OGH 2Ob6/92

OGH2Ob6/921.7.1992

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Melber, Dr. Kropfitsch, Dr. Zehetner und Dr. Schinko als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Helmut M*****, vertreten durch Dr. Alfred Eichler, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei Versicherungsanstalt *****, vertreten durch Dr. Walter Holme, Rechtsanwalt in Wels, wegen S 101.800,-- sA und Feststellung (S 30.000) infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 6.November 1991, GZ 2 R 114/91-22, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Wels vom 19.Februar 1991, GZ 1 Cg 14/90-16, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 6.789,60 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (einschließlich S 1.131,60 Umsatzsteuer) binnen vierzehn Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 21.Oktober 1989 fuhr der Kläger im Dienstfahrzeug der Post, das von seinem Arbeitskollegen Christian S***** gelenkt wurde, mit. S***** verschuldete dabei einen Verkehrsunfall, bei welchem der Kläger schwer verletzt wurde. Das Fahrzeug der Post war bei der beklagten Partei haftpflichtversichert.

Gegen das Klagebegehren auf Zahlung von Schmerzengeld von S 100.000 und Ersatz von Fahrtspesen von S 1.800, somit von insgesamt S 101.800 sA und das Feststellungsbegehren wendete die beklagte Partei ein, daß ein Amtshaftungsanspruch vorliege, der Lenker Christian S***** gegenüber dem Kläger Aufseher im Betrieb gewesen und daher das Haftungsprivileg nach § 333 Abs 4 ASVG anzuwenden sei; im übrigen könne der beklagte Haftpflichtversicherer mangels Passivlegitimation nicht in Anspruch genommen werden.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Dem Geschädigten stehe es frei, seine Ersatzansprüche nach dem AHG oder EKHG geltend zu machen. Gegen die Passivlegitimation der beklagten Partei bestünden keine Bedenken. Christian S***** sei nicht Aufseher im Betrieb gewesen, weil er gegenüber dem Kläger keine Überwachungs- oder Weisungsbefugnisse gehabt habe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge, wies in Abänderung des erstgerichtlichen Urteils das Klagebegehren ab und ließ die Revision zu. Dem Erstgericht sei zuzustimmen, daß ein Amtshaftungsanspruch nicht vorliege, weil das festgestellte Errichten und Instandhalten von Telefonleitungen nicht als Tätigkeit in Vollziehung der Gesetze angesehen werden könne. Auch die Auffassung, daß Christian S***** nicht als Aufseher im Betrieb gegenüber dem Kläger angesehen werden könne, sei zu billigen. Es fehle jedoch am direkten Klagerecht des Klägers gegenüber der beklagten Partei:

Seit dem Inkrafttreten des § 22 Abs 1 KHVG am 1.August 1987 bestünde im Gegensatz zur früheren Rechtslage keine Möglichkeit mehr, im Falle einer freiwilligen Versicherung nach § 57 Abs 2 KFG - wie sie hier vorliege - den Versicherer unmittelbar zu klagen. Das Klagebegehren sei daher mangels Passivlegitimation der beklagten Partei abzuweisen.

Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die Revision des Klägers aus dem Anfechtungsgrund des § 503 Z 4 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Urteil abzuändern und die Entscheidung des Erstgerichtes wiederherzustellen. Das direkte Klagerecht des Geschädigten gegen den Versicherer bestehe auch nach der neuen Rechtslage unabhängig davon, ob eine Pflicht- oder freiwillige Versicherung vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Dem Berufungsgericht ist zuzustimmen, daß die Bestimmungen über das direkte Klagerecht des Geschädigten gegen den Versicherer gemäß § 63 Abs 1 KFG 1967 mit dem Inkrafttreten des Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungsgesetzes 1987 durch die Vorschriften des § 22 Abs 1 KHVG ersetzt wurden. Diese sind aber nach dem eindeutigen und klar gefaßten Wortlaut des § 1 Abs 1 KHVG nur auf Versicherungsverträge anwendbar, "die in Erfüllung der Versicherungspflicht gemäß § 59 Abs 1 des Kraftfahrgesetzes 1967 ... abgeschlossen werden". Die freiwillige Versicherung nach § 59 Abs 2 KFG fällt somit nicht darunter.

