OGH 2Ob36/95

OGH2Ob36/958.6.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Franz F*****,***** ***** vertreten durch Dr.Roland Gabl, Dr.Josef Kogler und Mag.Harald Papesch, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagten Parteien 1. Theresia R*****, ***** ***** vertreten durch Dr.Waltraute Steger, Rechtsanwältin in Linz, und 2. mj.Jennifer T*****, geboren am 17.4.1989, ***** vertreten durch Dr.Christian Slana und Dr.Günther Tews, Rechtsanwälte in Linz, wegen S 64.000 und Feststellung, infolge Revision der zweitbeklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 20.Jänner 1995, GZ 4 R 137/94-31, womit infolge Berufung beider Beklagten das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 2.März 1994, GZ 6 Cg 74/93x-22, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Zweitbeklagte ist schuldig, dem Kläger die mit S 4.871,04 (darin enthalten Umsatzsteuer von S 811,84, keine Barauslagen) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen vierzehn Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 15.8.1992 überquerten gegen 17,35 Uhr die Erstbeklagte und - an ihrer Hand - die damals drei Jahre alte Zweitbeklagte in L***** die Fahrbahn der L*****straße auf der Höhe des Hauses Nr 67. Die Erstbeklagte hatte die Aufsicht über ihr Urenkelkind (Zweitbeklagte) übernommen. Die Fahrbahn des von den beiden Beklagten überquerten, als Einbahn geführten Astes der L*****straße weist eine Breite von 6,5 m auf. Am rechten Fahrbahnrand waren PKWs geparkt. Die beiden Fußgänger blieben etwa an der linksseitigen Fluchtlinie der geparkten PKWs stehen. Hier forderte die Erstbeklagte die Zweitbeklagte auf, in Richtung Hauseingang hinüberzulaufen. Die Zweitbeklagte folgte dieser Aufforderung und wollte den zwischen Fahrbahn und Gehsteig gelegenen, von der Fahrbahn durch eine Bordsteigkante abgegrenzten zwei Meter breiten Radweg überqueren. Auf dem Radweg näherte sich der Kläger auf seinem Rennrad mit einer Geschwindigkeit an die 24 km/h. Trotz einer Vollbremsung "erwischte" er im letzten Moment noch mit dem rechten Oberschenkel die Zweitbeklagte, die sich etwa in der Mitte des Radweges befand. Beide Personen kamen dadurch zu Sturz. Der Kläger erlitt durch den Unfall eine Knochenabsprengung vom rechten Handkahnbein, eine Kopfprellung und eine Hautabschürfung am linken Knie. Er hatte gerafft ein bis zwei Tage starke Schmerzen, vier bis sechs Tage mittelstarke und zweieinhalb bis eher dreieinhalb Wochen leichte Schmerzen zu erdulden. Spätfolgen sind nicht zu erwarten, können aber nicht ausgeschlossen werden.

Die Zweitbeklagte erlitt einen Bruch des rechten Schienbeines und mehrere Schürfwunden.

Die Reparatur des Fahrrades des Klägers kostete S 4.254, ferner entstanden dem Kläger unfallsbedingte Spesen von S 746 und ein Verdienstentgang von S 4.000.

Die Erstbeklagte ist einkommens- und vermögenslos, sodaß eine Exekution keinerlei Ergebnis bringen würde. Die Zweitbeklagte ist bei der Haushaltsversicherung ihrer Mutter bei der A***** Versicherungs AG, worin eine Privathaftpflichtversicherung inkludiert ist, mitversichert; die Deckungssumme betrug 2 Mio S.

Der Kläger begehrt von den Beklagten zur ungeteilten Hand neben dem Ersatz der unfallsbedingten Spesen, der Reparaturkosten und des Verdienstentganges die Zahlung eines Schmerzengeldes von S 55.000 sowie die Feststellung der Haftung der beklagten Parteien für alle zukünftigen unfallskausalen Schäden. Hinsichtlich der Erstbeklagten stützte er sein Begehren auf die Verletzung der Aufsichtspflicht und führte hinsichtlich der Zweitbeklagten aus, die Erstbeklagte sei zahlungsunfähig und vermögenslos. Eine Einbringung der gegenständlichen Forderung erscheine daher nicht befriedigungstauglich. Da die Zweitbeklagte in der Haushaltsversicherung ihrer Mutter mitversichert sei, hafte sie für die Klagsansprüche.

