Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Am 7. Jänner 1993 ereignete sich in Wien ein Verkehrsunfall, an welchem die Klägerin als Lenkerin eines Pkws durch einen Straßenbahnzug der beklagten Partei verletzt wurde. Das Alleinverschulden am Unfall traf den Fahrer des Straßenbahnzuges.
Die Klägerin erlitt ein Schleudertrauma sowie Prellungen des rechten Kniegelenkes, der rechten Schulter und der rechten Hüfte. Die beklagte Partei bezahlte ihr am 30. Juli 1993 das von ihr geforderte Schmerzengeld in der Höhe von S 47.000.
Mit der nunmehr eingebrachten Klage begehrt die Klägerin von der beklagten Partei einen weiteren Betrag von S 115.000 sA sowie die Feststellung, daß die beklagte Partei ihr für alle künftigen Folgen des Unfalles vom 7. Jänner 1993 zu haften habe. Sie habe neben der seinerzeit diagnostizierten Verletzungen auch eine Bandscheibenzertrümmerung im Halswirbelbereich erlitten. Vom Unfallstag bis Juni 1993 habe sie ambulante physikotherapeutische Behandlungen in Anspruch genommen. Ab Jänner 1994 seien ihre Schmerzen unerträglich geworden, weshalb sie sich am 20. Mai 1994 einer Operation aufgrund vorderer Discusextraktion C 5 und C 6 (Wirbelverblockung) unterziehen habe müssen. Insgesamt habe sie als Folge des Unfalls Schmerzen erlitten, die ein Schmerzengeld von S 150.000 rechtfertigten. Darüber hinaus habe sie Pflegekosten und weitere Nebenspesen aufwenden müssen. Abzüglich der bereits von der beklagten Partei geleisteten Zahlung hafte der Klagebetrag aus. Zukünftige gesundheitliche Spät- und Dauerfolgen seien nicht auszuschließen.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Durch die am 30. Juni 1993 erfolge Zahlung an die Klägerin seien sämtliche Ansprüche abgegolten worden. Die Verletzungen seien überdies folgenlos abgeheilt, ein Dauerschaden sei nicht eingetreten; Spätfolgen seien nicht zu erwarten.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es ging dabei vom nachstehenden Sachverhalt aus:
Die beklagte Partei holte über die Verletzungen der Klägerin im Mai 1993 das Gutachten eines Facharztes für Chirurgie ein. Dieser kam in seinem Gutachten vom 10. Mai 1993 zu folgender Beurteilung: "Die Klägerin hat am 7. Jänner 1993 ein Schleudertrauma ersten Grades nach der Einteilung nach Erdmann sowie Prellungen des rechten Kniegelenkes, der rechten Schulter und der rechten Hüfte erlitten. Durch Röntgenaufnahmen wurden schwerwiegende Verletzungen der Knochen und der Gelenke ausgeschlossen. Dem Grade nach sind alle diese Verletzungen als leicht zu bezeichnen. Es kommt im Anschluß an derartig leichtgradige Verletzungen praktisch immer zu vollkommen folgenloser Ausheilung. Die Dauer der Ausheilung ist allerdings je nach Heftigkeit der Gewalteinwirkung unterschiedlich. Wenn aber Beschwerden nach Prellungen über einen Zeitraum von etwa acht Wochen hinausgehen, müssen andere Ursachen dafür angenommen werden. Jetzt sind die unfallsbedingten Verletzungen ausgeheilt. Die jetzt bestehenden Kreuzschmerzen sind mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mehr auf den gegenständlichen Unfall zurückzuführen. Ein Dauerschaden ist nicht eingetreten. Spätfolgen sind keine mehr zu erwarten. Es ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine medizinische Behandlung von Unfallfolgen in weiterer Zukunft vollkommen auszuschließen". Der Sachverständigte führt dann noch aus, daß die Klägerin zusammengefaßt 4 Tage mittelstarke und insgesamt gerafft 33 Tage leichte Schmerzen erlitten habe, darüber hinaus seien rein unfallbedingt keine weiteren Schmerzperioden mehr zu erwarten.
Am 19. Mai 1993 teilte die beklagte Partei in einem Schreiben an den damaligen Vertreter der Klägerin mit, daß nach dem eingeholten Sachverständigengutachten die kausalen Verletzungen folgenlos abgeheilt und Dauerschäden nicht zu erwarten seien. Die angegebenen Schmerzzustände und Perioden rechtfertigten ein Schmerzengeld von S 35.000; sie sei ohne Präjudiz bereit, diesen Betrag zuzüglich der Anwaltskosten zu bezahlen.
Der damalige Vertreter der Klägerin antwortete mit Schreiben vom 15. Juni 1993 und wies darauf hin, daß sich aus den festgestellten Schmerzperioden rein rechnerisch ein Schmerzengeldanspruch von S 46.000 ergebe. Seine Mandantschaft wäre "zur endgültigen Bereinigung der Angelegenheit mit einem Schmerzengeldbetrag von S 47.000 einverstanden".
Die beklagte Partei antwortete mit Schreiben vom 24. Juni 1993 und erklärte sich unpräjudiziell ihres Rechts- und Prozeßstandpunktes bereit, den geforderten Schmerzengeldbetrag zuzüglich der Anwaltskosten zu bezahlen, wobei mit der Überweisung des Betrages die gegenständliche Angelegenheit als vollständig abgeschlossen zu betrachten sei. Eine Abfindungserklärung wurde nicht unterfertigt. Im November 1994 wandte sich die Klägerin durch ihren Vertreter neuerlich an die beklagte Partei und begehrte Zahlung eines weiteren Schmerzengeldes. Dies wurde in der Folge von der beklagten Partei abgelehnt.
In rechtlicher Hinsicht gelangte das Erstgericht zu dem Ergebnis, daß durch die vom Vertreter der Klägerin verwendete Äußerung, "zur endgültigen Bereinigung mit einem bestimmten Schmerzengeld einverstanden zu sein", und die Annahme dieses Anbotes durch die beklagte Partei ein Vergleich geschlossen worden sei, mit dem sämtliche, auch zukünftige, Ansprüche der Klägerin aus dem Unfall abgegolten sein sollten.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge, hob das angefochtene Urteil auf und trug dem Erstgericht eine ergänzende Verhandlung und neuerliche Entscheidung auf.
Es billigte die Rechtsansicht des Erstgerichtes, daß die Erklärungen der Streitteile anläßlich Forderung und Zahlung eines bestimmten Schmerzengeldbetrages im Sinne der ständigen Rechtsprechung als Vergleich nach den §§ 1380 ff ABGB zu qualifizieren seien. Durch einen Vergleich werde eine bestehende Streitigkeit oder Zweifelhaftigkeit eines Rechts endgültig beseitigt. Gegenstand eines Vergleiches könne auch ein Recht sein, wenn nur dessen Grund oder nur dessen Höhe streitig oder zweifelhaft sei. Die Bereinigungswirkung trete aber nur für die vom Vergleich umfaßten Punkte ein. Welche zwischen den Parteien strittigen Punkte von der Bereinigungswirkung eines Vergleiches umfaßt werden sollten, sei keine Frage einer bloß allgemeinen Umschreibung behaupteter Ansprüche, sondern eine durchaus individuelle Abgrenzung des Umfanges der Vergleichswirkung und damit auch eine individuelle Umschreibung der durch die Leistung des Vertragspartners abgegoltenen Ansprüche. Bei einem allgemeinen Vergleich erfasse die Bereinigungswirkung auch solche Ansprüche, an die die Parteien zwar nicht gedacht hätten, aber denken hätten können. Dagegen würden selbst von einem allgemeinen Vergleich Forderungen und Verbindlichkeiten nicht erfaßt, an welche die Parteien nicht hätten denken können. Der Vergleich erstrecke sich nicht auf Ansprüche, mit deren späteren Entstehen die Parteien trotz Anwendung pflichtgemäßer Sorgfalt nicht rechnen hätten können. Nach den Feststellungen des Erstgerichtes sei den Parteien zum Zeitpunkt des Abschlusses des Abfindungsvergleiches ein Gutachten vorgelegen, das die unfallsbedingten Verletzungen als ausgeheilt bezeichnete. Dauerschäden seien ausgeschlossen gewesen. Daraus ergebe sich, daß später entstandene Verletzungsfolgen für die Klägerin nicht erkennbar und nicht voraussehbar gewesen seien, seien sie doch durch ein Sachverständigengutachten ausgeschlossen worden. Mit dem Vergleich seien daher nur die bis zu diesem Zeitpunkt entstandenen und erkennbaren Folgen bereinigt worden. Dem stehe nicht entgegen, daß es die Rechtsprechung bei entsprechender Abfassung eines Vergleichstextes auch für zulässig erachtet habe, etwaige zur Zeit des Vergleichsabschlusses noch nicht bekannte oder erkennbare Nachtragsforderungen zu bereingen. Eine solche Ansprüche für die Zukunft ausschließende Textierung sei nicht gewählt worden.