Der Revisionswerber vertritt die Auffassung, daß dem Gesetzgeber bei der Fassung des § 1 Abs 1 KHVG möglicherweise ein Redaktionsversehen unterlaufen sei. Diesen Gedankengang aufgreifend ist zunächst auf die Ausführungen Bydlinskis in Rummel, ABGB, Rz 9 und 21 f zu § 6 zu verweisen und ihm folgend festzuhalten, daß Wertungswidersprüche in der Rechtsordnung jedenfalls störend wären, sodaß in solchen Fällen die fragliche Vorschrift sogar gegen ihren Wortsinn verstanden werden kann. Die Verbesserung eines Redaktionsversehens im Wege abändernder Auslegung ist jedoch nur dann zulässig, wenn der wahre Wille des Gesetzgebers mit Sicherheit nachweisbar ist (ImmZ 1980, 289; JBl 1967, 273). Es ist nicht Aufgabe der Gerichte, durch zu weitherzige Interpretation rechtspolitische Aspekte zu berücksichtigen (SZ 45/90; SZ 46/123 ua) oder unbefriedigende Gesetzesbestimmungen zu ändern (SZ 45/41; EvBl 1984/133 ua).

Von einem eindeutigen anders gelagerten Willen des Gesetzgebers dahin, daß § 1 Abs 1 KHVG entgegen seinem Wortlaut auch die freiwillige Versicherung des § 59 Abs 2 KFG mitumfassen sollte, kann aber nicht gesprochen werden. Gewiß ist es richtig, daß die Materialien des Gesetzes diese Frage nicht behandeln (siehe 110 der Beilagen zu den sten Prot zu § 1 bzw zu den §§ 22 bis 25), doch kann daraus noch nicht der vom Rechtsmittelwerber angestrebte Schluß eines Redaktionsversehens gezogen werden. Auffallend ist vielmehr, daß der Gesetzgeber schon im § 2 KHVG unter der Überschrift "Freiwillige Versicherung" ausdrücklich auf jene Abschnitte des Gesetzes Bezug nimmt, die auch auf freiwillige Versicherungen anzuwenden sind und im § 2 Abs 2 KHVG unter anderem den Abschnitt VI, der mit dem zur Beurteilung stehenden unter der Überschrift "Direktes Klagerecht" normierten § 22 KHVG beginnt, für anwendbar erklärt, wenn es sich um Schadensereignisse handelt, die nicht auf Straßen mit öffentlichem Verkehr eintreten, oder höhere als die vorgeschriebenen Mindestversicherungssummen vereinbart werden (freiwillige Höherversicherung). Das Problem der Direktklage bei nicht bloß auf Versicherungsverträge der im § 1 Abs 1 KHVG aufgezählten Art ("die in Erfüllung der Versicherungspflicht gemäß § 59 Abs 1 KFG geschlossen werden") beschränkten Versicherungsverhältnissen, war dem Gesetzgeber daher wohl bekannt, weshalb ihm nicht unterstellt werden kann, die freiwillige Versicherung nach § 59 Abs 2 KFG bei seiner Normensetzung übersehen zu haben. Auch kann ohne Anhaltspunkte irgendwelcher Art nicht unterstellt werden, daß dem Gesetzgeber die bisherige in SZ 56/133 veröffentlichte Judikatur des Obersten Gerichtshofes zu dem vorstehend behandelten Problemkreis unbekannt geblieben wäre.

Unter diesen Umständen besteht aber für eine ausdehnende oder gar berichtigende Auslegung des § 1 Abs 1 KHVG in der vom Rechtsmittelwerber gewünschten Richtung kein Raum. Ein Abweichen vom klaren Wortlaut des Gesetzes hat das Berufungsgericht daher mit Recht abgelehnt, weshalb der Revision des Klägers der Erfolg zu versagen war.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte