OGH 2Ob609/83 (2Ob610/83)

OGH2Ob609/83 (2Ob610/83)27.3.1984

SZ 57/60

Normen

ABGB §837
ABGB §837

 

Spruch:

Trotz Bestellung eines Verwalters der gemeinschaftlichen Liegenschaft kann die Mehrheit der Miteigentümer mit einem Dritten wirksam einen Bestandvertrag abschließen

OGH 27. 3. 1984, 2 Ob 609, 610/83 (LGZ Wien 41 R 376/83; BG Innere Stadt Wien 42 C 780/81)

Text

Der Kläger ist zu einem Drittel Miteigentümer der Liegenschaft EZ 111 KG N, Haus 1070 Wien, Sch-Gasse 14. Weitere Miteigentümer sind Margarete E und Anneliese P ebenfalls zu je einem Drittel. Mit zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Klagen forderte der Kläger von der Zweitbeklagten als angeblich titelloser Benützerin sowie vom Erstbeklagten als persönlich haftendem Gesellschafter der Zweitbeklagten die Räumung der Geschäftsräumlichkeiten 1, 2 und 3 im Hause 1070 Wien Sch-Gasse 14. Zur Begründung brachte er vor, daß die Mehrheitseigentümer ihm entgegen dem Vorbringen der Beklagten keine Möglichkeit zu einer Stellungnahme vor Abschluß des Mietvertrages vom 8. 4. 1981 gegeben hätten. Da darüber hinaus im März 1974 die Miteigentümer der Liegenschaft für Neuvermietungen das Einstimmigkeitsprinzip vereinbart hätten, sei der am 8. 4. 1981 unterzeichnete Mietvertrag nicht wirksam. Margarete E habe den Mietvertrag sowohl seitens der Vermieter als auch als persönlich haftende Gesellschafterin der Zweitbeklagten mitunterfertigt; es sei daher der Zweitbeklagten als Mieterin sowie deren weiterem persönlich haftenden Gesellschafter, dem Erstbeklagten, das Einstimmigkeitserfordernis bekannt gewesen. Die Mieterin sei daher bei Unterfertigung des Vertrages schlechtgläubig gewesen, sodaß kein wirksames Mietverhältnis zustande gekommen sei.

