OGH 2Ob40/22d

OGH2Ob40/22d26.4.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende, den Senatspräsidenten Dr. Musger sowie die Hofräte Dr. Nowotny, MMag. Sloboda und Dr. Kikinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch Mag. Dr. Angelika Tupy, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei H*, vertreten durch BRANDL TALOS Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 29.947,97 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse 7.707,26 EUR sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 15. Dezember 2021, GZ 2 R 179/21p‑17, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Steyr vom 23. September 2021, GZ 2 Cg 28/21t‑10, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0020OB00040.22D.0426.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 833,88 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin enthalten 138,98 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Beklagte ist eine Gesellschaft mit Sitz in Malta, die – als Teil der *‑Gruppe – weltweit Wett- und Glücksspieldienstleistungen anbietet; sie verfügt über eine maltesische, nicht aber eine österreichische Glücksspiellizenz.

[2] Der Kläger als Verbraucher registrierte sich auf einer (nunmehr) von der Beklagten betriebenen Website und erlitt bei „diversen Casino‑Online‑Glücksspielen“ von 14. 3. 2017 bis 15. 12. 2020 insgesamt Verluste von 29.947,97 EUR, wovon 7.707,26 EUR auf den Zeitraum bis 26. 11. 2018 entfielen (nicht substantiiert bestrittenes Vorbringen der Beklagten).

[3] Mit 27. 11. 2018 kam es zu einem Wechsel des Betreibers der Website von der H* auf die Beklagte. Aus diesem Anlass wurde der Kläger beim Einloggen in sein Spielerkonto davon in Kenntnis gesetzt, dass seine „Beziehung“ zur * auf die Beklagte transferiert werde. Beide Unternehmen seien Mitglieder der selben Unternehmensgruppe und von der maltesischen Glücksspielbehörde lizenziert und reguliert. Der Kläger wurde informiert, dass die Änderungen „keine Auswirkung“ auf die angebotenen Dienste haben und seine Kontodaten einschließlich Guthaben und laufenden Boni unverändert bleiben. Der Kläger stimmte diesem Transfer zu.

[4] Der Kläger begehrt die Rückzahlung der erlittenen Spielverluste von 29.947,97 EUR sA aus dem Titel der Bereicherung. Er habe die Einsätze auf der Grundlage eines unerlaubten und damit unwirksamen Glücksspielvertrags geleistet. Im Jahr 2018 habe die Beklagte das Unternehmen des vorigen Betreibers der Website im Wege der Gesamt- oder Einzelrechtsnachfolge übernommen, weshalb deren Passivlegitimation gegeben sei.

[5] Die Beklagte entgegnet, dass sie für die Verluste des Klägers vor dem 27. 11. 2018 nicht passiv legitimiert sei. Es sei zu keiner Gesamtrechtsnachfolge gekommen. Die Beklagte sei vielmehr im Weg der Einzelrechtsnachfolge zwar in den Benutzerkontoführungsvertrag, nicht jedoch in einzelne Glücksspielverträge mit dem Kunden eingetreten, weil diese als Zielschuldverhältnisse bereits von der * vollständig erfüllt worden seien.

[6] Die Beklagte wendet eine Gegenforderung ein, die sie einerseits aus dem vom Kläger aus dem Glücksspiel gezogenen Unterhaltungswert ableitet und andererseits auf Schadenersatz wegen Verletzung einer Nachforschungspflicht stützt.

[7] Das Erstgericht erkannte die Klageforderung mit 29.947,97 EUR als zu Recht, die eingewendete Gegenforderung hingegen als nicht zu Recht bestehend und verpflichtete die Beklagte daher zur Zahlung von 29.947,97 EUR sA. Die Geltung öffentlich-rechtlicher Normen – daher auch jene des österreichischen GSpG – könne durch eine Rechtswahl nicht ausgeschlossen werden. Die Beklagte habe das Unternehmen des vorigen Betreibers der Website im Weg der Gesamtrechtsnachfolge übernommen.

[8] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Die in den AGB der Beklagten enthaltene Rechtswahlkausel sei als bei einem Verbrauchergeschäft wegen Intransparenz missbräuchlich anzusehen und daher nicht anzuwenden, sei doch der Kläger nicht darauf hingewiesen worden, dass er sich auf den Schutz zwingender Bestimmungen nach dem Recht am Ort seines gewöhnlichen Aufenthalts berufen könne. Die Beklagte sei auch für vor dem 27. 11. 2018 erlittene Spielverluste passivlegitimiert, weil zumindest ein privativer Schuldbeitritt der Beklagten vorliege, der auch „Altforderungen“ umfasse. Im Zeitpunkt des Schuldbeitritts habe es keine vollständig abgewickelten früheren Verträge gegeben.

[9] Die Revision sei zur Frage des anwendbaren Rechts bei einem Wechsel der Anbieter von Online-Glücksspielen zulässig.

[10] Gegen die Stattgebung des Klagebegehrens im Umfang von 7.707,26 EUR sA richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, das Urteil insoweit im klagsabweisenden Sinn abzuändern; hilfsweise werden Aufhebungsanträge gestellt.

[11] Der Kläger beantragt in der Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[12] Die Revisionist zur Klarstellung der Rechtslagezulässig, aber nicht berechtigt.

1. Der Oberste Gerichtshof führte in der in einem Parallelverfahren ergangenen Entscheidung 3 Ob 44/22z vom 24. 3. 2022 (teils zusammengefasst) wie folgt aus:

2. Zum anwendbaren Recht

[13] 2.1. Auf einen Verbrauchervertrag ist im Anwendungsbereich von Art 6 Rom I‑VO grundsätzlich das Recht des Verbraucherstaats anzuwenden. Eine Rechtswahl kann nicht dazu führen, dass dem Verbraucher der Schutz der zwingenden Bestimmungen dieses Rechts entzogen wird. Das Verbraucherstatut gelangt unter anderem dann zur Anwendung, wenn der Unternehmer seine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit auf den Verbraucherstaat ausrichtet, was insbesondere bei Online-Aktivitäten der Fall ist. Nach Art 12 Abs 1 Rom I‑VO sind grundsätzlich alle vertragsrechtlichen Fragen nach dem einheitlichen Vertragsstatut (hier: Verbraucherstatut) zu beurteilen. Dies gilt nach Abs 1 lit e Rom I‑VO auch für die Folgen der Nichtigkeit des Vertrags. Für die Rückabwicklung nichtiger Verträge gilt somit das Recht des Vertragsstatuts, also im Anlassfall österreichisches Recht (3 Ob 44/22z Punkt 2.2. mwN).

[14] 2.2. Eine Vertragsübernahme unterliegt grundsätzlich dem Statut des übernommenen Vertrags, hier also dem Verbraucherstatut. Das Vorliegen einer Vertragsübernahme ist daher hier nach österreichischem Recht zu beurteilen (3 Ob 44/22z Punkt 4. mwN).

3. Zur Qualifikation des „Transfers“ vom 27. 11. 2018 als Vertragsübernahme

[15] 3.1. Das vom Kläger durch Eröffnung eines Spielerkontos eingegangene Rechtsverhältnis erschöpfte sich nicht in einzelnen, isoliert voneinander zu betrachtenden Glücksspielverträgen. Vielmehr hatte der Glücksspielanbieter auch das Spielerkonto zu führen und über dieses die Glücksspiele des Klägers abzuwickeln. Er hatte somit auch Dienstleistungen zur Abrechnung und Verwaltung des Spielerkontos des Klägers zu erbringen. In diesem Zusammenhang spricht die Beklagte selbst von einem „Rahmenvertrag“. Da sich dieses Rechtsverhältnis nicht nur auf die wiederholte Inanspruchnahme von Glücksspieldienstleistungen durch den wiederkehrenden Abschluss von Glücksspielverträgen beschränkte, sondern auch weitere, dauerhaft zu erbringende Dienstleistungen beinhaltete, handelte es sich um ein Dauerschuldverhältnis (3 Ob 44/22z Punkt 3.3.).

3.2. Zur Vertragsübernahme führte der 3. Senat aus:

„5.1 Die Vertragsübernahme erfordert nach österreichischem Recht grundsätzlich eine Übereinkunft aller Beteiligten, nämlich der verbleibenden, der ausscheidenden und der an ihre Stelle tretenden Partei (RS0032607). Auch ein Dauerschuldverhältnis kann Gegenstand einer Vertragsübernahme sein (vgl 9 Ob 93/99p; 8 Ob 34/08w).

5.2 Im Anlassfall wurde der Kläger beim Einloggen in sein Spielerkonto davon in Kenntnis gesetzt, dass seine 'Beziehung' zur früheren Betreiberin auf die nunmehrige Beklagte transferiert werde, dies keine Auswirkungen auf die angebotenen Dienste habe und die Kontodaten einschließlich Guthaben sowie die laufenden Boni unverändert bleiben. Nach dem objektiven Verständnis redlicher Vertragsparteien war unter der transferierten 'Beziehung' nicht ein einzelner Glücksspielvertrag, sondern die gesamte Rechtsbeziehung zum Kläger zu verstehen. Der Kläger stimmte diesem Transfer zu. Damit sind die Voraussetzungen für eine umfassende Vertragsübernahme erfüllt.

6.1 Nach österreichischem Recht ist eine Vertragsübernahme ein einheitliches Rechtsgeschäft, mit dem die Gesamtheit aller wechselseitigen Rechte und Pflichten übertragen wird und der Vertragsübernehmer (Neupartei) an die Stelle der aus dem Schuldverhältnis ausscheidenden Partei (Altpartei) tritt. Die Neupartei übernimmt die gesamte vertragliche Rechtsstellung der Altpartei, ohne dass dadurch der Inhalt oder die rechtliche Identität des bisherigen Schuldverhältnisses verändert werden (vgl RS0032623). Die Neupartei muss das Vertragsverhältnis in jener Lage übernehmen, in der es sich gerade befindet, wobei es auf den Kenntnisstand der Neupartei nicht ankommt (2 Ob 164/12z; 5 Ob 190/19f).

6.2 Der Umfang der Vertragsübernahme richtet sich nach der Parteienvereinbarung (Thöni in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 1406 ABGB Rz 71). Dieser ist im vorliegenden Fall bei verständiger Bewertung nach dem Empfängerhorizont als gänzliche Enthaftung, also als ein endgültiges Ausscheiden der Altpartei aus dem Vertragsverhältnis mit Wirkung ex tunc anzunehmen. Diese haftet dann weder für bisherige noch für später begründete Ansprüche oder Anwartschaften der Restpartei. Die Neupartei übernimmt die gesamte vertragliche Rechtsstellung der Altpartei (vgl Lukas in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.01 § 1406 Rz 17).

6.3 Die Vertragsübernahme führt im Sinn der Einheitstheorie auch zum Übergang der gesamten rechtlichen Rahmenbeziehung, also auch der vertragsbezogenen Gestaltungsrechte (vgl 4 Ob 355/97b [Rücktritt vom Vertrag]; Ertl in Rummel, ABGB3 § 1406 ABGB Rz 2). Wird die gesamte vertragliche Rechtsstellung übertragen, dann umfasst der Übergang auch Sekundäransprüche der Restpartei gegen die Altpartei. Das entspricht einerseits dem erkennbaren Interesse der Altpartei nach der Befreiung vom Leistungsaustausch nach Vertragsübernahme sowie dem der Restpartei, die es in der Regel nur noch mit dem neuen Vertragspartner zu tun haben und sich nicht teils mit der Alt-, teils mit der Neupartei auseinandersetzen möchte (vgl Thöni in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 1406 ABGB Rz 74). Dies muss dann bei einem Gesamtübergang des Rechtsverhältnisses auch für auf § 877 ABGB gestützte Kondiktionsansprüche der Restpartei gelten, die auf Leistungen an die ausgeschiedene Altpartei beruhen und deren Rückabwicklung aufgrund Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts zu erfolgen hat.

6.4 Der Beklagten ist zuzugestehen, dass nach vorliegender Rechtsprechung „bereits abgewickelte, also beiderseitig bereits erfüllte Verträge“ nicht mehr Gegenstand einer Vertragsübernahme sein können (vgl etwa 8 Ob 34/08w; krit dazu Lukas in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.01 § 1406 Rz 15). Die Beklagte kann sich auf diese Rechtsprechung aber schon deshalb nicht erfolgreich berufen, weil zum Zeitpunkt der Vertragsübernahme keine endgültig abgewickelte Vertragsbeziehung vorlag, sondern die bis dahin bestandene Rahmenvereinbarung weiter aufrecht bleiben sollte.

6.5 Als Zwischenergebnis folgt daraus, dass die Beklagte auch für jene Rückforderungsansprüche des Klägers passiv legitimiert ist, die sich auf die Spielverluste vor 27. 11. 2018 beziehen.“

[16] 4. Der erkennende Senat schließt sich diesen Ausführungen an. Die Revision der Beklagten enthält keine Argumente, die einer gesonderten Erwiderung bedürften.

[17] 5. Da die Beklagte in der Revision die Ausführungen der Vorinstanzen zur fehlenden Unionsrechtswidrigkeit des österreichischen Glücksspielmonopols nicht in Zweifel zieht, bedarf es keines näheren Eingehens auf diese Frage.

[18] 6. Der Revision war daher insgesamt nicht Folge zu geben.

[19] 7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 iVm § 50 ZPO. Bemessungsgrundlage im Revisionsverfahren ist nur der noch strittige Betrag von 7.707,26 EUR.

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