European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E131454
Spruch:
Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass er lautet:
„Das Erbrecht des Zweit-, des Dritt- und des Viertantragstellers wird aufgrund des Testaments vom 10. Juli 2018 zu je einem Drittel des Nachlasses festgestellt.
Die aufgrund des Gesetzes zu einem Drittel des Nachlasses abgegebene Erbantrittserklärung der Erstantragstellerin wird abgewiesen.“
Die Erstantragstellerin ist schuldig, den drei anderen Antragstellern binnen 14 Tagen die mit 10.657,76 EUR bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen (darin 1.776,29 EUR USt) zu ersetzen.
Begründung:
[1] Im Verfahren über das Erbrecht stehen einander eine Tochter des Erblassers (Erstantragstellerin) und drei Enkel (Zweit- bis Viertantragsteller) gegenüber. Die Enkel gaben aufgrund eines fremdhändigen Testaments vom 10. Juli 2018 eine Erbantrittserklärung zu je einem Drittel des Nachlasses ab, die Tochter aufgrund des Gesetzes eine Erbantrittserklärung zu einem Drittel des Nachlasses.
[2] Strittig ist allein die Formgültigkeit des Testaments. Es besteht aus zwei genähten Blättern. Auf dem ersten befindet sich die Verfügung zugunsten der Enkel, eine handschriftliche Nuncupatio und die Unterschrift des Erblassers. Auf dem zweiten Blatt steht:
„Mit nachstehender Unterschrift bestätigen wir, die ersuchten Testamentszeugen, dass der Testator in unserer gleichzeitigen und ununterbrochenen Anwesenheit den vorstehenden Zusatz eigenhändig geschrieben und die letztwillige Verfügung sodann eigenhändig unterschrieben hat.“
[3] Darunter befinden sich die Unterschriften der Zeugen mit Zeugenzusatz.
[4] Der Erblasser war wegen der Errichtung des Testaments zweimal zu Vorbesprechungen beim Notar, der ihm nach der zweiten Besprechung einen Entwurf schickte. Am Tag der Errichtung kam der Erblasser ins Notariat. Dort fügte zunächst eine Sekretärin das Datum mit der Schreibmaschine in den Entwurf ein. Dann wurden die Blätter mit einer Dokumentenschiene verbunden. Im Besprechungszimmer nahm der Notar die einzelnen Blätter aus der Schiene und besprach das Testament noch einmal mit dem Erblasser. Danach rief er zwei (weitere) Zeuginnen in das Besprechungszimmer. Er fragte den Erblasser nochmals, ob das Testament seinem Willen entspreche. Daraufhin unterschrieben der Erblasser, die beiden herbeigerufenen Zeuginnen und der Notar (ebenfalls als Zeuge) das Testament. Im Anschluss daran wurden die Blätter wieder mit der Dokumentenschiene verbunden.
[5] Der Notar begleitete den Erblasser aus dem Besprechungszimmer, übergab das Testament einer Sekretärin und trug ihr auf, es sofort zu binden. Wie viel Zeit zwischen der Unterfertigung des Testaments und dem Binden verging, konnten die Vorinstanzen nicht feststellen. Jedenfalls wurde das Testament noch am Tag der Unterfertigung gebunden.
[6] Der Erblasser verließ das Notariat nicht sofort, sondern hielt sich dort noch zumindest 15 Minuten auf, da er Fragen an den Notar hatte. Ob der Notar und der Erblasser am Pult der Sekretärin stehen blieben oder wieder in das Besprechungszimmer gingen, konnten die Vorinstanzen nicht feststellen. Sie konnten auch nicht feststellen, ob der Erblasser noch anwesend war, als das Testament gebunden wurde, und ob ihm das gebundene Testament noch einmal in die Hand gegeben wurde.
[7] Die Tochter stützt ihre Erbantrittserklärung auf das Gesetz. Sie vertritt die Auffassung, dass das Testament nicht formgültig sei, weil kein innerer Zusammenhang bestehe und der äußere erst nach Abschluss des Testierakts hergestellt worden sei.
[8] Die Enkel stützen ihre Erbantrittserklärung auf das Testament. Die Sekretärin des Notars habe die Blätter unmittelbar nach den Unterschriften genäht, die äußere Urkundeneinheit sei dadurch uno actu mit dem Testiervorgang hergestellt worden. Da ein äußerlich formgültiges Testament vorliege, gingen Zweifel zu Lasten desjenigen, der die Gültigkeit bestreite.
[9] Das Erstgericht wies die Erbantrittserklärungen der Enkel ab und stellte das Erbrecht der Tochter zu einem Drittel des Nachlasses fest. Die Blätter müssten spätestens während des Testiervorgangs verbunden werden. Das sei hier nicht der Fall gewesen.
[10] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.
[11] Es teilte die Auffassung des Erstgerichts, dass die Verbindung der Blätter nicht mehr im Zuge der Testamentserrichtung hergestellt worden sei. Daher sei das Testament nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht formgültig. Eine erhebliche Rechtsfrage liege angesichts dieser Rechtsprechung nicht vor.
[12] In ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs streben die Enkel die Feststellung ihres Erbrechts und die Abweisung der Erbantrittserklärung der Tochter an. Das Nähen des Testaments unmittelbar nach dem Leisten der Unterschriften habe ausgereicht. Zweifel über den Geschehensablauf gingen zu Lasten dessen, der sich auf die Ungültigkeit des Testaments berufe.
[13] Die Tochter beantragt in der ihr freigestellten Revisionsrekursbeantwortung, das Rechtsmittel der Enkel zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben. Die Urkundeneinheit sei erst nach Abschluss des Testiervorgangs hergestellt worden, weswegen das Testament formungültig sei.
Rechtliche Beurteilung
[14] Der außerordentliche Revisionsrekurs ist zulässig, weil die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Herstellung der Urkundeneinheit einer Präzisierung bedarf; er ist auch berechtigt.
[15] 1. Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung liegt die äußere Urkundeneinheit bei einer fremdhändigen letztwilligen Verfügung nur vor, wenn die einzelnen Bestandteile der Urkunde (die losen Blätter) so fest miteinander verbunden wurden, dass die Verbindung nur mit Zerstörung oder Beschädigung der Urkunde gelöst werden kann, wie zB beim Binden, Kleben oder Nähen der Urkundenteile (2 Ob 143/19x NZ 2020, 20 [Welser] = EvBl 2020/93 [Kietaibl]; 2 Ob 145/19s iFamZ 2020, 59 [Mondel]; zu beiden Entscheidungen Rabl, NZ 2020, 1, und Tschugguel EF-Z 2020, 71; 2 Ob 218/19a NZ 2020, 102 [Rabl] = iFamZ 2020, 179 [Schweda] = EF‑Z 2020, 129 [Tschugguel]; 2 Ob 51/20v; 2 Ob 143/20y; 2 Ob 141/20d EF‑Z 2021, 85 [Tschugguel]).
[16] 2. Diese Urkundeneinheit muss nach den genannten Entscheidungen „während“ des Testiervorgangs, also „uno actu“ mit diesem, hergestellt werden. Dieses Erfordernis ist jedenfalls dann nicht erfüllt, wenn das Testament bei einer auswärtigen Amtshandlung eines Notars auf unverbundenen Blättern errichtet und erst später im Notariat gebunden wurde; in diesem Fall hätte es auch nicht genügt, wenn es der Notar bei Ankunft in der Kanzlei sofort dem Sekretariat übergeben hätte und es dort sofort gebunden worden wäre (2 Ob 218/19a). Hingegen genügt es, wenn die Verbindung im unmittelbaren Anschluss an die Unterfertigung durch den Erblasser und die Zeugen hergestellt wird (2 Ob 141/20d). In den weiteren Entscheidungen lag auch bei Schluss der Verhandlung noch keine äußere Urkundeneinheit vor, sodass die Ausführungen zum relevanten Zeitpunkt dort keine tragende Bedeutung hatten.
[17] 3. Aus der Entscheidung 2 Ob 141/20d ergibt sich, dass das Erfordernis des Herstellens der Verbindung „während“ des Testiervorgangs (bzw „uno actu“ mit diesem) nicht dahin verstanden werden kann, dass die Verbindung schon bei Leistung der Unterschriften vorhanden sein müsste. Vielmehr genügt es, wenn die Verbindung in unmittelbarem Anschluss daran hergestellt wird (Tschugguel, EF-Z 2021, 86). Dieses Verständnis lag auch den früheren Entscheidungen des Senats zugrunde. Denn sonst hätte die Formulierung „während“ des Testiervorgangs (bzw „uno actu“ mit diesem) praktisch keine eigenständige Bedeutung gehabt, da damit – worauf insb Tschugguel (EF‑Z 2020, 72 f) zutreffend hinweist – im Ergebnis ein Verbinden vor dem Leisten der Unterschriften erforderlich gewesen wäre; dass die Verbindung zwischen dem Leisten der einzelnen Unterschriften hergestellt werden könnte, ist praktisch nur schwer vorstellbar.
[18] 4. Wird daher die äußere Urkundeneinheit unmittelbar nach dem Leisten der Unterschriften hergestellt, ist von einem einheitlichen Testiervorgang auszugehen, der erst mit dieser Herstellung beendet ist (in diesem Sinn auch Rabl, NZ 2020, 4; Tschugguel und Welser, Formunwirksamkeit des Testaments, weil die Zeugen auf einem gesonderten Blatt unterschrieben haben. Ein juristischer Trialog, NZ 2018, 321 [324]; Umlauft, Das Spannungsverhältnis zwischen dem favor testamenti und den Formvorschriften für letztwillige Verfügungen im Lichte der jüngsten OGH-Judikatur, EF-Z 2019, 244 [249]). Das gilt auch dann, wenn der Erblasser zu diesem Zeitpunkt nicht mehr zugegen war. Bestanden für ihn keine Bedenken, dass die Verbindung im unmittelbaren Anschluss erfolgen würde, und wurde dies auch tatsächlich umgesetzt, überspannte ein Anwesenheitserfordernis jene Strenge, die nach dem Zweck der erbrechtlichen Formvorschriften erforderlich ist. Denn das Austauschen von Blättern ist in diesem Fall unabhängig von den sonstigen Umständen des Einzelfalls praktisch ausgeschlossen. Darin unterscheidet sich diese Fallgestaltung von Situationen, in denen das Verbinden nicht unmittelbar nach den Unterschriften, sondern, wie in 2 Ob 218/19a, zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt. Denn hier hängt es von den konkreten Abläufen ab, ob die Gefahr des Austauschens besteht oder nicht. Zweck der Formerfordernisse ist es aber, durch klare Regeln die Notwendigkeit einer solchen Einzelfallbeurteilung zu vermeiden.
[19] 5. Wird die rechtzeitige Herstellung der äußeren Urkundeneinheit bei einer äußerlich der Form entsprechenden letztwilligen Verfügung bestritten, so trifft die Beweislast für den Formmangel jene Partei, die ihn behauptet (2 Ob 143/19x mwN). Dieser Beweis ist hier nicht gelungen: Aufgrund der Negativfeststellungen der Vorinstanzen ist zu Lasten der beweispflichtigen Tochter davon auszugehen, dass das Testament unmittelbar nach der Unterschriftleistung gebunden wurde und dass – was an sich nicht erforderlich wäre (oben 4.) – der Erblasser auch während des Bindens zugegen war.
[20] 6. Aus diesen Gründen hat der Revisionsrekurs Erfolg: Das Erbrecht der Enkel ist aufgrund des Testaments vom 10. Juli 2018 zu je einem Drittel des Nachlasses festzustellen, die aufgrund des Gesetzes abgegebene Erbantrittserklärung der Tochter ist abzuweisen.
[21] 7. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 78 AußStrG. Die Enkel haben in Bezug auf das strittige Drittel des Nachlasses zur Gänze obsiegt und daher Anspruch auf Ersatz ihrer Kosten. Bemessungsgrundlage ist allerdings nur ein Betrag von 100.000 EUR. Zwar hat das Erstgericht den Verfahrenswert nach § 7 RATG mit 300.000 EUR festgesetzt. Aus dem Zusammenhang ergibt sich aber, dass sich diese Festsetzung auf den gesamten Nachlass bezog. Für die Bestimmung der Kosten ist nur der tatsächlich strittige Teil heranzuziehen.
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