Spruch:
Der Revision wird teilweise Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung zu lauten hat:
- 1.) Die Klagsforderung besteht mit EUR 9.274,48 zu Recht.
- 2.) Die Gegenforderung der beklagten Parteien besteht mit EUR 1.371,09 zu Recht.
3.) Die beklagten Parteien sind daher zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei den Betrag von EUR 7.903,39 samt 4 % Zinsen aus EUR 4.327,68 vom 1. 7. 1998 bis 8. 6. 2000, aus EUR 7.253,62 vom 9. 6. 2000 bis 6. 4. 2001 und aus EUR 7.903,39 seit 7. 4. 2001 binnen 14 Tagen zu bezahlen.
4.) Es wird festgestellt, dass die beklagten Parteien zur ungeteilten Hand der klagenden Partei für sämtliche zukünftige, derzeit nicht bekannte Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 30. 4. 1998 zu einem Drittel haften, wobei die Haftung der drittbeklagten Partei mit der im Kfz-Haftpflichtversicherungsvertrag betreffend den VW-Bus mit dem amtlichen Kennzeichen ***** genannten Versicherungssumme begrenzt ist.
5.) Das Zahlungsmehrbegehren von EUR 19.920,06 sA und das Feststellungsmehrbegehren werden abgewiesen.
6.) Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit EUR 1.440,05 (darin EUR 240,01 USt) bestimmten Kosten aller drei Instanzen abzüglich anteiliger Barauslagen der klagenden Parteien von EUR 550,12, insgesamt daher EUR 889,93 binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 30. 4. 1998 ereignete sich auf einer Gemeindestraße ein Verkehrsunfall, an welchem der Kläger als Lenker eines Motorrades der Marke Suzuki und der Erstbeklagte als Lenker eines von der zweitbeklagten Partei gehaltenen und bei der drittbeklagten Partei haftpflichtversicherten VW-Busses beteiligt waren. Die Asphaltfahrbahn war im Unfallbereich teilweise mit feinen Schotterresten bedeckt, 4 m breit und eben. Nördlich der Unfallstelle teilt sich die asphaltierte Straße in zwei geschotterte Forstwege; der - aus Sicht des Klägers - linke Weg führt zur „Klause" und weist eine Breite von ca 3 m auf, der rechte zum „Gasthaus" eine Breite von ca 3,4 m. Der Kläger lenkte das Motorrad in Richtung Norden mit einer Geschwindigkeit von ca 40 bis 50 km/h. In Annäherung an die Kreuzung lenkte er das Motorrad in Richtung Fahrbahnmitte, um in weiterer Folge auf dem von ihm aus gesehen linken Weg Richtung „Klause" weiterzufahren. In diesem Moment nahm er das aus dem Schotterweg aus Richtung „Gasthaus" kommende Beklagtenfahrzeug, welches sich mit einer Geschwindigkeit von ca 60 bis 65 km/h näherte, wahr und leitete eine Überbremsung ein. Der Erstbeklagte reagierte mit einer Vollbremsung und versuchte nach rechts auszulenken. Eine Kollision konnte jedoch nicht mehr verhindert werden. Durch diese Kollision erlitt der Kläger Verletzungen.
Der Kläger begehrte zuletzt die Zahlung eines Betrages von EUR 27.867,05 sA, welcher Totalschaden am Motorrad, An- und Abmeldekosten, unfallskausale Spesen, Physiotherapiekosten, Haushaltshilfe, Schaden an Hose, Jacke und Helm, Fahrtkosten sowie Schmerzengeld beinhaltet. Weiters erhob er ein Feststellungsbegehren. Er stellte sich auf den Standpunkt, den Erstbeklagten treffe das Alleinverschulden, weil er mit überhöhter Geschwindigkeit durch eine unüberschaubare Straßengabelung in eine unübersichtliche Kurve in die „halbe Sichtstrecke" des Klägers gefahren sei und diesen dadurch zu Sturz gebracht habe.
