OGH 2Ob228/01w

OGH2Ob228/01w29.11.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B***** GmbH, ***** vertreten durch Dr. Roland Kometer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Dr. Herbert H***** als Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen der***** W***** GmbH, wegen S 500.400 sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 20. Juni 2001, GZ 2 R 188/01p-19, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 17. Jänner 2001, GZ 17 C 105/00b-15, bestätigt, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 24.140,88 (darin enthalten Umsatzsteuer von S 4.023,88, keine Barauslagen) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 12. 4. 1999 schloss die klagende Partei als Vermieterin mit der***** W***** GmbH einen Bestandvertrag über mehrere Geschäftsräumlichkeiten. Das Mietverhältnis sollte am 1. 11. 1999 beginnen und am 30. 10. 2009 ohne Notwendigkeit einer Kündigungserklärung enden. Der Mietzins betrug monatlich brutto S

166.800 zuzüglich Betriebskosten und Nebenkosten.

Noch vor Übergabe und Fertigstellung des Bestandobjektes wurde mit Beschluss vom 15. 10. 1999 über das Vermögen der genannten GmbH das Ausgleichsverfahren eröffnet und der Beklagte zum Ausgleichsverwalter bestellt. Nach Zurückziehung des Ausgleichsantrages durch die Schuldnerin wurde mit Beschluss vom 12. 11. 1999 der Anschlusskonkurs eröffnet und der Beklagte zum Masseverwalter bestellt.

Die klagende Partei begehrt die Zahlung von S 500.400 sA an Bestandzinsen für die Monate November 1999 bis Jänner 2000. Die Gemeinschuldnerin habe mit Schreiben vom 20. 10. 1999 den Rücktritt vom Mietvertrag erklärt. Unter Berücksichtigung der gesetzlichen Kündigungsfrist von drei Monaten habe das Mietverhältnis zum 31. 1. 2000 geendet.

Der Beklagte wendete ein, gemäß § 20b AO vom Bestandvertrag zurückgetreten zu sein, es seien daher keine Kündigungsfristen einzuhalten gewesen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und vertrat in rechtlicher Hinsicht die Ansicht, § 20b AO sei auf Bestandverhältnisse nur dann nicht anwendbar, wenn der Ausgleichsschuldner Bestandgeber sei. Sei der Ausgleichsschuldner Bestandnehmer, so gelange § 20b AO so lange zur Anwendung, als eine vollständige Vertragserfüllung durch den Bestandgeber noch nicht erfolgt sei. Dies sei hier nicht geschehen.

Das von der klagenden Partei angerufene Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, die ordentliche Revision sei nicht zulässig.

Das Berufungsgericht führte in rechtlicher Hinsicht aus, die Ausgleichsordnung enthalte - so wie die Konkursordnung - eigene Regelungen über die Auflösung von Bestandverträgen (§ 20c AO bzw § 23 KO). Daneben gebe es besondere Rücktrittsregelungen für zweiseitige Rechtsgeschäfte im Allgemeinen (§ 20b AO und § 21 KO). Die Sonderregelungen für Bestandverträge seien dann anzuwenden, wenn der Insolvenzschuldner eine Sache in Bestand genommen habe. Die Wendung "eine Sache in Bestand genommen hat" setze voraus, dass der Bestandvertrag bereits in Vollzug gesetzt worden sei, was durch die Übergabe der Bestandsache erfolge. Da auch Bestandverträge zweiseitige Rechtsgeschäfte seien, sei die grundsätzliche Anwendbarkeit der besonderen Rücktrittsregelungen nach § 20b AO bzw § 21 KO gegeben. Auch der Charakter als Dauerschuldverhältnis schließe die Anwendbarkeit dieser Regelungen nicht aus. Auch die in § 20c AO enthaltene Verweisungsregel spreche nicht gegen die grundsätzliche Anwendbarkeit des § 20b Abs 1 AO im Falle der Vermietung eines Objektes an den späteren Ausgleichsschuldner. Ein allgemeiner Ausschluss des § 20b AO sei nur in § 20c Abs 1 AO vorgesehen. § 20c Abs 2 AO verweise hinsichtlich der Zustimmung des Ausgleichsverwalters auf § 20b Abs 2 AO. Ein allgemeiner Ausschluss der Anwendbarkeit des § 20b Abs 1 AO auf Bestandverträge sei darin jedoch nicht vorgesehen. Habe der Ausgleichsschuldner die Sache bereits in Bestand genommen, so sei nur § 20c Abs 2 AO und damit § 20b Abs 2 AO anzuwenden. Sei der Bestandvertrag mangels Übergabe des Bestandobjektes allerdings noch nicht in Vollzug gesetzt worden, so gelange § 20b Abs 1 AO auch auf Bestandverträge zur Anwendung.

Im vorliegenden Fall sei die Bestandsache zum Zeitpunkt der ausgleichsbedingten und formgerechten Rücktrittserklärung vom 27. 10. 1999 noch nicht übergeben gewesen. Die Erklärung stelle somit eine Rücktrittserklärung im Sinne des § 20b Abs 1 AO dar und bedürfe nicht der Einhaltung einer Kündigungsfrist. Die geltend gemachten Bestandzinse für die Dauer der dreimonatigen Kündigungsfrist stünden der Klägerin daher nicht zu.

Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der klagenden Partei mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren vollinhaltlich stattgegeben werde.

Der Beklagte hat Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, das Rechtsmittel der klagenden Partei zurückzuweisen, in eventu, ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil es zur Frage, ab wann im Sinne des § 20c Abs 2 AO "eine Sache in Bestand genommen" ist, keine ausdrückliche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes gibt, sie ist aber nicht berechtigt.

Die klagende Partei macht in ihrem Rechtsmittel geltend, die vom Berufungsgericht zitierten Entscheidungen ZIK 1998, 165, EvBl 1998/114 und ZIK 1995, 184 könnten die von ihm vertretene Rechtsansicht nicht stützen bzw werde diese durch diese Entscheidungen sogar widerlegt. Der Zweck der im Insolvenzrecht vorgesehenen frühzeitigen Beendigung von Bestandverträgen durch den Masseverwalter - nämlich weitgehende Schonung der Konkursmasse - sei schon in den Bestimmungen der §§ 23 KO bzw 20c Abs 2 AO verwirklicht. Die klagende Partei habe schon Monate vor dem vereinbarten Übergabetermin auf ausdrücklichen Wunsch der späteren Gemeinschuldnerin kostspielige Umbaumaßnahmen durchgeführt, die es ihr unmöglich gemacht hätten, das Geschäftslokal anderweitig in Bestand zu geben. Dazu müssten wiederum kostspielige Umbaumaßnahmen durchgeführt werden. Deshalb werde nicht zuletzt auch der Sinn des § 23 KO bzw § 20c Abs 2 AO darin zu sehen sein, gegenüber dem Bestandgeber zumindest für den gesetzlichen Kündigungszeitraum die Miete als Masseforderung anzuerkennen, weil das Bestandobjekt der Gemeinschuldnerin zur Verfügung gestellt worden sei.

Hiezu wurde erwogen:

Gemäß § 20b Abs 1 AO kann der Ausgleichsschuldner von einem zweiseitigen Vertrag, der von dem Schuldner oder dem anderen Teil zur Zeit der Eröffnung des Ausgleichsverfahrens noch nicht oder nicht vollständig erfüllt worden ist, mit Zustimmung des Ausgleichsverwalters innerhalb eines Monats nach der öffentlichen Bekanntmachung des Eröffnungsbeschlusses zurücktreten. Diese Bestimmung gilt auch für (synallagmatische) Dauerschuldverhältnisse, soweit keine Sondervorschriften bestehen (Gamerith in Bartsch/Pollak/Buchegger, Österr. Insolvenzrecht, § 21 KO Rz 3 mwN).

Eine derartige Sonderregelung besteht allerdings für Bestandverträge gemäß § 20c Abs 1 AO bzw § 23 Abs 1 KO. Hat der Schuldner eine Sache in Bestand genommen, so kann er mit Zustimmung des Ausgleichsverwalters nach der öffentlichen Bekanntmachung des Eröffnungsbeschlusses den Vertrag unter Einhaltung der gesetzlichen oder der vereinbarten kürzeren Kündigungsfrist kündigen.

Strittig ist im vorliegenden Fall, ob die Überlassung des Bestandobjektes Voraussetzung für die Anwendung des § 20c Abs 2 AO (bzw des § 23 KO) ist. Der Wortlaut dieser Bestimmungen ist darüber nicht eindeutig. Es heißt lediglich: "Hat der Schuldner (bzw Gemeinschuldner) eine Sache in Bestand genommen, ... ". Das kann sowohl bedeuten, dass der Abschluss eines Bestandvertrages ausreicht, aber auch, dass das Bestandobjekt bereits übergeben sein muss (zur diesbezüglichen Analyse siehe auch Rathauscher, Bestandrechte und Konkurs, 15 f).

Der Oberste Gerichtshof hat zu dieser Frage noch nicht eindeutig Stellung genommen. Den von Gamerith in Buchegger, § 23 KO Rz 3 FN 7 zitierten Entscheidungen lässt sich nicht entnehmen, dass die Erfüllung des Bestandvertrages zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht begonnen haben muss, um § 20c Abs 2 AO

bzw § 23 KO anzuwenden. In der Entscheidung 3 Ob 532/95 (= SZ 68/84 =

ecolex 1995, 633 = JBl 1995, 727 = ÖBA 1996, 80) wurde allerdings

ausgeführt, dass dann, wenn das Wirtschaftsgut dem Leasingnehmer bei Konkurseröffnung bereits überlassen worden sei, die Anwendung des § 23 KO angebracht sei. In der Entscheidung 8 Ob 345/97m (= SZ 71/114 = ecolex 1999, 169 = EvBl 1998/212 = ZIK 1998, 165) wurde die Ansicht vertreten, § 21 KO gelte im Hinblick auf die Sonderbestimmung des § 23 KO nicht für - in Vollzug gesetzte - Bestandverträge. Ähnlich

wurde auch in der Entscheidung 8 Ob 310/97i (= ecolex 1998, 397 =

EvBl 1998/114 = ZIK 1998, 65) dargelegt, es könne aus dem Wortlaut

einer bestimmten Erklärung nicht gefolgert werden, es handle sich um eine bei einem (durch Übergabe der Bestandsache in Vollzug gesetzten) Bestandvertrag unzulässige Rücktrittserklärung gemäß § 21 KO.

In der Lehre wird überwiegend (gestützt auf Lehmann, Komm zur österr. Konkurs-, Ausgleichs- und Anfechtungsordnung, I, 159 ff) die Ansicht vertreten, die §§ 23 und 24 KO bzw der § 20c Abs 2 AO seien auch auf Fälle anzuwenden, in denen noch keine Übergabe stattgefunden habe (Bartsch/Pollak II3, § 20c AO Anm 4; Gamerith in Buchegger, § 23 KO Rz 3).

Der erkennende Senat schließt sich aber der gegenteiligen Ansicht von Rathauscher, aaO, 14 ff, die auch in den oben angeführten Entscheidungen angedeutet worden ist, an. Es ist nämlich erst dann, wenn der Bestandnehmer bereits Besitzer der Sache geworden ist, der Faktor "Gebrauch" schon so stark ausgeprägt, dass der (sofortige) Entzug des Bestandobjektes unpassend wäre. Bis zur Übergabe der Bestandsache zum Gebrauch entspricht der Bestandvertrag einem Zielschuldverhältnis, weil der Bestandgeber zunächst die Übergabe in brauchbarem Zustand schuldet. Bei nicht gehörigem Übergabeangebot durch den Bestandgeber kann der Bestandnehmer zwischen der Nichtannahme (Rücktritt gemäß § 918 ABGB ex tunc) und der Übernahme (dann nur mehr Aufhebung gemäß § 1117 ABGB ex nunc) wählen. Es besteht auch die erhöhte Bestandkraft im Sinne von "Kauf bricht nicht Miete" nur, wenn der Bestandnehmer die Bestandsache im Zeitpunkt deren Veräußerung schon überlassen hat, denn die Anwendbarkeit des § 1120 ABGB setzt den Rechtsbesitz des Bestandnehmers voraus. Vor der Besitzübertragung ist ein Erwerber nicht an - in diesem Zeitpunkt rein obligatorische - Bestandverträge gebunden. Auch gemäß § 1121 ABGB kann der Ersteher im Zwangsversteigerungsverfahren nur dann zur Übernahme des Bestandvertrages verpflichtet sein, wenn dem Bestandnehmer das Bestandobjekt bereits überlassen wurde. Daraus kommt die Wertung des Gesetzgebers zum Ausdruck, dass erhöhte Bestandkraft nur jenen Bestandverhältnissen zuteil werden soll, deren Erfüllung infolge Übergabe der Bestandsache schon begonnen hat (Rathauscher, aaO, 21 mwN).

Daraus folgt im vorliegenden Fall, dass die Erklärung des Masseverwalters eine Rücktrittserklärung im Sinn des § 20b Abs 1 AO darstellt und nicht der Einhaltung einer Kündigungsfrist bedurfte. Der klagenden Partei stehen daher die geltend gemachten Bestandzinse für die Dauer der dreimonatigen Kündigungsfrist nicht zu.

Der Revision war deshalb keine Folge zu geben.

Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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