Die Beklagten wendeten ein, den Kläger treffe am Zustandekommen des gegenständlichen Unfalles selbst ein Verschulden. Die Zweitbeklagte führte dazu noch aus, eine Haftung nach § 1310 ABGB komme auf Grund der in dieser Bestimmung angeordneten Susidiarität nicht zum Tragen.

Die Zweitbeklagte machte hilfsweise eine Schmerzengeldgegenforderung von S 80.000 aufrechnungsweise geltend.

Das Erstgericht stellte fest, daß die eingeklagte Forderung mit S 44.000 samt 4 % Zinsen seit 20.1.1993 zu Recht bestehe, nicht hingegen die eingewendete Gegenforderung; es verurteilte die Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von S 44.000 sA. Ferner wurde festgestellt, daß die Beklagten dem Kläger für alle künftigen Schäden aus dem gegenständlichen Unfall zu haften haben, wobei die Haftung der Zweitbeklagten begrenzt ist mit der Haftpflichtsumme der bei der A***** Versicherungs AG bestehenden Privathaftpflichtversicherung. Das Mehrbegehren auf Zahlung von S 20.000 sA wurde abgewiesen.

Das Erstgericht vertrat in rechtlicher Hinsicht die Ansicht, der Kläger habe weder eine überhöhte Geschwindigkeit eingehalten noch sei er unaufmerksam gefahren, es treffe ihn daher kein Mitverschulden. Die Erstbeklagte habe ihre Aufsichtspflicht verletzt indem sie die Zweitbeklagte aufforderte, den Radweg zu überqueren ohne sich zu vergewissern, ob sich ein Radfahrer annähere. Da die Erstbeklagte einkommens- und vermögenslos sei, sei eine Exekution nicht zielführend. Die Beklagten hafteten daher gemäß §§ 1309 und 1310 ABGB. Die Haftung der Zweitbeklagten nach § 1310 ABGB sei verschuldensunabhängig, zu ihren Gunsten bestünde eine Versicherung. Soweit Versicherungsdeckung bestehe, sei nicht auf Teilersatz zu erkennen. Unter Berücksichtigung der festgestellten Schmerzperioden sei ein Schmerzengeld von S 35.000 angemessen, der Kläger habe auch ein rechtliches Interesse an der Feststellung künftiger Schäden, weil diese nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden könnten.

Das von den Beklagten angerufene Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung, es sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000 übersteige. Die ordentliche Revision der Erstbeklagten wurde nicht für zulässig erklärt, wohl aber jene der Zweitbeklagten.

In rechtlicher Hinsicht führte das Berufungsgericht zum Rechtsmittel der Zweitbeklagten aus, daß deren beschränkte Haftung nur hilfsweise eingreife, wenn weder ein Fall des § 1308 ABGB vorliege, noch der Geschädigte von den Aufsichtspersonen Ersatz erlangen könne. Hiebei sei es gleichgültig, ob die Erlangung einer Ersatzleistung mangels Verschulden des Aufsichtspflichtigen oder aus anderen Gründen (zB Uneinbringlichkeit) scheitere (Gamerith, Der Minderjährige im Schadenersatzrecht, ÖA 1981, 20 [21]).

Der Beschädigte könne vom Schädiger Ersatz verlangen, wenn der nachlässige Aufsichtspflichtige unbekannten Aufenthalts, exterritorial oder zahlungsunfähig sei (Wolff in Klang2 VI, 78; Harrer in Schwimann, ABGB, Rz 3 zu § 1310; Reischauer in Rummel2, Rz 2 und 11 zu § 1310).

Ein fruchtloser Versuch der Durchsetzung des Schadenersatzanspruches gegen den nachlässigen Aufsichtspflichtigen sei nur insofern zu verlangen, als die Einbringlichkeit zweifelhaft sei (Reischauer, aaO, Rz 11 zu § 1310). Diesbezügliche Zweifel würden beim Nachweis der Zahlungsunfähigkeit des Aufsichtspflichtigen nicht vorliegen (EFSlg 33.756; ZVR 1984/323; Wolff, aaO, Harrer, aaO).

Aus den erstgerichtlichen Feststellungen lasse sich eine Zahlungsunfähigkeit der Erstbeklagten in diesem Sinne ableiten, was eine Exekutionsführung entbehrlich mache. Wenngleich nicht ausgeschlossen werden könne, daß die Erstbeklagte zu einem späteren Zeitpunkt Vermögen erwerbe, könne diese theoretische Möglichkeit angesichts der aus § 406 ZPO abgeleiteten Maßgeblichkeit der Verhältnisse zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz nicht wahrgenommen werden.

Die Zulässigkeit der gemeinsamen Klagsführung gegen die Aufsichtspflichtige und das deliktsunfähige Kind ergebe sich aus der Entscheidung EvBl 1971/74.

Wegen der festgestellten Zahlungsunfähigkeit der Erstbeklagten und deshalb wahrscheinlichen Erfolglosigkeit einer Exekutionsführung gegen diese könne gemäß § 1310 dritter Fall ABGB das zweitbeklagte Kind unmittelbar belangt werden. Dies nehme dem Kläger aber nicht die Möglichkeit, gegen die nachlässige Aufsichtspflichtige gleichzeitig einen Exekutionstitel zu erwirken und bei nachträglichem Vermögenserwerb - dem Subsidiaritätsgebot des § 1310 ABGB entsprechend - vorrangig gegen diese vorzugehen.

Jedenfalls derzeit sei auf Grund der Zahlungsunfähigkeit der Erstbeklagten die Subsidiarität der Haftung der Zweitbeklagten weggefallen. Das zweitbeklagte Kind habe objektiv rechtswidrig gehandelt, an die Stelle seines Verschuldens würden sein Vermögen und Billigkeitserwägungen treten. Dies bedeute, daß zwei Schädiger hafteten, deren Anteile am Schaden nicht zu bestimmen seien, weshalb gemäß § 1302 ABGB beide Beklagten dem Kläger solidarisch hafteten.

Richtig sei wohl, daß in der Rechtsprechung (EvBl 1971/74; ZVR 1992/151) und in der Lehre (Harrer in Schwimann, ABGB, Rz 5 zu § 1310) ausgesprochen worden sei, daß im Hinblick auf die §§ 1309 und 1310 ABGB die Beklagten nicht solidarisch haftbar gemacht werden könnten. Dies gelte aber im vorliegenden Fall im Hinblick auf die festgestellte Zahlungsunfähigkeit der Erstbeklagten nicht.

Auch in Deutschland werde zur vergleichbaren Bestimmung des § 829 BGB eine solidarische Haftung des Aufsichtspflichtigen und des Zurechnungsunfähigen als Gesamtschuldner angenommen (Thomas in Palandt, BGB54, Rz 2 zu § 829; Mertens in Münchener Komm z BGB2 , Rz 17 zu § 829).

Da beim Kläger unfallsbedingt Spätfolgen nicht ausgeschlossen werden könnten, sei auch sein Feststellungsbegehren berechtigt (E 249 f zu § 228 ZPO in MGA14). Auch in den nach § 1310 ABGB zu beurteilenden Fällen habe der Oberste Gerichtshof wiederholt neben dem Leistungsauch ein Feststellungsbegehren zugelassen (JBl 1969, 503; JBl 1971, 312; RZ 1977/87; ZVR 1985/7; SZ 60/180). Hinsichtlich dieser künftigen Ansprüche werde die vom § 1310 ABGB geforderte Billigkeitsprüfung in dem dann zu führenden Leistungsprozeß vorzunehmen sein (EFSlg 13.684; SZ 60/180). Auch die deutsche Rechtsprechung (NJW 1958, 1630; NJW 1962, 2201) und Lehre (Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, dZPO53, Rz 17 f zu § 256) vertrete diese Ansicht. Die gegenteilige Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 26.8.1994, 6 Ob 601/94, lehnte das Berufungsgericht ab. Schließe man sich nämlich der weiteren Ansicht Kerschners (ÖJZ 1979, 289), auf die sich der Oberste Gerichtshof in dieser Entscheidung stütze, an, dann beginne auch in einem derartigen Fall die dreijährige Verjährungsfrist des § 1489 ABGB mit Kenntnis des Schadens und des Schädigers und nehme man dem Geschädigten mit der Verweigerung eines Feststellungsurteils die Möglichkeit einer Unterbrechung der Verjährung. Die daraus resultierende zeitliche Einschränkung der zu ersetzenden Schäden könne unter Umständen gerade einer zugunsten des Geschädigten ausschlaggebenden Billigkeitsprüfung widersprechen.

Da bei jedem Leistungsbegehren die Billigkeitserwägung erst im Zeitpunkt des jeweiligen Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz vorzunehmen sei, bedürfe das Feststellungsurteil keiner der aus § 1310 dritter Fall ABGB resultierenden Einschränkung. Mit der Versicherungssumme von 2 MioS bestehe eine ausreichende Deckung für künftige Schäden des Klägers.

Nach ständiger Rechtsprechung stelle die Haushaltsversicherung der Eltern der Zweitbeklagten ein Vermögen im Sinne des § 1310 ABGB dar. Für die nach dem dritten Fall des § 1310 ABGB zu treffende Billigkeitsentscheidung sei diese betraglich volle Deckung des zum Schadensausgleich erforderlichen Betrages in durchsetzbaren Ansprüchen gegen Dritte die maßgebliche Grundlage für die nach dem dritten Fall des § 1310 ABGB zu treffende Billigkeitsentscheidung (6 Ob 601/94). Wenngleich diese Billigkeitsentscheidung auch dazu führen könnte, einen teilweisen Ersatz in der Weise zuzuerkennen, daß der Schädiger einzelne Klagsansprüche zur Gänze, andere aber gar nicht zu erfüllen habe, bestehe im vorliegenden Fall zu einer solchen Art der Anordnung eines Teilersatzes kein Grund. Insbesondere gehöre auch ein Schmerzengeldanspruch zu den nach § 1310 dritter Fall ABGB zu ersetzenden Vermögensschäden.

Selbst wenn man auf Seite des Klägers eine Haushalts- bzw Haftpflichtversicherung (S 6 und 10 des Strafaktes) und Einkünfte als Versicherungsberater berücksichtige, so sei angesichts der Relation des Schadens zur Höhe der Haftpflichtversicherungssumme auf der Seite der Zweitbeklagten eine Kürzung der klägerischen Ansprüche aus Billigkeitserwägungen nicht erforderlich.

Anders als im deutschen Recht und in auf deutsche Regelungen zurückgehenden österreichischen Gesetzen (vgl § 3 a RÄG; § 22 LuftverkehrsG) sehe das österreichische Haftpflichtrecht auch bei Haftung ohne Verschulden den Ersatz von Schmerzengeld vor (§ 13 Z 4 EKHG; § 14 PHG ua). Zu Recht habe daher das Erstgericht eine Kürzung des Schadenersatzbegehrens des Klägers aus Billigkeitsgründen abgelehnt.

Das Berufungsgericht teilte auch die Ansicht des Erstgerichtes, daß ein Schmerzengeld von S 35.000 angemessen sei.

Die ordentliche Revision wurde wegen Abgehens von der Entscheidung 6 Ob 601/94 für zulässig erklärt.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Zweitbeklagten mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahingehend abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde.

Der Kläger hat Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, dem Rechtsmittel der Zweitbeklagten nicht Folge zu geben.

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht aufgezeigten Grund zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

Die Zweitbeklagte weist in ihrem Rechtsmittel darauf hin, daß der Schadenersatzanspruch nach § 1310 ABGB gegenüber einem allfälligen Ersatzanspruch nach § 1309 ABGB nur subsidiären Charakter habe, weshalb eine zeitgleiche solidarische Haftung der Aufsichtsperson und des Unmündigen nicht möglich sei. Es gehe auch nicht an, betreffend der Einbringlichkeit der Forderung auf den Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz abzustellen, zuerst müßte eine Exekutionsmaßnahme gesetzt werden. Die Vermögenslosigkeit der Erstbeklagten zum Zeitpunkte des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz bedeute noch nicht, daß nicht später die Forderung einbringlich gemacht werden könnte.

Jedenfalls aber könne eine Haftung für künftige Schäden im Rahmen des § 1310 ABGB nicht ausgesprochen werden, da diesfalls die Voraussetzungen dieser Bestimmung unüberprüfbar seien.

Im Hinblick darauf, daß ein Verschulden der Zweitbeklagten auf Grund ihres Alters nicht angenommen werden könne, seien die Ersatzansprüche des Klägers jedenfalls um die Hälfte zu kürzen.

Schließlich sei zu berücksichtigen, daß der Schmerzengeldanspruch des Klägers zu keiner Minderung in dessen Vermögen geführt habe. Die Billigkeitserwägung des § 1310 dritter Fall ABGB könne nur bei Vermögensschäden oder bei ganz massiven Schmerzengeldansprüchen zu Lasten des Kindes ausschlagen.

Auch das dem Kläger zugesprochene Schmerzengeld von S 35.000 sei überhöht, es sei ein solches von lediglich S 25.000 angemessen.

Die Subsidiarität des Haftungsanspruches müsse bereits im Erkenntnisverfahren beurteilt werden und könnte im Exekutionsverfahren überhaupt nicht mehr rechtmäßig erörtert werden.

Letztlich sei auch die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß die freiwillige Haftpflichtversicherung als Vermögen im Sinne des § 1310 ABGB anzusehen sei, unrichtig. Die diesbezügliche Annahme beruhe auf einem Zirkelschluß. Eine Haftpflichtversicherung solle nur jene Ansprüche abdecken, die den Haftpflichtigen sonst direkt treffen würden, sie solle aber nicht nur deswegen bezahlen müssen, weil sie abgeschlossen wurde. Insbesonders diene eine freiwillige Haftpflichtversicherung zur vermögensrechtlichen Absicherung des Versicherungsnehmers und mitversicherter Personen, nicht aber einer besseren Absicherung potentiell Geschädigter. Es könne doch nicht Zweck der Versicherung sein, neue Ansprüche, die sonst nicht entstanden wären, zu begründen.

Letztlich führt die Zweitbeklagte unter Berufung auf die Entscheidung 6 Ob 601/94 aus, daß ein Feststellungsbegehren unzulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden:

Zunächst kann gemäß § 510 Abs 3 ZPO auf die zutreffende Begründung des Berufungsgerichtes verwiesen werden.

Richtig ist, daß der Schadenersatzanspruch nach § 1310 ABGB gegenüber einem allfälligen Ersatzanspruch nach § 1309 ABGB nur subsidiären Charakter hat (Reischauer in Rummel2, Rz 2 zu § 1310 ABGB). Dies bedeutet aber nicht, daß zuerst die aufsichtspflichtige Person zu klagen ist. Es genügt, daß der Kläger beweist, daß er Schadenersatz nach § 1309 ABGB nicht erlangen kann (EFSlg 33.756). Gemäß § 406 ZPO ist der für die Beurteilung dieser Frage maßgebliche Zeitpunkt jener des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz (vgl SZ 60/180). Diesen zur Begründung eines Ersatzanspruches nach § 1310 ABGB erforderlichen Nachweis der Unmöglichkeit, Schadenersatz nach § 1309 ABGB zu erlangen, hat der Kläger im vorliegenden Fall erbracht. Es kann nicht das Leistungsbegehren des geschädigten Klägers gegen die Zweitbeklagte deshalb abgewiesen werden, weil es denkmöglich ist, daß die Erstbeklagte irgendwann zu Vermögen gelangt.

Nach herrschender Ansicht ist eine solidarische Haftung des unmündigen Schädigers und der Aufsichtsperson nicht möglich, vielmehr schließen Subsidiarität und Solidarhaftung einander aus (Harrer in Schwimann, ABGB Rz 5 zu § 1302; Reischauer in Rummel2, Rz 2 zu § 1310; EvBl 1971/74). Der vorliegende Fall ist aber dadurch gekennzeichnet, daß bereits jetzt feststeht, daß die aufsichtspflichtige Erstbeklagte kein Vermögen hat; der Klage gegen die Zweitbeklagte steht daher der Einwand der Subsidiarität nicht mehr entgegen. Es haften nunmehr die Erstbeklagte wegen Verschuldens und die Zweitbeklagte nach Billigkeit, entsprechend § 1302 ABGB beide solidarisch. Dies entspricht auch der herrschenden Lehre und Rechtsprechung in Deutschland (siehe neben den vom Berufungsgericht zitierten Belegstellen auch Staudinger-Schäfer, KommzBGB12, Rz 61 zu § 829).

Was die Frage eines Feststellungsbegehrens betrifft, hat das Berufungsgericht zutreffend auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes hingewiesen, in der ein solches teils ausdrücklich (SZ 60/180), teils implicit (JBl 1969, 53; JBl 1971, 312; RZ 1977/87; ZVR 1985/7) für zulässig erklärt wurde. Die gegenteilige Entscheidung 6 Ob 601/94 (= RdW 1995, 17) stellt auf die materielle Rechtslage ab, während das Feststellungsinteresse aus § 228 ZPO abzuleiten ist. Hinsichtlich dieser Bestimmung anerkennt die Rechtsprechung aber rechtsfortbildend ganz einheitlich ein rechtliches Interesse des Klägers an der Feststellung der Ersatzpflicht für alle künftigen Schäden aus einem Unfall (siehe Rechberger in Rechberger, ZPO Rz 5 zu § 228 mwN). Der erkennende Senat schließt sich daher der vereinzelt gebliebenen Entscheidung 6 Ob 601/94 nicht an, vielmehr rechtfertigt der Umstand, daß unfallsbedingte Spätfolgen nicht ausgeschlossen werden können, ein Klagebegehren auf Feststellung der Haftung für in Hinkunft entstehende Unfallsfolgen.

Daß es sich beim Anspruch aus einer freiwilligen Haftpflichtversicherung des Schädigers um ein Vermögen im Sinne des § 1310 ABGB handelt, das bei den Billigkeitserwägungen im Sinne dieser Gesetzesstelle zu berücksichtigen ist, entspricht ständiger Rechtsprechung (SZ 45/69; VR 1988/122; VR 1989/170; 6 Ob 601/94 uva), von der abzugehen auch im vorliegenden Fall kein Anlaß besteht, zumal diese Ansicht (zum Teil) auch von der Lehre gebilligt wird (Harrer in Schwimann, Rz 23 zu § 1310).

Insoweit die Zweitbeklagte in ihrer Revision die Ansicht vertritt, der Ersatzanspruch des Klägers sei zu kürzen, weil sie kein Verschulden treffe, ist ihr entgegenzuhalten, daß es bei einer Haftung nach § 1310 dritter Fall ABGB auf das Verschulden überhaupt nicht ankommt. Die in der Revision zitierte Entscheidung EFSlg 46.087 (des OLG Wien) bezieht sich offenbar auf eine Haftung nach § 1310 erster Fall ABGB, die weitere Entscheidung EFSlg 41.097 befaßt sich überhaupt nicht mit der Frage des Verschuldens des Minderjährigen.

Die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß auch Schmerzengeld ein nach § 1310 dritter Fall ABGB zu ersetzender Schaden ist, entspricht der herrschenden Ansicht (siehe Reischauer in Rummel2, Rz 10 zu § 1310 mwN).

Letztlich findet der erkennende Senat auch keinen Grund, die von den Vorinstanzen vorgenommene Bemessung des Schmerzengeldes zu bemängeln, sodaß der Revision der Zweitbeklagten ein Erfolg zu versagen war.

Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte