Spruch:
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Das Urteil des Erstgerichtes wird wiederhergestellt.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 3.741,31 (darin EUR 623,55 USt) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Beklagte war Geschäftsführerin der M***** GmbH, welche in ihrem Betrieb Dienstnehmer beschäftigt hatte, die nach den Bestimmungen des ASVG sozialversicherungspflichtig und bei der klagenden Partei auch zur Sozialversicherung angemeldet waren. Die Beklagte beantragte am 12. 2. 1997 die Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der GmbH. Der Konkurs wurde am 21. 3. 1997 eröffnet. Der Konkursantrag erfolgte im Hinblick auf den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit mit Dezember 1996 rechtzeitig. Mit Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 29. 6. 1998 wurde die Beklagte vom Vorwurf des Vergehens der fahrlässigen Krida nach § 159 Abs 1 Z 1, § 161 Abs 1 StGB und des Vergehens der Begünstigung eines Gläubigers nach § 158 Abs 1, § 161 Abs 1 StGB rechtskräftig frei gesprochen.
Die klagende Partei begehrte die Bezahlung von S 421.640,-- sA an per 10. 2. 1998 rückständigen Sozialversicherungsbeiträgen für die bei der GmbH beschäftigt gewesenen Dienstnehmer. Sie behauptete, die Beklagte habe als Geschäftsführerin der Beitragsschuldnerin die Zahlungsunfähigkeit zumindest fahrlässig herbeigeführt. Sie habe es insgesamt unterlassen, eine wirtschaftlich gesicherte Basis zu schaffen. Sie habe in Kenntnis bzw in fahrlässiger Unkenntnis der Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens die Befriedigung ihrer Gläubiger dadurch vereitelt und geschmälert, dass sie neue Schulden eingegangen sei, alte Schulden bezahlt und die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht rechtzeitig beantragt habe.
Die Beklagte wendete unter anderem ein, sie habe die Zahlungsunfähigkeit der GmbH erkannt und rechtzeitig die Eröffnung des Konkurses beantragt. Sie habe die Zahlungsfähigkeit auch nicht fahrlässig herbeigeführt.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es vertrat die Auffassung, die Beklagte schulde der klagenden Partei den Klagsbetrag aus dem Rechtsgrund des Schadenersatzes, weil sie die Zahlungsunfähigkeit der GmbH fahrlässig dadurch herbeigeführt habe, dass sie nicht von Anfang an für eine ausreichende Kapitalausstattung der Gesellschaft Sorge getragen habe, im Verhältnis zum Geschäftsumfang und zu den mäßigen Umsatzerlösen zu hohen Bankkredit in Anspruch genommen habe, der Kostenentwicklung zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt habe, dem Unternehmen durch die Inanspruchnahme persönlicher Darlehen Mittel entzogen habe und voraussehbar gewesen sei, dass wegen des unbestimmten Abschlusses bestimmter Entwicklungsarbeiten eine nicht mehr überbrückbare Finanzierungslücke entstehen werde.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge, hob das angefochtene Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Es sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei und führte zur Rechtsrüge im Wesentlichen folgendes aus:
Da die Rechtsrüge jedenfalls teilweise auf den Feststellungen des Erstgerichtes aufbaue und somit gesetzmäßíg ausgeführt sei, habe das Berufungsgericht die rechtliche Beurteilung durch das Erstgericht allseitig zu prüfen. Der Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung liege auch dann vor, wenn der Richter es unterlasse, die ihm nach § 182 ZPO obliegende Pflicht zu erfüllen und auf die für die Entscheidung erheblichen Angaben und das erforderliche Beweisanbieten zu dringen, weil er von einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung des vorgetragenen Sachverhaltes ausgehe. Auch ein Verstoß gegen die richterliche Anleitungspflicht sei daher aus Anlass der allseitigen rechtlichen Prüfung durch das Berufungsgericht aufzugreifen.
