OGH 2Ob66/66

OGH2Ob66/6614.4.1966

SZ 39/69

Normen

ABGB §§1295 ff
EisbG §6 (3)
Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz §1
ABGB §§1295 ff
EisbG §6 (3)
Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz §1

 

Spruch:

Skischlepplift ist weder Eisenbahn noch "gefährlicher Betrieb", daher keine Haftung nach Haftpflichtrecht, wohl aber aus dem Beförderungsvertrag (Verschuldenshaftung)

Entscheidung vom 14. April 1966, 2 Ob 66/66

I. Instanz: Landesgericht Salzburg; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz

Text

Nach dem festgestellten Sachverhalt ereignete sich am 16. Februar 1960 um zirka 15 Uhr auf der Skischleppliftanlage auf der H.-Alm in H. ein Unfall, bei dem die beiden Klägerinnen verletzt wurden. Sie hatten den Schlepplift benützt und waren bei der ersten Stütze zufolge eines Versagens der Anlage zirka 8 m hoch gehoben worden und heruntergestürzt. Das Strafverfahren gegen den leitenden Betriebsingenieur Otto H. ist nach § 90 StPO. eingestellt worden.

Die Klägerinnen haben in den zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Klagen von der beklagten Partei als Betriebsinhaber Schadenersatz, und zwar die Erstklägerin von 13.030 S, darunter 12.000 S Schmerzengeld, und die Zweitklägerin von 26.370 S, darunter ein Schmerzengeld von 15.000 S, geltend gemacht. Sie haben behauptet, daß der Unfall auf einen Bruch eines Bestandteiles, nämlich der sogenannten Pendelbegrenzung des Gehänges, zurückzuführen sei. Die beklagte Partei sei als Betriebsinhaber für den Zustand der Anlage verantwortlich. Durch diese sei die Sicherheit der beförderten Personen nicht gewährleistet gewesen. Es sei für diesen Bestandteil ein zu schwaches Material verwendet worden. Sie hafte daher für Verschulden. Außerdem habe der leitende Ingenieur Otto H. den Klägerinnen erklärt, daß die beklagte Partei für den durch den Unfall entstandenen Schaden aufkommen und diesen ganz vergüten werde. Es liege daher auch ein Anerkenntnis vor. Bei dem Unternehmen handle es sich aber auch um einen gefährlichen Betrieb, auf den die Haftpflichtgesetze analog anzuwenden seien.

Die beklagte Partei hat ein Verschulden bestritten und auch eine Haftung für einen gefährlichen Betrieb abgelehnt. Ingenieur H. sei nur für den technischen Bereich verantwortlich und nicht befugt gewesen, eine Anerkenntniserklärung abzugeben. Die Anlage sei behördlich zugelassen und überprüft worden. Bei jeder technischen Einrichtung seien plötzlich auftretende Mängel möglich, für die aber eine Haftung nicht bestehe. Die Klägerinnen hätten auch nicht richtig reagiert und es dadurch unterlassen, zumindest die Unfallsfolgen zu mildern.

Das Erstgericht hat vorerst mit einem Teilurteil das Begehren der Klägerinnen auf Zuerkennung von Schmerzengeldbeträgen abgewiesen. Es hat eine Verschuldenshaftung der beklagten Partei verneint, jedoch eine Haftung im Sinne der Bestimmungen des Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetzes angenommen.

Das Berufungsgericht hat den Berufungen der Klägerinnen gegen das Teilurteil nicht Folge gegeben. Die von den Klägerinnen gegen das bestätigende Urteil des Berufungsgerichtes erhobenen Revisionen wurden vom Obersten Gerichtshof als unzulässig zurückgewiesen.

Im weiteren Verfahren wurden die von den Parteien noch aufrechterhaltenen Schadenersatzbeträge der Höhe nach außer Streit gestellt.

Sodann hat das Erstgericht mit Endurteil die beklagte Partei schuldig erkannt, der Erstklägerin 1030 S und der Zweitklägerin 11.370 S zu bezahlen. Es hat den von der beklagten Partei betriebenen Schlepplift als einen gefährlichen Betrieb beurteilt und im Sinne der Rechtsprechung eine Haftung der beklagten Partei nach den Haftpflichtgesetzen angenommen.

