Spruch:
Der außerordentliche Rekurs wird, soweit er sich gegen die Zurückweisung des Rekurses gegen die Einräumung des Rechtes an den Vater, mit den Kindern in der Zeit vom 21.8. bis 30.8.1993 und gegen die Androhung einer Ordnungsstrafe richtet, zurückgewiesen.
Im übrigen wird dem Rechtsmittel Folge gegeben und der angefochtene Beschluß aufgehoben; zugleich wird auch der Beschluß des Erstgerichtes aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Text
Begründung
Mit Eingabe vom 20.7.1993 beantragte die Mutter der im Kopf dieses Beschlusses angeführten Kinder eine einstweilige Vorkehrung des Inhalts, daß dem Vater verboten werde, mit den Kindern zu Urlaubszwecken von zu Hause wegzufahren und daß ihm darüber hinaus jedweder Kontakt mit den Kindern bis auf weiteres verboten werde, ausgenommen in ihrer Anwesenheit oder in der Anwesenheit einer kinderpsychologisch geschulten Vertrauensperson. Die Mutter begründete diesen Antrag im wesentlichen mit einem sexuellen Fehlverhalten des Vaters. Der Vater habe die mj. Elsa dazu veranlaßt, sich im Bett auf sein erregtes Glied zu legen.
Der Vater sprach sich gegen die Erlassung der einstweiligen Vorkehrung aus und stellte seinerseits den Antrag, ihm das Recht einzuräumen, in der Zeit vom 21.8. bis 30.8.1993 mit den vier Kindern zu Urlaubszwecken verreisen zu können.
Das Erstgericht vernahm den Leiter des Kinderschutzzentrums Linz sowie die Eltern und die Kinder und wies sodann den Antrag der Mutter auf Erlassung einer einstweiligen Vorkehrung ab, weil eine sexuelle Belästigung der mj. Elsa durch den Vater nicht feststellbar sei. Dem Antrag des Vaters, ihm das Recht einzuräumen, mit den Kindern in der Zeit vom 21.8. bis 30.8.1993 zu Urlaubszwecken zu verreisen, wurde stattgegeben.
Aus dem Akt 28 C 1/93 des Bezirksgerichtes Linz stellte das Erstgericht fest, daß die Mutter am 31.12.1992 eine neuerliche Scheidungsklage gegen den Vater einbrachte und beantragte, ihr die Obsorge für die mj. Kinder zu übertragen.
Betreffend das dem Vater vorgeworfene sexuelle Fehlverhalten traf das Erstgericht folgende Feststellungen:
Am 5.6.1993 (einem Samstag) schlich sich um etwa 9 Uhr die mj. Elsa in das Schlafzimmer des Vaters und kroch in sein Bett. Dieser wachte dadurch auf, nahm Elsa in die Arme und drehte sich auf den Rücken. Er forderte sie auf, sich auf seine Brust zu legen, wie sie das als Kind getan habe. Elsa lehnte dies ab und rutschte vom Körper des Vaters herunter. Während Elsa am Bauch des Vaters lag, spürte sie sein durch morgendlichen Urindrang erregtes Glied auf ihrem Bauch, sie empfand dies aber nicht negativ oder unangenehm. Der Vater hielt, während Elsa auf seinem Bauch lag, mehrmals die Luft an und hörte zu "schnaufen" auf, was Elsa als "Sekkieren" empfand und ihr unangenehm war.
Das von der Mutter angerufene Rekursgericht wies den Rekurs, soweit er sich gegen die Urlaubsreise des Vaters mit den Kindern in der Zeit vom 21.8. bis 30.8.1993 und gegen die Androhung einer Ordnungsstrafe richtet, als unzulässig zurück; im übrigen wurde dem Rechtsmittel keine Folge gegeben.
Betreffend die Urlaubsreise in der Zeit vom 21. bis 30.8.1993 vertrat das Rekursgericht die Ansicht, es fehle an der Beschwer, weil der Urlaubstermin schon verstrichen sei. Die Androhung einer Geldstrafe für den Fall der Nichtbefolgung sei nur eine Belehrung und Warnung vor den im § 19 AußStrG normierten Ungehorsamsfolgen.
Im übrigen verneinte das Rekursgericht das Vorliegen der gerügten Mangelhaftigkeit durch Unterlassung der Einvernahme der Zeugin Francois S***** und der Einholung eines kinderpsychologischen Sachverständigengutachtens. In einem Provisorialverfahren könnten nur parate Bescheinigungsmittel aufgenommen werden, jedes Provisorialverfahren sei auf den Grundsatz der Beschleunigung ausgerichtet, sodaß ein umfangreiches Beweisverfahren nicht durchzuführen sei. Die Zeugin S***** sei bis 3.8.1993 auf Urlaub gewesen, sodaß sie bis zur Zeit der Beschlußfassung erster Instanz kein parates Bescheinigungsmittel gewesen sei; dasselbe gelte auch für die Einholung eines kinderpsychologischen Sachverständigengutachtens.
In rechtlicher Hinsicht verneinte das Rekursgericht das Vorliegen eines sexuellen Mißbrauches des Kindes durch den Vater, sodaß die Vorausetzungen für die Erlassung der beantragten einstweiligen Vorkehrungen nicht gegeben seien.
Der ordentliche Revisionsrekurs wurde mangels einer über den Einzelfall hinausreichenden Bedeutung der Entscheidung nicht für zulässig erklärt.
Gegen diesen Beschluß richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahingehend abzuändern, daß die einstweilige Vorkehrung antragsgemäß erlassen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Soweit sich der außerordentliche Revisionsrekurs gegen die Zurückweisung des Rekurses durch das Rekursgericht richtet, ist er mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 14 Abs.1 AußStrG) unzulässig und daher zurückzuweisen (§ 16 Abs.3 AußStrG iVm § 508a Abs.2 und § 510 ZPO).
Rechtliche Beurteilung
Im übrigen ist das Rechtsmittel aber zulässig, weil das Rekursgericht zu Unrecht davon ausging, eine nach dem Außerstreitgesetz ergehende vorläufige Anordnung könne nur aufgrund parater Beweismittel erlassen werden; das Rechtsmittel ist im Sinne seines Eventualantrages auf Aufhebung auch berechtigt.
Die Mutter rügt in ihrem Revisionsrekurs neuerlich die Unterlassung der Einvernahme der Zeugin S***** und der Einholung eines kinderpsychologischen Gutachtens mit der Begründung, der im Außerstreitverfahren herrschende Untersuchungsgrundsatz und auch die Fürsorgepflicht des Gerichtes hätten es erfordert, alle für die Entscheidung wesentlichen Beweismittel aufzunehmen.
Diese Ausführungen sind grundsätzlich zutreffend.
Gemäß § 176 ZPO hat das Gericht, wenn die Eltern durch ihr Verhalten das Wohl des mj. Kindes gefährden, die zur Sicherung des Wohles des Kindes nötigen Verfügungen zu treffen; bei akuter Gefährdung des Kindes können nach § 176 ZPO auch vorläufige Maßnahmen getroffen werden (Schlemmer/Schwimann, ABGB, Rz 16 zu § 176 mwN). Durch derartige vorläufige Maßnahmen darf aber dem Verfahren zur endgültigen Zuweisung der Obsorge nicht ohne zwingende Notwendigkeit vorgegriffen werden, vielmehr müssen besondere Umstände gegeben sein, die im Interesse des Kindes eine sofortige Entscheidung gebieten (SZ 59/160; EFSlg. 62.906 uva). Eine derartige vorläufige Anordnung hat das Gericht im Pflegschaftsverfahren kraft seiner Fürsorgepflicht im Interesse des Kindeswohles, ohne an die Vorschriften der Exekutionsordnung gebunden zu sein, nach dem Außerstreitgesetz zu treffen, wenn besondere Umstände zur Abwendung eines dem Minderjährigen unmittelbar drohenden erheblichen Nachteils eine sofortige Entscheidung erfordern (5 Ob 595/84, zum Teil veröffentlicht in EFSlg. 45.901). Das Grundprinzip des Pflegschaftsverfahrens, die Wahrung der Interessen des Kindeswohles, erfordert, daß derartige vorläufige Anordnungen nicht nur aufgrund parater Beweismittel getroffen werden können. Es trifft zwar zu, daß bei einer vorläufigen Entscheidung nicht sämtliche notwendigen Erhebungen zu treffen sind, weil andernfalls bereits mit einer endgültigen Entscheidung vorgegangen werden könnte (EFSlg. 43.349). Dies gilt jedoch nur dann, wenn eine vorläufige Maßnahme getroffen wird, nicht aber dann, wenn der Antrag auf Erlassung einer derartigen vorläufigen Anordnung abgewiesen wird. In einem solchen Fall sind sämtliche relevanten Beweise aufzunehmen und kann erst dann mit einer Abweisung des Antrages vorgegangen werden. Der Grundsatz, daß ein Provisorialverfahren beschleunigt durchgeführt werden soll und daher nicht sämtliche Beweise aufzunehmen sind, gilt nur dann, wenn eine vorläufige Anordnung getroffen wird. Wenn der Antrag aber abgewiesen wird, erfordert es die Berücksichtigung des Kindeswohles, daß sämtliche notwendigen Erhebungen durchgeführt werden.
Im vorliegenden Fall ist es evident, daß der dem Vater vorgeworfene sexuelle Mißbrauch eine einstweilige Anordnung rechtfertigte, weil er zu schweren psychischen Schäden des Kindes führen könnte. Die Einvernahme der (sachverständigen) Zeugin S***** ist deshalb geboten, weil die mj. Elsa ihr gegenüber am 9.6.1993 ein sexuell mißbräuchliches Verhalten des Vaters schilderte. Zur Beurteilung der Frage, ob und inwieweit das Kind dabei (allenfalls von der Mutter beeinflußt) von der Wahrheit abwich und inwieweit sie das Verhalten des Vaters überhaupt als sexuelles empfand, wird auch ein kinderpsychologisches Gutachten einzuholen sein. Erst nach Aufnahme dieser Beweise kann verläßlich beurteilt werden, ob nicht doch eine vorläufige Anordnung geboten ist.
Es war daher die Entscheidung der Vorinstanzen aufzuheben und dem Erstgericht eine ergänzende Beweisaufnahme aufzutragen.
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