OGH 2Ob97/95

OGH2Ob97/957.12.1995

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Eveline D*****, vertreten durch Dr.Willibald Rath, Dr.Manfred Rath, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagten Parteien 1. Friederike B*****, 2. ***** Versicherungs-AG, ***** vertreten durch Dr.Alois Ruschitzger, Dr.Wolfgang Muchitsch, Rechtsanwälte in Graz, wegen S 102.853,33 sA, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 21.September 1995, GZ 3 R 131/95-33, womit das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 3.April 1995, GZ 11 Cg 90/93s-25, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß die Entscheidung insgesamt zu lauten hat:

1. Die Klagsforderung besteht mit S 44.016,66 zu Recht.

2. Die Gegenforderung besteht mit S 20.921,33 zu Recht.

3. Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei den Betrag von S 23.095,33 samt 4 % Zinsen seit 16.2.1993 binnen 14 Tagen zu bezahlen. Das Mehrbegehren von S 79.758 sA wird abgewiesen.

4. Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit S 15.457,17 (darin S 2.318,08 Umsatzsteuer und S 1.548,68 Barauslagen) bestimmten Prozeßkosten erster Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.

5. Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit S 4.970,85 (darin S 828,47 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

6. Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit S 5.553,50 (darin S 595,58 Umsatzsteuer und S 1.980 Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin und die Erstbeklagte, deren PKW bei der Zweitbeklagten haftpflichtversichert ist, waren mit ihren Fahrzeugen an einem Verkehrsunfall beteiligt. In der Klage behauptete die Klägerin das Alleinverschulden der Erstbeklagten, weil diese sich vorschriftswidrig nach links eingeordnet habe, dann ohne Blinkerabgabe nach rechts abgebogen sei, ohne sich vom nachfolgenden Verkehr zu überzeugen oder zu vergewissern, daß ein Fahrstreifenwechsel gefahrlos möglich sein werde. Die Klägerin machte unter ausdrücklichem Ausdehnungsvorbehalt zwei Drittel ihres Schadens (Fahrzeugschaden, Zahnbehandlungskosten, Abschleppkosten, Schmerzengeld) von insgesamt S 154.280, somit S 102.853,33 geltend. Im Schriftsatz ON 3 hielt die Klägerin fest, daß sie sich "vorerst" ein Drittel Eigenverschulden anrechnen lasse und daher "vorläufig" nur zwei Drittel ihres tatsächlichen Schadens geltend mache.

Die Beklagten behaupteten das Alleinverschulden der Klägerin, dieser sei mangelnde Aufmerksamkeit, insbesondere die Vornahme eines verbotenen Überholmanövers, und auch die Einhaltung überhöhter Geschwindigkeit anzulasten. Für den Fall des auch nur teilweisen Zurechtbestehens der Klagsforderung machten sie die Ersatzansprüche der Erstbeklagten aufrechnungsweise geltend.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren teilweise statt. Es vertrat die Auffassung, daß das beiden Fahrzeuglenkerinnen anzulastende Fehlverhalten eine Verschuldensteilung von 1 : 2 zu Lasten der Klägerin rechtfertige. Ihre Schadenersatzansprüche seien in Höhe von S 132.050, die der Erstbeklagten mit S 53.726 berechtigt. Entsprechend der getroffenen Verschuldensteilung stellte es die Klagsforderung mit einem Drittel der als berechtigt angenommenen Schadenersatzansprüche, daher mit S 44.016,66, die als berechtigt angenommene Gegenforderung unter Berücksichtigung einer Teilzahlung von S 14.896 mit zwei Drittel, somit in Höhe von S 20.927,33 (richtig: S 20.921,33) als zu Recht bestehend fest, sprach der Klägerin den Differenzbetrag von S 23.089,33 sA zu und wies das Mehrbegehren ab.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht, der Berufung der Beklagten teilweise Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil dahin ab, daß die Klagsforderung mit S 29.344,44, die Gegenforderung mit S 20.921,33 als zu Recht bestehend erkannt wurde und die Beklagten zur Zahlung von S 8.423,11 sA verpflichtet wurden. Die ordentliche Revision wurde nicht zugelassen, weil Rechtsfragen der in § 502 Abs 1 ZPO umschriebenen Art nicht zu lösen gewesen seien.

Das Berufungsgericht billigte die vom Erstgericht vorgenommene Verschuldensteilung sowie die Bemessung des Schmerzengeldes und führte sodann folgendes aus:

Berechtigt würden sich die Beklagten dagegen wenden, daß wegen der Teileinklagung ohne Anerkenntnis eines Eigenverschuldens der effektiv geltend gemachte Betrag nicht entsprechend der Mitverschuldensquote der Klägerin gekürzt worden sei. Es treffe nämlich zu, daß eine verbindliche Erklärung der Klägerin, ein Mitverschulden von einem Drittel anzuerkennen, im Verfahren in erster Instanz nicht erfolgt sei. Nach dem Vorbringen in der Klage treffe die Erstbeklagte das Alleinverschulden und würden lediglich zwei Drittel des Schadens der Klägerin, jedoch unter ausdrücklichem Ausdehnungsvorbehalt geltend gemacht. Nach ihrem Vorbringen im vorbereitenden Schriftsatz ON 3 habe sich die Klägerin zwar ein Eigenverschulden von einem Drittel anrechnen lassen, sie habe aber zwei Drittel ihres Schadens weiterhin (nur) vorläufig geltend gemacht. Diesen Ausdehnungsvorbehalt habe die Klägerin bis zum Schluß der Verhandlung erster Instanz nicht zurückgezogen und somit kein Eigenverschulden (von einem Drittel) anerkannt. Wegen der Unterlassung des unbedingten Zugeständnisses eines Mitverschuldens von einem Drittel sei damit Streitgegenstand nur der von der Klägerin geltend gemachte Betrag, sodaß wegen Bindung des Gerichtes an das Begehren (§ 405 ZPO) der geltend gemachte Teilanspruch um die von der Klägerin zu vertretende Mitverschuldensquote zu kürzen gewesen sei. Zufolge Geltendmachung bloß eines Teilbetrages des ersatzfähigen Gesamtschadens der Klägerin von S 132.050 (Fahrzeugschaden S 75.200, Abschleppkosten S 1.700, Zahnbehandlung S 27.150 und Schmerzengeld S 28.000) im Ausmaß von zwei Dritteln, habe die Quotierung somit von dem Betrag von S 88.033,33 zu erfolgen gehabt und stehe daher entsprechend der Verschuldensteilung von 1 : 2 zu Lasten der Klägerin ihr demnach nur ein Drittel hievon, somit ein Betrag von S 29.344,44 zu. Dieser zu Recht bestehenden Klagsforderung stehe eine zu Recht bestehende Gegenforderung der Erstbeklagten von S 53.726 (Fahrzeugschaden S 44.688, Wertminderung S 5.000 und Räumkosten S 4.038) an berechtigten Ersatzansprüchen, hievon zwei Drittel, somit S 35.817,33 abzüglich Teilzahlung von S 14.896, somit S 20.921,33 gegenüber, sodaß die Beklagten nur zur Bezahlung des Differenzbetrages von S 8.423,11 sA an die Klägerin verpflichtet seien. In diesem Umfang sei die Berufung der Beklagten berechtigt.

Gegen diese Berufungsentscheidung - soweit darin die Klagsforderung nur mit S 29.344,44 und nicht wie im erstgerichtlichen Urteil mit S 44.016,66 als zu Recht bestehend festgestellt wurde - richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß die Klagsforderung mit S 44.016,66, die Gegenforderung mit S 20.921,33 als zu Recht bestehend festgestellt und der Klägerin ein Betrag von S 23.095,33 zugesprochen werde; zumindest sei das erstgerichtliche Urteil, das einen geringfügigen Rechenfehler enthalte, wiederherzustellen.

Die Beklagten beantragen in der ihnen freigestellten Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus Gründen der Rechtsentwicklung zulässig, sie ist auch berechtigt.

Zutreffend führt die Klägerin aus, ihr wäre bei einer nunmehr unstrittigen Verschuldensteilung von 1 : 2 zu ihren Lasten ein Drittel des Gesamtschadens zuzusprechen gewesen.

Nach der Rechtsprechung darf zwar im Fall der Teileinklagung eines Schadens ohne Einräumung eines Mitverschuldens, dann, wenn der Schadensanteil unter Berücksichtigung eines festgestellten Mitverschuldens zu ermitteln ist, über das Begehren des Klägers nicht hinausgegangen werden; in einem solchen Fall ist der eingeklagte Teilschaden um die Mitverschuldensquote zu kürzen; eine entgegen diesem Grundsatz vorgenommene Bemessung des Ersatzbetrages verstößt gegen § 405 ZPO (ZVR 1983/30, 42 und 183, 1985/24 ua).

Die Klägerin hat sich aber im Schriftsatz ON 3 ohnehin ein Drittel Mitverschulden anrechnen lassen und erläutert, daß sie deshalb nur zwei Drittel des in der Klage nach Auflistung der einzelnen Sach- und Personenschäden errechneten Gesamtbetrages geltend mache. Daß sie sich ein Mitverschulden nur "vorerst" anrechnen ließ, macht keinen Unterschied. Da sie ihr diesbezügliches Vorbringen bis zum Schluß der Verhandlung nicht mehr änderte, ist es bei der Einräumung eines Mitverschuldens geblieben. Die Klägerin hat demnach bei ihrer Prozeßführung auf eine Mitverschuldensquote Bedacht genommen. Sie war auch nicht gehalten, auf den nicht eingeklagten Rest des Gesamtschadens zu verzichten (vgl ZVR 1992/80), um den Zuspruch des ihrer Mitverschuldensquote entsprechenden Anteiles vom Gesamtschaden zu erhalten. Ihr Ausdehnungsvorbehalt hat nicht zur Folge, daß in einem solchen Zuspruch eine Überschreitung ihres Begehrens zu erblicken wäre.

Das Erstgericht hat somit entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes nicht gegen § 405 ZPO verstoßen, weshalb sein Urteil - unter gleichzeitiger Berichtigung eines geringfügigen Rechenfehlers - wiederherzustellen war.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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