Das Berufungsgericht hat der Berufung der beklagten Partei Folge gegeben und das erstgerichtliche Urteil dahin abgeändert, daß es das restliche Klagebegehren der beiden Klägerinnen abgewiesen hat. Das Berufungsgericht war der Meinung, daß nur ein Verschulden die beklagte Partei haftpflichtig mache. Ein solches sei aber nicht nachgewiesen. Die Schleppliftanlage sei kein gefährlicher Betrieb, weshalb die analoge Anwendung der Haftpflichtgesetze nicht zulässig sei.

Der Oberste Gerichtshof gab den Revisionen der klagenden Parteien nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

In rechtlicher Hinsicht wenden sich die Klägerinnen gegen die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß die Schleppliftanlage nicht als "gefährlicher Betrieb" im Sinne der Rechtsprechung anzusehen sei. Sie sind der Meinung, daß eine solche Anlage ein gefährlicher Betrieb sei und daß daher die Beklagte für den entstandenen Schaden nach Haftpflichtrecht hafte.

Diesen Ausführungen vermag sich der Oberste Gerichtshof nicht anzuschließen. Im Sinne der einschlägigen Rechtsprechung liegt ein gefährlicher Betrieb nur dann vor, wenn dem Unternehmer Handlungen gestattet werden, die an sich verboten wären, wenn die Rechtsordnung nur die gefährdeten Interessen dritter Personen berücksichtigen würde. Bei solchen Betrieben dürfen gewaltige Elementarkräfte entfesselt werden, schwere Massen mit ungeheuren Geschwindigkeiten dahingleiten, Zundstoffe erzeugt oder verwendet werden, der feste Boden untergraben oder Luftraum unsicher gemacht werden (RiZ. 1956 S. 125, RiZ. 1958 S. 76 = SZ. XXXI 26 u. a.). Diese beispielsweise Aufzählung läßt schon erkennen, welche Gefahren mit einem gefährlichen Betrieb verbunden sein müssen, um eine strengere Haftung anzunehmen. Keineswegs liegt ein gefährlicher Betrieb immer dann vor, wenn irgendeine Gefahr damit verbunden ist, wie die Klägerinnen meinen. Der bisher vereinzelt gebliebene Fall, daß die Klägerinnen wegen eines Materialfehlers vom Erdboden 8 m in die Höhe gehoben wurden, rechtfertigt für sich allein noch nicht, diese Anlage als gefährlichen Betrieb zu qualifizieren. Das Berufungsgericht hat bereits zutreffenderweise darauf hingewiesen, daß der Gesetzgeber für derartige Anlagen eine strengere Haftung nicht in Betracht gezogen hat, weil er solche Anlagen nicht als Eisenbahnen im technischen Sinn gewertet wissen wollte. Die Schlepplifte sind gemäß § 6 (3) EisenbG. 1957, BGBl. Nr. 60, ausdrücklich davon ausgenommen. Es ist daher auch das Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz auf den vorliegenden Fall nicht anzuwenden. Dies ist offenkundig deshalb geschehen, weil auch nach Meinung des Gesetzgebers mit dem Betrieb einer solchen Anlage nicht solche Gefahren verbunden sind wie mit dem Betrieb einer Eisenbahn, bei dem große Geschwindigkeiten entwickelt, große Massen auf Schienen bewegt werden und daher auch die Möglichkeit einer Entgleisungsgefahr und von Zusammenstößen mit großen Auswirkungen verbunden sind. Die Gefahren bei der Benützung einer Schleppliftanlage reichen nicht im entferntesten an die mit dem Betrieb einer Eisenbahn verbundenen Gefahren heran. Während bei Hauptseilbahnen und Kleinseilbahnen (§ 1 I Z. 3 und § 6 (1) und (2) EisenbG. 1957) die Personen in Fahrbetriebsmitteln (Kabine, Sessel u. dgl.) durch die Luft in großer Höhe befördert werden und daher schon aus diesem Grund besonderen Gefahren ähnlich wie bei einer Eisenbahn ausgesetzt sind, bewegen sich die mit einer Schleppliftanlage beförderten Personen auf dem festen Boden weiter, indem sie mit den an den Beinen befestigten Skiern auf dem Schnee dahingleiten. Es fällt daher schon ein wesentliches Gefahrenmoment dadurch überhaupt weg. Die Benützung des Schleppliftes ist auch weitgehend von der Mitwirkung der beförderten Personen und von ihrer Geschicklichkeit und Aufmerksamkeit abhängig. Die Anlage bewegt sich mit einer geringen Geschwindigkeit, hier mit 2 m in der Sekunde. Es werden damit auch keine großen Strecken zurückgelegt und keine großen Höhenunterschiede überwunden. Die seltenen Stürze sind zumeist auf die Ungeschicklichkeit oder die Unaufmerksamkeit der Benützer zurückzuführen. Deshalb müssen auch die Benützer selbst beurteilen, ob sie einer solchen Beförderung überhaupt körperlich und geistig gewachsen sind. Diese Auffassung ist auch durch die österreichische Lehre und Rechtsprechung (s. Edelbacher in ÖJZ. 1959 S. 311 ff. und ZVR. 1964 Nr. 135) gedeckt und findet auch in der deutschen Lehre und Rechtsprechung (Geigel, Haftpflichtprozeß[12] S. 393, Scholten NJW. 1960 S. 561 und BGH. vom 29. April 1960, Versicherungsrecht 1960 S. 642) ihren Niederschlag.

