OGH 2Ob353/99x

OGH2Ob353/99x23.12.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Stefan S*****, und 2. Irma S*****, vertreten durch Mag. Alois Pirkner, Rechtsanwalt in Tamsweg, wider die beklagte Partei Peter P*****, vertreten durch Dr. Erich Moser, Rechtsanwalt in Murau, wegen Unterlassung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Leoben als Berufungsgericht vom 10. September 1999, GZ 3 R 46/99t-20, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Murau vom 30. November 1998, GZ 2 C 534/98g-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil aufgehoben; zugleich wird auch das Urteil des Erstgerichtes aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an dieses zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Kläger sind seit 1972 je zur Hälfte Eigentümer der EZ 73 GB S*****, zu welcher Liegenschaft ua das Grundstück Nr 368/1 (Waldparzelle mit Bäumen, Wiesenflächen und einer Felsenschlucht) gehört. Dieses Grundstück ist nur von der südlich angrenzenden Parzelle Nr 988 der EZ 50000 (öffentliches Gut) zugänglich. Der Rechtsvorgänger der Kläger im Eigentum des Grundstückes Nr 368/1 führte seit Ende der 40iger Jahre mit Ochsenkarren und Pferdefuhrwerken Gras, Heu und Holz über einen Bereich ab, in dem der Beklagte, dessen Grundstück Nr 334 der EZ 65 GB S***** südlich an die Parzelle Nr 988 des öffentlichen Gutes angrenzt, im Sommer 1996 einen Betonring deshalb abgelagert hat, "weil er (Erstkläger) sonst da drüber fährt". Seit 1972 haben die Kläger nämlich verschiedene ihr Grundstück Nr 368/1 betreffende Arbeiten mit einem Traktor über den nunmehr streitgegenständlichen Bereich durchgeführt.

In diesen Bereich gelangt man über die S*****straße Richtung S***** und weiter über einen Richtung Norden abzweigenden nahezu unbefahrenen und unbefestigten Waldweg mit einer Breite von ca 3 m. Nach einer Strecke von rund 100 m zweigt von diesem Waldweg in einem spitzen Winkel Richtung Nord-Nordwest ein etwa 2,5 m breiter Wiesen-/Traktorweg ab, der über eine Strecke von ca 25 m auf das Areal der klägerischen Parzelle Nr 368/1 führt. Der genannte Wiesen-/Traktorweg stellt die vom öffentlichen Gut abzweigende Zufahrt zum Grundstück Nr 368/1 dar.

Genau in diesem Zufahrtsbereich hat der Beklagte - noch auf dem öffentlichen Gut (Grundstück Nr 988) - den Betonring abgelagert. Mit einem Traktor ist das Vorbeifahren an diesem Ring ohne Entfernung von Fichten und Ästen nicht möglich.

Mit der vorliegenden Klage begehren die Kläger den Beklagten für schuldig zu erkennen, den von ihm Anfang August 1996 auf dem Zufahrtsweg zum Grundstück Nr 368/1 der im Eigentum der Kläger stehenden EZ 63 GB S***** abgelagerten Betonring samt Deckel zu entfernen und zukünftig derartige Eingriffe zu unterlassen. Der Betonring liege sowohl im Bereich der Parzelle Nr 334 des Beklagten wie auch zum Teil auf der Parzelle Nr 988 (öffentliches Gut) und mache es unmöglich, aus der Waldparzelle der Kläger Holz abzutransportieren. Zugunsten des Grundstückes Nr 368/1 der Kläger bestehe ob dem Grundstück Nr 334 des Beklagten eine Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens. Soweit der streitverfangene Betonring im Bereich der Parzelle Nr 988 liege, sei in diesem Bereich eine Sondernutzung der Kläger (Abfahrt aus dem Dienstbarkeitsbereich und Drüberfahren in den Bereich Nr 988 zur Zufahrt zum Grundstück Nr 368/1) gegeben.

Der Beklagte wendete ein, die Kläger hätten kein Recht, sein Grundstück Nr 334 in jenem Bereich zu befahren, auf dem der Betonring gelagert worden sei. Abseits des sogenannten Talweges hätten die Kläger keine Fahrtrechte ersessen, weil sie nicht 30 Jahre lang über nicht in den Talweg einbezogene Grundstücksbereiche gefahren seien. Es fehle außerdem an der Redlichkeit der Kläger. Diese hätten früher eine andere Zufahrt benützt. Der abgelagerte Betonring stelle keinen Nachteil für die Kläger dar, weil daneben eine ausreichende Durchfahrtslücke freigeblieben sei. Durch die von den Klägern behauptete Dienstbarkeit betreffend das Grundstück Nr 334 des Beklagten werde eine vorteilhaftere und bequemere Benützung des klägerischen Grundstückes Nr 368/1 nicht bewirkt. Aus der Sicht des Beklagten erweise sich die behauptete Dienstbarkeit für die Kläger als zwecklos und unwirtschaftlich, weil sie ohnehin über den sogenannten Talweg zu ihrem Grundstück gelangen könnten. Die Kläger seien nicht klagslegitimiert, weil sich der Betonring auf öffentlichem Gut befinde, weshalb auch die Einrede der Unzulässigkeit des streitigen Rechtsweges erhoben wurde.

Das Erstgericht erkannte den Beklagten für schuldig, den Betonring samt Deckel zu entfernen, den diese auf dem in der Natur ersichtlichen Zufahrtsweg zum Grundstück Nr 368/1 der EZ 63 GB 65223 S***** des BG Murau eigentümlich den klagenden Parteien in dem Bereich abgelagert habe, der auf dem Zufahrtsweg der Parzelle Nr 988 der EZ 50000 des öffentlichen Gutes des Grundbuches des BG Murau liege und aus der diesem Urteil beigelegten und dort ersichtlichen "Klageanhangsskizze" ersichtlich sei; weiters wurde der Beklagte dazu verurteilt, zukünftig derartige Eingriffe zu unterlassen.

Bei der "Klageanhangsskizze" handelt es sich um die vom Sachverständigen angefertigte Skizze in ON 11.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, die nahe der Grenze zur Liegenschaft der Kläger erfolgte Ablagerung des Betonringes durch den Beklagten stelle eine Beeinträchtigung des Eigentums der Kläger dar. Diese Maßnahme sei vom Beklagten ohne jede Rechtsgrundlage vorgenommen worden. Gegen ihn als unmittelbaren Störer des den Klägern zustehenden Rechts zum ungehinderten Zu- und Abfahren müsse Rechtsschutz gewährt werden.

Das vom Beklagten angerufene Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung; es sprach aus, der Wert des Entscheidungsgegenstandes übersteige S 52.000, nicht jedoch S 260.000, die ordentliche Revision sei zulässig.

Das Berufungsgericht vertrat die Ansicht, die Frage eines allfälligen Sondernutzungsrechtes der Kläger könne auf sich beruhen, weil es sich bei dem Grundstück, auf dem der Betonring abgelagert worden sei, um "öffentliches Gut" handle. Damit sei aber davon auszugehen, dass die Parzelle Nr 988 - und daher auch jener Bereich, in dem der Beklagte den strittigen Betonring abgelagert habe - dem Gemeingebrauch gewidmet sei und also von jedermann unter den gleichen Bedingungen ohne Bewilligung und unabhängig vom Willen des Verfügungsberechtigten benutzt werden könne. Die Kläger seien daher unabhängig von einem allfälligen Sondernutzungsrecht jedenfalls berechtigt, den streitgegenständlichen Bereich zu befahren um zu ihrer Grundstücksparzelle Nr 368/1 zu gelangen.

Der Beklagte habe durch das Ablagern des Betonringes ein Sonderrecht am öffentlichen Gut in Anspruch genommen, welches ihm aber nicht zustehe. Dass er für die Ausübung des von ihm beanspruchten Sonderrechtes über einen erforderlichen Privatrechtstitel verfüge oder ein entsprechender verwaltungsbehördlicher Bewilligungsakt vorliege, sei gar nicht behauptet worden.

Es könne dahingestellt bleiben, ob die Kläger das Grundstück Nr 988 auf Grund ihrer Anliegerrechte oder im Rahmen des Gemeingebrauches benützten, denn durch das Ablagern des Betonringes sei auf jeden Fall das aus dem Nachbarrecht oder aus dem Gemeingebrauch abgeleitete Recht der Kläger, das öffentliche Gut unbehindert zu benützen, verletzt worden. Ihr Begehren, den Beklagten zur Entfernung des abgelagerten Betonringes zu verhalten und ihn schuldig zu erkennen, zukünftig derartige Eingriffe zu unterlassen, finde seine Deckung in § 523 ABGB (EvBl 1967/216 = ZVR 1967/162).

Die ordentliche Revision erachtete das Berufungsgericht für zulässig, weil in der Rechtsprechung auch die Ansicht vertreten werde, dass der Rechtsgrund des Liegenschaftseigentums keinen ausreichenden Privatrechtstitel zur Beanspruchung einer besonderen Nutzung des anschließenden öffentlichen Gutes biete bzw die sogenannten Anliegerrechte als subjektiv-öffentliche Rechte nur den (Verwaltungs-)Behörden gegenüber geltend gemacht werden könnten.

Dagegen richtet sich die Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass die Klage zurückgewiesen werde; hilfsweise werden Aufhebungsanträge gestellt.

Die klagenden Parteien haben Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, dem Rechtsmittel des Beklagten nicht Folge zu geben.

Die Revision ist zulässig und im Sinne ihres Aufhebungsantrags auch berechtigt.

Der Beklagte vertritt in seinem Rechtsmittel die Ansicht, die vom Berufungsgericht zitierte Entscheidung ZVR 1967/162 sei vereinzelt geblieben. In ständiger Judikatur vertrete der Oberste Gerichtshof ansonsten den Standpunkt, Anliegerrechte könnten als sogenannte subjektiv-öffentliche Rechte nur gegenüber den Verwaltungsbehörden geltend gemacht werden. Das Berufungsgericht hätte daher der Berufung Folge geben und die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges zurückweisen müssen.

Rechtliche Beurteilung

Hiezu wurde erwogen:

Der Oberste Gerichtshof hätte eine allfällige Unzulässigkeit des Rechtsweges - auch von Amts wegen - wahrzunehmen, weil die Vorinstanzen die Zulässigkeit des Rechtsweges als absolute Prozessvoraussetzung weder im Spruch noch in den Gründen ihrer Entscheidung behandelten und somit keine das Revisionsgericht nach § 42 Abs 3 JN bindende Entscheidung trafen (RIS-Justiz S0046249; EvBl 1999/179 = RdW 1999, 655; Kodek in Rechberger, ZPO, Rz 2 zu § 503; Mayr in Rechberger, aaO, Rz 2 zu § 42 JN jeweils mwN). Die Ansicht, die Unzulässigkeit des Rechtsweges könne im Revisionsverfahren selbst dann nicht mehr wahrgenommen werden, wenn die Vorinstanzen die Zulässigkeit des Rechtsweges - wie auch im vorliegenden Fall - nur implizit durch meritorische Behandlung des Klagsanspruches und Fällung einer Sachentscheidung bejaht hätten (SSV-NF 10/38), ist vom Obersten Gerichtshof bereits in der Entscheidung EvBl 1999/179 = RdW 1999, 655 als vereinzelt geblieben abgelehnt worden.

Für die Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtsweges ist der Wortlaut des Klagebegehrens und darüber hinaus der Klagesachverhalt maßgebend. Es kommt auf die Natur, das Wesen des geltend gemachten Anspruchs an (Mayr in Rechberger, aaO, Rz 6 Vor § 1 JN). Für die Abwehr behaupteter Eigentumseingriffe steht dem Beschwerten gewöhnlich der Rechtsweg offen, wobei es belanglos ist, ob der Klageanspruch auch berechtigt ist. Die Zulässigkeit des ordentlichen Rechtsweges ist also dann zu bejahen, wenn der Klageanspruch auf einen Privatrechtstitel gestützt wird. Es ist auch unerheblich, was der Beklagte einwendet; dies gilt auch dann, wenn er dem erhobenen Anspruch mit einer Einwendung, der ein öffentlich-rechtlicher Titel zugrundeliegt, entgegentritt (1 Ob 83/99h mwN). Störungen des Gemeingebrauchs aber können nicht vor den ordentlichen Gerichten angefochten werden. Über Störungen und Eingriffe in den Gemeingebrauch entscheiden die Verwaltungsbehörden, und zwar auch dann, wenn die Störung durch einen Privaten erfolgt. Nur soweit der Gemeingebrauch nicht berührt wird, ist der Schutz des Eigentums auch beim öffentlichem Gut Sache der Gerichte (Kiendl-Wendner in Schwimann**2, ABGB, Rz 21 zu § 523 mwN). Auch Anliegerrechte, d.s.

die Nutzungen, die die an die Straße angrenzenden Grundbesitzer von

der Straße und dem darüber befindlichen Luftraum beziehen (JBl 1995,

62 = RZ 1995/52) können nur den Behörden gegenüber geltend gemacht

werden (RIS-Justiz RS0009770; zuletzt SZ 69/101). Hingegen

entscheiden über das Eigentum und den Bestand von Dienstbarkeiten

sowie die daraus abgeleiteten Ansprüche und über Besitzstreitigkeiten

die Gerichte (JBl 1995, 62 = RZ 1995/57). Die vom Berufungsgericht

zitierte gegenteilige Entscheidung EvBl 1967/216 = JBl 1968, 150 =

ZVR 1967/162 ist vereinzelt geblieben und wurde in der Entscheidung JBl 1995, 62 = RZ 1995/57 bereits abgelehnt.

Von dem Gemeingebrauch, zu dem auch die Anliegerrechte zu zählen sind, ist aber ein Sondergebrauchsrecht am öffentlichen Gut zu unterscheiden (8 Ob 400/97z). Ein derartiges Sondergebrauchsrecht haben die Kläger im vorliegenden Fall auch geltend gemacht, weshalb für ihre Klage der Rechtsweg zulässig ist, doch ist die Rechtssache insoweit noch nicht spruchreif. Die Vorinstanzen haben dem Klagebegehren unter Hinweis auf den Gemeingebrauch am öffentlichen Gut stattgegeben. Einen diesbezüglichen Anspruch können die Kläger aber nur - wie schon oben erwähnt - vor den Verwaltungsbehörden geltend machen. Die Frage ob und weshalb den Klägern ein Sondernutzungsrecht zustehen soll, ist aber nicht weiter erörtert worden. Die Kläger haben dazu keine näheren Behauptungen aufgestellt (s AS 23), weshalb diese Frage im fortgesetzten Verfahren mit ihnen zu erörtern und - falls sie ein schlüssiges Vorbringen dazu erstatten - darüber Beweise aufzunehmen sein werden. Darauf hinzuweisen ist allerdings, dass der Erwerb eines Privatrechts durch Ersitzung an einem öffentlichen Weg nur dann in Betracht kommt, wenn eine Benützung außerhalb des Rahmens des Gemeingebrauches erfolgt und auch erkennbar ist, dass ein vom Gemeingebrauch verschiedenes Privatrecht in Anspruch genommen wird (RIS-Justiz RS0009757; zuletzt 7 Ob 207/99p).

Es waren daher die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und wird das Erstgericht das Verfahren im oben aufgezeigten Sinne zu ergänzen haben.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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