Die beklagten Parteien entgegneten, der Kläger selbst habe eine überhöhte Geschwindigkeit eingehalten und sei im unmittelbaren Nahebereich zum Erstbeklagten über die Fahrbahnmitte geraten, weil er sich offenbar über den weiteren Verlauf der Straße geirrt habe. Im Unfallbereich beschreibe die Straße nämlich eine Kurve, in welcher (in Fahrtrichtung des Klägers) eine Forststraße zur „Klause" abzweige. Die Kollision habe sich auf dem Fahrstreifen des Erstbeklagten und innerhalb dessen halber Sichtstrecke zugetragen, der Kläger habe also den Vorrang des Erstbeklagten verletzt und sei zu schnell und nicht rechts gefahren, sodass er den Unfall allein verschuldet habe. Einer allenfalls zu Recht bestehenden Klagsforderung wendeten die beklagten Parteien eine Gegenforderung in Höhe von EUR 2.056,64 (Fahrzeugschaden, An- und Abmeldekosten und unfallskausale Spesen) compensando ein.
Mit Urteil des Erstgerichtes vom 24. 6. 2002 wurde die Klagsforderung mit einem Betrag von EUR 27.823,45 als zu Recht bestehend erkannt, die eingewendete Gegenforderung der beklagten Parteien wurde hingegen als nicht zu Recht bestehend festgestellt. Die beklagten Parteien wurden daher schuldig erkannt, dem Kläger EUR 27.823,45 sA zu bezahlen. Das Mehrbegehren von EUR 43,60 sA wurde rechtskräftig abgewiesen. Dem Feststellungsbegehren wurde ebenfalls stattgegeben. Auf Grund der gegen den klagsstattgebenden Teil erhobenen Berufung der beklagten Parteien wurde die Rechtssache mit Beschluss des Berufungsgerichtes vom 19. 3. 2003 zur neuerlichen Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen. Im zweiten Rechtsgang wies das Erstgericht das Klagebegehren ab. Es erwog in rechtlicher Hinsicht, dass der Erstbeklagte als Rechtskommender der Bevorrangte sei und dass der Kläger als Wartepflichtiger die Lenker von Fahrzeugen mit Vorrang durch Kreuzen, Einbiegen oder Einordnen weder zu unvermitteltem Bremsen noch zum Ablenken ihrer Fahrzeuge nötigen dürfe. Durch seine gewählte Fahrweise habe er jedoch nicht seiner Wartepflicht entsprochen, zumal er den Erstbeklagten zum Abbremsen genötigt habe, was dem Kläger als unfallkausales Verschulden anzulasten sei. Ein Verschulden des Erstbeklagten sei hingegen nicht erkennbar.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers in der Hauptsache nicht, im Kostenpunkt teilweise Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision - mangels erheblicher Rechtsfragen - nicht zulässig sei. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und führte zur Rechtsrüge im Wesentlichen Folgendes aus:
Erst ein nach gänzlicher Beendigung des Einbiegevorganges in seinem ganzen Verlauf gesetztes Verhalten des an sich im Nachrang befindlichen Verkehrsteilnehmers sei nicht mehr nach den Vorrangregeln, sondern nach jenen des Begegnungsverkehrs zu entscheiden. Da sich die Kollision zwar nicht unmittelbar im Kreuzungsbereich ereignet habe, sich das Beklagtenfahrzeug aber vom Einbiegevorgang her noch in einer ausgeprägten Schrägstellung zur Fahrbahnachse befunden habe, liege noch kein gänzlich beendeter Einbiegevorgang vor, sodass jedenfalls die Vorrangregeln des § 19 StVO Anwendung fänden.
Demnach dürfe das von links kommende, nicht vorrangberechtigte Fahrzeug nur dann in eine Kreuzung einfahren, wenn dessen Lenker mit Sicherheit annehmen könne, dass er mit seinem Fahrzeug ohne Gefährdung anderer noch vor dem von rechts kommenden Fahrzeug über die Kreuzung hinwegkommen werde. Es müsse nämlich im Interesse der Sicherheit des Verkehrs von jedem Kfz-Lenker verlangt werden, sich rechtzeitig und ausreichend davon zu überzeugen, ob er auf Grund der örtlichen Gegebenheiten mit Querverkehr rechnen müsse, welchem er allenfalls den Vorrang geben müsse. Sei dies auf Grund der örtlichen Verhältnisse nicht ohne weiteres erkennbar, dann habe er seine Fahrweise so einzurichten und erforderlichenfalls seine Fahrgeschwindigkeit so weit herabzusetzen, dass er die örtliche Situation rechtzeitig überblicken und sich ihr entsprechend verkehrsgerecht verhalten könne.