Eine Schleppliftanlage, wie sie hier von den Klägerinnen benützt wurde, ist daher auch nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes nicht als ein "gefährlicher Betrieb" zu beurteilen, bei dem die Haftung des Inhabers analog nach den Haftpflichtgesetzen zu beurteilen ist.

Allerdings muß auch hier der Grundsatz gelten, daß derjenige, der eine Gefahrenquelle schafft, die notwendigen Vorkehrungen zur Abwendung dieser Gefahren trifft. Ob man nun einen solchen Beförderungsvertrag als Werkvertrag oder Dienstleistungsvertrag bezeichnet, ist nicht entscheidend. In jedem Fall hat der Unternehmer den Betrieb mit Sorgfalt zu führen, die Anlage ordentlich instandzuhalten und zu überwachen. Der Unternehmer haftet für die Vernachlässigung dieser Sorgfaltspflicht im Sinne der Bestimmungen der §§ 1295 ff. ABGB., also für eine schuldhafte Unterlassung. Im vorliegenden Fall steht hiezu fest, daß die einzelnen Schleppgehänge des Liftes mit Seilklemmen am Förderseil befestigt waren. Das Schleppgehänge ist nach vorne und hinten schwenkbar. Um ein zu weites Ausschwenken zu verhindern, ist eine Pendelbegrenzung angebracht. Diese hat damals aus einem Flacheisen in der Stärke von 30 X 8 mm bestanden. Der Unfall hat sich nämlich dadurch ereignet, daß diese Pendelbegrenzung bei dem von den Klägerinnen benützten Gehänge abgebrochen ist. Nun hat der Sachverständige hiezu erklärt, daß die Stärke der Pendelbegrenzung an sich nicht zu gering gewesen sei. Daß ein Bruch (Haarriß) entstanden war, habe bei einer Kontrolle umsoweniger wahrgenommen werden können, weil das Flacheisen mit Farbe und Fett überdeckt war. Der Unfall ist daher zwar auf einen Materialfehler zurückzuführen, der aber von der beklagten Partei und ihren Organen nicht vorgesehen und auch bei einer Kontrolle nicht wahrgenommen werden konnte, weshalb eine Vernachlässigung der Sorgfaltspflicht durch die beklagte Partei nicht angenommen werden kann. Wenn die beklagte Partei nach dem Unfall die Pendelbegrenzungen auswechseln ließ und dazu ein stärkeres Material verwendete, so kann auch dieser Umstand kein Grund für die Annahme einer Haftung der beklagten Partei für die Unfallsfolgen sein, weil feststeht, daß auch das ursprünglich verwendete Material nicht zu schwach gewesen ist. Es liegt demnach ein Zufall vor, dessen Folgen die Klägerinnen gemäß § 1311 ABGB. selbst zu tragen haben.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte