OGH 2Ob60/05w

OGH2Ob60/05w31.3.2005

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Dr. Baumann, Hon. Prof. Dr. Danzl und Dr. Veith als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Frieda T*****, vertreten durch Dr. Klaus Fürlinger und Dr. Christoph Arbeithuber, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagten Parteien 1. Leopold F*****, 2. Maria F***** und 3. D*****-AG, *****, wegen EUR 6.671,40 sA und Feststellung (Streitwert EUR 500), infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Linz als Rekursgericht vom 9. Februar 2005, GZ 1 R 20/05z-5, womit der Beschluss des Landesgerichtes Linz vom 26. Jänner 2005, GZ 4 Cg 20/05m-2, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs der klagenden Partei wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Dem Erstgericht wird die Einleitung des Verfahrens über die Klage aufgetragen.

Die Rechtsmittelkosten sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Klägerin wurde bei einem Verkehrsunfall als Lenkerin eines PKWs verletzt.

Mit der beim Landesgericht Linz eingebrachten Klage begehrt die Klägerin Schmerzengeld (EUR 10.000) sowie den Ersatz ihrer Sachschäden (EUR 3.342,79) und stellt ein Feststellungsbegehren. Aufgrund der Komplexität der Verletzungen sei eine abschließende Bemessung des Schmerzengeldes nicht möglich, weshalb unter den Vorbehalt der Ausdehnung lediglich ein Teilbetrag von EUR 10.000 geltend gemacht werde. Da der Heilungsverlauf noch nicht abgeschlossen sei, sei auch das Feststellungsbegehren berechtigt.

Den Erstbeklagten treffe zwar das Alleinverschulden am Zustandekommen des Unfalls, doch rechne sich die Klägerin aus Gründen der prozessualen Vorsicht und vorbehaltlich der Ausdehnung ein unpräjudizielles Mitverschulden von 50 % an, weshalb lediglich eine in Entsprechung dieser Quote gekürzte Summe geltend gemacht werde. Die Zuständigkeit des angerufenen Landesgerichtes ergebe sich aus dem Gesamtstreitwert von EUR 14.342,79; die Unterschreitung jener Summe sei bloß auf die an der sachlichen Zuständigkeit nichts ändernde Teileinklagung zurückzuführen.

Das Erstgericht wies die Klage limine wegen sachlicher Unzuständigkeit zurück. Da sich die exakten Schmerzengeldansprüche erst nach Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens ermitteln ließen, wäre dieses der „Erkundungsbeweis" für die Ermittlung der Gerichtshofzuständigkeit. Letztere sei somit nicht gegeben.

Das von der Klägerin angerufene Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Bei Schadenersatzansprüchen aus deliktischem Verhalten sei bedeutsam, ob nur aus Gründen prozessualer Vorsicht, zur Geringhaltung des Kostenrisikos, unter Ausdehnungsvorbehalt oder unter Anrechnung eines Mitverschuldens lediglich ein Teil des behaupteten Gesamtschadens eingeklagt werde. Im ersten Fall liege eine der Regelung des § 55 Abs 3 JN unterliegende Teileinklagung vor. Handle es sich um Schadenersatzforderungen, die ziffernmäßig ganz klar umgrenzt seien, dann sei der Streitwert des Gesamtschadens auch dann maßgebend, wenn nur ein ziffernmäßig genannter Teil dieser Schadenersatzforderung eingeklagt werde (1 Ob 114/03a; ZVR 1996/14). Anders sei dies, wenn sich der Kläger selbst ein Mitverschulden anrechne und daher schon dem Grunde nach nur einen Anspruch auf einen Teil seines Schadens hätte. In einem solchen Fall sei sein gesamtes Schadenersatzbegehren um die Mitverschuldensquote gekürzt; ein darüber hinausgehender Anspruch nicht mehr existent. Eine vergleichbare Unterscheidung werde auch im Anwendungsbereich des § 405 ZPO vorgenommen. Im Fall der Teileinklagung eines Schadens ohne Einräumung eines Mitverschuldens dürfe dann, wenn der Schadensanteil unter Berücksichtigung eines festgestellten Mitverschuldens zu ermitteln sei, über das Begehren des Klägers nicht hinausgegangen werden. In diesem Fall sei der eingeklagte Teilschaden um die Mitverschuldensquote zu kürzen (ZVR 2000/93; 2 Ob 97/95). Dabei reiche es aus, sich etwa vorerst ein Drittel Eigenverschulden anrechnen zu lassen und daher vorläufig nur zwei Drittel des tatsächlichen Schadens geltend zu machen; es reiche hingegen nicht aus, aus Gründen der prozessualen Vorsicht und für den Fall, dass das Gericht dem Geschädigten ein Mitverschulden an dem Unfall zurechnen sollte, vorläufig nur 80 % des erlittenen Schadens geltend zu machen. Die Klägerin mache an Schmerzengeld exakt EUR 10.000 geltend und rechne sich grundsätzlich ein Mitverschulden im Ausmaß von 50 % an, weshalb lediglich aus Gründen der prozessualen Vorsicht unter Vorbehalt der Ausdehnung eine in Entsprechung dieser Quote gekürzte Summe geltend gemacht werde. Die Anrechnung eines Mitverschuldens kürze den gesamten Schadenersatzanspruch, weshalb hier nicht von einer Teileinklagung iSd § 55 Abs 3 JN auszugehen sei. Dass sich die Klägerin lediglich vorerst, unpräjudiziell und vorbehaltlich der Ausdehnung ein Mitverschulden anrechnen lasse, mache keinen Unterschied. Während es im Anwendungsbereich des § 405 ZPO auf den Schluss der Verhandlung ankomme, seien für die Zuständigkeitsprüfung grundsätzlich die Klagsangaben maßgeblich. Derzeit, also vor Eintritt der Streitanhängigkeit sei von einer wirksamen Anrechnung eines Mitverschuldens durch die Klägerin auszugehen. Mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 55 Abs 3 JN für die Bestimmung der sachlichen Zuständigkeit sei sohin die allgemeine Regelung des § 49 Abs 1 JN anzuwenden. Da der gesamte Streitwert des Klagebegehrens unter EUR 10.000 liege, habe das Erstgericht im Ergebnis zutreffend die Klage zurückgewiesen.

Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil die Entscheidungen 1 Ob 114/03a und 2 Ob 97/95 nicht die Frage der Anrechnung eines Mitverschuldens betroffen hätten. Für diesen Fall habe nur auf ältere Rechtsprechung des Rekursgerichtes zurückgegriffen werden können. Wegen der doch immer wiederkehrenden Bedeutung der hier maßgeblichen Rechtsfrage liege eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO vor.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen von der Klägerin erhobene Revisionsrekurs ist berechtigt.

Nach § 55 Abs 3 JN ist der Gesamtbetrag der noch unberichtigten Kapitalsforderung maßgebend, wenn nur ein Teil der Kapitalsforderung eingeklagt wird. Voraussetzung ist, dass ein schon ziffernmäßig bestimmter Rest offen bleibt (Gitschthaler in Fasching2 I § 55 JN Rz 27; Mayr in Rechberger, ZPO2 § 55 JN Rz 3; 1 Ob 114/03a; ZVR 1996/14). Nach Lehre und Rechtsprechung soll durch diese Regelung die Möglichkeit ausgeschaltet werden, durch willkürliche Teileinklagung die Zuständigkeit des Gerichtshofes zu umgehen (Gitschthaler aaO mwN). Diese Regelung sichert die Verwirklichung des Grundsatzes, dass für die Zuständigkeit die Höhe des Streitwertes im Zeitpunkt der Klageeinbringung maßgebend ist. Damit sollen Klageerweiterungen, die an sich nach § 235 ZPO schon wegen der dadurch nicht zu erwartenden Erschwernis zuzulassen wären, jedoch die sachliche Unzuständigkeit nach Erweiterung bewirken würden, überflüssig gemacht werden, weil sich die der Rechtsstreit schon beim „richtigen Gericht" befindet (Gitschthaler aaO mwN). Nur dann, wenn Gesamtansprüche in unbestimmter Höhe behauptet werden oder die Möglichkeit allfälliger weiterer Ansprüche besteht, dann richtet sich der Streitwert nach dem tatsächlich eingeklagten Betrag (Gitschthaler in Fasching2 § 55 Abs 3 JN Rz 31 mwN). Dies gilt insbesondere auch bei Schadenersatzansprüchen, falls sich der Kläger weitere Ansprüche ausdrücklich vorbehält. Handelt es sich aber um Schadenersatzansprüche, die ziffernmäßig ganz klar umgrenzt sind, dann ist der Streitwert des Gesamtschadens auch dann maßgebend, wenn nur ein ziffernmäßig genannter - in der Klage ausdrücklich als Teilbetrag der bezifferten Gesamtforderung bezeichneter - Teil dieser Schadenersatzforderung eingeklagt wurde (1 Ob 11403a; 4 Ob 179/97w; 3 Ob 2303/96i; ZVR 1996/14; Gitschthaler aaO).

Die Klägerin hat in der Klage vorgebracht, die erlittenen Verletzungen würden ein Schmerzengeld von EUR 10.000 rechtfertigen und es sei ein Sachschaden von EUR 3.342,79 eingetreten. Damit wurde das Erfordernis einer ziffernmäßig bestimmten Gesamtforderung zweifellos erfüllt. Ob die Möglichkeit weitergehender (Schmerzengeld-)Ansprüche besteht, ist nicht von Bedeutung, weil mit dem genannten Betrag die Wertgrenze des § 49 JN überschritten wird.

Offenkundig ist, dass die Klägerin unter der unpräjudiziellen Einräumung eines Mitverschuldens von 50 % nur einen Teil der ihr zustehenden Kapitalsforderung geltend machen wollte.

Soweit sich aus ZVR 1996/14 etwas anderes ergeben sollte, kann das aus den vorstehenden Gründen nicht mehr aufrecht erhalten werden.

Die Klage wurde daher zu Recht beim Landesgericht Linz eingebracht.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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