Die Beklagten bestritten, beantragten Abweisung des Klagebegehrens und führten aus, der von der Mehrheit der Liegenschaftseigentümer am 8. 4. 1981 unterfertigte Mietvertrag sei infolge Zugehörigkeit zur ordentlichen Verwaltung der Liegenschaft gültig zustande gekommen. Da die Zweitbeklagte daher nicht titelloser Benützer, sondern auf Grund eines Mietvertrages, der mit der Mehrheit der Liegenschaftseigentümer abgeschlossen wurde, Bestandnehmerin sei, sei das Räumungsbegehren nicht berechtigt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, wobei es im wesentlichen von folgenden Feststellungen ausging: Der Erstbeklagte, Wilhelmine N und Margarete E sind Geschwister; Anneliese P ist die Tochter des Erstbeklagten; Peter N, der Kläger, ist der Sohn der Wilhelmine N. Dipl.-Ing. Rudolf S, der an der Liegenschaft nicht beteiligt ist, ist ebenfalls ein Sohn des Erstbeklagten und ein Bruder der Anneliese P. Bei den Verhandlungen mit der Hausverwaltung K und der Übergabe der Liegenschaft vertrat Dipl.-Ing. Rudolf S seine Schwester Anneliese P. Im Handelsregister beim Handelsgericht Wien ist zu HRA 4712 a eine Firma Rudolf S & Co. in Liquidation protokolliert. Im Handelsregister des Kreisgerichtes St. Pölten ist zu HRA 876 die Firma Möbelwerk S & Co., die Zweitbeklagte, protokolliert. Gesellschafter beider Gesellschaften sind in beiden Fällen je zu gleichen Teilen die Geschwister Margarete E, Wilhelmine N und der Erstbeklagte. Die Firma Rudolf S & Co. trat Anfang 1981 in Liquidation. Sie war bis 31. 3. 1981 Hauptmieterin des gegenständlichen Geschäftslokales. Sie zahlte einen monatlichen Hauptmietzins von 38 100 S. Nach Erwerb der Liegenschaft durch die drei Miteigentümer im März 1974 erteilten diese der Hausverwaltung Ferdinand K, Inhaber Dipl.-Volkswirt Otto K, nach mehreren Verhandlungen Hausverwaltervollmacht. Neuvermietungen freiwerdender Mietobjekte waren jedoch von dieser Vollmacht insoweit ausgenommen, als vereinbart wurde: "Neuvermietungen dürfen nur mit schriftlicher einstimmiger Zustimmung aller drei Hauseigentümer erfolgen. Sollte eine derartige einstimmige Erklärung der Hauseigentümer binnen zwei Monaten nicht bei uns einlangen, so sind frei gewordene Räumlichkeiten der Firma S & Co. zu einer jeweils angemessenen Miete anzubieten". Mit Mietvertrag vom 8. 4. 1981 (Beginn des Mietverhältnisses 1. 4. 1981) vermietete die Mehrheit der Liegenschaftseigentümer, Margarete E und Anneliese P (2/3-Anteile), das Mietobjekt an die Zweitbeklagte. Der Mietvertrag wurde auf der Vermieterseite von Margarete E und Anneliese P, auf der Mieterseite durch die Zweitbeklagte, vertreten durch die einzeln vertretungsbefugten Gesellschafter Komm.-Rat Johann S (Erstbeklagter) und Margarete E, unterfertigt. Mit der in dem Schreiben der Hausverwaltung K vom 5. 3. 1974 an die Miteigentümer genannten Firma S & Co., an die der Hausverwalter zu jeweils angemessener Miete frei werdende Mieträumlichkeiten in jenem Haus dann anbieten sollte, wenn die drei Hauseigentümer nicht binnen zwei Monaten zu einer Vermietung an jemand anderen einstimmig die schriftliche Zustimmung erteilen sollten, war die zu HRA 4712 a des Handelsregisters beim Handelsgericht Wien protokollierte Firma Rudolf S & Co. gemeint.

Zur Rechtsfrage führte das Erstgericht aus, die Vermietung an die Zweitbeklagte sei als Maßnahme der ordentlichen Verwaltung anzusehen. Da der bestellte Verwalter K mit der Liquidation der Firma Rudolf S & Co. die Berechtigung zum Abschluß von Mietverträgen verloren habe, komme § 833 ABGB voll zur Anwendung. Der von der Mehrheit der Miteigentümer abgeschlossene Mietvertrag mit der Zweitbeklagten binde daher den Kläger auch dann, wenn er vor Vertragsabschluß nicht gehört worden sei. Eine interne Vereinbarung zwischen den Miteigentümern, daß zu Vermietungen die Zustimmung aller Miteigentümer erforderlich sei, sei im Verhältnis zu Dritten bedeutungslos.

Das Berufungsgericht änderte infolge Berufung des Klägers das Urteil des Erstgerichtes iS der Klagsstattgebung ab. Es sprach aus, daß der Streitwert, über den es entschieden hat, hinsichtlich jeder der verbundenen Rechtssachen 300 000 S übersteige. Ausgehend von dem unbestrittenen Sachverhalt gelangte das Berufungsgericht zu einer abweichenden rechtlichen Beurteilung. Das Erstgericht habe zwar zutreffend erkannt, daß nach herrschender Ansicht die Miteigentümer mit der Bestellung eines gemeinsamen Verwalters von der Vornahme selbständiger Verwaltungshandlungen ausgeschlossen seien. Maßnahmen der ordentlichen Verwaltung, über die ansonsten gemäß § 833 ABGB von der Mehrheit zu entscheiden sei, oblägen ab diesem Zeitpunkt ausschließlich dem gemeinsamen Verwalter. Dieser sei allerdings bei der Ausübung seiner Tätigkeit an Aufträge und Weisungen der Eigentümermehrheit gebunden. Auch im konkreten Fall sei von den Miteigentümern ein gemeinsamer Verwalter in der Person des Gebäudeverwalters Otto K bestellt worden; seine Befugnisse seien jedoch dahin eingeschränkt gewesen, daß "Neuvermietungen nur mit schriftlicher einstimmiger Zustimmung aller drei Hauseigentümer erfolgen dürfen. Sollte eine derartige einstimmige Erklärung der Hauseigentümer binnen zwei Monaten nicht bei uns einlangen, so sind frei gewordene Räumlichkeiten der Firma S & Co. zu einer jeweils angemessenen Miete anzubieten." Letztere Einschränkung sei als Weisung an den Verwalter aufzufassen, vor Abschluß von Mietverträgen schriftliche Zustimmungserklärungen aller Miteigentümer einzuholen. Sie binde den Verwalter zwar im Innenverhältnis, entziehe ihm jedoch nicht grundsätzlich die Befugnis zum Abschluß von Mietverträgen. Falle diese Angelegenheit - nämlich der Abschluß von Mietverträgen - aber noch weiterhin in seinen Wirkungsbereich, dann bleibe für selbständige Verwaltungshandlungen der Mehrheit auf diesem Sektor kein Raum. Daraus folge, daß die Miteigentümer Margarete E und Anneliese P keinesfalls zum selbständigen Abschluß eines Mietvertrages mit der Zweitbeklagten berechtigt waren, gleichgültig, ob es sich dabei um eine Maßnahme der ordentlichen Verwaltung oder um eine wichtige Veränderung iS des § 834 ABGB gehandelt habe und ob der Kläger dazu vorher gehört worden sei oder nicht. Ein - wenn auch für die Vermieter noch so günstiger - Bestandvertrag, der von hiezu nicht berechtigten Miteigentümern abgeschlossen worden sei, binde die übrigen Miteigentümer, die ihm weder ausdrücklich noch stillschweigend zugestimmt hätten, aber nicht. Sie könnten gegen den Bestandnehmer vielmehr mit Räumungsklage vorgehen, weil dieser ihnen gegenüber titellos sei. Dies gelte auch für den Kläger, zumal nicht einmal behauptet worden sei, daß er dem Mietvertrag mit der Zweitbeklagten zugestimmt habe. Die Annahme einer schikanösen Rechtsausübung, die dann vorliegen würde, wenn sie ausschließlich zum Zwecke der Schädigung eines anderen, also ohne sonstige Interessen erfolge, sei bei der Wahrung und Verfolgung der sich aus der Freiheit des Eigentums ergebenden Rechte, also auch wie hier bei Räumungsklagen wegen titelloser Benützung, grundsätzlich auszuschließen. Der Räumungsanspruch des Klägers gegenüber der Zweitbeklagten als titelloser Benützerin auf Grund eines dem Kläger gegenüber wirkungslosen Mietvertrages bestehe daher zu Recht. Für die Räumungsverbindlichkeit der Zweitbeklagten hafte aber auch der Erstbeklagte gemäß § 128 HGB auf Grund der nach herrschender Ansicht geltenden "Erfüllungstheorie" als Gesellschafter persönlich.

Der Oberste Gerichtshof gab den Revisionen der Beklagten Folge und änderte die Entscheidung des Berufungsgerichtes iS der Wiederherstellung des Urteiles des Erstgerichtes ab.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Es trifft zu, daß der OGH in mehreren Entscheidungen ausgesprochen hat, daß bei Bestellung eines gemeinsamen Verwalters kein Miteigentümer berechtigt ist, selbständig Verwaltungshandlungen vorzunehmen, und Maßnahmen der ordentlichen Verwaltung nur dem gemeinsamen Verwalter obliegen. Nur der Verwalter hat die vom Gesetz in seine Hand gelegten Interessen aller Teilhaber gegen einzelne Teilhaber zu vertreten. Es könnten daher die einzelnen Mit- (Wohnungs-)Eigentümer - auch die Mehrheit - nicht im Klagsweg die Zahlung rückständiger Betriebskosten von einem säumigen Miteigentümer fordern, dies obliege vielmehr als Maßnahme der ordentlichen Verwaltung ausschließlich dem gemeinsamen Verwalter (vgl. MietSlg. 27 102, 29 506, 30 145 ua.). In der Entscheidung SZ 42/68 wurde ausgesprochen, daß auch die Geltendmachung eines Unterlassungsanspruches gegen eigenmächtige Verwaltungshandlungen eines Miteigentümers nur dem Verwalter zustehe. Daraus kann aber nach Ansicht des erkennenden Senates nicht abgeleitet werden, daß ein von der Mehrheit der Miteigentümer ungeachtet der Bestellung eines gemeinsamen Verwalters mit einem Dritten - und als solcher ist die Zweitbeklagte jedenfalls anzusehen, wenn auch die Liegenschaftsmiteigentümerin Margarete E neben Wilhelmine N und dem Erstbeklagten zu einem Drittelanteil Gesellschafterin der Zweitbeklagten ist - abgeschlossener Mietvertrag unwirksam ist. Denn aus der Bestellung eines Verwalters als Bevollmächtigten kann nicht geschlossen werden, daß sich der Geschäftsherr der rechtlichen Fähigkeit begeben hätte, auch selbst wirksame Verträge abzuschließen, mag damit allenfalls auch eine Verletzung der ihm gegenüber dem Bevollmächtigten aus dem zwischen ihnen bestehenden Vertrag obliegenden Verpflichtungen verbunden sein (§ 1014 ABGB, vgl. auch § 8 HVG).

Was das von den Miteigentümern der Liegenschaft vereinbarte Erfordernis der Einstimmigkeit für die Neuvermietung frei werdender Mietobjekte betrifft, konnte diese Vereinbarung, wie sich aus der für den Fall des Fehlens einer einstimmigen Erklärung der Miteigentümer getroffenen Regelung ergibt, nur den Sinn haben, der Firma Rudolf S & Co. zusätzliche in dem Haus frei werdende Mietobjekte zu sichern. Da aber die Firma Rudolf S & Co. in das Stadium der Liquidation trat und selbst den Mietvertrag aufkundigte, ist die genannte Vereinbarung über das Erfordernis der Einstimmigkeit bei Neuvermietungen gegenstandslos geworden und daher § 833 ABGB ohne Einschränkung anzuwenden.

Was die Frage der von den Vorinstanzen nicht festgestellten Verständigung des Klägers durch die Mehrheitseigentümer von dem geplanten Abschluß des Mietvertrages mit der Zweitbeklagten anlangt, ist grundsätzlich wohl auch die Minderheit von beabsichtigten Verwaltungsmaßnahmen zu verständigen und ihr Gelegenheit zu einer Äußerung zu geben (vgl. Gamerith in Rummel ABGB Rdz. 10 zu § 833 S 759 und die dort angeführte Lehre und Judikatur). Dennoch ist aber ein hinter dem Rücken der Minderheitseigentümer abgeschlossener Vertrag wirksam (vgl. Gamerith aaO; EvBl. 1958/36; MietSlg. 22.049 ua.). Daraus ergibt sich, daß der mit der Zweitbeklagten abgeschlossene Mietvertrag wirksam ist und daher keine titellose Benützung des Bestandobjektes vorliegt. Im Ergebnis zutreffend hat daher das Erstgericht die vorliegende Räumungsklage abgewiesen.

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