OGH 2Ob230/05w

OGH2Ob230/05w20.10.2005

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Dr. Baumann, Hon. Prof. Dr. Danzl und Dr. Veith als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Vasile S*****, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Werner Schwarz KEG in Oberpullendorf, gegen die beklagten Parteien 1.) Andreas T*****, 2.) D***** AG, *****, beide vertreten durch Dr. Oswin Lukesch und andere Rechtsanwälte in St. Pölten, wegen Feststellung (Streitwert EUR 5.000,‑ ‑), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten als Berufungsgericht vom 24. Mai 2005, GZ 21 R 118/05v‑14, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Lilienfeld vom 21. Februar 2005, GZ 2 C 599/04b‑6, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2005:0020OB00230.05W.1020.000

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 1.801,38 (darin EUR 203,06 USt und EUR 583,‑- Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

Am 23. 2. 2003 ereignete sich gegen 20.30 Uhr auf einer Landesstraße ein Verkehrsunfall, an dem der Kläger mit seinem PKW Opel Kadett und der damals 16‑jährige Oliver M***** (im Folgenden kurz: Oliver) mit dem vom Erstbeklagten gehaltenen und bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten PKW Mercedes beteiligt waren. Das Alleinverschulden an diesem Unfall trifft Oliver, der über keine Lenkerberechtigung verfügte, mit überhöhter Geschwindigkeit fuhr, dadurch die Kontrolle über das Fahrzeug des Erstbeklagten verlor, auf die Gegenfahrbahn geriet und frontal das Fahrzeug des Klägers rammte. Mit prätorischem Vergleich anerkannte er seine Haftung für sämtliche zukünftige Schäden des Klägers aus diesem Verkehrsunfall. Die Forderungen des Klägers aus dem Unfall übersteigen eventuell die Haftungshöchstsummen nach dem EKHG, möglicherweise erleidet der Kläger einen Verdienstentgang bis zu seinem Lebensende.

Der Kläger begehrte die Feststellung der Haftung der beklagten Parteien für alle künftigen Schäden - somit über die Haftungshöchstbeträge des EKHG hinaus - hinsichtlich der Zweitbeklagten allerdings beschränkt auf die Haftpflichtversicherungssumme. Das Verschulden des Erstbeklagten gehe über die bloße Ermöglichung der Schwarzfahrt hinaus und habe die Allgemeinheit unmittelbar gefährdet. Der Erstbeklagte habe die Fahrzeugschlüssel ungesichert verwahrt, der Schlüsselbund sei mit den Fahrzeugschlüsseln an der Innenseite der Hauseingangstür gesteckt, obwohl die Hauseingangstür nicht versperrt gewesen sei und der Erstbeklagte gewusst habe, dass Oliver zuvor auf einem Faschingsumzug gewesen sei, dort Alkohol konsumiert habe und in weiterer Folge zu ihm kommen werde.

Die Beklagten anerkannten die Haftung für sämtliche zukünftigen Schäden aus dem Verkehrsunfall im Umfang der Haftungssummen nach dem EKHG. Darüber hinaus treffe sie aber keine Haftung. Ein Fehlverhalten des Erstbeklagten über die Ermöglichung der Benutzung des KFZ hinaus sei nicht vorgelegen. Für den Erstbeklagten habe es überhaupt keine Anhaltspunkte gegeben, dass Oliver, der zum Unfallszeitpunkt nicht in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gewesen sei, sich die Fahrzeugschlüssel aneignen und das Fahrzeug des Erstbeklagten unbefugt gebrauchen werde.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Über den eingangs wiedergegebenen unstrittigen Sachverhalt hinaus ging es im Wesentlichen von folgenden Feststellungen aus:

Der Erstbeklagte führte einen Mercedes‑Benz‑Klub, bei dem unter anderem Oliver und weitere Freunde Mitglieder waren. Die Klubtreffen fanden jeden Freitagabend im Haus des Erstbeklagten statt. Der Erstbeklagte hatte zu diesem Zweck in seinem alten Wohnzimmer eine Bar aufgebaut. An den Klubabenden pflegten die Mitglieder Zeitschriften mit Mercedes‑Modellen zu betrachten, Dart zu spielen oder mit der Playstation Autorennen zu veranstalten.

