OGH 2Ob2277/96h

OGH2Ob2277/96h9.7.1998

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Angst als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Gerstenecker als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Wiener Gebietskrankenkasse, 1101 Wien, Winerbergerstraße 15-19, vertreten durch Rechtsanwälte Dr.Amhof & Dr.Damian Partnerschaft in Wien, wider die beklagten Parteien 1.) Maria R***** , und 2.) *****Versicherungs-AG, ***** beide vertreten durch Rechtsanwaltssozietät Eisenberger-Herzog-Nierhaus-Forcher & Partner in Graz, wegen S 184.866,02 sA und Feststellung, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 20.Juni 1996, GZ 4 R 45/96m-15, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz vom 8.März 1996, GZ 21 Cg 120/95d-10, bestätigt wurde,

1. zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision der zweitbeklagten Partei wird nicht Folge gegeben.

Die zweitbeklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 4.871,04 (darin S 811,84 Umsatzsteuer und keine Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

2. den

Beschluß

gefaßt:

Die Revision der erstbeklagten Partei wird zurückgewiesen.

Die Parteien haben die hierauf entfallenden Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 12.9.1992 ereignete sich in Vorau, Schachen, ein Verkehrsunfall, an dem ein bei der klagenden Gebietskrankenkasse sozialversicherter Motorradlenker und der Ehemann der Erstbeklagten mit einem von ihr gehaltenen und bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversicherten Fahrzeug beteiligt waren. Der Unfall wurde vom Ehemann der Erstbeklagten verschuldet. Er hatte keine Lenkerberechtigung für das von ihm gelenkte Fahrzeug und befand sich in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand. Wegen des Unfalls wurde er strafgerichtlich verurteilt.

Die klagende Partei hat an ihren Versicherten Versicherungsleistungen von S 214.098,02 erbracht; künftige Pflichtleistungen sind nicht ausgeschlosssen.

Der Ehemann der Erstbeklagten verstarb am 25.6.1993. Die Erstbeklagte erhielt aus dem Nachlaß zufolge ihrer bedingten Erbserklärung S 460.897,46.

Der Ehemann der Erstbeklagten hatte Alkoholprobleme. Ihm war infolge Lenkens von Kraftfahrzeugen im alkoholisierten Zustand mehrmals der Führerschein entzogen worden, es war aber nicht amtsbekannt, ob er trotz des Führerscheinentzuges Kraftfahrzeuge lenkte. Bis zum Unfall war er auch nicht mit dem am Unfall beteiligten Kraftfahrzeug der Erstbeklagten gefahren, wohl aber mit ihrem vorherigen PKW. Die Erstbeklagte stellte am Unfallstag ihr Fahrzeug im Hof ab und verwahrte den Schlüssel wie gewohnt an einem Nagel an der Küchenwand. Dieser Aufbewahrungsort war ihrem Ehemann bekannt und für jeden, der die Küche betrat, frei zugänglich.

Die klagende Partei begehrt unter Berücksichtigung eines von einem Dritten bezahlten Betrages von S 29.232,- die Zahlung von S 184.866,02 sA und die Feststellung der Haftung der beklagten Parteien zur ungeteilten Hand für die künftigen Folgen des Verkehrsunfalles, wobei die Erstbeklagte als Halterin und als Erbin nach ihrem Ehemann, in diesem Fall beschränkt mit dem erhaltenen reinen Nachlaß, in Anspruch genommen wird und die Haftung der zweitbeklagten Partei auf die vereinbarte Versicherungssumme beschränkt bleiben soll. Es liege keine "echte", sondern eine "ermöglichte" Schwarzfahrt vor, weil das Aufhängen der Schlüssel in der Küche eine unzulängliche Verwahrung bedeute. Der Erstbeklagten müsse bekannt gewesen sein, daß ihr Ehemann ohne Lenkerberechtigung für PKWs auch ihr Fahrzeug benützt habe.

Die beklagten Parteien wendeten im wesentlichen ein, daß der Ehemann der Erstbeklagten den Unfall im Rahmen einer "echten" Schwarzfahrt verursacht habe. Das Fahrzeug sei ordnungsgemäß versperrt abgestellt gewesen, die Schlüssel seien in der nur für Hausbewohner zugänglichen Küche an einem Schlüsselbrett verwahrt worden. Von dort habe sie der Ehemann der Erstbeklagten in ihrer Abwesenheit an sich genommen. Er habe schon seit Jahren keine Lenkerberechtigung für PKWs gehabt, weil ihm diese wegen Alkoholisierung entzogen worden sei. Er habe auch keine Fahrleidenschaft gezeigt und das Unfallsfahrzeug nie in Betrieb genommen. Die Erstbeklagte hafte daher nur im Ausmaß des übernommenen reinen Nachlasses, die zweitbeklagte Partei im Hinblick auf eine "echte" Schwarzfahrt überhaupt nicht, für den Fall einer "ermöglichten" Schwarzfahrt nur im Rahmen der Haftungshöchstbeträge nach dem EKHG und nicht im Rahmen der vereinbarten Versicherungssumme.

