OGH 2Ob586/91

OGH2Ob586/915.2.1992

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Melber, Dr. Kropfitsch, Dr. Zehetner und Dr. Schinko als weitere Richter in der Pflegschaftssache des Markus A*****, infolge Revisionsrekurses des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 11. September 1991, GZ 44 R 782/91-126, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Floridsdorf vom 26. Juni 1991, GZ 1 P 154/73-123, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Die Ehe der Eltern des am 9. 12. 1972 geborenen Markus A***** ist geschieden, die Obsorge steht der Mutter zu. Der Vater ist zur Unterhaltsleistung in Geld verpflichtet. Mit Beschluß vom 17. 5. 1990, ON 114, erhöhte das Erstgericht den bisher zu leistenden Unterhaltsbetrag von S 1.200,- für die Zeit vom 1. 5. 1989 bis 21. 3. 1990 auf S 1.750,-, wies das Erhöhungsbegehren ab dem 22. 3. 1990 aber ab. Das Erstgericht ging bei dieser Entscheidung von einem monatlichen Durchschnittseinkommen des Vaters von S 9.600,- aus, weiters davon, daß der Unterhaltsberechtigte bis 21. 3. 1990 eine Lehrlingsentschädigung von durchschnittlich S 3.120,16 monatlich bezogen habe und ab 22. 3. 1990 über eine Lehrlingsentschädigung von S 4.351,66 verfüge. Durch die Lehre entstünden monatlich Ausgaben von S 500,-. Im Hinblick auf die Höhe der Lehrlingsentschädigung sei eine Erhöhung des Unterhaltsbetrages auf S 1.750,- bis 21. 3. 1990 gerechtfertigt, ab diesem Zeitpunkt sei wegen der erhöhten Lehrlingsentschädigung eine Erhöhung über den Betrag S 1.200,- hinaus aber nicht berechtigt.

Mit Beschluß vom 26. 6. 1991, ON 123, setzte das Erstgericht die für die Zeit vom 1. 7. 1989 bis 31. 12. 1991 gewährten Unterhaltsvorschüsse von S 1.200,- monatlich ab 1. 5. 1991 auf S 700 herab, da der Unterhaltsberechtigte einschließlich aliquoter Sonderzahlungen im Monatsdurchschnitt etwa S 5.300,- an Lehrlingsentschädigung beziehe. Unter Berücksichtigung des Einkommens des unterhaltspflichtigen Vaters von S 9.600,- sei daher nur mehr eine Unterhaltspflicht im Ausmaß von S 700,-

monatlich anzunehmen, da der Minderjährige dann über ein Gesamteinkommen von rund S 6.000,- verfüge, womit er seine Bedürfnisse decken könne.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien, in welchem die Einstellung der Unterhaltsvorschüsse begehrt worden war, nicht Folge. Es führte aus, Selbsterhaltungsfähigkeit eines heranwachsenden Jugendlichen sei erst dann gegeben, wenn ihm ein Monatsbetrag etwa in der Höhe des ASVG-Pensionsrichtsatzes zur Verfügung stehe. Dieser übersteige einschließlich aliquoter Sonderzahlungen den im vorliegenden Fall herangezogenen Betrag von S 6.000,- ohnedies, so daß außer Zweifel stehe, daß ein niedrigerer Betrag zur Deckung sämtlicher Bedürfnisse des Kindes nicht ausreiche, selbst wenn man die im mütterlichen Haushalt erlangten Betreuungsleistungen - unterstützt durch den Bezug der Familienbeihilfe - heranziehe. Die in einigen Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes vertretene Ansicht, unabhängig von der Frage der Selbsterhaltungsfähigkeit sei die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen unzulässig, wenn das Eigeneinkommen des Unterhaltsberechtigten den Richtsatz nach § 6 Abs 1 UVG übersteige, teile das Rekursgericht nicht, denn das Unterhaltsvorschußgesetz stelle nicht auf das Gesamteinkommen eines Unterhaltsberechtigten ab, sondern nur auf die Höhe der Vorschüsse selbst, die sich wieder nach der Höhe des Unterhaltsanspruches richte. Soweit daher ein Unterhaltsanspruch gegeben sei und die Höhe des Waisenpensionsrichtsatzes gemäß § 6 Abs 1 UVG nicht überstiegen werde, sei die Gewährung eines Unterhaltsvorschusses bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen zulässig. Daß der Vater selbst nur rund S 9.600,- verdiene, spreche nicht gegen den Fortbestand einer Restunterhaltsverpflichtung im Ausmaß von S 700,-, da er selbst auch nach Abzug dieses Unterhaltsbeitrages noch über einen Monatsbetrag von rund S 9.000,- verfüge. Der ordentliche Revisionsrekurs sei für zulässig zu erklären gewesen, da eine einheitliche Judikatur des Obersten Gerichtshofes zu der dieser Entscheidung zugrundeliegenden Rechtsfrage nicht bestehe.

Der Präsident des Oberlandesgerichtes Wien bekämpft den Beschluß des Rekursgerichtes mit Revisionsrekurs, in welchem die gänzliche Einstellung der Unterhaltsvorschüsse ab 1. 5. 1991 beantragt wird.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist nicht berechtigt.

Der Oberste Gerichtshof hat in den Entscheidungen 6 Ob 598/90 (31. 5. 1990), 7 Ob 519/91 (21. 3. 1991) und 7 Ob 568/91 (4. 9. 1991) die Ansicht vertreten, Unterhaltsvorschüsse seien zu versagen, wenn das Eigeneinkommen des Kindes den in § 6 Abs.1 UVG angeführten Richtsatz überschreitet. Diese Ansicht entspricht aber nicht mehr der herrschenden Judikatur des Obersten Gerichtshofes. Sie steht im Ergebnis mit den Entscheidungen 8 Ob 550/90 (29. 3. 1990), 8 Ob 504/91 (31. 1. 1991) und 1 Ob 521/91 (29. 3. 1991) im Widerspruch und wurde in der eingehend begründeten Entscheidung 4 Ob 549/91 (8. 10. 1991) ausdrücklich abgelehnt. In der zuletzt angeführten Entscheidung wurde ausgeführt, die starre Grenze des § 6 UVG lasse sich am ehesten als bloß fiskalische Auszahlungsgrenze erklären, mangels jeglicher Anhaltspunkte im Gesetz sei sie aber nicht als Unterhaltsgrenze zu verstehen. Eine Einstellung der Vorschüsse komme nicht schon dann in Betracht, wenn das Eigeneinkommen des Kindes den im § 6 Abs.1 UVG genannten Richtsatz überschreite, sondern erst dann, wenn das Eigeneinkommen des Kindes so hoch sei, daß die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht nicht mehr bestehe. Die gleiche Ansicht wurde auch in den Entscheidungen 3 Ob 558/91 (23. 10. 1991) und 8 Ob 649/91 (16. 1. 1992) vertreten; auch der erkennende Senat schließt sich ihr an.

Entscheidend ist daher, ob Markus A***** gegenüber seinem Vater noch einen Unterhaltsanspruch hat, oder ob er - wie der Rekurswerber unter Hinweis auf das geringe Einkommen des Vaters meint - selbsterhaltungsfähig ist. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fällt auch die Lehrlingsentschädigung unter jene Einkünfte, die nach § 140 Abs 3 ABGB zu berücksichtigen sind, sie ist - sofern sie nicht als Ausgleich für berufsbedingten Mehraufwand außer Betracht

bleibt - Eigeneinkommen des Kindes (Pichler in Rummel2 Rz 11 und 11a zu § 140; JBl 1991, 41 uva).

Eigene Einkünfte des Unterhaltsberechtigten dürfen nicht zu einer einseitigen Entlastung des Geldunterhaltspflichtigen (und nicht auch des anderen Elternteiles) führen, sie sind vielmehr auf die von beiden Elternteilen gemeinsam geschuldeten Unterhaltsleistungen anzurechnen (6 Ob 624/90; 3 Ob 547/90; 5 Ob 513/91 ua). Bei einem knapp vor der Großjährigkeit stehenden Minderjährigen ist der geschuldete Betreuungsaufwand mit erheblich geringerem Geldwert zu veranschlagen, als der zur Deckung der anderen Bedürfnisse erforderliche Geldbetrag. Ohne Verletzung der Rechte des Geldunterhaltspflichtigen kann von einem Verhältnis von 2 : 1 zu seinen Lasten ausgegangen werden (vgl 5 Ob 513/91; 8 Ob 649/91 ua).

Im vorliegenden Fall steht dem Jugendlichen die Lehrlingsentschädigung von durchschnittlich S 5.300,- monatlich zur Verfügung. Geht man von Unterhaltsbedürfnissen im Gegenwert von S 7.000,- aus, so verbleibt ein nicht durch Eigeneinkommen gedeckter Unterhaltsbedarf von S 1.700,-. Davon entfallen zwei Drittel auf den Geldunterhalt, sodaß sich ein Anspruch von S 1.133,33 ergeben würde. Auch wenn man das relativ geringe Einkommen des unterhaltspflichtigen Vaters berücksichtigt, ist der von den Vorinstanzen angenommene Unterhaltsbetrag von monatlich S 700,- jedenfalls gerechtfertigt, weshalb auch ein Unterhaltsvorschuß in dieser Höhe gebührt.

Dem Revisionsrekurs war daher ein Erfolg zu versagen.

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