Den Mitgliedern des Mercedes‑Benz‑Klubs, so auch Oliver, war bekannt, dass der Erstbeklagte, der in der Haushaltsführung eher schlampig war, die Autoschlüssel zusammen mit seinen anderen Schlüsseln an einem Schlüsselbund verwahrte, den er üblicherweise an der Innenseite der Haustür stecken ließ.

Im Februar 2003 machte Oliver gerade den Führerschein im Rahmen der Ausbildung L 17, wobei er die erforderlichen Übungsfahrten mit seiner Mutter oder seinem Vater absolvierte. Zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt vor Februar 2003 erlaubte ihm der Erstbeklagte, mit seinem damaligen Auto auf einer Privatstraße zu fahren. Die Fahrt fand damals unter Aufsicht des Erstbeklagten statt. Den Unfallwagen, einen Mercedes E 290, erwarb der Erstbeklagte erst rund zwei Wochen vor dem Unfall um EUR 16.500,‑ ‑. Der Erstbeklagte unterhielt sich mit Oliver, der sich für Autos interessierte, über den Wagen.

Am Faschingssonntag, den 23. 2. 2003, fand im Ort ein Faschingsumzug statt. Der Erstbeklagte, Oliver und weitere Freunde putzten an diesem Tag in der Einfahrt des Erstbeklagten einen Wagen auf, mit dem sie schließlich auch am Faschingsumzug teilnahmen. Während des Umzuges wurde Bier konsumiert. Gegen Abend ging der angeheiterte Erstbeklagte früher nach Hause, weil er müde war und sich ausruhen wollte. Die Freunde vereinbarten noch, dass sie sich später beim Erstbeklagten treffen würden, um dort Playstation zu spielen oder fernzusehen, bevor sie noch einmal weggehen wollten. Demgemäß begaben sich die Freunde dann zum Haus des Erstbeklagten und spielten dort Playstation. Der Erstbeklagte pflegte seine Haustür üblicherweise tagsüber nicht abzusperren, an diesem Tag hielt er die Tür aber bewusst unversperrt, weil er ja noch seine Freunde erwartete. Der Erstbeklagte, der sein Schlafzimmer im Obergeschoss seines Hauses hatte, kam jedenfalls noch einmal zu den Freunden herunter ins Erdgeschoss, legte sich aber dann wieder nach oben in sein Bett. Oliver und ein Freund hingegen beschlossen noch einmal wegzugehen. Oliver ging zum Erstbeklagten hinauf ins Obergeschoss, um ihn zu fragen, ob er mit ins Feuerwehrhaus kommen wolle. Der Erstbeklagte lehnte ab.

Als Oliver und sein Begleiter das Haus verließen, nahm Oliver den Schlüsselbund des Erstbeklagten mit, der - wie üblich - innen an der Haustür steckte. Er ging mit den Schlüsseln zum Mercedes des Erstbeklagten, der vor der hauseigenen Garageneinfahrt geparkt war, sperrte das Auto auf und setzte sich auf den Fahrersitz, sein Begleiter auf den Beifahrersitz. Sie saßen noch eine Zeitlang im Auto und hörten Radio. Oliver kam dann auf die Idee, mit dem Auto zum Fest im Feuerwehrhaus hinunter zu fahren. So begann die Schwarzfahrt, die mit dem klagsgegenständlichen Unfall endete. Zum Unfallszeitpunkt war Oliver nicht alkoholisiert. Er hatte damals bereits 1.700 Übungskilometer im Rahmen seiner Führerscheinausbildung absolviert.