Das Berufungsgericht sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei, weil die entscheidende Rechtsansicht in der Rechtsprechung noch nicht hinreichend gefestigt erscheine.
Gegen diese Berufungsentscheidung richtet sich der Rekurs der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit dem Antrag, der Oberste Gerichtshof möge in der Sache selbst entscheiden und das Urteil des Erstgerichtes wiederherstellen.
Die Klägerin beantragt dem Rekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist nicht berechtigt.
In der älteren Rechtsprechung wurde die Zulässigkeit von Abfindungsvergleichen, die ausdrücklich auch die bei Vergleichsabschluß noch nicht vorhersehbaren Unfallsfolgen einbeziehen, mit der Begründung bejaht, daß der Geschädigte auf ihm zustehende Schadenersatzansprüche auch zur Gänze verzichten könne (Rsp 1935/26 [zust Wahle, abl Bauerreiß]; SZ 23/153; ZVR 1959/626; ZVR 1967/122; RIS-Justiz RS0032605, RS0016800). An dieser Rechtsprechung wurde zwar in jüngerer Zeit (EvBl 1988/48 = ZVR 1989/15) festgehalten. In SZ 60/148 = JBl 1988, 118 und ecolex 1996, 453 = RdW 1997, 69 wurde auch ausgesprochen, daß eine derartige Abfindungsklausel, was vorhersehbare Ansprüche anlangt, der Inhaltskontrolle nach § 879 Abs 3 ABGB entzogen sei, weil damit eine vertragliche Hauptleistung festgelegt werde; das Schicksal einer solchen Klausel in bezug auf nicht vorhersehbare Folgen blieb in beiden Entscheidungen ausdrücklich offen.
Der erkennende Senat hat sich schließlich in seiner Entscheidung 2 Ob
130/97z (JBl 1998, 38 [zust Kletecka] = RdW 1997, 660 = RZ 1998/27 =
ZfRV 1997, 250 = ZVR 1998/8) mit der Wirksamkeit einer Abfindungsklausel, die auch ausdrücklich den Verzicht auf in der Zukunft derzeit nicht voraussehbare Folgen umfassen sollte, auseinandergesetzt und ist nach ausführlicher Dartuung des Meinungsstandes in der Lehre zur Ansicht gekommen, daß eine derartige Abfindungsklausel als sittenwidrig anzusehen sei, soweit sie auch das nachträgliche Hervorkommen subjektiv zunächst nicht vorhersehbarer Unfallsfolgen von außergewöhnlichem Umfang erfaßt. Jedenfalls dann, wenn der Eintritt nicht vorhergesehener Folgen zu einem ganz krassen und dem Geschädigten völlig unzumutbaren Mißverhältnis zwischen Schaden und der bloß auf der Basis der bekannten Folgen errechneten Abfindungssumme führe, könne sich der Schädiger bzw dessen Versicherer wegen Sittenwidrigkeit im Sinn des § 879 Abs 1 ABGB auf eine solche Klausel nicht mit Erfolg berufen.
Der erkennende Senat hält an dieser Rechtsansicht fest.
Im vorliegenden Fall ist zu berücksichtigen, daß nach dem den Parteien bekannten Sachverständigengutachten die diagnostizierten Verletzungsfolgen der Klägerin (Schleudertrauma, Prellung des rechten Kniegelenks, der rechten Schulter und der rechten Hüfte) folgenlos abgeheilt sein sollten und Spätfolgen nicht zu erwarten waren. Allfällige weitere Unfallsfolgen waren daher für beide Teile nicht voraussehbar. Die Klägerin behauptet, sie habe sich als Unfallsfolgen einer Operation an der Halswirbelsäule unterziehen müssen, was einen längeren Krankenhausaufenthalt und eine Rehabilitation erfordert habe. Sollte ihr Vorbringen zutreffen, dann wäre sie nach der oben dargestellten jüngeren Rechtsprechung nachforderungsberechtigt, weil diese Unfallsfolgen nicht vorhersehbar waren.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
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