzfristig, einordnet. Der Verletzte muss bei Verrichtung dieser Tätigkeit in den fremden Betrieb eingegliedert sein. Ein Verhältnis persönlicher oder wirtschaftlicher Abhängigkeit ist dabei nicht erforderlich (RS0021534, RS0084172). Diese Grundsätze gelten auch bei Fehlen einer direkten Vertragsbeziehung zwischen dem Arbeitgeber des später verletzten Klägers und der Beklagten (2 Ob 114/08s).

[7] Rein organisatorische Weisungen, etwa zu welchem Zeitpunkt und an welcher Stelle die Arbeiten vorzunehmen sind, führen in der Regel ebenso wenig zu einer Eingliederung des Verletzten in den fremden Betrieb wie die Befugnis des anderen Unternehmers, (Sicherheitsan-)Weisungen aufgrund der faktischen Berührung mit seinem Betrieb zu erteilen oder Störungen des Betriebsablaufs abzuwenden (2 Ob 9/19s Punkt 4.1.3. mwN). Anderes gilt allerdings, wenn sich die Weisungsbefugnis tatsächlich auf das Erzielen eines gemeinsam angestrebten Erfolgs bezieht (2 Ob 238/17i Punkt 2.2. mwN).

[8] Auf Grundlage dieser Rechtsprechung hat der Fachsenat auch im Zusammenhang mit Unfällen bei Arbeiten an der Eisenbahn-Infrastruktur bereits ausgesprochen, dass eine Weisungsbefugnis bloß in Bezug auf Sicherheitsfragen oder den ungestörten Betriebsablauf für die Anwendbarkeit des Dienstgeberhaftungsprivilegs nicht ausreicht (2 Ob 238/17i Punkt 2.3.).

[9] 1.2. Da der als Aufsichtsorgan des Bahnbetreibers fungierende Mitarbeiter der Beklagten dem Kläger nach den Feststellungen ausschließlich Weisungen in sicherheitstechnischen Belangen, nicht aber in arbeitstechnischen Belangen oder im Hinblick auf den Arbeitsablauf erteilen konnte (und tatsächlich überhaupt keine Weisungen erteilte), hat das Berufungsgericht die Eingliederung des Klägers in den Betrieb der Beklagten in nicht korrekturbedürftiger Weise verneint.

[10] 2. Maßgeblich bei der Verschuldensabwägung ist vor allem die Größe und Wahrscheinlichkeit der durch das schuldhafte Verhalten bewirkten Gefahr und die Wichtigkeit der verletzten Vorschrift für die Sicherheit des Verkehrs (RS0027389) sowie der Grad der Fahrlässigkeit (RS0027466). Ob die Verschuldensteilung angemessen ist, ist eine bloße Ermessensentscheidung, bei der im Allgemeinen eine erhebliche Rechtsfrage nicht zu lösen ist (RS0087606). Eine Überschreitung des Ermessensspielraums der Vorinstanzen bei Vornahme der Verschuldensteilung zeigt die Beklagte in der Revision nicht auf. Dass das Berufungsgericht das Fehlverhalten des Mitarbeiters der Beklagten, der die Information über die Aufhebung der weniger als 30 Minuten vor dem Unfall noch aufrechten „Doppelgleissperre“ nicht weiterleitete, als gravierender ansah als das Fehlverhalten des Klägers, der in der Annahme des Weiterbestehens der Doppelgleissperre auf der gleiszugewandten Seite von der Planiermaschine abgestiegen war, stellt keine im Rahmen einer außerordentlichen Revision aufzugreifende Fehlbeurteilung dar.

[11] 3. Insgesamt war die außerordentliche Revision damit zurückzuweisen.

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