Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Beklagten haben zur ungeteilten Hand dem Kläger die mit 2.840,05 S (darin 240 S Barauslagen und 236,37 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 6. 3. 1982 ereignete sich gegen 16:30 Uhr in Korneuburg an der Kreuzung der Laaer Straße (B 6) mit dem Stettnerweg und der Windmühlgasse ein Verkehrsunfall, an welchem Claudia J***** als Lenkerin des PKWs Renault R 12 des Klägers mit dem behördlichen Kennzeichen ***** und der Erstbeklagte als Lenker seines bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten PKWs Austin Allegro 1300 mit dem behördlichen Kennzeichen ***** beteiligt waren.
Der Kläger begehrte als Schadenersatz die Zahlung von 39.440 S sA und brachte vor, Claudia J***** sei durch die Windmühlgasse in Richtung Laaer Straße gefahren; von rechts münde in die Windmühlgasse der Stettnerweg, der durch eine „Stopptafel“ benachrangt sei. Der Erstbeklagte sei vom Stettnerweg kommend in den Kreuzungsbereich mit der Windmühlgasse eingefahren, ohne dieses Zeichen zu beachten, sodass es zur Kollision der Fahrzeuge gekommen sei. Dabei sei dem K1äger ein Schaden in Höhe des Klagsbetrags entstanden.
Die Beklagten bestritten das Klagebegehren und wendeten ein, die Windmühlgasse sei gegenüber dem Stettnerweg durch das Vorschriftszeichen „Vorrang geben“ benachrangt, weshalb sich der Erstbeklagte gegenüber Claudia J***** im Vorrang befunden habe. Am PKW des Erstbeklagten sei wirtschaftlicher Totalschaden in Höhe von 19.000 S eingetreten; dieser Betrag wurde als Compensandoforderung dem Klagebegehren entgegengesetzt.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Infolge Berufung des Klägers änderte das Gericht zweiter Instanz das Urteil des Erstgerichts dahin ab, dass die Klagsforderung mit 19.720 S als zu Recht, die eingewendete Gegenforderung mit 9.500 S ebenfalls als zu Recht bestehend erkannt und dem Kläger daher 10.220 S sA zugesprochen wurden; das Mehrbegehren von 29.220 S sA wurde abgewiesen. Das Berufungsgericht erklärte die Revision für nicht zulässig.
Gegen das Urteil des Berufungsgerichts wendet sich die außerordentliche Revision der Beklagten mit dem Antrag, die Revision zuzulassen; darüber hinaus werden die Anfechtungsgründe der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend gemacht und Abänderung im Sinne der gänzlichen Klagsabweisung beantragt; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
In seiner Revisionsbeantwortung beantragt der Kläger, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, allenfalls dem Rechtsmittel nicht Folge zu geben.
Die Revision ist zulässig, aber nicht berechtigt.
Was zunächst die Frage der Zulässigkeit anlangt, hat das Berufungsgericht diese verneint, weil die Entscheidung des Berufungsgerichts hinsichtlich der Verstöße der unfallsbeteiligten Kraftfahrzeuglenker von der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ausgehe, die Frage des Gewichts dieser Verstöße bei Beurteilung des beiderseitigen Verschuldens aber von den Umständen des Einzelfalls abhänge, sohin weder zur Wahrung der Rechtseinheit noch der Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung von Bedeutung sei.
Demgegenüber führen die Beklagten in ihrer außerordentlichen Revision aus, dass zur Frage des Vorrangs auf zwei gegenüber einer dritten Straße nachrangigen Straßen welche einerseits durch eine Stopptafel, bzw andererseits durch das Verkehrszeichen „Vorrang geben“, gekennzeichnet seien, in ihrem Verhältnis zueinander, keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorhanden sei.
Diesen Ausführungen kommt im Ergebnis Berechtigung zu. In der nichtveröffentlichten Entscheidung 2 Ob 136/77 hat der Oberste Gerichtshof ausdrücklich zu dieser Frage in anderem Sinn als das Berufungsgericht Stellung genommen, sodass im vorliegenden Fall entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hinsichtlich dieser Frage des materiellen Rechts die Voraussetzungen des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO als gegeben anzusehen waren.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist jedoch nicht berechtigt.
Das Erstgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Die Unfallsstelle befindet sich im Ortsgebiet von Korneuburg. Die nahezu eben von Süd nach Nord verlaufende 6 m breite Laaer Straße verbreitert sich auf Höhe der Kreuzung mit der Windmühlgasse und dem Stettnerweg allmählich. Von Südosten kommend mündet in die Kreuzung die eben verlaufende Windmühlgasse, deren Asphaltbahn 4 m breit ist. In Richtung Kreuzung mit der Laaer Straße gesehen (Fahrtrichtung der Zeugin J*****) ist die Windmühlgasse rechts der Fahrbahn nach einem etwa 1,20 m breiten Gehsteig in offener Bauweise verbaut, bietet aber auf die links davon schräg verlaufende Laaer Straße ungehinderten Einblick. Von Nordosten mündet in dieselbe Kreuzung der zunächst eben verlaufende Stettnerweg mit einer annähernden Fahrbahnbreite von 4 m zur Kreuzung hin leicht erweiternd. Der linke verlängerte Fahrbahnrand des Stettnerwegs und der rechte verlängerte Fahrbahnrand der Windmühlgasse (jeweils in Richtung Laaer Straße gesehen) schließen einen Winkel von 115° ein. Vom Schnittpunkt dieser beiden verlängerten Fahrbahnränder ist der rechte Fahrbahnrand der Laaer Straße (von Korneuburg Richtung Laa gesehen) in einer gedachten 90°-igen Linie verlaufend 8 m entfernt. Von diesem rechten Fahrbahnrand der B 6 fällt in den Mündungstrichter dieser Kreuzung mit drei Straßen die Fahrbahn über eine Breite von rund 4 m mit ca 10,5 % Gefälle ab. Am Ende dieses Gefälles, welches mit dem Fahrbahnrand der Laaer Straße nahezu parallel verläuft, hat sich die Fahrbahn des Kreuzungsbereichs auf rund 15 m allmählich verringert und gabelt sich sodann allmählich nach Nordosten und Nordwesten in den Stettnerweg bzw in die Windmühlgasse. Der Mündungstrichter der Kreuzung ist auf Höhe des rechten Fahrbahnrands der B 6 (von Korneuburg Richtung Laa gesehen) 34 m lang. 16 m von diesem rechten Fahrbahnrand der B 6 - gemessen entlang des rechten Straßenrands des Stettnerwegs in Fahrtrichtung des Erstbeklagten gesehen - ist für den an die Laaer Straße herannahenden Verkehr 1,2 m vom rechten Fahrbahnrand das Straßenverkehrszeichen „Halt“ (§ 52 lit c Z 24 StVO) aufgestellt. 6,4 m vor dem Schnittpunkt des rechten Fahrbahnrands Windmühlgasse und des linken Fahrbahnrands des Stettnerwegs (jeweils in Fahrtrichtung der beteiligten Personen gesehen) ist 0,6 m vom rechten Fahrbahnrand in der Windmühlgasse das Vorrangzeichen „Vorrang geben“ (§ 52 lit c Z 23 StVO) aufgestellt. Aufgrund der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Korneuburg vom 4. 9. 1970, Zl X/V-114/1-1970, wurde gemäß § 43 Abs 1 lit b StVO 1960 idF BGBI Nr 209/1969 im Interesse der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs angeordnet, „dass im Gemeindegebiet Korneuburg der Windmühlgasse der Vorrang (gemäß § 50 Z 5 StVO: 'Achtung Vorrangverkehr') zu Gunsten des Stettnerwegs und dem Stettnerweg der Vorrang (gemäß § 52 Z 11 StVO: 'Halt vor Kreuzung') zugunsten der Laaer Bundesstraße 6 zu nehmen ist“. Aufgrund dieser Verordnung wurden die vorerwähnten Verkehrszeichen aufgestellt. Zusatztafeln über einen besonderen Verlauf einer Straße mit Vorrang sind auf den beiden Vorrangzeichen nicht angebracht. Ein von der Windmühlgasse sich der Laaer Straße nähernder Verkehrsteilnehmer kann ab einer Position von 3 m vor dem Vorrangzeichen „Vorrang geben“ durch den rechts befindlichen Zaun auf den Stettnerweg 40 m einsehen (gemessen vom verlängerten Fahrbahnrand der Windmühlgasse in den Stettnerweg); vor dieser Position kann der Stettnerweg infolge Tujen nicht eingesehen werden. Diese vorerwähnte Sicht besteht wechselseitig. Ein Fahrzeuglenker, welcher mit seinem Fahrzeug auf dem Stettnerweg kommend in Verlängerung des Fahrbahnrands der Windmühlgasse stehen bleibt, hat nach links in die Windmühlgasse ca 60 m Sicht. Am Unfallstag waren die Fahrbahnen der vorerwähnten Straßen trocken, in der Windmühlgasse lag etwas Rollsplitt; die Sicht war gut. Claudia J***** näherte sich mit den PKW Renault 12 des Klägers auf der Windmühlgasse der Kreuzung mit der Laaer Straße mit einer Geschwindigkeit von ca 40 bis 50 km/h und wollte auf der B 6 Richtung Laa (Norden) weiter fahren. Sie blickte deshalb unter leichter Verringerung ihrer Fahrgeschwindigkeit in die B 6, dann nach rückwärts Richtung Korneuburg (Süden), um den allenfalls auf der B 6 herannahenden Verkehr beobachten zu können. Als sie wieder in ihre Fahrtrichtung auf die Kreuzung blickte, war sie ca 9,30 m vor dem Verkehrszeichen „Vorrang geben“ mit einer Geschwindigkeit von etwa 40 km/h unterwegs; im gleichen Augenblick sah sie in der Kreuzung ca 19 m vor sich den PKW Austin Allegro 1300 mit dem Erstbeklagten als Lenker; die Position dieses PKW war derart, dass sich seine linke Seite 9,70 m von der vorerwähnten Vorrangtafel und 2,80 m vom verlängerten Fahrbahnrand schräg nach Korneuburg (Süd-Südost) gerichtet befand. Bei Ansichtigwerden des PKWs der Erstbeklagten leitete Claudia J***** sofort eine Vollbremsung ein, zeichnete auf der Fahrbahn sichtbar Bremsspuren ab (die Länge dieser Bremsspuren konnte nicht festgestellt werden), konnte jedoch ihren PKW nicht mehr zum Stillstand bringen und stieß gegen den bereits zum Stillstand gekommenen PKW des Erstbeklagten mit einer Geschwindigkeit von ca 18 km/h. Claudia J***** hat auf den PKW des Erstbeklagten (also ca 2 sec vor der Kollision) reagiert. Durch die Kollision wurden die beiden Fahrzeuge nicht verdreht (bei diesen Feststellungen wurde aufgrund der örtlichen Gegebenheiten von einer Bremsverzögerung von 5,5 m/sec2 unter Berücksichtigung einer Bremsschwelldauer für die hydraulische Bremsanlage von 0,2 sec und einer Reaktionszeit von 0,8 sec ausgegangen). Durch die Kollision wurden am PKW Renault 12 die linke vordere Wagenecke sowie der gesamte Vorbau stark gestaucht; am PKW Austin Allegro 1300 wurde die linke Tür, die linke hintere Seitenwand und der linke vordere Kotflügel zur Mitte hin stark deformiert, die Türschwelle war zur Mitte hin eingedrückt, die Bodenplatte wurde im Bereich des Lenkersitzes stark deformiert. Bei der Annäherungsgeschwindigkeit von 40 km/h hätte der gesamte Anhalteweg des R 12 bei einer Anhaltezeit von etwa 2,9 sec 21,3 m betragen. Der Erstbeklagte näherte sich der Unfallskreuzung mit einer Geschwindigkeit von ca 30 km/h und wollte auf der Laaer Straße Richtung Korneuburg fahren; auf Höhe des Vorrangzeichens „Halt“ verringerte er die Geschwindigkeit seines PKWs auf ca 6 km/h (Schrittgeschwindigkeit) und fuhr - ohne anzuhalten - in die Kreuzung bis zu der Kontaktposition ein. Vom Überfahren der Sichtlinie aus der Windmühlgasse betrachtet bis zur Stillstandsposition fuhr der Erstbeklagte daher ca 7 m und benötigte hiefür eine Zeit von annähernd 4,2 sec (6 km/h 1,7 sec). Da Claudia J***** erst 2 sec vor der Kollision mit einer Bremsung reagiert hat, aber 4,2 sec vor der Kollision den PKW des Erstbeklagten bei gehöriger Aufmerksamkeit bereits erkennen hätte können, weil sich der R 12 zu diesem Zeitpunkt etwa 43 m vor dem Kollisionsbereich befunden und bei dieser Entfernung jedenfalls wechselseitige Sicht bestanden hat, ist ihr unter Zuerkennung einer Gefahrenerkennungszeit von etwa 1 sec eine Reaktionsverspätung von etwa 1,2 sec anzulasten, 3,2 sec vor der Kollision befand sich der R 12 von der Kollisionsstelle noch ca 33 m entfernt, sodass bei gehöriger Aufmerksamkeit und rechtzeitiger Reaktion Claudia J***** den R 12 nach Einleitung einer Vollbremsung problemlos vor dem Kollisionsbereich zum Stillstand hätte bringen können. Billigt man Claudia J***** eine Gefahrenerkennungszeit von 1 sec zu, hätte sie sich bei 40 km/h in dieser Zeit 11 m bewegt, sich zum Zeitpunkt der Einleitung der Bremsung etwa 32 m vor dem späteren Kollisionspunkt befunden und es hätte somit bei rechtzeitiger Reaktion und gehöriger Aufmerksamkeit auf den Verkehr eine leichte Betriebsbremsung im Bereich um 2,6 m/sec2 Verzögerung genügt, um ihr Kraftfahrzeug vor dem Kollisionsbereich zum Stillstand zu bringen. Hätte der Erstbeklagte nach erstmals möglicher Erkennung des R 12 sofort durch Einleitung einer Vollbremsung reagiert, hätte er sein Kraftfahrzeug vor dem Kollisionsbereich jedenfalls zum Stillstand bringen können, da bei einer Geschwindigkeit von 6 km/h für eine Vollbremsung der Gesamtweg etwa 1,8 m und die Anhaltezeit ca 1,2 sec betragen hätte (diese Feststellungen sind die für Claudia J***** günstigste Berechnung, da bei sämtlichen vorstehenden Feststellungen davon ausgegangen wurde, dass der Austin Allegro 1300 des Erstbeklagten gerade im Kollisionszeitpunkt zum Stillstand gekommen ist; eine allfällige längere Stehzeit des Beklagten-PKW wäre der Reaktionsverspätung der Claudia J***** noch hinzuzurechnen). Eine Bremsverzögerung im Bereich zwischen 2 m/sec2 und 2,6 m/sec2 ist im Straßenverkehr jederzeit möglich und muss schon allein aufgrund auftretender Verkehrsverhältnisse jederzeit aufgebracht werden; bei einer derartigen Bremsverzögerung tritt noch keine Veränderung der Sitzlage einer - auch nicht angegurteten - Person ein. Claudia J***** hätte erst 9,5 m vor dem verlängerten Fahrbahnrand des Stettnerwegs Sicht in diesen gehabt; um ihr Fahrzeug bei Auftauchen eines Hindernisses vor dem Stettnerweg abbremsen zu können, hätte sie daher eine Geschwindigkeit von 23 km/h einhalten müssen; bei 40 km/h war sie nicht mehr in der Lage, ihr Kraftfahrzeug bei Auftauchen eines Hindernisses noch rechtzeitig vor dem verlängerten Fahrbahnrand des Stettnerwegs anzuhalten.
Zur Rechtsfrage führte das Erstgericht aus, dass sich beide Fahrzeuge auf nachrangigen Straßenzügen befunden hätten, sodass mangels einer Zusatztafel über den Verlauf der Vorrangstraße zwischen ihnen § 19 Abs 1 StVO zur Anwendung zu gelangen hatte und der von rechts kommende Erstbeklagte auch nicht vor der Kreuzung mit der Windmühlgasse habe anhalten müssen, um den aus dieser herannahenden Verkehr abzuwarten; er sei seiner Anhaltepflicht durch Stehenbleiben vor der vorrangigen Laaer Straße nachgekommen; ihm könne daher kein relevantes Fehlverhalten zur Last gelegt werden. Selbst wenn man davon ausginge, dass der Erstbeklagte im Nachrang gewesen sei, müsse ihm zwar der Vorwurf gemacht werden, gegen § 19 Abs 4 StVO verstoßen zu haben; er habe aber Claudia J***** weder zu einem unvermittelten Bremsen oder zum Ablenken ihres Fahrzeugs genötigt, weil der Unfall bereits durch eine leichte Betriebsbremsung hätte vermieden werden können, was auch einem im Vorrang befindlichen Kraftfahrzeuglenker zuzumuten sei.
Das Berufungsgericht erachtete die in der Berufung gerügten Feststellungsmängel nicht für gegeben, gelangte aber zu einer teilweisen abweichenden rechtlichen Beurteilung.
Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs müsse sich einerseits jedermann auf die Geltung aufgestellter Verkehrszeichen verlassen können und andererseits auf eine ordnungsgemäße Beschilderung vertrauen dürfen. Dieser Grundsatz müsse allerdings dahin eingeschränkt werden, dass bei Vorliegen einer durch Verkehrszeichen hervorgerufenen Situation der Verkehrsteilnehmer verpflichtet sei, zu prüfen, welche der offenbar verschiedenen Möglichkeiten der Absicht des Gesetzgebers und der Behörde, wie sie aus den Bestimmungen des Gesetzes im Einzelnen hervorleuchtet, entspreche. Der Verkehrsteilnehmer dürfe nicht schlechtweg die ihm günstigste Möglichkeit als die vom Gesetzgeber und der Behörde gewollte Regelung annehmen, wenn offenkundig sei, dass er damit andere Verkehrsteilnehmer behindere oder gefährde. Im vorliegenden Fall sei objektiv unklar, inwieweit sich die Verkehrszeichen nur auf die beiden Zubringerstraßen in ihrem Verhältnis zueinander und inwieweit sie sich auf ihr Verhältnis zur Bundesstraße bezögen. Bei Prüfung der Rechtswidrigkeit ergebe sich zwar keine eindeutige Vorrangregelung, doch habe sich der Erstbeklagte gegenüber den von der Windmühlgasse kommenden Verkehrsteilnehmern wegen der für seine Fahrtrichtung geltenden Stopptafel nicht für vorrangig halten dürfen; dennoch habe er nach den Feststellungen des Erstgerichts nicht vor der Kreuzung sondern in der verlängerten Fahrlinie des Renault 12 in dem aus dem Stettnerweg und der Windmühlgasse gebildeten Kreuzungsbereich angehalten, um nach links in Richtung Korneuburg einzubiegen. Es sei daher nicht von Relevanz, wo genau der Erstbeklagte im Kreuzungsbereich angehalten habe. Sein Anhalten sei der durch die Stopptafel geschaffenen Situation keinesfalls gerecht worden. Dass der Erstbeklagte vor der Kreuzung keine Sicht auf den Verkehr auf der Laaer Straße gehabt hätte, habe er nicht einmal behauptet. Dies würde sein zu spätes Anhalten aber auch nicht rechtfertigen. Dass Claudia J***** andererseits damit rechnen durfte, der Erstbeklagte werde wegen der von ihm eingehaltenen Schrittgeschwindigkeit und der auf den Renault bestehenden Sicht sein Fahrzeug anhalten, sei nicht begründet. Claudia J***** habe sich nämlich im Hinblick auf das für ihre Fahrtrichtung geltende Nachrangzeichen ebensowenig für vorrangig halten dürfen. Trotzdem habe sie sich mit einer Geschwindigkeit von ca 40 km/h der Kreuzung genähert und sei überdies so unaufmerksam gefahren, dass sie den PKW Austin auf eine mögliche Beobachtungsstrecke von ca 7 m in 4,2 sec nie in Fahrt gesehen und erst auf das im Kreuzungsbereich stehende Fahrzeug reagiert habe. Im Hinblick auf die wegen der ungemein irreführenden Verkehrsregelung nicht allzu schwer anzulastenden beiderseitigen Verstöße der unfallsbeteiligten Verkehrsteilnehmer gegen die Vorschriften der StVO erachtete das Berufungsgericht eine Verschuldensteilung im Verhältnis von 1 : 1 für angemessen, weshalb die angefochtene Entscheidung ausgehend von der außer Streit stehenden Schadenshöhe spruchgemäß abzuändern gewesen sei. Unter dem Anfechtungsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens machen die Beklagten in der Revision in Wahrheit angebliche Feststellungsmängel geltend, auf die bei Erledigung der Rechtsrüge eingegangen werden wird.
In der Rechtsrüge führen sie aus, durch die ausdrückliche Anordnung des Verordnungsgebers seien die Vorrangverhältnisse an der gegenständlichen Kreuzung eindeutig dahin geregelt, dass dem Verkehr auf der Windmühlgasse der Vorrang gegenüber jenem auf dem Stettnerweg und dem letzteren wiederum der Vorrang gegenüber dem Verkehr auf der Laaer Bundesstraße genommen worden sei. Der Erstbeklagte habe daher den verlängerten Fahrbahnrand der Windmühlgasse ohne Verstoß gegen das Vorrangzeichen „Halt“ überfahren dürfen. Gemäß § 19 Abs 4 vorletzter Halbsatz sei er als Rechtskommender gemäß § 19 Abs l StVO gegenüber Claudia J***** im Vorrang gewesen. Selbst wenn ihn aber eine Wartepflicht gemäß § 19 Abs 4 StVO getroffen hätte, wäre sein Verhalten nicht dem § 19 Abs 7 StVO zu unterstellen gewesen, weil er Claudia J***** weder zu einem unvermittelten Bremsen, noch zu einem Ablenken ihres Fahrzeugs genötigt habe. Es hätte daher diesbezüglich am Rechtswidrigkeitszusammenhang gemangelt. Es wären daher Feststellungen über die Dauer des Stillstands des Fahrzeugs des Erstbeklagten vor der Kollision auf der Kreuzung zu treffen gewesen, da hiedurch Claudia J***** ein längerer Zeitraum zur Wahrnehmung seines Fahrzeugs zur Verfügung gestanden wäre und sie ihren PKW mit einer geringeren Verzögerung als 2,6 m/sec2 vor dem Kollisionsbereich hätte zum Stillstand bringen können.
Diesen Ausführungen ist Folgendes zu erwidern: Zutreffend hat das Berufungsgericht zunächst erkannt, dass sich jeder Verkehrsteilnehmer auf die Geltung aufgestellter Verkehrszeichen verlassen und auf eine ordnungsgemäße Beschilderung vertrauen darf (vgl ZVR 1971/30, ZVR 1976/256 ua). Im vorliegenden Fall wurde durch die Aufstellung der Verkehrszeichen „Vorrang geben“ auf der Windmühlgasse und „Halt“ auf dem Stettnerweg keineswegs eindeutig die Absicht der Behörde zum Ausdruck gebracht, dem Verkehr auf dem Stettnerweg den Vorrang vor jenem aus der Windmühlgasse zuzuerkennen, während das Vorrangzeichen „Halt“ auf dem Stettnerweg nur den Verkehr auf der Laaer Bundesstraße den Vorrang sichern sollte. Der Erstbeklagte musste daher unter den gegebenen Verhältnissen das Vorrangzeichen „Halt“ auch auf den aus der Windmühlgasse in den Kreuzungsbereich einfahrenden Verkehr beziehen und hatte sein Fahrverhalten dementsprechend einzurichten. Das Anhaltegebot des § 19 Abs 4, § 52 lit c Z 24 StVO ist absoluter Art und besteht unabhängig davon, ob ein anderer Verkehrsteilnehmer vorhanden ist, dem allenfalls Vorrang zu geben wäre (2 Ob 23/76, 2 Ob 136/77). Der Erstbeklagte war zwar berechtigt, sich mit seinem Fahrzeug so weit vorzutasten, bis er sich Gewissheit verschaffen konnte die Kreuzung ohne Behinderung des vorrangigen Querverkehrs, und zwar auch des aus der Windmühlgasse kommenden, zu übersetzen. Mit Rücksicht auf das absolute Anhaltegebot kam dem Erstbeklagten jedoch keinesfalls der Vorrang gegenüber dem aus der Windmühlgasse kommenden Querverkehr zu. Vielmehr konnte sich das in Fahrtrichtung der Claudia J***** befindliche Verkehrszeichen „Vorrang geben“ (§ 52 lit c Z 23 StVO) bei dieser Anordnung der Verkehrszeichen nur auf den für sie von links, also von der Laaer Straße kommenden Verkehr beziehen, nicht aber auf den aus dem Stettnerweg kommenden (2 Ob 136/77). Dass der Erstbeklagte durch seine Fahrweise gegen § 19 Abs 4 letzter Satz, § 52 lit c Z 24 StVO verstoßen hat, ergibt sich entgegen der Auffassung der Revision zweifelsfrei aus den Feststellungen des Erstgerichts, die vom Berufungsgericht übernommen wurden. Hat der Erstbeklagte doch nicht etwa bei erster möglicher Sicht in die Windmühlgasse angehalten, sondern ist in die Kreuzung so weit eingefahren, dass sein PKW, wie die Skizze zeigt, etwa in der Mitte der verlängerten gedachten Fahrbahn der Windmühlgasse zum Stillstand kam.