Der Wartepflichtige dürfe durch Kreuzen, Einbiegen oder Einordnen die Lenker von Fahrzeugen mit Vorrang weder zu unvermitteltem Bremsen noch zum Ablenken ihrer Fahrzeuge nötigen. Dem stehe die unbedenkliche Feststellung gegenüber, dass sich der Erstbeklagte vor der Kreuzung befunden habe, als er den (aus seiner Sicht von links kommenden) Kläger wahrgenommen habe, weshalb er ca 2 Sekunden bzw 32 m vor der Unfallstelle mit einer Vollbremsung (ohne Verzug) reagiert habe.
Der Kläger hätte als der von links Kommende und sohin Wartepflichtige mit dem jederzeitigen Erscheinen eines PKWs in der bevorrangten Straße rechnen und daher nur mit einer solchen Geschwindigkeit fahren dürfen, die es ihm tatsächlich erlaubt hätte, jederzeit sein Fahrzeug anzuhalten. Durch die von ihm gewählte Fahrweise, insbesondere durch das Lenken seines Motorrades in Richtung Fahrbahnmitte, Wählen einer angesichts der Vorrangkreuzung überhöhten Geschwindigkeit sowie durch ungenügende Sorgfalt der bevorrangten Straße gegenüber, habe der Kläger den im Vorrang befindlichen Erstbeklagten behindert und ihn zum Auslenken und Abbremsen seines Fahrzeuges genötigt. Dem Kläger sei eine Vorrangverletzung unabhängig davon anzulasten, dass sich die Kollision schließlich bereits außerhalb des eigentlichen Kreuzungsbereiches ereignet habe.
Ein Verschulden des Erstbeklagten liege hingegen nicht vor. Auf Grund des Vertrauensgrundsatzes sei der Erstbeklagte als Vorrangberechtigter an sich zu einem bremsbereiten Fahren nicht verpflichtet gewesen. Es könne daher nicht verlangt werden, dass er die Fahrgeschwindigkeit vor einer benachrangten Einmündung nicht erhöhe oder herabsetze. Nach den Feststellungen habe zwar die „Grenzgeschwindigkeit", um auf halbe Sicht zu fahren, für den Erstbeklagten 50 km/h betragen; dass er mit ca 60 bis 65 km/h gefahren sei, könne ihm nach der konkreten Verkehrssituation, bei der für den 1,84 m breiten VW-Bus und das 0,8 m breite Motorrad eine 4 m breite Straße zur Verfügung gestanden sei, aber nicht im Sinne des § 20 StVO als Verschulden angelastet werden.
Auch aus dem Umstand, dass der Erstbeklagte den Unfall bei geringerer Geschwindigkeit und sofortigem Auslenken nach rechts hätte verhindern können, resultiere kein Mitverschulden, zumal im Hinblick auf die Fahrtrichtung des Klägers, nämlich in Richtung Fahrbahnmitte, ein weiteres Auslenken nach rechts wohl kontraproduktiv gewesen wäre. Gegen diese Berufungsentscheidung richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klagsstattgebenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die beklagten Parteien beantragen in der ihnen freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, in eventu abzuweisen.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig, sie ist teilweise auch berechtigt.
Der Rechtsmittelwerber macht im Wesentlichen geltend, von einer Vorrangverletzung könne nicht gesprochen werden, weil er in die Kreuzung nicht eingefahren sei; der Erstbeklagte habe entgegen den §§ 7 und 13 StVO die Kreuzung „geschnitten"; er hätte im Hinblick auf die Straßenbreite auf halbe Sicht fahren müssen.
