Normen
ZPO §530 Abs1 Z7
ZPO §530
ZPO §530 Abs1 Z7
ZPO §530
Spruch:
Der Erlangung der Kenntnis von neuen Tatsachen durch den Wiederaufnahmskläger ist ein Möglichwerden des früher unmöglichen Vorbringens aus anderen Gründen, z.B. durch das Eintreten des über den Sachverhalt unterrichteten Beklagten und Wiederaufnahmsklägers in das Verfahren an Stelle des für ihn bestellt gewesenen, nicht unterrichteten Abwesenheitskurators gleichzustellen.
Entscheidung vom 7. Mai 1954, 2 Ob 3/54.
I. Instanz: Bezirksgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:
Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz.
Text
In der Hauptsache, dem Räumungsprozeß 8 C 87/53 des Bezirksgerichtes für Zivilrechtssachen Graz, wurde der Kläger, dort als wegen Unbekanntheit seines Aufenthaltes durch einen Kurator vertretener Beklagter, mit dem in Rechtskraft erwachsenen Urteil vom 29. April 1953 schuldig erkannt, die von ihm benützte Wohnung zu räumen, da in diesem Verfahren außer Streit gestellt wurde, daß der Kläger diese Wohnung ohne Rechtstitel benütze, insbesondere zwischen den Streitteilen kein Mietvertrag abgeschlossen worden sei. In der gegenständlichen, am 27. August 1953 überreichten Wiederaufnahmeklage bringt der Kläger vor, daß er erst am 15. August 1953 durch ein Schreiben des für ihn bestellten Abwesenheitskurators von dem Räumungsprozeß erfahren habe und erst dadurch in den Stand gesetzt worden sei, die Tatsache, daß er mit der Beklagten einen Mietvertrag abgeschlossen habe, vorzubringen und die gleichzeitig angeführten Beweismittel hiefür zu benützen (§ 530 Abs. 1 Z. 7 ZPO.).
Das Erstgericht hat nach durchgeführter mündlicher Verhandlung die Wiederaufnahmsklage gemäß § 543 ZPO. mangels eines gesetzlich zulässigen Anfechtungsgrundes durch Beschluß zurückgewiesen.
Über Rekurs des Klägers hat das Rekursgericht diesen erstgerichtlichen Beschluß aufgehoben und dem Erstgerichte aufgetragen, unter Abstandnahme von dem gebrauchten Zurückweisungsgrund über die Klage neuerlich zu entscheiden.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs des Wiederaufnahmsbeklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Begründung
Was die Zulässigkeit des Revisionsrekurses anlangt, ist folgendes zu erwägen: Das Fehlen eines gesetzlichen Wiederaufnahmsgrundes in einer Wiederaufnahmsklage schon nach dem Klagsvorbringen führt als Mangel einer Klagsvoraussetzung (§ 536 Z. 2 ZPO.) gemäß § 538 Abs. 1, § 543 ZPO. zur beschlußmäßigen Zurückweisung der Klage, ebenso wie das Nichtvorhandensein einer allgemeinen Klagsvoraussetzung nach § 226 ZPO. (ZBl. 1937, Nr. 181), sohin zur Ablehnung der Entscheidung über die Wiederaufnahmsklage, darüber nämlich, ob der geltend gemachte Wiederaufnahmsgrund vorliegt und die Wiederaufnahme aus diesem Gründe (gemäß § 530 Abs. 2 ZPO.) zulässig ist. Wird von der ersten Instanz nach durchgeführter Verhandlung gemäß § 543 ZPO. die gedachte Klagsvoraussetzung als nicht vorhanden angenommen und die Sachentscheidung durch Zurückweisung der Klage abgelehnt, hebt dagegen die zweite Instanz diese Entscheidung auf und trägt der ersten Instanz Sachentscheidung auf wie im vorliegenden Fall (und nicht etwa neuerliche Entscheidung über das Vorliegen der Klagsvoraussetzung), ist diese zweitinstanzliche Entscheidung trotz ihrer sprachlichen Fassung eine abändernde und keine aufhebende Entscheidung, gegen die der Revisionsrekurs, dem auch nicht etwa die Vorschrift des § 130 Abs. 2 ZPO. entgegensteht, zulässig ist (2 Ob 398/50, 1 Ob 415/51, entgegen SZ. XXI/149).
Was die Berechtigung des Revisionsrekurses anlangt, stellt der behauptete Umstand, daß der für den Beklagten im Hauptprozeß bestellte Abwesenheitskurator (daß die Bestellung des Abwesenheitskurators zu Unrecht erfolgt ist, kann mit der vorstehenden Wiederaufnahmsklage nicht geltend gemacht werden und wird auch nicht geltend gemacht) und der durch ihn vertretene unbekannten Aufenthaltes befindliche Beklagte im Hauptprozeß nicht imstande waren, dem Abwesenheitskurator nicht bekannte Tatsachen vorzubringen und Beweismittel zu benützen, so daß erst dadurch, daß der sie kennende Beklagte vom Hauptprozeß Kenntnis erlangt, hat, seine Kenntnis von diesen Tatsachen und Beweismitteln verwertbar und erst dadurch der Beklagte in den Stand gesetzt wurde, diese Tatsachen vorzubringen und diese Beweismittel zu benützen, die Behauptung des Wiederaufnahmsgrundes des § 530 Abs. 1 Z. ZPO. dar. Der Zweck dieser Bestimmung ist, durch die Wiederaufnahme das Vorbringen solcher neuer Tatsachen zu ermöglichen, die im früheren Verfahren nicht vorgebracht werden konnten, obzwar deren Vorbringen im früheren Verfahren eine dem Wiederaufnahmskläger günstigere Entscheidung in der Hauptsache herbeigeführt haben würde. Nach diesem Zwecke des Gesetzes muß aber der Erlangung der Kenntnis von solchen neuen Tatsachen durch den Wiederaufnahmskläger in ausdehnender Auslegung ein Möglichwerden des früher unmöglichen Vorbringens aus anderen Gründen gleichgestellt werden, z. B. durch das Eintreten des über den Sachverhalt unterrichteten Beklagten und Wiederaufnahmsklägers in das Verfahren an Stelle des für ihn bestellt gewesenen, nicht unterrichteten Abwesenheitskurators. Ein gegenteiliger, den Wiederaufnahmskläger mit dem für ihn bestellten Abwesenheitskurators schlechthin identifizierender Standpunkt könnte unter Umständen zu überaus unbilligen und unzweckmäßigen und daher ungerechten Entscheidungen führen, während ein Verschulden des Wiederaufnahmsklägers nach § 530 Abs. 2 ZPO., allerdings nicht schon bei der Prüfung der Klagsvoraussetzungen gemäß §§ 538 Abs. 1, 543 ZPO., sondern erst in dem über die Wiederaufnahmsklage ergehenden Urteil (1 Ob 578/51), berücksichtigt werden kann.
Da sonach die gegenständliche Wiederaufnahmsklage auf einen gesetzlich zulässigen Anfechtungsgrund gestützt wird, ist der Revisionsrekurs unberechtigt.
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