Das Erstgericht gab, ausgehend vom eingangs wiedergegebenen Sachverhalt, dem Klagebegehren zur Gänze statt.

Es erörterte rechtlich, daß an die Sorgfaltspflichten eines Kraftfahrzeughalters strenge Anforderungen zu stellen seien. Der Halter müsse bis an die Grenze des unabwendbaren Zufalls alles tun, was ihm billigerweise zur Verhütung von Schwarzfahrten zugemutet werden könne. Die Erstbeklagte habe angesichts des oftmalien alkoholisierten Zustandes ihres Ehemannes mit der drohenden Gefahr einer Schwarzfahrt rechnen müssen. Die Verwahrung des Schlüssels an einem für alle Familienmitglieder frei zugänglichen Ort entspreche nicht einer ordnungsgemäßen Verwahrung.

Die beklagten Parteien bekämpften dieses Urteil nur insoweit, als die Haftung der zweitbeklagten Partei mit der Haftungssumme des Kraftfahrzeughaftpflichtversicherungsvertrages für den der Erstbeklagten gehörenden PKW angenommen und nicht mit der Haftungshöchstbeträgen nach dem EKHG in der zum Unfallszeitpunkt geltenden Fassung beschränkt wurde.

Das Berufungsgericht gab der Berufung nicht Folge.

Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und erörterte rechtlich, durch die mangelhafte Verwahrung des Fahrzeugschlüssel habe die Erstbeklagte ein Schutzgesetz (§ 102 Abs 6 KFG) verletzt und nicht nachgewiesen, daß bei Einhaltung des Schutzgesetzes (bessere Verwahrung der Fahrzeugschlüssel in einer für den Ehemann unerreichbaren Weise) der Unfall unterblieben wäre. Zu einer derartigen Verwahrung wäre sie aber verpflichtet gewesen, weil ihr bekannt gewesen sei, daß ihr Ehemann Alkoholprobleme hatte und mit ihrem früheren PKW gefahren ist, ohne im Besitz einer Lenkerberechtigung zu sein. Die Erstbeklagte habe daher einen über die bloße Ermöglichung der Schwarzfahrt hinausgehenden Sorgfaltsverstoß zu verantworten.

Das Berufungsgericht sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000,-- übersteigt und die ordentliche Revision nicht zulässig sei, dies im Hinblick auf die Einzelfallproblematik.

Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der beklagten Parteien mit dem Antrag die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß die Haftung der zweitbeklagten Partei mit den Haftungshöchstbeträgen des EKHG in der zum Unfallszeitpunkt geltenden Fassung beschränkt werde.

Die klagende Partei beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revison (mangels der Geltendmachung einer erheblichen Rechtsfrage) zurückzuweisen, allenfalls der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Erstbeklagten ist unzulässig, weil sie durch die damit angefochtene Entscheidung über die ausschließlich die zweitbeklagte Partei betreffende Beschränkung von deren Haftung nicht beschwert ist, zumal sie durch diese Entscheidung begünstigt wird, und ihr daher das - eine Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels bildende (SZ 61/6; ÖBl 1991, 38; ÖBl 1992, 267 uva) - Rechtsschutzinteresse fehlt.

Die Revision der zweitbeklagten Partei ist hingegen zulässig, weil die Frage, inwieweit der Halter eines Kraftfahrzeuges bzw dessen Haftpflichtversicherer über die "reine Gefährdungshaftung" hinaus für ein Verschulden an der Ermöglichung der Schwarzfahrt einzustehen hat, einer weiteren Klärung bedarf; sie ist jedoch nicht berechtigt.

Im Rechtsmittelverfahren ist die Haftung der beklagten Parteien wegen der schuldhaften Ermöglichung einer Schwarzfahrt nach § 6 Abs 1 EKHG nicht mehr strittig. Nach dieser Gesetzesstelle haftet der Halter nach Haftpflichtrecht für Schwarzfahrten, wenn sich sein Verschulden in der Ermöglichung der Benützung des Kraftfahrzeuges erschöpft. Dies bedeutet zunächst grundsätzlich, daß den Halter lediglich die Gefährdungshaftung nach dem EKHG trifft (Apathy, EKHG § 6 Rz 23 mwN). Hat das Verschulden des Halters aber eine darüber hinausgehende Bedeutung, insbesondere, wenn er eine Schutznorm im Sinn des § 1311 ABGB verletzt oder die Allgemeinheit unmittelbar gefährdet, dann haftet er für die Folgen der Schwarzfahrt nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts (Apathy, EKHG § 6 Rz 23; ZVR 1990/88). Eine solche Schutznorm ist § 102 Abs 6 KFG, wobei diese - ausdrücklich nur an den Lenker gerichtete - Bestimmung sinngemäß auch auf den Halter anzuwenden ist (Danzl, EKHG6 § 6 Anm 10 mwN).

