OGH 2Ob65/92

OGH2Ob65/9229.4.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Zehetner, Dr.Graf und Dr.Schinko als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Inge K*****, vertreten durch Dr.Ekkehard Beer und Dr.Kurt Bayr, Rechtsanwälte in Innsbruck, wider die beklagten Parteien 1. Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Singerstraße 17-19, 1010 Wien, 2. ***** Versicherungs-AG, ***** beide vertreten durch Dr.Josef Michael Danler und Dr.Renate Erlacher-Philadelphy, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen S 357.000,-- sA und Feststellung (S 200.000,--), infolge Revision der zweitbeklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 4.September 1992, GZ 4 R 170/92-20, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 14.April 1992, GZ 6 Cg 153/91-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen, die im übrigen unberührt bleiben, werden in Ansehung der zweitbeklagten Partei in dem dem Klagebegehren stattgebenden Teil und im Kostenausspruch dahin abgeändert, daß sie zu lauten haben:

Das Klagebegehren, die zweitbeklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen den Betrag von S 255.500,-- samt 4 % Zinsen seit 10.1.1991 aus S 435.500,-- bis 3.3.1991, sowie 4 % Zinsen ab 4.3.1991 aus S 255.500,-- zu bezahlen sowie, es werde festgestellt, daß die zweitbeklagte Partei der klagenden Partei für alle ihr aus Anlaß des Unfalles vom 10.1.1989 in Zukunft erwachsenden Nachteile zu haften hat, wobei die Haftung mit der Höhe der Versicherungssumme aus dem Autohaftpflichtversicherungsvertrag begrenzt sei, wird

abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der zweitbeklagten Partei die mit S 91.288,39 bestimmten Verfahrenskosten (einschließlich S 12.148,07 Umsatzsteuer und S 18.400,-- Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen; die erstbeklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 106.137,03 bestimmten Verfahrenskosten erster und zweiter Instanz (einschließlich S 13.697,18 Umsatzsteuer und S 25.697,-- Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 10.1.1989 verletzte sich die Klägerin als Insassin eines Postomnibusses der erstbeklagten Partei bei einem Verkehrsunfall, den der Lenker des Postomnibusses zumindest mitverschuldet hat, schwer. Sie begehrte von der erstbeklagten Partei als Halterin des Postomnibusses und von der zweitbeklagten Partei als Haftpflichtversicherer die Bezahlung von S 357.000,-- sA. Außerdem beantragte sie die Feststellung, daß die beklagten Parteien ihr für alle in Zukunft aus dem Unfall erwachsenden Nachteile haften. Da gegenüber der erstbeklagten Partei im begehrten Feststellungsausspruch ein Anerkenntnisurteil erging, blieb das Feststellungsbegehren nur gegenüber der zweitbeklagten Partei aufrecht.

Die beklagten Parteien beantragten die Abweisung des Klagebegehrens und wendeten insbesondere ein, daß die zweitbeklagte Partei nicht passiv legitimiert sei, weil sie nicht unmittelbar in Anspruch genommen werden könne. Die erstbeklagte Partei habe bei der zweitbeklagten Partei keine Pflichthaftpflichtversicherung abgeschlossen, sondern eine freiwillige Haftpflichtversicherung.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren gegenüber beiden beklagten Parteien mit S 255.500,-- sA statt und stellte auch die Haftung der zweitbeklagten Partei für alle zukünftigen Schäden der Klägerin aus dem Unfall fest. Es vertrat rechtlich die Auffassung, daß der Direktanspruch der Klägerin gegenüber der zweitbeklagten Partei aufgrund der Entscheidung SZ 56/133 zu Recht bestehe und diese daher passiv legitimiert sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Parteien nicht Folge. Es erklärte die Revision hinsichtlich der zweitbeklagten Partei für zulässig, weil zur Frage der Direktklage gegenüber der zweitbeklagten Partei seit der neuen Rechtlage noch keine Judikatur vorliege. Es sei zwar richtig, daß der anstelle des § 63 Abs 1 KFG getretene § 22 Abs 1 KHVG als dem VI.Abschnitt des KHVG zugehörig nach dem Wortlaut der §§ 1 und 2 KHVG nicht zur Anwendung zu kommen hätte, wenn die in § 59 Abs 2 KFG vorgesehene Möglichkeit des Bundes, trotz der Befreiung von der Versicherungspflicht eine Haftpflichtversicherung abzuschließen, als freiwillige Versicherung im Sinne der Überschrift des § 2 KHVG angesehen wird. Unter die in § 2 Abs 2 KHVG genannten Fälle sei diese Versicherung nämlich nicht einzuordnen. Trotz des dagegenstehenden Wortlautes der §§ 1 und 2 KHVG sei aber die bisherige Rechtsprechung beizubehalten, weil die erfolgte Änderung der Gesetzeslage an der Auffassung des Obersten Gerichtshofes in SZ 56/133 nichts zu ändern vermag, daß dann, wenn der Bund von dem in § 59 Abs 2 erwähnten Recht nicht Gebrauch mache, die Rechtslage so zu betrachten sei, als bestünde der § 59 Abs 2 KFG überhaupt nicht. Davon ausgehend müsse im vorliegenden Fall die zwischen den beklagten Parteien abgeschlossene Haftpflichtversicherung als unter § 1 Abs 1 und nicht unter § 2 KHVG fallend betrachtet werden.

Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die Revision der zweitbeklagten Partei aus dem Anfechtungsgrund des § 503 Z 4 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Urteil abzuändern und das gegen die zweitbeklagte Partei gerichtete Klagebegehren auch hinsichtlich des stattgebenden Teiles abzuweisen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Der zweitbeklagten Partei ist zuzustimmen, daß die Bestimmungen über das direkte Klagerecht des Geschädigten gegen den Versicherer gemäß § 63 Abs 1 KFG 1967 mit dem Inkrafttreten des Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungsgesetzes 1987 durch die Vorschriften des § 22 Abs 1 KHVG ersetzt wurden. Diese sind nach dem eindeutigen und klar gefaßten Wortlaut des § 1 Abs 1 KHVG nur auf Versicherungsverträge anwendbar, "die in Erfüllung der Versicherungspflicht gemäß § 59 Abs 1 des Kraftfahrgesetzes 1967...abgeschlossen werden". Die freiwillige Versicherung nach § 59 Abs 2 KFG fällt somit nicht darunter. Anders könnte nur argumentiert werden, wenn dem Gesetzgeber bei der Fassung des § 1 Abs 1 KHVG ein Redaktionsversehen unterlaufen wäre. Dem ist jedoch nicht so: Wie Bydlinski in Rummel2, ABGB, Rz 9 und 21 f zu § 6 zwar mit Recht ausführt, wären Wertungswidersprüche in der Rechtsordnung jedenfalls störend, sodaß in solchen Fällen die fragliche Vorschrift sogar gegen ihren Wortsinn verstanden werden könnte; die Verbesserung eines Redaktionsversehens im Wege abändernder Auslegung ist jedoch nur dann zulässig,wenn der anders gelagerte wahre Wille des Gesetzgebers mit Sicherheit nachweisbar ist (ImmZ 1980, 289; JBl. 1967, 273). Es ist auch nicht Aufgabe der Gerichte, durch zu weitherzige Interpretation rechtspolitische Aspekte zu berücksichtigen (SZ 45/90; SZ 46/123 ua) oder unbefriedigende Gesetzesbestimmungen zu ändern (SZ 45/41; EvBl 1984/133 ua).

Von einem eindeutig anders gelagerten Willen des Gesetzgebers dahin, daß § 1 Abs 1 KHVG entgegen seinem Wortlaut auch die freiwillige Versicherung des § 59 Abs 2 KFG mitumfassen sollte, kann aber - wie der Oberste Gerichtshof bereits in der Entscheidung vom 1.7.1992, JBl 1993, 235, dargelegt hat - nicht gesprochen werden. Gewiß ist es richtig, daß die Materialien des Gesetzes diese Frage nicht behandeln (siehe 110 der Beilagen zu den stenProt zu § 1 bzw zu den §§ 22 bis 25), doch kann daraus noch nicht auf ein Redaktionsversehen geschlossen werden. Auffallend ist vielmehr, daß der Gesetzgeber schon im § 2 KHVG unter der Überschrift "Freiwillige Versicherung" ausdrücklich auf jene Abschnitte des Gesetzes Bezug nimmt, die auch auf freiwillige Versicherungen anzuwenden sind und im § 2 Abs 2 KHVG unter anderem den Abschnitt VI, der mit dem zur Beurteilung stehenden unter der Überschrift "Direktes Klagerecht" normierten § 22 KHVG beginnt, für anwendbar erklärt, wenn es sich um Schadensereignisse handelt, die nicht auf Straßen mit öffentlichem Verkehr eintreten, oder höhere als die vorgeschriebenen Mindestversicherungssummen vereinbart werden (freiwillige Höherversicherung). Das Problem der Direktklage bei nicht bloß auf Versicherungsverträge der im § 1 Abs 1 KHVG aufgezählten Art ("die in Erfüllung der Versicherungspflicht gemäß § 59 Abs 1 KFG geschlossen werden") beschränkten Versicherungsverhältnissen, war dem Gesetzgeber daher wohl bekannt, weshalb ihm nicht unterstellt werden kann, die freiwillige Versicherung nach § 59 Abs 2 KFG bei seiner Normensetzung übersehen zu haben. Auch kann ohne Anhaltspunkte irgendwelcher Art nicht unterstellt werden, daß dem Gesetzgeber die bisherige in SZ 56/133 veröffentlichte Judikatur des Obersten Gerichtshofes zu dem vorstehend behandelten Problemkreis unbekannt geblieben wäre (JBl 1993, 235).

Unter diesen Umständen besteht aber für eine ausdehnende oder gar berichtigende Auslegung des § 1 Abs 1 KHVG in der von den Vorinstanzen verstandenen Richtung kein Raum. Ein Abweichen vom klaren Wortlaut des Gesetzes kommt somit nicht in Betracht, weshalb der Revision der zweitbeklagten Partei Folge zu geben und wie im Spruch zu erkennen war.

Der Kostenausspruch beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Die notwendig gewordene Beseitigung der Kostenhaftung der zweitbeklagten Partei hatte sich entsprechend dem endgültigen Ergebnis auch auf die von der erstbeklagten Partei zu ersetzenden Kosten wie im Spruch auszuwirken.

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