OGH 2Ob240/74

OGH2Ob240/7431.10.1974

SZ 47/117

Normen

ABGB §36
ABGB §1295
ABGB §36
ABGB §1295

 

Spruch:

Erfüllt die im Zuge der Beförderung durch einen inländischen Autobus im Ausland vorgekommene Körperverletzung eines Insassen gleichzeitig den Tatbestand einer Vertragsverletzung und einer unerlaubten Handlung, dann ist sowohl Vertrags als auch Deliktshaftung gegeben

OGH 31. Oktober 1974, 2 Ob 240/74 (OLG Wien 9 R 75/74; LGZ Wien 25 Cg 878/73)

Text

Der Beklagte ist Halter des Autobusses Mercedes-Benz mit dem polizeilichen Kennzeichen W 70 ... Dieser Autobus war am 11. September 1971 in Ungarn an einem Verkehrsunfall, nämlich an einem Zusammenstoß mit einem Fahrzeug mit ungarischem Kennzeichen, beteiligt. Der Kläger war zur Zeit dieses Unfalles Insasse des genannten Autobusses.

Der Kläger verlangt vom Beklagten Zahlung eines Schadenersatzbetrages von 17.402 S samt Anhang, in dem ein Anspruch auf Zahlung eines Schmerzengeldes von 14.000 S samt Anhang enthalten ist. Der Kläger brachte dazu im wesentlichen vor, er habe bei dem Unfall vom 11. September 1971 Körper- und Sachschaden erlitten. Den Unfall habe der Fahrer des Autobusses zumindest mitverschuldet. Der Beklagte hafte für den dem Kläger erwachsenen Schaden als Fahrzeughalter, subsidiär auch wegen des Verschuldens des Autobuslenkers und schließlich auch auf Grund des zwischen den Streitteilen geschlossenen Beförderungsvertrages. Kläger und Beklagter seien österreichische Staatsbürger.

Der Beklagte beantragte Abweisung des Klagebegehrens. Er wendete ein, den Autobuslenker treffe an dem Unfall kein Verschulden. Der Unfall sei vielmehr ausschließlich von dem Lenker des ungarischen Fahrzeuges verschuldet worden. Der Kläger habe keine Verletzungen erlitten. Sollte das aber doch der Fall sein, dann sei das verlangte Schmerzengeld weit überhöht. Außerdem sei nach dem hier anzuwendenden ungarischen Recht ein Anspruch auf Schmerzengeld überhaupt nicht gegeben.

Der Kläger erwiderte hierauf, das ungarische Recht schließe einen Schmerzengeldanspruch nicht aus. Die diesbezüglich gegenteilige Rechtsprechung der ungarischen Gerichte sei in Österreich nicht zu beachten, weil sie gegen den österreichischen ordre public verstoße.

Das Erstgericht wies das auf Zahlung eines Schmerzengeldes von 14.000 S samt Anhang gerichtete Begehren mit Teilurteil aus folgenden rechtlichen Erwägungen ab:

Wenn auch Kläger und Beklagter österreichische Staatsbürger seien, sei auf den Schmerzengeldanspruch des Klägers das Recht des Unfallortes, also ungarisches Recht, anzuwenden.

Seit dem Jahre 1953 sei die ungarische Rechtsprechung dahin gegangen, daß als Schadenersatz nur der Ersatz des Vermögensschadens gefordert werden könne und daß Nachteile immaterieller Natur nicht ersatzfähig seien, weil es mit der moralischen Auffassung des Sozialismus unvereinbar sei, körperliche oder seelische Schmerzen in Geld aufzuwiegen.

Die Bestimmungen des ungarischen Zivilgesetzbuches aus dem Jahre 1959 seien offenkundig auf Vermögensschäden abgestellt und enthalten keine ausdrückliche Bestimmung über eine finanzielle Abgeltung von Schmerzen. Die ungarische Rechtsprechung stehe daher mit dem ungarischen Gesetz nicht in Widerspruch.

Wenn die österreichischen Gesetze im Gegensatz zum ungarischen Recht und zur ungarischen Rechtsprechung einen Schmerzengeldanspruch bejahen, sei dies kein Grund, im vorliegenden Fall nicht ungarisches, sondern österreichisches Recht anzuwenden. Die Anwendung des Rechtes des Unfallortes wäre nur dann abzulehnen, wenn dieses etwa strafgesetzlichen Bestimmungen oder elementaren Menschenrechten widerspräche. Das sei aber nicht der Fall.

Da nach den somit anzuwendenden ungarischen Gesetzen und der ungarischen Rechtsprechung für Schmerzen eine Entschädigung in Geld nicht vorgesehen sei, sei das Begehren auf Zuerkennung eines Schmerzengeldes abzuweisen.

Die dagegen erhobene Berufung des Klägers hatte Erfolg. Das Berufungsgericht hob das angefochtene Teilurteil unter Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Sache an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung. Es ging dabei von folgenden Erwägungen aus:

Da der Unfall sich in Ungarn ereignet habe, sei nach der herrschenden Rechtsprechung auch der auf die Halterhaftung gestützte Schadenersatzanspruch des Klägers nach ungarischem Recht zu beurteilen. Nach § 358 Abs. 1 des ungarischen Zivilgesetzbuches aus dem Jahre 1959 sei nur der Vermögensschaden zu ersetzen. Überdies sei bei der Anwendung ausländischen Rechtes auch Lehre und Rechtsprechung des betreffenden Auslandes zu berücksichtigen.

Im vorliegenden Fall seien jedoch besondere Umstände vorhanden, die die Wahl eines anderen Anknüpfungspunktes als den des Deliktstatutes erfordern. So sei der Schaden, wenn auch auf einer Fahrt im Ausland, so aber doch innerhalb eines österreichischen Autobusses eingetreten. Ferner stützte der Kläger seinen Anspruch auch auf einem mit dem Beklagten geschlossenen Beförderungsvertrag. Aus einem Vertrag abgeleitete Schadenersatzansprüche richten sich nach dem Vertragsstatut auf einen in Österreich geschlossenen Beförderungsvertrag wäre österreichisches Recht anzuwenden. Zu den Pflichten eines Unternehmers aus dem Beförderungsvertrag gehöre es, für die sichere Beförderung des Vertragspartners zu sorgen. Erleide dieser dadurch einen Schaden, daß der Unternehmer diese Verpflichtung verletzt, dann bestehe eine Haftung aus dem Beförderungsvertrag. Für ein Verschulden des Autobuslenkers hätte der Unternehmer nach § 1313a ABGB wie für sein eigenes einzustehen.

Die Entscheidung, ob der Schmerzengeldanspruch des Klägers zu Recht bestehe, hänge daher zunächst davon ab, ob zwischen den Streitteilen ein Beförderungsvertrag geschlossen worden sei. Sei dies der Fall, dann wären das Verschulden des Autobuslenkers an dem Unfall und gegebenenfalls die Art der Verletzung des Klägers sowie die dadurch bedingten Schmerzen zu prüfen. Solange diese Umstände nicht geklärt seien, sei die Sache nicht spruchreif.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs des Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Der Beklagte vertritt die Ansicht, für Ansprüche aus einem Verkehrsunfall sei grundsätzlich das Recht des Unfallortes maßgeblich, sofern es nur nicht gegen den ordre public verstoße. Das müsse auch dann gelten, wenn diese Ansprüche auf einen in Österreich zwischen Österreichern geschlossenen Beförderungsvertrag gestützt werden. Es sei hier das Prinzip zu verwirklichen, daß die aus einem Unfall abgeleiteten Ersatzansprüche hinsichtlich der "inneren und äußeren Beziehungen" nach ein und demselben Recht beurteilt werden. Eine andere Lösung wäre nicht praktikabel. Außerdem könne sich eine Haftung aus einem Beförderungsvertrag niemals auf einen Verkehrsunfall beziehen, es wäre denn, daß eine Übertretung einer Schutznorm durch den Unternehmer oder dessen Erfüllungsgehilfen vorliege. Das sei hier aber nicht der Fall, denn es habe eine vertragswidrige Handlung oder Unterlassung nicht Platz gegriffen.

Diesen Ausführungen kann nicht beigepflichtet werden. Das vom Beklagten behauptete Prinzip der Einheit der Rechtsanwendung, daß nämlich alle sich aus einem Unfallereignis ergebenden Ansprüche und Rechtsbeziehungen nur nach dem Recht eines einzigen Staates beurteilt werden dürfen, ist dem österreichischen internationalen Privatrecht unbekannt. Der Rekurswerber vermag für seine Rechtsansicht auch weder eine Rechtsquelle, noch eine Belegstelle aus Lehre oder Rechtsprechung anzuführen.

Hinsichtlich der Frage des anzuwendenden Rechtes wird zwischen der Haftung aus Delikt bzw. Quasidelikt einerseits und der Haftung aus Vertragsverletzung anderseits unterschieden. Im österreichischen Recht fehlt zwar eine Bestimmung darüber, nach welchem Recht Schuldverhältnisse aus unerlaubter Handlung beurteilt werden sollen. In der österreichischen Rechtslehre wird aber fast allgemein angenommen, daß für solche Schuldverhältnisse das Recht des Ortes zu gelten hat, wo die deliktische Handlung begangen wurde. Für alle Verpflichtungen aus deliktsähnlichen Vorgängen sind die Gesetze des Ortes maßgebend, wo das schädigende Ereignis eingetreten ist. Hieher gehört vor allem die Haftung für die Betriebsgefahr, insbesondere des Eisenbahnuntennehmers und des Halters eines Kraftfahrzeuges. Hier kommt es also auf den Ort des Unfalles an (vgl. hiezu Klang I/1[2], 242, 243 und die dort zitierte Lehre). Dem folgte auch die Rechtsprechung (vgl. dazu SZ 29/45; EvBl. 1962/268 = ZVR 1962/149 = SZ 35/23; JBl. 1965, 517; JBl. 1971, 93; ZVR 1973/36; ZVR 1973/179; EvBl. 1974/180, zuletzt 8 Ob 33/74).

Hingegen ist nach § 36 ABGB auf im Inland geschlossene Verträge

grundsätzlich und, wenn sie von Inländern geschlossen werden,

jedenfalls österreichisches Recht anzuwenden (vgl. dazu auch Klang

I/1[2] 237). Ersatzansprüche aus einem im Inland zwischen

Österreichern geschlossenen Beförderungsvertrag sind daher nach

österreichischem Recht zu beurteilen, mag sich auch der Schadensfall

im Ausland ereignet haben (ZVR 1956/22 und JBl. 1962, 205 = ZVR

1962/114 = EvBl. 1962/140 = SZ 34/193).

Der Kläger kann daher seinen Anspruch auf Zahlung eines Schmerzengeldes weder auf die Deliktshaftung nach dem Allgemeinen burgerlichen Gesetzbuch noch auf die Gefährdungshaftung nach dem Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz stützen, weil der Anspruch in dieser Richtung nach ungarischem Recht zu beurteilen wäre, das nach § 358 Abs. 1 des ungarischen Zivilgesetzbuches aus 1959 nur den Ersatz des Vermögensschadens kennt, dem Verletzten aber kein Schmerzengeld zubilligt. In dieser Regelung hat der Oberste Gerichtshof einen Verstoß gegen den ordre public nicht erblickt (EvBl. 1974/180 und 8 Ob 33/74).

Der vom Rekurswerber vertretenen Meinung, daß der Anspruch auf Zahlung eines Schmerzengeldes nur auf die Deliktshaftung oder die Halterhaftung des Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetzes, nicht aber auch auf eine Vertragsverletzung (Verletzung des Beforderungsvertrages) gestützt werden könne, kann nicht beigepflichtet werden. Gegenstand eines Personenbeförderungsvertrages ist die entgeltliche Beförderung einer Person von einem Ort zum anderen. Eine wichtige Nebenverpflichtung aus diesem Vertrag besteht darin, daß die zu befördernde Person unversehrt an ihren Bestimmungsort gebracht wird (SZ 28/87, SZ 34/50 u. a.). Die Unterlassung einer Körperverletzung der beförderten Person ist also Vertragsinhalt (Wussow, Unfallhaftpflichtrecht[11], 440). Erfüllt die im Zuge der Beförderung vorgekommene Körperverletzung gleichzeitig den Tatbestand einer Vertragsverletzung und einer unerlaubten Handlung, dann ist sowohl Vertrags- als auch Deliktshaftung gegeben (Geigel, Haftpflichtprozeß[15], 921 und 977), wobei es im Falle der Vertragshaftung Sache des Unternehmers sein wird, den Beweis zu fuhren, daß sich der Unfall ohne ein von ihm zu vertretendes Verschulden ereignet hat (§ 1298 ABGB; vgl. dazu auch Wussow, 440). Für ein Verschulden des Autobuslenkers hätte der Beklagte, wie das Berufungsgericht richtig ausgeführt hat, im Falle der Vertragshaftung nach § 1313a ABGB wie für sein eigenes zu haften.

Dem Berufungsgericht ist somit beizupflichten, daß die Sache noch nicht spruchreif ist und daß es zur Herbeiführung der Spruchreife der im Beschluß des Berufungsgerichtes angeführten Ergänzungen bedarf; festzustellen wird aber auch sein, ob der Beförderungsvertrag im Inland abgeschlossen wurde.

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