Wenngleich sich die klagende Partei nicht ausdrücklich auf eine Verletzung des § 102 Abs 6 KFG berufen hat, reicht ihr im Verfahren erster Instanz erstattetes Tatsachenvorbringen aus und läßt es im Sinn der umfassenden Prüfungspflicht (SZ 68/141; RIS-Justiz RS0043352) geboten erscheinen, den vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt auch unter diesem Gesichtspunkt zu prüfen. Nach § 102 Abs 6 KFG ist ein Lenker verpflichtet, wenn er sich so weit oder so lange von seinem KFZ entfernt, daß er es nicht mehr überwachen kann, dafür zu sorgen, daß das Fahrzeug von Unbefugten nur durch Überwindung eines beträchtlichen Hindernisses in Betrieb genommen werden kann. Aus dem Verständnis des § 102 Abs 6 KFG als Schutznorm ergibt sich, daß es nicht darauf ankommt, ob der Halter die Benützung durch eine andere Person vorhersehen konnte. Der Zufall geht zu Lasten des Halters (vgl Apathy, EKHG § 6 Rz 26).

Es trifft weiters zu, daß der Halter bis an die Grenze des unabwendbaren Zufalls alles tun muß, was ihm billigerweise zur Verhütung einer Schwarzfahrt zugemutet werden kann; an seine Sorgfaltspflicht sind die strengsten Anforderungen zu stellen (Apathy, EKHG § 6 Rz 17 mwN; ZVR 1998/2). Ein besonderes Maß an Sorgfalt und Vorsicht muß dann verlangt werden, wenn mit der Möglichkeit einer Schwarzfahrt durch Personen gerechnet werden muß, die mit dem Fahrzeughalter in einer besonderen, eine solche Fahrt erleichternden Beziehung stehen, wie zum Beispiel Angehörige, und daher eine besondere Gefahr der Schwarzfahrt besteht (Apathy, EKHG § 6 Rz 20 mwN). Diese Grundsätze gelten nicht nur für die Lösung der Frage, ob die Schwarzfahrt im Sinn des § 6 Abs 1 EKHG schuldhaft ermöglicht wurde, sondern sind auch dafür maßgebend, ob eine Verletzung des § 102 Abs 6 KFG vorliegt.

Im vorliegenden Fall kommt es daher nicht darauf an, ob der Erstbeklagten bekannt war oder sein mußte, daß ihr Ehemann bereits mit ihrem Fahrzeug gefahren ist, ohne im Besitz der Lenkerberechtigung gewesen zu sein. In diesem Sinne hat der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen, daß sich ein Halter nicht dadurch entlasten könne, von einer Neigung eines Schwarzfahrers zu Schwarzfahrten nichts gewußt zu haben, weil er schlechthin zu verantworten habe, "wenn der mangelhaft verwahrte Zündschlüssel in die Hand einer Person gelangt, die, ohne einen Führerschein zu besitzen, das Fahrzeug benützt" (ZVR 1963/88).

Allein die Tatsache, daß der Erstbeklagten bekannt war, ihr Ehemann habe mit Alkoholproblemen zu kämpfen gehabt und daß ihm bereits wiederholt wegen Fahrens in alkoholisiertem Zustand der Führerschein abgenommen worden war, hätte sie zu einer besonders sorgfältigen Verwahrung der Fahrzeugschlüssel bewegen müssen, die gewährleistet hätte, daß die Inbetriebnahme des Fahrzeuges durch ihren Ehemann mit größter Wahrscheinlichkeit verhindert wird. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob die Verwahrung eines Fahrzeugschlüssels im ländlichen Raum an einer Schlüsselwand in einer nur Familienmitgliedern zugänglichen Stelle unter "normalen" Verhältnissen als ausreichend anzusehen ist. Im konkreten Fall wäre die Erstbeklagte zu einer weitergehenden Verwahrung verpflichtet gewesen.

Der Erstbeklagten ist daher eine Verletzung des § 102 Abs 6 KFG vorzuwerfen, die ihre Haftung nach den §§ 1293 ff ABGB und somit ohne Beschränkung auf die Haftungshöchstbeträge der §§ 15 f EKGH begründet. Dabei kann hier dahingestellt bleiben, ob die Verletzung der angeführten Bestimmung im Sinne der Ausführungen von Apathy (EKGH § 6 Rz 26) nicht in jedem Fall eine solche Haftung zur Folge hat. Im zu entscheidenden Fall liegen nämlich auch die von diesem Autor hiefür geforderten Voraussetzungen vor.

Haftet aber die Erstbeklagte als Halterin unbeschränkt, so haben die Vorinstanzen zu Recht die Haftpflicht der zweitbeklagten Partei nicht, wie sie in ihrem Rechtsmittel meint, mit den Höchstbeträgen des EKHG, sondern mit der zwischen den beklagten Parteien vereinbarten Versicherungssumme beschränkt.

Der Revision der zweitbeklagten Partei war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich bezüglich der zweitbeklagten Partei auf die §§ 41, 50 ZPO und bezüglich der Erstbeklagten auf die §§ 40, 50 ZPO. Die Revisionsbeantwortung kann insoweit nicht als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig im Sinne des § 41 Abs 1 ZPO angesehen werden, weil darin der dargelegte Zurückweisungsgrund nicht geltend gemacht wurde.

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