Die klagende Partei habe der Beklagten in ihrer am 25. 2. 1998 überreichten Klage eine Verletzung des § 159 Abs 1 Z 1 und 2 StGB aF iVm §§ 161, 309 StGB angelastet, welchen Normen bisher in ständiger Rechtsprechung der Charakter eines Schutzgesetzes zuerkannt worden sei (Reischauer in Rummel ABGB2 § 1311 Rz 4 mwN; RIS-Justiz RS0027521). Das Erstgericht habe sein klagsstattgebendes Urteil erkennbar auf einen der Beklagten angelasteten Verstoß gegen § 159 Abs 1 Z 1 StGB aF gegründet. Im Verfahren vor dem Erstgericht sei daher auf das Inkrafttreten des Bundesgesetzes über die Änderung des Strafgesetzbuches und der Strafprozessordnung, BGBl I 2000/58, mit 1. 8. 2000, wodurch ua § 159 StGB geändert wurde, nicht Bedacht genommen worden. Gemäß Art III Abs 2 dieses Bundesgesetzes seien die hiedurch geänderten Strafbestimmungen in Strafsachen nicht anzuwenden, in denen vor ihrem Inkrafttreten das Urteil in erster Instanz gefällt worden sei. Die Neufassung des § 159 StGB durch dieses Bundesgesetz ändere zwar nichts am Schutzgesetzcharakter der Norm (Feuchtinger, Neues Kridastrafrecht und zivilrechtliche Haftung, SWK 2000, W 131; ecolex 2001, 285 [Anmerkung]), jedoch müsse auch für die Beurteilung des Vorliegens einer Schutzgesetzverletzung auf die Schlussbestimmungen dieses Bundesgesetzes abgestellt werden. Nur hiedurch sei - soweit nicht ohnehin die Bindungswirkung eines verurteilenden Straferkenntnisses eingreife - eine einheitliche straf- und zivilrechtliche Beurteilung sicherzustellen. Die Begünstigung, die der Täter dadurch erfahre, dass die vor dem Inkrafttreten des § 159 StGB nF verwirklichte Tat nach der günstigeren Norm im Zeitpunkt der Urteilsfällung im Strafverfahren zu beurteilen sei, müsse dieser auch dann erfahren, wenn in einem Zivilverfahren mangels Bindungswirkung eines verurteilenden Straferkenntnisses zu beurteilen sei, ob eine als Schutzgesetz zu qualifizierende Norm des Strafgesetzbuches verletzt worden sei. Im Zivilverfahren werde daher auf die Rechtslage im Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz, welcher hier am 23. 3. 2001 erfolgt sei, abzustellen sein.
§ 159 StGB nF pönalisiere nur mehr grob fahrlässiges Handeln durch die im Abs 5 aufgezählten kridaträchtigen Handlungen. Dies entspreche dem Reformziel, eine Trennung zwischen grob unwirtschaftlichem, kriminellem Verhalten und bloßen ökonomischen Fehlleistungen herbeizuführen. Wirtschaftlich verfehlte Handlungen, die im Wirtschaftsleben auch normalerweise sorgfältigen Unternehmern unterlaufen könnten und daher als bloß leicht fahrlässig einzustufen seien, sollten straflos bleiben (Feuchtinger aaO; Breiter in AnwBl 2000, 658 f; Flora in ecolex 2001, 176 f). Das Erstgericht werde daher der klagenden Partei im fortgesetzten Verfahren zunächst die Aufstellung von Behauptungen bzw die Konkretisierung der vorliegenden Behauptungen dahin zu ermöglichen haben, dass sich hieraus die Haftung der Beklagten für den Beitragsrückstand - sei es auf Grund eines Verstoßes gegen § 159 StGB nF als Schutzgesetz oder allenfalls selbst unabhängig von einer Schutzgesetzverletzung - ergebe. Ausgehend vom zu ergänzenden Parteienvorbringen und dem Ergebnis einer allenfalls erforderlichen Beweisergänzung werde das Erstgericht sodann neuerlich unter Bedachtnahme auf die geänderte Rechtslage zu entscheiden haben. Der auf eine unrichtige Rechtsansicht des Erstgerichtes zurückzuführende Anleitungsfehler habe somit die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Zurückverweisung der Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung gemäß § 496 Abs 1 Z 3 ZPO zur Folge.
Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil sich das Berufungsgericht bei seiner Beurteilung der Anwendbarkeit des § 159 StGB nF auf den vorliegenden Sachverhalt nicht auf höchstgerichtliche Judikatur habe stützen können, es sich bei der Beurteilung einer Schutzgesetzverletzung unter Berücksichtigung der Schlussbestimmungen des Bundesgesetzes über die Änderung des Strafgesetzbuches und der Strafprozessordnung, BGBl I 2000/58, jedoch um eine erhebliche Rechtsfrage handle.
Gegen diesen Aufhebungsbeschluss richtet sich der Rekurs der klagenden Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im klagsstattgebenden Sinne abzuändern.
Die Beklagte beantragt in ihrer Rekursbeantwortung, den Rekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.
Der Rekurs ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, er ist auch berechtigt.
Die Rechtsmittelwerberin macht zusammengefasst geltend, die Änderung des StGB habe nur eine Entkriminalisierung und nicht eine Haftungserleichterung erzielen wollen; maßgebend sei die Gesetzeslage im Zeitpunkt des schuldhaften Verhaltens eines GmbH-Geschäftsführers.
Rechtliche Beurteilung
Hiezu wurde erwogen:
Vorweg wird zur Zulässigkeit des ordentlichen Rechtsweges auf 1 Ob 50/99f = EvBl 1999/179 verwiesen.
Im vorliegenden Fall hat sich die Rechtslage während des erstinstanzlichen Verfahrens geändert, indem das Schutzgesetz des § 159 StGB (vgl RIS-Justiz RS0027521, RS0023866), dessen Verletzung der Beklagten vorgeworfen wurde, novelliert wurde. Das Urteil des Erstgerichtes hatte prinzipiell auf Grund der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung zu erfolgen (Fasching, LB2 Rz 794; Fucik in Rechberger2 § 193 ZPO Rz 4). Die Rechtslage zu diesem Zeitpunkt ist aber nicht unterschiedslos für jede Fallgruppe entscheidend. Bei deliktischen Schuldverhältnissen bildet im Bereich der Verschuldenshaftung vielmehr der Zeitpunkt der schädigenden Handlung den intertemporal maßgeblichen Anknüpfungspunkt (Vonkilch, Das intertemporale Privatrecht 206 f mwN unter Berufung ua auf den Wortlaut des § 5 ABGB). Dass es auf die im Tatzeitpunkt geltende Fassung ankommt, macht ein Blick etwa auf die Schutzgesetze der StVO deutlich, bei denen anderes kaum vorstellbar ist. Aber auch im Fall des Schutzgesetzes gemäß § 159 StGB ist die Beurteilung der Rechtswidrigkeit eines Verhaltens nach der damals geltenden Norm (Verhaltensregel), die der Schädiger im Wirtschaftsleben zu beachten hatte, vorzunehmen.
Die Übergangsvorschrift des Art III Abs 2 BGBl I 2000/58 besagt, dass die geänderten Strafbestimmungen in Strafsachen nicht anzuwenden sind, in denen vor ihrem Inkrafttreten das Urteil in erster Instanz gefällt worden ist; der Täter kommt also im anderen Fall in den Genuss der milderen Fassung des § 159 StGB, obwohl im Zeitpunkt der Tat noch eine strengere Norm galt (vgl § 61 StGB). Diese strafrechtliche Übergangsvorschrift betrifft aber nur den öffentlich-rechtlichen Anspruch des Staates auf Bestrafung. Dass dieser fallengelassen wird, zieht keineswegs zwangsläufig auch einen rückwirkenden Entfall der zivilrechtlichen Haftung nach sich. Ein solcher Eingriff in den privatrechtlichen Schadenersatzanspruch des Geschädigten ist mit der strafrechtlichen Begünstigung des Täters nicht verbunden.
Das Erstgericht hat somit zu Recht die zum Zeitpunkt der schädigenden Handlung geltende Fassung des § 159 StGB herangezogen; seine rechtliche Beurteilung ist nicht zu beanstanden, weshalb sein klagsstattgebendes Urteil wiederherzustellen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
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