OGH 2Ob227/10m

OGH2Ob227/10m30.8.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Sol, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei L***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Thomas Bründl, Rechtsanwalt in Straßwalchen, gegen die beklagten Parteien 1. Andreas P*****, 2. W***** GmbH, *****, und 3. O***** AG, *****, sämtliche vertreten durch Mag. Lothar Korn, Rechtsanwalt in Linz, wegen 22.891,10 EUR sA, über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 15. September 2010, GZ 3 R 79/10y-23, womit das Urteil des Landesgerichts Linz vom 12. Februar 2010, GZ 31 Cg 4/09p-17, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit 1.528,99 EUR (darin 254,83 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).

Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision über Antrag der beklagten Parteien nachträglich doch für zulässig. Das Höchstgericht habe noch nicht zu beurteilen gehabt, ob auf einer Straße ohne öffentlichen Verkehr die aufgrund einer besonderen Anordnung des Straßenerhalters Vorrangberechtigten dieses Recht auch dann beanspruchen könnten, wenn sie rückwärts fahren und für die anderen Verkehrsteilnehmer nicht rechtzeitig wahrnehmbar sind.

Rechtliche Beurteilung

Die von den beklagten Parteien gegen das Berufungsurteil erhobene Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts wegen Fehlens einer erheblichen, für die Entscheidung auch präjudiziellen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig. Weder in der Begründung des zweitinstanzlichen Zulassungsausspruchs noch im Rechtsmittel der beklagten Parteien wird eine derartige Rechtsfrage dargetan:

1. Der geltend gemachte Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurde geprüft; er liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

2. Gemäß § 1 Abs 2 StVO gilt dieses Bundesgesetz für Straßen ohne öffentlichen Verkehr insoweit, als andere Rechtsvorschriften oder die Straßenerhalter nichts anderes bestimmen. Die Befugnisse der Behörden und Organe der Straßenaufsicht erstrecken sich auf diese Straßen nicht.

Mit dem Begriff „bestimmen“ wird zum Ausdruck gebracht, dass der Straßenerhalter mit Wirkung für alle befugten Benützer einer Verkehrsfläche iSd § 1 Abs 2 StVO auch eine von den Regeln der StVO abweichende Anordnung treffen kann. Dabei handelt es sich um keine hoheitlich verfügte Verordnung einer Verwaltungsbehörde, sondern um eine privatautonome Verkehrsregelung, der mit Rücksicht auf die gesetzliche Ermächtigung gleichwohl rechtsverbindliche Wirkung zukommt (Dittrich/Stolzlechner, StVO³ § 1 Rz 74). Um einer derartigen Anordnung, die sich auch auf die Geltung der StVO beschränken kann (vgl RIS-Justiz RS0073083), verbindliche Wirkung zu verleihen, kommt daher zwar keine - behördlichen Verordnungen vorbehaltene - Kundmachung nach § 44 StVO in Betracht; es ist aber erforderlich, dass die Anordnung jedem Benützer der Straße möglichst deutlich und unmissverständlich, etwa durch Straßenverkehrszeichen, Verkehrseinleiteinrichtungen, sonstige Einrichtungen zur Regelung und Sicherung des Verkehrs oder durch die Ausfolgung von schriftlichen Hinweisen (vgl 2 Ob 116/77 = ZVR 1978/225; 2 Ob 60/91 = ZVR 1992/85; Dittrich/Stolzlechner aaO § 1 Rz 74) zur Kenntnis gebracht wird. Keinesfalls darf es vom Zufall abhängen, ob die Regelung einem Benützer zur Kenntnis gelangt. Trifft dies zu, liegt keine verbindliche Anordnung des Straßenerhalters vor, sodass die Regeln der StVO anzuwenden sind.

3. Nach den maßgeblichen Feststellungen des Erstgerichts war bei der Einfahrt zum Betriebsgelände mittels Vorschriftszeichens eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h angeordnet (§ 52 lit a Z 10a StVO) und eine Zusatztafel mit der Aufschrift „Hier gilt die StVO“ angebracht. Die von der StVO abweichende Vorrangregel war hingegen „beim Informationsbereich im Gebäudeinneren“ als Rundschreiben ausgehängt.

Von der verbindlichen Anordnung einer Ausnahme von der StVO kann unter diesen Umständen keine Rede sein. Dazu hätte es nach den obigen Kriterien einer Kundgabe des Straßenerhalters mit einem dem Hinweis auf die Geltung der StVO vergleichbaren Auffälligkeitswert bedurft. Wie bereits das Erstgericht insoweit völlig zutreffend hervorgehoben hat, kann nicht erwartet werden, dass ein das Betriebsgelände befugt benützender Kraftfahrer von sich aus nach einer den klaren Hinweis beim Einfahrtsbereich („Hier gilt die StVO“) wieder abändernden Regelung forscht. Die Beweislast für die Geltung der behaupteten Ausnahmeregelung und deren Erkennbarkeit traf die sich darauf berufenden beklagten Parteien. Dieser Beweis ist ihnen nicht gelungen. Es galten somit die Vorrangregeln der StVO.

4. Vor diesem Hintergrund ist aber die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, der Erstbeklagte, der von einem Abstellplatz trotz diverser Sichtbehinderungen rückwärts in die Zufahrtsstraße einfuhr und dort mit dem im Fließverkehr befindlichen Klagsfahrzeug kollidierte, habe trotz Kenntnis des Rundschreibens keinesfalls darauf vertrauen dürfen, dass ihm der „unbedingte“ Vorrang zukommen würde, jedenfalls vertretbar (vgl auch RIS-Justiz RS0073131).

5. Die in der Zulassungsbegründung des Berufungsgerichts aufgeworfene Rechtsfrage stellt sich in Ermangelung einer „besonderen Anordnung“ des Straßenerhalters dagegen nicht. Die auf der gegenteiligen Annahme gegründeten Revisionsausführungen der beklagten Parteien werfen keine für die Entscheidung bedeutsame Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf. Die Revision ist daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die klagende Partei hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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