Rechtlich vertrat das Erstgericht die Auffassung, der Erstbeklagte habe ein Verschulden nach dem ABGB zu vertreten, weil er eine nicht nur unbefugte, sondern eine ungewöhnliche, gefährliche Benützung des Fahrzeuges durch einen Fahrer ohne Führerschein ermöglich habe; es sei von einer mangelhaften Verwahrung des Autoschlüssels auszugehen. Der Erstbeklagte hätte befürchten müssen, dass Oliver eine günstige Gelegenheit ausnützen würde, um den erst vor zwei Wochen vom Erstbeklagten erworbenen Mercedes auszuprobieren, um sein Fahrkönnen auszutesten und vor seinen Freunden anzugeben. Wegen des Faschingstreibens hätte der Erstbeklagte auch damit rechnen müssen, dass die Hemmschwelle seiner Freunde entsprechend herabgesetzt sein würde.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Parteien dahin Folge, dass deren Haftung durch die Haftungshöchstbeträge nach §§ 15, 16 EKHG (die Haftung der Zweitbeklagten überdies durch die Haftpflichtversicherungssumme) beschränkt sei; das Mehrbegehren auf Feststellung einer über die Haftungshöchstbeträge hinausgehenden Haftung wurde abgewiesen. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes EUR 4.000,‑ ‑, nicht aber EUR 20.000,‑- übersteige und dass die ordentliche Revision zulässig sei. Ausgehend von den Sachverhaltsfeststellungen des Erstgerichtes führte es zur Rechtsrüge unter anderem Folgendes aus:

Dass ein Schlüsselbund mit den Fahrzeugschlüsseln an der Innenseite einer Haustür stecke, sei wohl allgemein üblich; dass die Haustür an diesem Tag vom Erstbeklagten nicht versperrt gewesen sei, sei im ländlichen Bereich einerseits nicht ungewöhnlich und andererseits darauf zurückzuführen, dass die Freunde des Erstbeklagten ja noch einen Besuch angekündigt hatten. In diesem Fall würde man die Halterpflicht nach § 102 Abs 6 KFG tatsächlich überspannen, würde man von einem Halter wie dem Erstbeklagten verlangen, dass er den Fahrzeugschlüssel von seinem Schlüsselbund herunternehme und irgendwo wegsperre, nur weil er wisse, dass Freunde von ihm, die grundsätzlich auch am Mercedes interessiert und autobegeistert seien, nach einem Faschingsumzug noch zu ihm auf Besuch kämen. Der Erstbeklagte habe daher die Schwarzfahrt des Oliver im Sinn des § 6 Abs 1 EKHG schuldhaft ermöglicht, eine darüber hinausgehende Verletzung von Halterpflichten, insbesondere des Schutzgesetzes nach § 102 Abs 6 KFG könne aber nicht angenommen werden.

Die ordentliche Revision sei zuzulassen gewesen, weil Einzelentscheidungen des Obersten Gerichtshofes (2 Ob 2277/96h; ZVR 1963/88) einen überaus strengen Sorgfaltsmaßstab des Halters auch im Zusammenhang mit der Schutzgesetzverletzung nach § 102 Abs 6 KFG vertreten würden; demnach habe es der Halter, unabhängig davon, ob er von einer Neigung eines Schwarzfahrers zu Schwarzfahrten gewusst habe oder nicht, zu verantworten, wenn der mangelhaft verwahrte Zündschlüssel in die Hand einer Person gelange, die ohne Führerschein das Fahrzeug benütze. Die Entscheidung des Berufungsgerichtes könnte als Abweichung von dieser Rechtsprechungslinie verstanden werden.

Gegen diese Berufungsentscheidung richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das erstgerichtliche Urteil wiederherzustellen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagten Parteien beantragen in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

 

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht - wie es selbst vermutet hat - von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen ist; sie ist auch berechtigt.

Der Rechtsmittelwerber macht im Wesentlichen geltend, der Erstbeklagte habe durch mangelhafte Verwahrung des Zündschlüssels nicht bloß eine unbefugte, sondern eine von vornherein ungewöhnliche und gefährliche Benutzung seines KFZ durch einen Fahrer ohne Führerschein ermöglicht.

Hiezu wurde erwogen:

Im drittinstanzlichen Verfahren ist strittig, ob die beklagten Parteien über die betraglich begrenzte Gefährdungshaftung des Halters für Schwarzfahrten gemäß § 6 EKHG hinaus eine betraglich nicht beschränkte Verschuldenshaftung nach ABGB trifft.

