OGH 2Ob287/06d

OGH2Ob287/06d18.1.2007

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Veith, Dr. Grohmann und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Friedrich P*****, vertreten durch Dr. Georg Pertl, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei K***** Speditions-GmbH, *****, vertreten durch Dr. Waltraud Künstl, Rechtsanwältin in Wien, wegen EUR 7.572,82 sA (Revisionsinteresse EUR 7.479,22 sA), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Berufungsgericht vom 30. August 2006, GZ 4 R 263/06b-19, mit dem das Urteil des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom 26. April 2006, GZ 15 C 285/05a-15, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird im Sinne einer Abänderung dahin Folge gegeben, dass das erstinstanzliche Urteil einschließlich der rechtskräftigen Abweisung von EUR 93,60 sA wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen vierzehn Tagen die mit EUR 2.804,70 (darin enthalten EUR 272,78 USt und EUR 1.168 Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die beklagte GmbH unterhält im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit Lagerhäuser und führt Möbeltransporte durch. Am 31. 12. 1999 lagerte der Kläger in einem der Lagerhäuser der Beklagten diversen Hausrat, darunter neun handgeknüpfte und in blaue Plastiksäcke verpackte Teppiche, deren Wert von insgesamt EUR 7.260,34 einen Großteil des Gesamtwertes des Lagergutes ausmachte. Die Streitteile vereinbarten mündlich die Einlagerung gegen Verrechnung einer Lagerpauschale entsprechend dem Ausmaß der benützten Fläche zuzüglich Versicherung. Anlässlich einer Nachschau im Juli 2001 reklamierte der Kläger, dass die Gegenstände verstellt, verstaubt und unabgedeckt waren. Zu diesem Zeitpunkt waren die Teppiche noch vorhanden. Im November 2002 stellte der Kläger die Verbringung des Lagergutes in eine neue Lagerhalle fest. Der Kläger war über den verschmutzten Zustand der Gegenstände sowie die nicht erfolgte Information vom Umzug verärgert, ging aber davon aus, dass die Teppiche noch vorhanden waren. Überrascht zeigt er sich davon, in der neuen Lagerhalle uneingeschränkt agieren zu können. Es war kein Mitarbeiter der Beklagten anwesend. Die Lagerhallen der Beklagten sind während der Dienstzeit unversperrt. Fremde Personen dürfen grundsätzlich nicht in das Lager der Beklagten.

Der Kläger entschloss sich, das Lager aufzulösen. Anlässlich der Abholung des Lagergutes am 30. 12. 2003 war kein einziger Teppich mehr vorhanden, was der Kläger unverzüglich reklamierte. Ein Mitarbeiter meinte, im alten Lager seien noch Teppiche, der dafür zuständige Mitarbeiter befände sich aber gerade auf Urlaub. Der Kläger ging davon aus, dass sich die Teppiche eventuell noch im alten Lager befinden. Er kontaktierte den zuständigen Mitarbeiter der Beklagten nach dessen Rückkehr vom Urlaub am 7. 1. 2004 und vereinbarte eine Nachschau zu einem Zeitpunkt, zu dem der (in Deutschland wohnende) Kläger wieder in Klagenfurt sei. Am 6. 7. 2004 kam der Kläger wieder nach Klagenfurt und erkundigte sich bei der Beklagten nach dem Verbleib seiner Teppiche. Weder im alten noch im neuen Lager waren die Teppiche des Klägers aufzufinden. Ein Mitarbeiter der Beklagten ersuchte den Kläger, eine Liste der Teppiche zu erstellen. Mit Schreiben vom 4. 8. 2004 übermittelte der Kläger eine entsprechende Aufstellung der Teppiche samt deren Wert. In ihrem Antwortschreiben vom 13. 8. 2004 verneinte die Beklagte die Einlagerung von Teppichen.

Der Kläger war bei Einlagerung des Hausrates nicht nach dem Wert des Lagergutes befragt worden. Gibt ein Kunde der Beklagten von sich aus an, wertvolle Gegenstände einlagern zu wollen, erstellt die Beklagte keine detaillierte Liste, sondern legt den vom Kunden angegebenen Gesamtwert der Berechnung der Versicherungsprämie zugrunde. Der Kläger bezahlte EUR 328,32 Lagergebühr für den Zeitraum einschließlich 2002.

Der Kläger begehrt in der am 3. 2. 2005 eingebrachten Klage gestützt auf eine unzureichende, von der Beklagten zu verantwortende Verwahrung den Ersatz des Wertes aller verloren gegangenen Teppiche sowie die Rückerstattung von zwei Drittel der bezahlten Verwahrungskosten.

Die Beklagte berief sich insbesondere auf die für ein Lagergeschäft geltende einjährige Verjährungsfrist der §§ 414, 423 HGB, die mit der Abholung am 30. 12. 2003 zu laufen begonnen habe. Der im Berufungsverfahren noch aufrecht erhaltene Einwand, es habe sich um eine reine Flächenmiete ohne Verwahrungsverpflichtung der Beklagten gehandelt, bildet im Revisionsverfahren kein Thema. Dem Verjährungseinwand begegnete der Kläger mit dem Argument, die Beklagte habe nach sofortiger Rüge eine Nachschau in der alten Lagerhalle sowie die Mitteilung über deren Ergebnis zugesichert und den Kläger erst im Juli 2004 vom endgültigen Verlust seiner Teppiche informiert.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit EUR 7.479,22 sA statt und wies das Mehrbegehren von EUR 93,60 sA ab. Die Beklagte habe ihre aus dem geschlossenen Verwahrungsvertrag bestehende Verpflichtung zur sorgfältigen Verwahrung und vollständigen Rückgabe der verwahrten Gegenstände verletzt. Der Verjährungseinwand sei nicht berechtigt, weil erst im Juli 2004 der Verlust der Teppiche festgestellt worden sei.

Das von der Beklagten angerufene Berufungsgericht änderte dieses Urteil im Sinn einer gänzlichen Abweisung des Klagebegehrens ab. Es wertete den Vertrag als Lagergeschäft iSd § 416 HGB. Auf die Verjährung der Ansprüche gegen den Lagerhalter wegen Verlust des Gutes sei nach § 423 HGB die Vorschrift des § 414 HGB (Verjährung von Ansprüchen aus Speditionsgeschäften) entsprechend anzuwenden. Im Fall des teilweisen Verlustes beginne die einjährige Verjährungsfrist nach § 414 HGB mit dem Ablauf des Tages, an welchem die Ablieferung hätte bewirkt sein müssen. Dem auf das Speditionsgeschäft zugeschnittenen Begriff „Ablieferung" komme für den Bereich der Lagergeschäfte die Rückausfolgung des Lagergutes gleich. Die bei einem teilweisen Verlust des Lagergutes nur unvollständig mögliche Rückgabe des Lagergutes offenbare erstmals die (im Verschuldensfall Schadenersatzansprüche auslösende) Vertragsverletzung des Lagerhalters, weshalb es für den Beginn der Verjährungsfrist nur auf den am 30. 12. 2003 festgestellten objektiven, für den Kläger erkennbaren Leistungsverzug des Lagerhalters und nicht auf die subjektive Hoffnung des Klägers, die Teppiche noch aufzufinden, ankomme.

Den Ausspruch über die Zulässigkeit der Revision begründete das Berufungsgericht mit fehlender höchstgerichtlicher Judikatur zum Beginn der Verjährungsfrist bei Lagergeschäften.

Der Kläger begehrt in seiner Revision die Wiederherstellung des Ersturteiles; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die Beklagte hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und berechtigt, weil das Berufungsgericht zu Unrecht von einer Verjährung der Ansprüche des Klägers ausgegangen ist.

1. Auf das Vertragsverhältnis ist - unabhängig von seiner Qualifikation als Lagergeschäft iSd § 416 HGB oder als nur den §§ 957 ff ABGB unterliegender Verwahrungsvertrag (welche Bezeichnung der Kläger sowohl in seinem erstinstanzlichen Vorbringen als auch in seiner Revision verwendet) - österreichisches Recht anzuwenden, was die Parteien auch nie bezweifelt haben. Mangels Rechtswahl iSd Art 3 EVÜ unterliegt der Vertrag nach Art 4 Abs 1 Satz 1 iVm Art 4 Abs 2 des zitierten Übereinkommens dem Recht des Staates, in dem die Partei, welche die charakteristische Leistung (hier: Aufbewahrung) zu erbringen hat, ihren Hauptsitz hat.

2. Der Sachverhalt hat sich vor dem 1. 1. 2007 ereignet, weshalb die - hier maßgeblichen (ohnehin unverändert gebliebenen) - Bestimmungen des am 1. 1. 2007 in Kraft getretenen Unternehmensgesetzbuches (UGB) in der Fassung des Handelsrechts-Änderungsgesetzes, BGBl I 120/2005, über das Kommissionsgeschäft (§ 390), das Frachtgeschäft (§ 414) und das Lagergeschäft (§§ 416, 417, 422 und 423) nach der Übergangsbestimmung des § 906 Abs 14 UGB nicht anzuwenden sind.

3. § 416 HGB definiert als Lagerhalter denjenigen, der gewerbsmäßig die Lagerung und Aufbewahrung von Gütern übernimmt. Für die Qualifikation als Lagerhalter ist nicht erforderlich, dass sich die Gewerbsmäßigkeit ausschließlich auf die Lagerung bezieht (Schütz in Straube HGB³ § 416 Rz 4; Schröder in Schlegelberger5 § 416 dHGB aF Rz 5a); die Lagerung darf aber nicht lediglich die Nebenpflicht eines anderen Gewerbes darstellen (Koller in GroßKomm4 § 416 dHGB aF Rn 12). Das weitere essentielle Element eines Lagergeschäftes ist die Übernahme des Gutes in die Obhut als vertraglich vereinbarte Hauptpflicht (Schütz aaO Rz 6; Schröder aaO Rn 2; Koller aaO Rn 6, 8 und 9; vgl Teutsch in Fremuth/Thume, [d]Transportrecht § 475 HGB nF Rn 3).

In diesem Sinn liegt hier unzweifelhaft ein den §§ 416 ff HGB unterliegendes Lagergeschäft vor: Die Beklagte betreibt neben einer Möbelspedition mehrere Lagerhallen und hat die Güter des Klägers zur Verwahrung übernommen; zusätzlich bezeichnet sie sich selbst als Lagerhalter und beruft sich auf die für Lagergeschäfte geltende Verjährungsbestimmung des § 423 HGB.

4. Auf die Verjährung der Ansprüche gegen den Lagerhalter wegen Verlustes, Minderung, Beschädigung oder verspäteter Ablieferung des Gutes finden die Vorschriften des § 414 HGB entsprechend Anwendung (§ 423 Satz 1 HGB). Im Falle des gänzlichen Verlustes beginnt die Verjährung mit dem Ablauf des Tages, an welchem der Lagerhalter dem Einlagerer Anzeige von dem Verlust macht (Satz 2). § 414 Abs 1 HGB normiert in seinem Satz 1 eine einjährige, nach Satz 2 durch Vertrag verlängerbare Verjährungsfrist hinsichtlich der Ansprüche gegen den Spediteur unter anderem wegen Verlustes und Minderung des Gutes. Nach Abs 2 leg cit beginnt die Verjährung im Fall der Beschädigung oder Minderung mit dem Ablauf des Tages, an welchem die Ablieferung stattgefunden hat, im Fall des Verlustes oder der verspäteten Ablieferung mit dem Ablauf des Tages, an welchem die Ablieferung hätte bewirkt sein müssen.

Die unterlassene Aushändigung der Teppiche, die Teil des als Gesamtheit übergebenen Lagergutes waren, ist als Teilverlust dem Begriff der Minderung des Gutes zu unterstellen (Koller aaO § 423 dHGB aF Rn 5 f; Schröder aaO § 414 dHGB aF Rn 1e; P. Bydlinski in MünchKomm4 § 414 dHGB aF Rn 13 f; Frantzioch in MünchKomm4 § 423 dHGB aF Rn 6; Hermann in Heymann (d)HGB § 423 Rn 1). Mangels Totalverlustes war der Beginn der einjährigen Verjährungsfrist nicht von einer Anzeige durch den Lagerhalter (§ 423 Satz 2 HGB) abhängig. Im Fall des Teilverlustes ist vielmehr der Tag der Ablieferung (§ 423 HGB iVm § 414 Abs 2 HGB) maßgeblich (Koller aaO § 423 dHGB aF Rn 5; Frantzioch aaO § 423 dHGB aF Rn 5; P. Bydlinski aaO § 414 dHGB aF Rn 64 und 65; Hermann aaO; vgl Teutsch aaO § 475a dHGB nF Rn 6; vgl in Ebenroth/Boujong/Joost (d)HGB § 475a HGB nF Rn 6).

Im konkreten Fall war die Ablieferung am 30. 12. 2003 aufgrund der vereinbarten Nachschau noch nicht als abgeschlossen zu werten. Ablieferung bedeutet, dass der Lagerhalter den Besitz und die Gewahrsame an dem Gut im Einverständnis mit dem Einlagerer wieder aufgibt (vgl Gass aaO § 475 (d)HGB nF Rn 6). Bestand die von der Beklagten sogar in Aussicht gestellte Möglichkeit einer weiteren Obhut durch den Lagerhalter (Aufbewahrung der Teppiche in der alten Lagerhalle) konnte die (unvollständige) Abholung am 30. 12. 2003 die einjährige Verjährungsfrist nicht auslösen (Schröder aaO § 423 dHGB aF Rn 8; vgl Gass aaO § 475 (d)HGB nF Rn 12).

Hat die Verjährungsfrist demnach erst im Sommer 2004 begonnen, hat der Kläger seine Ansprüche jedenfalls fristgerecht geltend gemacht. Die Frage, ob dasselbe Ergebnis durch eine (konkludente) nach § 414 Abs 1 Satz 2 HGB zulässige Verlängerung der einjährigen Verjährungsfrist erzielbar wäre (vgl 8 Ob 527/82 = SZ 56/53 = EvBl 1983/159), stellt sich nicht.

Mangels Ablaufes der einjährigen Verjährungsfrist ist die in der (österreichischen und deutschen) Judikatur und Lehre unterschiedlich beantwortete Frage (siehe die Nachweise bei Schütz aaO § 414 Rz 5; RIS-Justiz RS0034263), ob die einjährige Frist des § 414 HGB auf Schadenersatzansprüche wegen schuldhafter Verletzung der Obhutspflicht anzuwenden ist oder insoweit die dreijährige Verjährungsfrist des § 1489 ABGB zu gelten hat, nicht zu klären. Keiner Erörterung bedarf auch die Anwendbarkeit des § 423 HGB auf den Schadenersatzanspruch, der auf die Rückzahlung des durch den Verlust der Teppiche teilweise frustriert gewordenen Lagergeldes (6 Ob 7/06g = RdW 2006/326 = ecolex 2006/198 = wbl 2006, 382) gerichtet ist.

5. § 417 Abs 1 HGB verweist zu den Rechten und Pflichten des Lagerhalters auf die für den Kommissionär geltenden Vorschriften der §§ 388 bis 390. Der Lagerhalter haftet demnach für den Verlust des gelagerten Gutes, es sei denn, dass der Verlust auf Umständen beruht, die auch durch die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes nicht abgewendet werden konnten (Schütz aaO § 417 Rz 5; Koller aaO § 417 dHGB aF Rn 7; Schröder aaO § 417 dHGB aF Rn 2). Der unaufgeklärt gebliebene Verlust der Teppiche geht zu Lasten der Beklagten, die den ihr obliegenden Beweis, ohne ihr Verschulden trotz ausreichender Sicherungsmaßnahmen an der gänzlichen Rückgabe des eingelagerten Gutes gehindert worden zu sein, nicht erbracht hat (Schütz aaO;

Frantzioch aaO § 417 dHGB aF Rn 15; Koller aaO § 417 dHGB Rn 12;

Schröder aaO § 417 dHGB Rn 5; RIS-Justiz RS0062762; vgl 1 Ob 2374/96s mwN zum Speditionsgeschäft; vgl RIS-Justiz RS0018994 zu § 964 ABGB).

6. Die Beklagte hat aus diesen Erwägungen sowohl den Wert der verlorenen Teppiche zu ersetzen als auch das anteilige Lagergeld rückzuerstatten. Dieses ist nämlich sinnlos bezahlt und wegen Wertlosigkeit der Leistung des Lagerhalters frustriert (6 Ob 7/06g). Die Höhe der erhobenen Entschädigungsansprüche hat die Beklagte nie konkret bestritten; sie ist daher nicht zu prüfen.

Aus diesen Erwägungen war der Revision Folge zu geben, das erstinstanzliche Urteil war wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO; für die Revision stehen dem Kläger anstelle der verzeichneten 180 % nur 60 % Einheitssatz zu.

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