Was nun die Verletzung der Vorschrift des § 19 Abs 7 StVO durch den Erstbeklagten anlangt, ist darauf hinzuweisen, das die Beklagten ihren Schuldvorwurf gegen Claudia J***** ausschließlich auf eine Missachtung des dem Erstbeklagten ihr gegenüber zukommenden Vorrangs gestützt haben. Ein Prozessvorbringen in der Richtung, dass der Erstbeklagte solange in der Kollisionsposition gestanden sei, dass Claudia J***** ihr Fahrzeug bei Anwendung der erforderlichen Aufmerksamkeit ohne unvermitteltes Bremsen oder Ablenken hätte zum Stillstand bringen können, haben die Beklagten in erster Instanz nicht erstattet. Ihr diesbezügliches Vorbringen in der Berufungsbeantwortung bzw in der Revision ist wegen des Neuerungsverbots unbeachtlich. Das Erstgericht hatte daher entgegen der Auffassung der Beklagten keine Feststellungen in dieser Richtung zu treffen, sodass der in der Revision diesbezüglich geltend gemachte angebliche Feststellungsmangel nicht vorliegt. Der Erstrichter durfte vielmehr aufgrund des Sachverständigengutachtens davon ausgehen, dass der PKW des Erstbeklagten im Kollisionsgebiet gerade eben zum Stillstand gekommen war und Claudia J***** bei Anwendung der erforderlichen Aufmerksamkeit und bei rechtzeitiger Reaktion auf die Wahrnehmung des PKWs des Erstbeklagten mittels einer Betriebsbremsung mit einer Verzögerung von 2,6 m/sec2 ihr Fahrzeug vor dem Kollisionsbereich hätte zum Stillstand bringen können. Entgegen der Auffassung des Erstgerichts kann aber eine Bremsung mit einer Verzögerung von 2,6 m/sec2 nicht mehr als eine der Claudia J***** zumutbare geringfügige Herabsetzung der Fahrgeschwindigkeit beurteilt werden (8 Ob 260/82, 8 Ob 120/83 ua), vielmehr hat sie der Erstbeklagte durch sein Fahrverhalten jedenfalls zu einem unvermittelten Bremsen bis zum Stillstand ihres Fahrzeugs genötigt und damit gegen die Vorschrift des § 19 Abs 7 StVO verstoßen. Fällt dem Erstbeklagten aber eine Vorrangverletzung durch einen Verstoß gegen § 19 Abs 4, § 52 lit c Z 24 StVO zur Last, wiegt dieser so schwer, dass sich die Beklagten auch unter Berücksichtigung der von Claudia J***** eingehaltenen relativ überhöhten Fahrgeschwindigkeit und der ihr anzulastenden Reaktionsverspätung durch die vom Berufungsgericht vorgenommene Schadensteilung im Verhältnis von 1 : 1 keinesfalls beschwert erachten können.
Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO; da der Kläger bereits vor dem nachgetragenen Ausspruch des Berufungsgerichts über die Nichtzulassung der Revision zur Zulässigkeitsfrage Stellung genommen hat, erübrigte sich die Freistellung der Einbringung einer weiteren Revisionsbeantwortung (§ 508a Abs 2 ZPO) durch den Kläger.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)