Voraussetzung einer solchen Verschuldenshaftung ist es nach ständiger Rechtsprechung, dass das Verschulden des Halters über die Ermöglichung einer unbefugten Benützung des KFZ hinaus geht, insbesondere wenn er die Allgemeinheit unmittelbar gefährdet und ein Schutzgesetz im Sinne des § 1311 ABGB verletzt. Eine solche Schutznorm ist § 102 Abs 6 KFG, wobei diese - ausdrücklich nur an den Lenker gerichtete - Bestimmung sinngemäß auch auf den Halter anzuwenden ist. Nach dieser Bestimmung ist ein Lenker, wenn er sich so weit oder solange von seinem KFZ entfernt, dass er es nicht mehr überwachen kann, verpflichtet, dafür zu sorgen, dass das Fahrzeug von Unbefugten nur durch Überwindung eines beträchtlichen Hindernisses in Betrieb genommen werden kann. Aus dem Verständnis des § 102 Abs 6 KFG als Schutznorm ergibt sich, dass es nicht darauf ankommt, ob der Halter die Benützung durch eine andere Person vorhersehen konnte. Der Zufall geht zu seinen Lasten. Der Halter muss bis an die Grenze des unabwendbaren Zufalles alles tun, was ihm billigerweise zur Verhütung einer Schwarzfahrt zugemutet werden kann; an seine Sorgfaltspflicht sind die strengsten Anforderungen zu stellen. Ein besonderes Maß an Sorgfalt und Vorsicht muss dann verlangt werden, wenn mit der Möglichkeit einer Schwarzfahrt durch Personen gerechnet werden muss, die mit dem Fahrzeughalter in einer besonderen, eine solche Fahrt erleichternden Beziehung stehen, und daher eine besondere Gefahr der Schwarzfahrt besteht. Diese Grundsätze gelten nicht nur für die Lösung der Frage, ob die Schwarzfahrt im Sinne des § 6 Abs 1 EKHG schuldhaft ermöglicht wurde, sondern sind auch dafür maßgebend, ob eine Verletzung des § 102 Abs 6 KFG vorliegt (2 Ob 2277/96h = ZVR 1999/108; RIS‑Justiz RS0038554; vgl RS0023338, RS0027633, RS0058440, RS0058470, RS0058473, RS0058478; RS0066009; Apathy, EKHG § 6 Rz 25 f mwN; Schauer in Schwimann VIII2 § 6 EKHG Rz 22 mwN; Danzl, EKHG7 § 6 E 52).

Aus der umfangreichen kasuistischen Rechtsprechung ist wegen der Ähnlichkeit des Sachverhaltes die Entscheidung 2 Ob 49/89 = ZVR 1990/88 hervorzuheben: In dieser wurde einem Halter, der ebenfalls den Schlüsselbund, an dem sich auch der Zündschlüssel befand, im Haustürschloss für den späteren Schwarzfahrer erkennbar und frei zugänglich stecken ließ, ein Verstoß gegen die streng auszulegende Bestimmung des § 102 Abs 6 KFG angelastet. Auch dort hatte der Halter den Zündschlüssel überhaupt nicht verwahrt, sondern ihn ohne jede Vorsichtsmaßnahme dem Zugriff des Schwarzfahrers ausgesetzt. Damals hatte der Halter Kenntnis nicht nur vom Mangel der Lenkerberechtigung, sondern auch von einer strafgerichtlichen Verurteilung des Schwarzfahrers wegen unbefugter Inbetriebnahme von KFZ. Eine solche Vorstrafe liegt hier nicht vor, jedoch bestand im Hinblick auf Faschingsstimmung und Autobegeisterung der Klubmitglieder ebenfalls eine erkennbare Risikosituation - mag es nun überhaupt auf die Vorhersehbarkeit der KFZ‑Benutzung durch eine Person ohne Lenkerberechtigung ankommen oder bereits die Nichtverhinderung der Inbetriebnahme durch eine solche Person als risikoerhöhende Gefährdung der Allgemeinheit genügen (vgl 2 Ob 2277/96h sowie insbesondere Apathy aaO Rz 26 mwN).

Die zu Lasten des Geschädigten vorgenommene Wertung des Berufungsgerichtes steht - anders als die des Erstgerichtes - mit den strengen Maßstäben der Judikatur des Obersten Gerichtshofes nicht in Einklang, weshalb das erstgerichtliche Urteil wiederherzustellen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

 

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte