OGH 2Ob40/57

OGH2Ob40/5716.11.1957

SZ 30/74

Normen

Kündigungsschutz-Ausführungsverordnung §1
Mietengesetz §41
Kündigungsschutz-Ausführungsverordnung §1
Mietengesetz §41

 

Spruch:

§ 41 MietG. gilt auch für solche aufgekundigte Wohnungsmieten, die durch § 1 KSchAusfV. bloß den Kündigungsbeschränkungen des Mietengesetzes unterworfen wurden.

Plenarbeschluß vom 16. November 1957, 2 Ob 40/57.

I. Instanz: Bezirksgericht Döbling; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Der der gegenständlichen Räumungsexekution zugrunde liegende Titel ist ein rechtskräftiges Urteil des Berufungsgerichtes, das die auf § 19 Abs. 2 Z. 12 und Abs. 6 MietG. gestützte Aufkündigung für wirksam erklärte und die beklagte bzw. verpflichtete Partei zur sofortigen Räumung der von ihr gemieteten Wohnräumlichkeiten verurteilte. Die dieses Urteil bestätigende Entscheidung des Revisionsgerichtes vom 22. Februar 1956 wurde den Parteienvertretern am 10. April 1956 zugestellt.

Die klagende bzw. betreibende Partei brachte am 2. Mai 1956 beim Erstgericht den Antrag auf Bewilligung der zwangsweisen Räumung ein, dem am 5. Mai 1956 stattgegeben wurde. Die verpflichtete Partei erhob dagegen beim Erstgericht eine Impugnationsklage, in der sie vorbrachte, das aufgekundigte Bestandverhältnis falle unter die Bestimmungen des § 1 Abs. 2 Z. 1 und 7 MietG., § 41 MietG. sei daher nicht anzuwenden und die Exekution verspätet beantragt worden.

Das Erstgericht wies diese Klage nach Aufhebung seines Zurückweisungsbeschlusses durch das Rekursgericht mit Urteil vom 11. September 1956 ab. Die dagegen erhobene Berufung ist noch unerledigt. Als der betreibenden Partei nach Aufschiebung der zwangsweisen Räumung gemäß Art. 6 SchutzV. und Ablauf der bewilligten Aufschiebungsfrist der neuerliche Vollzug der Exekution bewilligt wurde, beantragte die verpflichtete Partei die Aufschiebung der zwangsweisen Räumung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Impugnationsklage auf Grund des § 42 Z. 1 (richtig § 42 Abs. 1 Z. 5) EO., allenfalls gemäß Art. 6 SchutzV.

Das Erstgericht gab diesem Antrage statt.

Das Rekursgericht wies dagegen den Aufschiebungsantrag in Abänderung des erstgerichtlichen Beschlusses ab. Es begrundete seine Entscheidung im wesentlichen damit, § 41 MietG. sei auch auf Bestandverhältnisse anwendbar, die gemäß § 1 der Verordnung vom 5. September 1939, DRGBl. I S. 1671, bloß den Kündigungsbeschränkungen des Mietengesetzes unterliegen; der Exekutionsantrag sei daher rechtzeitig gestellt und die Impugnationsklage der verpflichteten Partei demnach aussichtslos.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs der verpflichteten Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Begründung

Vorerst sei bemerkt, daß die Rüge, es fehle an Feststellungen darüber, daß das gekundigte Bestandverhältnis dem erweiterten Kündigungsschutz nach § 1 der Verordnung vom 5. September 1939, DRGBl. I S. 1671, unterliege, ganz unverständlich ist. Denn in dem langwierigen Titelprozeß sind nicht nur beide Parteien, sondern auch alle mit der Rechtssache befaßten Gerichte davon ausgegangen, daß das Mietverhältnis den Kündigungsbeschränkungen des Mietengesetzes unterliege. Die verpflichtete Partei hat aber auch in ihrer Impugnationsklage, die ja die Grundlage für die begehrte Exekutionsaufschiebung bilden soll, selbst behauptet, daß das gekundigte Bestandverhältnis unter die Ausnahmen des § 1 Abs. 2 Z. 1 und 7 MietG. falle. Durch § 1 KSchAusfV. wurden neben anderen gerade diese beiden Ausnahmen vom Anwendungsbereich des Mietengesetzes hinsichtlich der Vorschriften über die Kündigungsbeschränkungen aufgehoben.

Da das aufgekundigte Mietverhältnis Wohnräume zum Gegenstand hatte und der Exekutionsantrag zwar nach Ablauf der 14tägigen Frist des § 575 Abs. 3 ZPO., wohl aber innerhalb der Verlängerung um sechs Monate (§ 41 MietG.) eingebracht wurde, ist im vorliegenden Fall allein entscheidend, ob § 41 MietG. auch auf jene Mietverhältnisse anzuwenden ist, die durch § 1 KSchAusfV. lediglich den Kündigungsbeschränkungen (§§ 19 bis 23) des Mietengesetzes unterworfen wurden.

Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung SZ. XXII 127 diese Frage mit der Begründung verneint, durch die Verordnung DRGBl. I S. 1671/1939 seien lediglich die Kündigungsbeschränkungen des Mietengesetzes auf weitere Bestandverhältnisse ausgedehnt worden; § 41 MietG. enthalte aber keine Kündigungsbeschränkung, sondern eine Vorschrift über die zeitliche Begrenzung der Wirksamkeit von Exekutionstiteln auf Räumung.

Der gleiche Standpunkt wurde in den Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes MietSlg. 4776 und 5354 eingenommen. Die Begründung der Entscheidung SZ. XXII 45 enthält dagegen den Satz, da es sich hier auch um keinen jener Fälle handle, in denen der erweiterte Kündigungsschutz nach der Verordnung vom 5. September 1939, DRGBl. I S. 1671, Platz greife, habe es bei der 14tägigen Frist des § 575 Abs. 3 ZPO. sein Bewenden. Dieser Satz lehnt zumindest eine eindeutige Stellungnahme zur aufgeworfenen Frage nach der Anwendbarkeit des § 41 MietG. auf die Fälle des erweiterten Kündigungsschutzes nach der bezogenen Verordnung ab, sofern er nicht überhaupt als Abgehen vom bisherigen Standpunkte zu deuten ist.

Die Entscheidung MietSlg. 3470, die einen Fall der Mieterschutzfreiheit nach § 9 Z. 3 der Verordnung vom 7. November 1944, DRGBl. I S. 319, behandelt, befaßt sich hingegen bloß mit der Frage, ob § 41 MietG. schlechthin für alle (durch das Mietengesetz geschützten und ungeschützten) Mietwohnungen gelte, und verneint sie unter Hinweis auf das Gutachten des Obersten Gerichtshofes DJ. 1939 S. 528 und SZ. XXII 45, ist daher für die hier zu lösende Frage bedeutungslos.

Pfundtner - Neubert, II b 7 S. 11 Anm. 3; führen aus, auf die durch die Verordnung vom 5. September 1939 neu geschützten Räume seien die §§ 38 bis 41 MietG., obwohl sie im § 1 der Verordnung nicht ausdrücklich angeführt seien, anzuwenden; dies ergebe sich aus dem Zwecke und auch aus § 2 der Verordnung, in dem § 38 MietG. erwähnt werde. Gleicher Ansicht sind Michlmayr, Österreichisches Recht, V a 61 S. 81 Anm. 1, 61/2 S. 2 Anm. 2, und Swoboda in seinem Kommentar zum Mietengesetz, 2. Aufl. S. 315. Der gegenteilige Standpunkt wird lediglich von Schödl, Mietenrecht und Mieterschutz in der Ostmark, Deutsches Recht (Wiener Ausgabe) 1940 S. 34, eingenommen. Stagel nimmt dagegen in der Deutschen Justiz 1939 S. 1605 bei Besprechung der Verordnung vom 5. September 1939 zu der hier zu lösenden Frage überhaupt nicht Stellung.

Der bloße Wortlaut des § 1 der Verordnung vom 5. September 1939, DRGBl. I S. 1671, der nur die im § 1 Abs. 2 Z. 1, 2 und 7, Abs. 4 und 5 MietG. enthaltenen Ausnahmen von dem Anwendungsbereich des Mietengesetzes hinsichtlich der Kündigungsbeschränkungen (§§ 19 bis 23) aufhebt, spricht eher gegen die Anwendbarkeit des § 41 MietG. und auch der §§ 38 bis 40 MietG. auf diese neu geschützten Mieten von Wohnräumen. § 2 der Verordnung bestimmt, daß ein Grund zur Aufhebung des Vertrages gemäß § 1118 ABGB. und ein wichtiger Kündigungsgrund im Sinne des § 19 MietG. vorliege, wenn die Mieträume für kriegswichtige Zwecke benötigt würden. Er fährt fort, daß eine längere als die gesetzliche Räumungsfrist (§ 38 MietG.) nur gewährt werden könne, wenn besondere Umstände es dringend geboten erscheinen ließen. Er führte also einen neuen Aufhebungs- und Kündigungsgrund ein, und zwar ohne jede Einschränkung, demnach den Aufhebungsgrund für alle Bestandverhältnisse, gleichgültig ob sie den Kündigungsbeschränkungen des Mietengesetzes unterliegen oder nicht, und den neuen Kündigungsgrund für alle Mietverhältnisse, die dem Mietengesetz schlechthin oder zumindest den Kündigungsbeschränkungen des § 19 MietG. unterliegen. Die weitere Vorschrift, die für die auf den neuen Grund gestützten Aufhebungen bzw. Aufkündigungen von Mietverhältnissen die Bewilligung einer längeren als der gesetzlichen Räumungsfrist einschränken soll und § 38 MietG. zitiert, geht zufolge ihrer allgemeinen Fassung anscheinend von der bereits gegebenen Anwendbarkeit des § 38 MietG. auf alle Mietverhältnisse, also auch auf solche, die nicht den Kündigungsschutz des Mietengesetzes genießen, aus.

Die Meinung, daß § 41 MietG. und auch die §§ 38 bis 40 MietG. allgemein und nicht bloß auf die dem Mieterschutz unterliegenden Mieten über Wohnräume anzuwenden seien, vertrat der Oberste Gerichtshof in einer Reihe von Entscheidungen (vgl. SZ.XI 162, die geradezu führend wurde, ferner ZBl. 1935 Nr. 361, ZBl. 1936 Nr. 340, RiZ. 1937 S. 60, NotZ. 1937 S. 84, JBl. 1937 S. 497), nahm aber wieder in anderen Entscheidungen den gegenteiligen Standpunkt ein (ZBl. 1931 Nr. 204 a, RiZ. 1934 S. 221, JBl. 1934 S. 279). In seinem Gutachten DJ. 1939 S. 528 verneinte er die erweiterte Anwendbarkeit der §§ 38 bis 41 MietG. auf nicht geschützte Mieten von Wohnungen. Die allgemeine Fassung all dieser Bestimmungen und ihre systematische Einreihung in demselben Abschnitte des Mietengesetzes schließen auch die Möglichkeit aus, bei den einzelnen Vorschriften einen verschiedenen Geltungsbereich in der Richtung, ob alle Wohnungsmieten oder nur mietengesetzlich geschützte Bestandverhältnisse damit erfaßt werden, anzunehmen. Für die §§ 38 bis 41 MietG. muß daher der gleiche Geltungsbereich angenommen werden.