Hiezu wurde erwogen:
Vorauszuschicken ist, dass auch eine Straßengabelung eine Kreuzung darstellt (RIS-Justiz RS0073430 T 2). Der Unfall hat sich entgegen der Darstellung des Rechtsmittelwerbers nicht 16 m außerhalb der Kreuzung ereignet, vielmehr teilt sich die Straße 16 m nördlich der Unfallstelle in zwei Äste. Die Fahrbahn verbreitert sich aber bereits ab der Unfallstelle in Richtung Gabelung. Der Unfall hat sich somit am Rande der Kreuzung, nämlich am Beginn des Einmündungstrichters ereignet. Der Kläger wollte in die Kreuzung einfahren und auf dem linken Ast Richtung „Klause" weiter fahren. Das Berufungsgericht hat daher zu Recht eine Vorrangsituation angenommen, zumal der Vorrang vor und nicht erst auf der Kreuzung zu beachten ist (RIS-Justiz RS0074549).
Richtig ist, dass der Erstbeklagte gemäß § 7 Abs 1 und 2 StVO grundsätzlich rechts zu fahren bzw gemäß § 13 Abs 1 StVO nach links in weitem Bogen einzubiegen hatte. Ein „Schneiden" der Kreuzung ergibt sich aus den vorinstanzlichen Feststellungen aber nicht mit ausreichender Sicherheit. Der Erstbeklagte fuhr beim Einfahren in die Kreuzung „relativ weit rechts". Am Beginn der Asphaltfahrbahn etwa in der Mitte des Kreuzungstrichters hätte er allenfalls „weitgehend nach rechts" lenken können. Die Fahrzeugpositionen zum Zeitpunkt des ersten Sichtkontaktes im Bezug auf die Fahrbahnbreite konnten nicht festgestellt werden. Eine fotogrammetrische Auswertung von Lichtbildern war nach dem Vermerk auf der Orientierungsskizze der Gendarmerie nicht möglich. Insoweit reichen die Verfahrensergebnisse also nicht aus, um dem Erstbeklagten ein Mitverschulden anzulasten. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf Straßen, die nicht volle zwei Fahrstreifen (5 m) aufweisen, hängt davon ab, ob im Einzelfall eine gefahrlose Begegnung mit allenfalls entgegenkommenden Fahrzeugen möglich sein wird; dabei ist von der Breite des eigenen Fahrzeuges und der möglichen Begegnung mit einem Kraftfahrzeug der höchstzulässigen Breite von 2,50 m auszugehen (RIS-Justiz RS0073655, RS0073670). Im vorliegenden Fall war die vom Erstbeklagten befahrene Straße zunächst 3,4 m und zuletzt 4 m breit, der VW-Bus hatte eine Breite von 1,84 m, das Motorrad von 0,8 m. Berücksichtigt man ausreichende Sicherheitsabstände zu den jeweiligen Fahrbahnrändern und zwischen den beiden Fahrzeugen (vgl auch 2 Ob 41/93 = ZVR 1994/118), so hätte der Erstbeklagte im Interesse einer gefahrlosen Begegnung nicht nur mit einem mehrspurigen Fahrzeug, sondern auch mit einem Motorrad auf halbe Sicht fahren müssen. Dies hat er nicht getan, weil er nicht mit 50 km/h, sondern mit 60 bis 65 km/h gefahren ist. Eine vorsichtigere Fahrweise wäre auch im Hinblick auf die Fahrbahnbeschaffenheit und die Kreuzungssituation angebracht gewesen. Die Geschwindigkeitsüberschreitung des Erstbeklagten wiegt weniger schwer als das Fehlverhalten, insbesondere die Vorrangverletzung des Klägers, weshalb eine Verschuldensteilung im Verhältnis von 1 : 2 zu dessen Lasten angemessen ist. Die Höhe von Klagsforderung und Gegenforderung bildet im drittinstanzlichen Verfahren keinen Streitpunkt mehr.
Die Urteile der Vorinstanzen waren daher spruchgemäß abzuändern. Die Kostenentscheidung beruht auf § 43 Abs 1 und 2, § 50 ZPO.
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