Spruch:
Keine abstrakte Rente für eine Hausfrau, bei der nicht feststeht, ob sie jemals wieder einen Beruf ausüben wird.
Entscheidung vom 21. Dezember 1967, 2 Ob 360/67.
I. Instanz: Landesgericht Linz; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.
Text
Nach dem festgestellten Sachverhalt ist die Erstklägerin Maria S., verehelichte N., bezüglich der der Rechtsstreit bereits rechtskräftig entschieden ist, bei einem Unfall schwer verletzt worden, der sich am 16. Mai 1959 ereignet hatte. Über die Verschuldensteilung zwischen ihr und dem Erstbeklagten im Verhältnis 60:40 zum Nachteil der Klägerin ist bereits rechtskräftig entschieden. Strittig geblieben ist lediglich der von der Zweitklägerin (Sozialversicherungsträger) begehrte Ersatz ihrer Rentenleistungen an die Erstklägerin im Ausmaß von monatlich 203.35 S ab Schluß der mündlichen Streitverhandlung, das ist ab 5. April 1963.
Diesem Begehren hat das Erstgericht Folge gegeben. Es hat festgestellt, daß die Erstklägerin wegen ihrer unfallsbedingten Erwerbsminderung von der Zweitklägerin ab 1. Oktober 1959 eine 30%ige Versehrtenrente von monatlich 249.30 S und ab 1. Mai 196i eine 25%ige Rente von monatlich 207.75 S beziehe und seit Oktober 1963 keinen Beruf mehr ausübe, sondern im Haushalt tätig sei. Bei Maria N. seien zeitweise noch Schwindelerscheinungen und Kopfschmerzen vorhanden. Wegen ihres Halswirbelbruches könnten auch in Zukunft bei bestimmten Bewegungen Schmerzen entstehen. Um das gleiche Arbeitsergebnis wie früher zu erreichen, müßte sie, wenn sie weiter in ihrer früherern Arbeitsstelle in der K.-Spinnerei tätig wäre, diese Schmerzen überwinden. Bei ihrer jetzigen Tätigkeit als Hausfrau könnten solche Schmerzen beim Fensterputzen, beim Kohlentragen oder dauernden Bücken entstehen, die nur mit einer Willensanstrengung und mit Eifer überwunden werden könnten. Sie habe sich bei dieser Tätigkeit mehr als früher anzustrengen, sodaß ihr der Gatte bei verschiedenen häuslichen Verrichtungen helfen müsse. Sie habe daher Anspruch auf eine sogenannte abstrakte Rente, zumal es nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden könne, daß sie in Zukunft aus familiären Gründen gezwungen sein könnte, ihren früheren Beruf wieder auszuüben. Dieser Anspruch der Erstklägerin sei auf die Zweitklägerin im Umfange ihrer Leistungen übergegangen. Dieser sei mit dem Eintritt der Geschädigten in das Pensionsalter zu begrenzen.
Das Berufungsgericht hat der Berufung der Beklagten Folge gegeben und das angefochtene Urteil dahin abgeändert, daß es das Begehren auf Zahlung von monatlich 207.75 S abgewiesen hat.
Das Berufungsgericht war der Meinung, daß die Erstklägerin keinen Anspruch auf eine abstrakte Rente habe, weil sie nicht in einem sozialversicherungspflichtigen Beruf, sondern nur im Haushalt tätig sei. Es sei daher ein solcher Anspruch auf die Zweitklägerin nicht übergegangen. Die Frage, ob die Erstklägerin in ihrer Tätigkeit als Hausfrau durch die unfallskausalen Verletzungen und Folgen beeinträchtigt sei, sei für die Entscheidung nicht wesentlich, weil die Zweitklägerin ihren Regreßanspruch nicht darauf, sondern auf die Erwerbsminderung der Erstklägerin als Spulerin bzw. in einem sonstigen manuellen Beruf grunde.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Zweitklägerin nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Zweitklägerin wendet sich gegen die oben wiedergegebene Rechtsansicht des Berufungsgerichtes mit dem Hinweis darauf, daß die Erstklägerin neben ihrem Beruf als Hilfsarbeiterin bis Oktober 1963 auch den Haushalt versorgt habe und seit dieser Zeit nur mehr im Haushalt tätig sei, weil und solange es die Pflege des Kleinkindes erfordere. Dadurch sei der Zusammenhang des Begehrens mit einer Entschädigung für Verdienstentgang gewahrt, wenn auch derzeit ein Einkommensentgang ziffernmäßig nicht genau präzisiert werden könne. Der Anspruch sei auch dann gegeben, wenn der Geschädigte keinen Verdienstentgang erleide. Die Erstklägerin habe schon vor der Geburt ihres Kindes, nicht zuletzt wegen des durch den Unfall bedingten geringeren Lohnes, die Arbeit aufgegeben.
Diese Ausführungen sind nicht stichhältig. Das Berufungsgericht hat bereits auf die Grundsätze hingewiesen, nach denen die Rechtsprechung dem Geschädigten eine sogenannte abstrakte Rente zubilligt. Eine solche Rente mit Sicherungsfunktion für die Zukunft darf nicht als eine bloße Prämie behandelt werden. Sie muß immer in einem inneren Zusammenhang mit einem zu erwartenden Verdienstentgang stehen (2 Ob 80/62 in ZVR. 1963 Nr. 19). Es komme immer auf die konkreten Umstände an, aus denen schon im Zeitpunkt der Entscheidung geschlossen werden kann, daß der Geschädigte in Zukunft einen Verdienstentgang erleiden werde (2 Ob 70/59 in ZVR. 1960 Nr. 87),
Eine Ausgleichsrente könne nur dann zuerkannt werden, wenn eine tatsächliche Einkommensminderung in Zukunft als wahrscheinlich anzunehmen sei (6 Ob 92/62 in ZVR. 1963 Nr. 68). Im vorliegenden Fall ist, worauf bereits das Berufungsgericht richtig hingewiesen hat, ein Zusammenhang mit einem zukünftigen Verdienstentgang der Erstklägerin dadurch völlig gelöst worden, daß diese, aus welchen Gründen immer, ihre berufliche Tätigkeit als Spulerin oder Hilfsarbeiterin der K.-Spinnerei im Oktober 1963, also Jahre vor der Zeit, von der ab die Rente begehrt wird, aufgegeben hat. Sie ist seither, also durch vier Jahre, nur mehr im Haushalt tätig. Es sind keine konkreten Umstände behauptet oder nachgewiesen worden, daß die Erstklägerin jemals wieder in ihrem Beruf tätig sein wird. Schon aus diesem Grund kann von einer Ausgleichsfunktion und noch weniger von einer Sicherungsfunktion der begehrten Rente gesprochen werden. Die 30%igen und 25%igen Sozialrenten sind der Erstklägerin mit den Bescheiden vom 5. Jänner 1960 und vom 28. März 1961 und damit zu einer Zeit gewährt worden, als sie noch als Spulerin oder Hilfsarbeiterin tätig und in ihrer Erwerbsfähigkeit eingeschränkt war. Eine abstrakte Rente hätte der Erstklägerin nur dann zugebilligt werden können, wenn sie weiterhin in ihrem Beruf als Spulerin oder Hilfsarbeiterin tätig und genötigt gewesen wäre, wegen der Unfallsfolgen sich mehr anzustrengen und ihre Kräfte stärker zu verbrauchen. Nur dann wäre der Ausgleichs- und Sicherungscharakter der abstrakten Rente wirksam geworden. Durch ihre Tätigkeit im Haushalt bereits seit Oktober 1963 ist jeder Zusammenhang mit der Möglichkeit eines zukünftigen Verdienstentganges weggefallen, da in keiner Weise feststeht, ob die Erstklägerin jemals wieder einen Beruf ausüben wird. Derzeit besteht ein solcher Anspruch der Erstklägerin nicht. Es konnte daher ein solcher Anspruch auf die Zweitklägerin nicht übergehen. Das Berufungsgericht hat daher mit Recht diesen Teil des Begehrens der Zweitklägerin abgewiesen.
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