Der Wortlaut des § 2 der Verordnung vom 5. September 1939, DRGBl. I S. 1671, ist in Verbindung mit § 1 dann verständlich, wenn dieser Verordnung die Auffassung zugrunde liegt, § 38 MietG. und damit auch die §§ 39 bis 41 MietG. seien kraft ihrer allgemeinen Fassung auf alle Wohnungsmieten, also auch auf die völlig ungeschützten, ohne weiteres anzuwenden. In dem erwähnten Gutachten des Obersten Gerichtshofes wird lediglich die Anwendbarkeit der §§ 38 bis 41 MietG. auf solche Mieten, die überhaupt nicht dem Mietengesetze unterliegen, verneint, weil es bis zum Inkrafttreten der Verordnung vom 5. September 1939 nur Mieten gab, die entweder dem Mietengesetz schlechthin, also auch dessen Zinsbestimmungen, unterlagen oder überhaupt vom Geltungsbereich des Mietengesetzes ausgenommen waren, auf die also auch die §§ 19 bis 23 MietG. nicht anzuwenden waren. Der Umstand, daß der Verordnung vom 5. September 1939 die Auffassung zugrunde lag, die §§ 38 bis 41 MietG. seien auf alle Wohnungsmieten anwendbar, vermag nichts daran zu ändern, daß ein so weiter Geltungsbereich dieser Bestimmungen nach wie vor zu verneinen ist (vgl. SZ. XXII 45, MietSlg. 3470), weil die Verordnung eine solche Ausdehnung nicht verfügt hat. Dies zwingt aber keineswegs zur Annahme, daß den §§ 38 bis 41 MietG. auch für bloß kündigungsbeschränkte Wohnungsmieten keine Geltung zukommen kann. Eine solche Annahme würde bei nur kündigungsbeschränkten Mieten die Möglichkeit einer gerichtlichen Verlängerung der Räumungsfrist, aber auch eines freiwilligen Zuwartens mit der Einleitung der Exekution durch den Vermieter im Rahmen der durch § 41 MietG. um sechs Monate verlängerten 14tägigen Frist des § 575 Abs. 3 ZPO. nehmen und damit den Mieter einer Begünstigung berauben, die allerdings erst im Falle einer Aufhebung der Schutzverordnung vom 4. Dezember 1943, DRGBl. I S. 666, volles Gewicht erlangen würde. Bis zur Beseitigung der Schutzverordnung würde dies aber immerhin dazu führen, daß jeder Vermieter zum Schutze seiner Interessen genötigt wäre, in allen Fällen, in denen nicht völlig eindeutig feststeht, daß das gekundigte Mietverhältnis auch den Zinsvorschriften des Mietengesetzes unterliegt, schon innerhalb der 14tägigen Frist des § 575 Abs. 3 ZPO. die Bewilligung der exekutiven Räumung zu beantragen, deren Kosten ihm jedenfalls der Mieter zu ersetzen hätte. Dieser müßte hierauf einen Aufschiebungsantrag nach der Schutzverordnung stellen, um einen Aufschub zu erreichen. Eine solche, den Mieter mit Kosten belastende Tätigkeit des Gerichtes wäre also auch dann notwendig, wenn der Vermieter ohne weiteres bereit wäre, dem Mieter einen vielleicht ausreichenden Räumungsaufschub im Rahmen der Frist von sechs Monaten und 14 Tagen zu gewähren. Diese sicher nicht praktische Lösung erschiene wohl nur dann gerechtfertigt, wenn sie allein dem klaren Wortlaut der geltenden Vorschrift entspräche. Dies trifft jedoch nicht zu. Wohl spricht § 1 der Verordnung vom 5. September 1939 nur von den Kündigungsbeschränkungen des Mietengesetzes, zitiert aber gleichzeitig neben den §§ 19 bis 21 MietG. auch die damit zusammenhängenden §§ 22 und 23 MietG. über die Teilkündigungen und die Umwandlung von Mietverträgen von bestimmter Dauer. Die Zitierung des § 38 MietG. im § 2 der Verordnung zeigt, daß nach der bei Erlassung der Verordnung bestandenen Absicht § 38 MietG. und offenbar auch die folgenden Paragraphen einschließlich des § 41 zumindest für die neu kündigungsgeschützten Mieten gelten sollten. Ebenso wie die Kündigungsbeschränkungen sind die §§ 38 bis 40 MietG. offensichtlich dazu bestimmt, dem Mieter wegen der bestehenden Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Ersatzräumen möglichst lange die Benützung der Wohnräume zu erhalten, also den Mieter zu begünstigen. Dies gilt aber auch für § 41 MietG., weil er ein freiwilliges Zuwarten des Vermieters mit der Einleitung der Exekution ermöglicht. Die §§ 38 bis 41 MietG. stehen also mit den Kündigungsbeschränkungen im Zusammenhang, während sie mit den Zinsvorschriften des Mietengesetzes an sich nichts zu tun haben. Nun wird in den §§ 38 bis 41 MietG. ohnehin ganz allgemein von gemieteten Wohnräumen gesprochen. Der erwähnte Zusammenhang dieser Bestimmungen mit den Kündigungsbeschränkungen und die Tendenz der Gesetzgebung sprechen dafür, unter gemieteten Wohnräumen in den §§ 38 bis 41 MietG. einfach solche zu verstehen, die den Kündigungsbeschränkungen des Mietengesetzes unterliegen, gleichgültig, ob für sie auch die Zinsvorschriften dieses Gesetzes gelten. Ein gewisses Indiz dafür, daß dies auch der Tendenz der Gesetzgebung entspricht, mag schließlich auch in der für die bisher bloß preisgeregelten Mieten bewirkten Annäherung an die Zinsbestimmungen des Mietengesetzes durch das Zinsstoppgesetz vom 29. Juni 1954, BGBl. Nr. 132, gefunden werden.

Demnach ist dem Rekursgericht darin beizustimmen, daß § 41 MietG. auch für solche aufgekundigte Wohnungsmieten gilt, die durch § 1 der Verordnung vom 5. September 1939 bloß den Kündigungsbeschränkungen des Mietengesetzes unterworfen wurden. Ist dies aber der Fall, dann hat die betreibende Partei rechtzeitig die Bewilligung der Räumungsexekution beantragt und erscheint die dies bestreitende Impugnationsklage aussichtslos. Das Rekursgericht hat somit mit Recht die Aufschiebung der Exekution auf Grund dieser Klage gemäß § 42 Abs. 1 Z. 5 EO. abgelehnt. Die verpflichtete Partei hat in ihrem Antrag ihr Begehren auf Aufschiebung der Exekution bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Impugnationsklage subsidiär auch auf Art. 6 SchutzV. gestützt. Art. 6 SchutzV. wurde aber im Revisionsrekurs nicht mehr erwähnt und nur die stattgebende Erledigung des auf § 42 Abs. 1 Z. 5 EO. basierenden Aufschiebungsantrages begehrt.

Dem Revisionsrekurs war somit nicht Folge zu geben.

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